Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die problematische Lage, in der sich die deutsche Seeschiffahrt befindet, ist seit langer Zeit bekannt. Weltweite Übertonnage, Verfall der Frachtraten, eine Konkurrenzsituation zu Billiglohnländern hatten dazu geführt, daß immer mehr deutsche Reeder ausflaggten, also ihr Schiff unter einer anderen Flagge registrieren ließen. Die Kosten der deutschen Flagge waren einfach zu hoch geworden, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Eine weitere Entwicklung bahnte sich an: die Verlagerung der Betriebssitze ins Ausland. Am Beispiel Zyperns läßt sich zeigen, wie fleißig auf dem deutschen Seeschiffmarkt in diese Richtung akquiriert wird.
Auch der neuerdings spürbare Aufschwung des Welthandels und die damit verbundene positive Entwicklung der Raten darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Strukturprobleme damit leider nicht gelöst sind.
Überall in unseren europäischen Nachbarländern gab es bereits zweite Seeschiffahrtsregister unterschiedlicher Struktur oder sie wurden neu eingerichtet, so in Großbritannien, in Frankreich, in Dänemark, in Norwegen. Sogar die nun nicht eben traditionelle Seefahrtnation Luxemburg tummelt sich auf diesem Markt, erkennbar auf die für Luxemburg interessanten deutschen Schiffe zielend, die drauf und dran sind, auszuflaggen. Es mußte etwas geschehen, es mußte gehandelt werden, und zwar schnell, denn bereits heute fahren mehr deutsche Schiffe unter fremder Flagge als unter deutscher Flagge. Allein im Jahre 1987 verloren wir 10 % unserer Flotte durch Ausflaggung.
Nun ist es nicht etwa so, daß nichts getan wurde. Die Bundesregierung hat erhebliche Anstrengungen unternommen, um der deutschen Seeschiffahrt zu helfen — Kollege Fischer hat darauf hingewiesen — , etwa durch die Wiedereinführung der Finanzbeiträge,
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 8561
Richter
durch die Umwandlung in nicht rückzahlbare Zuschüsse, die Trennung von Schiffahrts- und Schiffbauhilfe, durch Erleichterung bei den ertragsunabhängigen Steuern usw. Aber all das reichte nicht aus, um die Ausflaggung zu stoppen. Im Gegenteil, die Situation hat sich trotzdem noch verschärft.
Über 2 000 deutsche Seeleute fahren unter fremder Flagge. Das bedeutet für sie, daß sie nicht krankenversichert, daß sie nicht rentenversichert, daß sie nicht arbeitslosenversichert, nicht unfallversichert sind. Die deutschen Sicherheitsstandards gelten an Bord nicht.
Bei all dem Lärm, den die Gewerkschaften im Vorfeld veranstaltet haben: Meine Damen und Herren, wer fragt eigentlich diese Seeleute, ob sie nicht lieber unter den Bedingungen eines deutschen Zusatzregisters fahren wollen?
Die Koalitionsfraktionen haben gehandelt. Sie legen einen Gesetzentwurf vor, der die deutschen Sicherheitsstandards und die deutschen Sozialstandards für die deutschen Seeleute an Bord erhält.
Dieses Gesetz ermöglicht es deutschen Reedern, die im internationalen Verkehr tätig sind, ausländische Seeleute zu den Heuerbedingungen ihrer Heimatländer an Bord zu nehmen. Damit wird beim drückendsten Kostenblock, den Heuerkosten, eine Erleichterung geschaffen. Dieser Schritt ist nicht einfach gewesen, denn sicherlich gehen auch deutsche Arbeitsplätze dabei verloren. Aber es ist der einzige Weg, um deutsche Bordarbeitsplätze überhaupt für die Zukunft zu sichern. Die Alternative wäre die Totalausflaggung
und damit der Verlust aller deutschen Arbeitsplätze an Bord unserer Schiffe.
Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf ist bei aller Kontroverse in der Diskussion einfach notwendig. Zu einigen rechtlichen Aspekten wird mein Kollege Funke im Verlaufe der Debatte noch Stellung nehmen.
Die Kritiker bieten als Alternative vor allem den im Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf der Freien Hansestadt Bremen an. Wenn man sich die Historie dieses Gesetzentwurfs anschaut, so wird man feststellen, daß Herr Senator Kunick zunächst das Prinzip der Heimatlohnheuer sehr wohl in seinen Gesetzentwurf hineingeschrieben hatte. Er wollte eine Ausländerquote zu den Bedingungen der Heimatländer einstellen. Das ist schon bemerkenswert, denn er hat damit anerkannt, daß ohne ein Herangehen an den Heuerkostenblock alle anderen Maßnahmen nicht greifen würden. Allerdings war die Heimatlohnheuer bei gleichzeitiger Quotierung mit einem Messer ohne Griff vergleichbar: Es nützt zwar etwas, aber es ist schlecht handhabbar. Senator Kunick hat sich damit nicht durchsetzen können. Die Heimatlohnheuer wurde ihm von seinen Genossen in Bremen herausgestrichen. Was jetzt übriggeblieben ist, meine Damen und Herren, gleicht einem Messer ohne Klinge, dem der Griff fehlt.
Die im Gesetzentwurf Bremens vorgeschlagenen Maßnahmen bleiben hinter denen zurück, die die Koalitionsfraktionen Ihnen in ihrem Gesetzentwurf vorstellen.
Sie mögen im einzelnen diskutabel sein; alleine lösen sie das Problem der deutschen Seeschiffahrt nicht. Sicherlich ist das zweite Register nicht alles. Unsere Schiffahrtspolitik erschöpft sich nicht in einem einzigen Gesetzeswerk. Es wird zu prüfen sein, ob Entlastungen bei den ertragsunabhängigen Steuern möglich sind oder ob man etwa den Montage-Erlaß auf Seeleute anwenden kann. Das Zusatzregister ist nicht alles, aber ohne das Zusatzregister ist alles nichts; denn diese übrigen Maßnahmen allein werden die weitere Ausflaggung nicht verhindern.
Wir wollen der deutschen Seeschiffahrt eine Zukunft erhalten. Es soll auch weiterhin deutsche Seeleute unter deutscher Flagge auf den Meeren geben; es soll vor allem weiterhin eine deutsche Seemannsausbildung geben. Aus diesem Grunde ist der nächste Schritt — dazu fordern wir die Bundesregierung jetzt schon auf — , durch eine Neufassung der Schiffsbesetzungsverordnung dafür Sorge zu tragen, daß eine deutsche Fahrbesatzung ihren Platz an Bord behält und daß eine deutsche seemännische Ausbildung auch durch Ausbildungsplätze an Bord gesichert bleibt.
Dies ist, meine Damen und Herren, auch im wohlverstandenen Interesse der deutschen Reeder.
Der Deutsche Bundestag freilich muß heute die Grundsatzentscheidung treffen. Es geht um nichts anderes als um die Frage, ob in Zukunft die einzigen deutschen Schiffe auf den Weltmeeren die grau gestrichenen Schiffe der deutschen Bundesmarine sein werden oder ob wir weiterhin Handelsschiffahrt betreiben können. Es geht um eine dauerhafte Sicherung qualifizierter Bordarbeitsplätze und damit im Zusammenhang stehender Arbeitsplätze an Land; Kollege Fischer hat auch darauf hingewiesen. Deshalb fordere ich Sie auf, meine Damen und Herren, diesem Gesetz Ihre Zustimmung zu geben.