Rede von
Josef
Vosen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jahresende, letzte Sitzungswoche und Forschungsdiskussion — das gibt auch die Möglichkeit des Rückblicks, die ich hier jetzt nutzen möchte. Ich glaube, daß die Forschungspolitik in diesem Land nicht auf einem guten Weg ist. Sechs Jahre Forschungspolitik seit der sogenannten Wende sind sechs Jahre Entschlußlosigkeit im Hinblick auf die richtigen Konzepte,
sind sechs Jahre der Öffnung des Forschungshaushalts für die Selbstbedienung der Großkonzerne, sind sechs Jahre des Abbaus der Mittelstandsförderung — nach anfänglichem Aufschwung —
und der arbeitnehmerorientierten Humanisierungspolitik. Sechs Jahre Forschungspolitik seit der Wende sind schließlich, in den vergleichenden Statistiken ablesbar, als ein Zurückfallen der Bundesrepublik als Forschungsland hinter die Entwicklungen in den USA und besonders in Japan zu bezeichnen. In diesen sechs Jahren hat die Bundesregierung einen großen Teil der von der sozialliberalen Koalition aufgebauten Positionen verspielt.
Man könnte es in Kurzform fassen: Die Bundesrepublik setzt auf Nobelpreise, was sehr gut ist, und die Japaner setzen darüber hinaus auf Verkaufspreise.
Meine Damen und Herren, diese sechs Jahre wurden von einem beeindruckenden verbalen Feuerwerk begleitet — der Minister ist ja rhetorisch sehr gut —, von vielen schönen Worten, vor allen Dingen meist denselben Worten.
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die „Wirtschaftswoche" hat im August die Leistungen des Bundesforschungsministers als „im Abseits" eingestuft. Das war dieses schöne Bild mit den Pinguinen und der Antarktiskarte. Wenn man einmal davon absieht, daß das unschuldige antarktische Tier, der Pinguin, in diesem Zusammenhang nun wirklich nichts dafür kann, so liegt die „Wirtschaftswoche" in der Sache doch nicht falsch.
Der Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin — auch dies eine etablierte Institution — von Mitte Oktober stellt dieses Abseits in allen Einzelheiten dar — ganz entgegen dem blumigen und überschwenglichen Selbstlob, das sich die Bundesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage der Regierungskoalitionen zur Forschungspolitik ausstellt.
Das DIW stellt sinngemäß fest, daß die Aufwendungen des Staates und der Wirtschaft als Instrument der Technologie- und Wirtschaftspolitik gesehen werden, das den Strukturwandel in der Bundesrepublik beschleunigt und die internationale Wettbewerbsfähigkeit sichern hilft. Zur Zeit seien aber leider die Möglichkeiten des Staates und auch die Möglichkeiten der Wirtschaft nicht ausgeschöpft, und die Ertragslage
auch der Wirtschaft lasse eine Steigerung der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen zu. — Soweit das DIW. — Ich stelle fest: Es muß also mehr getan werden, und zwar vom Staat und von der Wirtschaft.
Meine Damen und Herren, diese Feststellungen sind für die Bundesregierung und für die Bundesrepublik wenig schmeichelhaft. Offenbar funktioniert die Angebotspolitik gegenüber der Wirtschaft im F- und E-Sektor nicht ganz so, wie es hier durch den Forschungsminister immer vorgetragen wird.
Vergleiche des DIW betreffend Kaufkraftparitäten — ausgehend von der Preisbasis 1980 — führen zu dem Schluß, daß wir gegenüber den USA zurückgefallen sind, gegenüber Japan sogar dramatisch zurückgefallen sind. Insgesamt ist dies, wie die Fachinstitute sagen, eine Entwicklung, die wir sehr, sehr negativ sehen müssen. Anders sind die Aussagen hier.
Teilweise sieht es so auch in den Schlüsselbranchen unserer Volkswirtschaft aus: In der chemischen Industrie hat sich unsere Position gegenüber den USA stark verschlechtert, auch gegenüber Japan. Im Maschinenbau konnten wir unsere Position gegenüber den USA verbessern, allerdings hat sie sich gegenüber Japan erheblich verschlechtert. Das gleiche gilt auch für den Straßenfahrzeugbau. In der elektrotechnischen Industrie ist gegenüber beiden Ländern wiederum eine dramatische Verschlechterung festzustellen.
Ich meine, daß diese Position Ihnen, Herr Minister, zu denken geben muß. Es ist ja keine Position, die ich hier formuliere, sondern ich zitiere dies aus anerkannten Gutachten von Wirtschaftsforschungsinstituten. Ich meine, daß wir allen Grund haben, diese Aussagen ernst zu nehmen.
Ich möchte kritisieren — das ist auch getan worden — , daß wir uns in eine Abhängigkeit von der Luft- und Raumfahrtindustrie begeben; sie ist, wenn man so will, eine große Gefahr für die Entwicklung der Forschungslandschaft in unserem Lande.
Sie haben Auflagen zu erfüllen, Herr Minister, in die Sie andere Kollegen hineingebracht haben, z. B. Herr Genscher durch seine Zusagen in Paris, dann Herr Bangemann, dann auch der verstorbene Ministerpräsident Strauß, ebenso Herr Stoltenberg. Alle diese Minister regieren in Ihr Ressort hinein, und Sie haben nicht die Kraft, dagegen anzutreten. Das meint auch die „Wirtschaftswoche", indem sie schreibt: Im Machtkampf am Kabinettstisch zählt der CDU-Mann Riesenhuber zu den Verlierern.
So ist das, so sehen auch wir das. Ich bitte wirklich herzlich darum, mehr Einfluß zu nehmen.
Auch im Falle der DARA ist eine Sammlung von Kompetenzen aus anderen Ministerien nötig. Die Verzögerung der DARA ist doch einfach darauf zurückzuführen, daß es nicht gelungen ist, in dem Kompetenzenstreit der Ministerien einen Durchbruch seitens des Forschungsministers zu erzielen.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1988 8535
Vosen
Auch da sieht man wieder die im Grunde genommen geringe Möglichkeit des Einflusses und der Machtdurchsetzung am Kabinettstisch.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß es sehr traurig ist, daß es dem Minister nicht gelungen ist, sich aus der Abhängigkeit von der atomtechnischen Industrie zu lösen. Nahezu 1 Milliarde DM im Haushalt machen doch deutlich, daß dieser Zusammenhang zwischen Atomindustrie und Forschungsministerium nach wie vor gegeben ist. Die Verlierer sind der Mittelstand und die Arbeitnehmer. Dort wird gekürzt, dort wird zurückgefahren. Man kann schon von einer Kleinholzpolitik in bezug auf den Mittelstand sprechen. Manches ist am Anfang geschehen, verbal viel mehr als real, und heute stellen wir fest, daß wir vor Trümmern stehen.
Auch die Humanisierung des Arbeitslebens kommt nicht voran, ebenfalls nicht die Technikfolgenabschätzung und -gestaltung. Dies sind alles Fakten.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren, ob das eine gute Bilanz ist. Auch in der Informationstechnologie — das hat mein Kollege Vahlberg hier vorgetragen — warten wir auf Anschlußprogramme. Wir sehen nicht, daß in diesem Bereich finanztechnisch noch Luft ist, um Entsprechendes auf den Weg zu bringen.
Insgesamt zeichnet sich die Forschungspolitik dieses Jahres und der voraufgegangenen Jahre durch Entschlußlosigkeit, Kraftlosigkeit und viele schöne Worte aus. Das ist, meine ich, eine traurige Bilanz.
Herzlichen Dank.