Rede von
Annette
Faße
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven muß anbauen. Nötig ist ein Erweiterungsbau mit der neuen Abteilung „Deutscher Seemann". Nicht mehr auf deutschen Schiffen, sondern in diesem Museum werden wir den deutschen Seemann in Zukunft finden.
Es gilt, die deutsche Handelsflotte — wie immer man sie definieren mag — zu erhalten. Es gilt, das Ausflaggen zu verhindern; da sind wir uns alle einig. Was uns heute aber vorliegt, erfüllt diese Ansprüche nicht.
Das Gesetz zur Einführung eines zusätzlichen Registers für Seeschiffe unter der Bundesflagge im internationalen Verkehr wird eine Ausflaggung nicht verhindern und nur kaum verzögern.
Dieses Gesetz wird keine Rückflaggung zur Folge haben. Dieses Gesetz ist für die Reeder nur ein Teil eines Pakets von Forderungen.
Dieses Gesetz bedeutet aber für über 10 000 Seeleute den Verlust ihrer Arbeitsplätze.
— Welchen Sinn hätte das Gesetz denn sonst? Es soll Kosten in diesem Bereich einsparen. Sie widersprechen sich selber.
Dieses Gesetz schickt Männer in die Arbeitslosigkeit, die an Land kaum eine Chance auf einen neuen Arbeitsplatz haben. Dieses Gesetz wird den Reedern Kosten ersparen, und zwar auf dem Rücken der Seeleute und zu Lasten der Bundesanstalt für Arbeit.
Dieses Gesetz durchbricht die Tarifhoheit der Gewerkschaften. Dieses Gesetz ist der Einstieg, deutsche Arbeitnehmer durch billige ausländische Arbeitskräfte zu ersetzen. Dieses Gesetz ist für uns eindeutig ein Arbeitsplatzvernichtungsgesetz,
das der deutschen Handelsflotte mittelfristig nicht hilft und den Arbeitnehmern schon gar nicht hilft.
Dieses Gesetz wird hier noch von Abgeordneten der Küste vorgelegt. Sie spielen sich hier, Herr Fischer, als Retter der Seefahrt auf. Vielleicht bekommen Sie auch noch einen Heiligenschein. Das wäre ja was.
Eine Sachstandsbeschreibung zur Lage der Handelsflotte kann ich mir hier ersparen. Jeder will das
Ausflaggen der deutschen Schiffe mit all seinen Nachteilen, die ganz unumstritten sind, verhindern.
Es stellt sich aber die Frage, ob ein Zusatzregister sinnvoll ist, ob es sich überhaupt rechnet.
Der Entwurf faßt als Möglichkeit lediglich das Abschließen von Tarifverträgen mit Heimatlandgewerkschaften — so es sie gibt — und damit die Senkung der Personalkosten durch Austausch der derzeitigen Arbeitnehmer gegen Billigseeleute ins Auge. Aber Kosten in der Schiffahrt setzen sich aus zahlreichen Größen zusammen. Diese stehen hier aber leider überhaupt nicht zur Diskussion.
In einem sind sich alle Sachverständigen und natürlich die Reeder einig: Ohne weitere finanziellen Hilfen kann das Ausflaggen nicht verhindert werden. Kostenunterschiede zwischen ausgeflaggten Schiffen und deutschen Schiffen können durch ein Zweitregister nicht beseitigt werden. Konkrete Zusagen finanzieller Art wurden den Reedern aber nicht gemacht, und auch im Verkehrsausschuß war auf Nachfragen nichts zu vermerken.
Da schicken wir unsere Seeleute zum Arbeitsamt, wo ca. 300 Millionen DM jährlich für Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit fällig werden. Da sollen auf der einen Seite Heuersummen in Höhe von ca. 300 Millionen DM eingespart werden, damit auf der anderen Seite Lohnsteuern in Höhe von ca. 65 Millionen DM wegfallen. Volkswirtschaftlich wird hier eine Milchmädchenrechnung zu Lasten der abhängigen Arbeitnehmer aufgemacht.
Das Votum des gerade in diesem Bereich sehr wichtigen Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung scheint überhaupt nicht zu interessieren, obwohl ja mit den Stimmen der Koalitionsmitglieder eine neue Beratung für den Januar angesetzt wurde. Die Ausschußmitglieder möchten ausreichende Beratungszeit. Aber gerade diese Voten — vielleicht ist einem das nicht so angenehm — interessieren überhaupt nicht. Hauptsache durch! Das möge begreifen wer will. Ich nenne das unverantwortliches Handeln.
Rechtliche Bedenken wurden ebenfalls nicht beachtet. Man muß die Aussagen von Sachverständigen ernst nehmen, wenn es um verfassungsrechtliche Bedenken geht. Wer sich darüber hinwegsetzt, kommt leicht in Gefahr, die Verfassung zu brechen. Meine Bedenken in bezug auf Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz bleiben bestehen.
Bisher galt, daß sich die Bezahlung nach der Art der Arbeit, nach deren Dauer und deren Schwierigkeitsgrad und nicht danach richtete, in welchem Land der Arbeitnehmer lebt. Sie heben hier das anerkannte Prinzip, gleiche Arbeit — gleicher Lohn, auf.
Wie sieht die Situation der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen tatsächlich aus? Ist eine Gewerkschaft nicht
8560 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988
Frau Faße
bereit, den Wunschvorstellungen der Reeder mit einem Ja entgegenzukommen, dann geht dieser halt in einen anderen Staat. Das ist eine einfache Sache. Ausländische Gewerkschaften werden gezwungen, Rückschritte zu machen, um ihren Seeleuten überhaupt noch eine Chance einzuräumen. Gibt es keine Gewerkschaften in den betreffenden Ländern, können Einzelverträge abgeschlossen werden.
Die Auswirkungen dieses Gesetzes für die nationalen Seeleute sind negativ. Nationale Arbeitsplätze werden durch internationale ersetzt. Ersatzarbeitsplätze stehen für die meisten Seeleute nicht zur Verfügung. Spezielle Schulungsprogramme wird es nach Aussage der Regierung im Ausschuß nicht geben.
In der Region treten neben der Zunahme der Arbeitslosigkeit auch Kaufkraftverluste durch den Verlust an Lohnaufkommen ein. Ausbildungseinrichtungen werden stark betroffen. Die Konsequenzen sind vielfältig und betreffen diese Ausbildungseinrichtungen selbst und zusätzlich die Seeberufsgenossenschaft, Seemannsheime, Dienstleistungsunternehmen, Lotsen. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Betroffen sind auch die Sozialversicherungen. Die Seeleute werden wesentlich geringer entlohnt, und da entfällt wohl auch, wie in Norwegen, der Versicherungszwang. Der Sicherheitsstandard eines Schiffes hängt u. a. von der Besatzungszusammensetzung ab. Untersuchungen haben eindeutig festgestellt, daß eine gemischte Besatzung eine erschwerte Kommunikation an Bord bedeutet.
Die Gefahr von Schiffsunfällen steigt. Ich erinnere an den Untergang der Elma Tres. Dieses Containerschiff ist in relativ kurzer Zeit gesunken; es kam auf eine korrekte und schnelle Kommunikation an.
In dieser Streßsituation hat sich herausgestellt, daß die philippinische Besatzung nicht mehr englisch, sondern ihren Heimatdialekt sprach. Von der gesamten Besatzung hat nur der Erste Offizier überlebt.
Die Versorgungssicherheit ist für den Krisen- und Spannungsfall nicht gewährleistet.
Ausländische Seeleute werden in solchen Fällen, wo immer das stattfinden mag, sicherlich nicht der deutschen Flagge die Treue schwören, sondern sehen, daß sie möglichst schnell vom Schiff herunterkommen.
Vergebens haben Seemannsfrauen, stellvertretend für ihre Männer, die Bundesregierung um Hilfe gebeten. Vergebens haben Seebetriebsräte für ihre Kollegen an Bord einen Hungerstreik geführt. Vergebens haben arbeitslose Seeleute, Auszubildende, Gewerkschaften mit Demonstrationen in den Hafenstädten und mit bundesweiten Aktionen auf die Lage eines ganzen Berufsstandes hingewiesen.
Vergebens haben die nautischen Vereine, die Seemannsmission, die Wasserschutzpolizei Briefe geschrieben und Unterschriften gesammelt.
Die Alternative lautet nicht: Ausflaggen oder Zweitregister, sondern sie lautet für uns: finanzielle Hilfen. Wir müssen in jedem Fall mit finanziellen Hilfen weiterarbeiten, denn schon in einigen Monaten werden die Reeder wieder anklopfen und uns sagen: Das Zweitregister allein hat nichts gebracht; wir brauchen weitere finanzielle Entlastungen. — Dann aber wird es kaum noch einen deutschen Seemann an Bord geben, mit Glück einige wenige Führungskräfte. Dann haben wir hier unsere Seeleute geopfert und haben die Väter und Söhne in die Arbeitslosigkeit geschickt.
Was die Bundesregierung vorhat, hilft der deutschen Handelsflotte nicht, sondern es vernichtet Arbeitsplätze deutscher Seeleute und verschlimmert damit die wirtschaftlichen Sorgen an der Küste.
Wir lehnen dieses Gesetz ab.