Rede von
Eckhard
Stratmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Liebe Mitbürgerinnen! Liebe Mitbürger! Die Absicht der Bundesregierung, den Kohlepfennig lediglich auf 8,5 % zu erhöhen, kann nur im Zusammenhang mit der politischen Begründung für den vorliegenden Verordnungsentwurf bewertet werden. Verordnung und Begründung bilden zusammen eine politische Einheit. Daher kann diese Verordnung nur als offene Kriegserklärung der Atomlobby gegen die heimische Steinkohle angesehen werden.
Wir GRÜNEN lehnen daher diese Verordnung ab und haben als Alternative dazu einen eigenen Antrag in den Bundestag eingebracht, der Ihnen vorliegt: Ersetzung des Kohlepfennigs durch eine Primärenergie- und Atomstromsteuer.
Punkt 6 der Begründung des vorliegenden Verordnungsentwurfs, der dem Parlament erst gestern vorgelegt worden ist, lautet im letzten Absatz:
Es wird festgestellt, daß eine Mengenausweitung ab 1991 nicht möglich ist. In die Verhandlungen mit den EVU wird deshalb die Frage einbezogen, wie die Aufstockungsmengen für den Vertragszeitraum 1991 bis 1995 auf die anschließenden Jahre gestreckt werden können.
Mit dieser Aussage haben die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen eindeutig vom Jahrhundertvertrag Abschied genommen;
denn im Jahrhundertvertrag ist vertraglich vorgesehen, ab 1991, wenn dem die Stromverbrauchsentwicklung nicht entgegensteht, die Verstromungsmengen aufzustocken. Wenn Sie auf eine Aufstockung um ca. 2,5 Millionen t jährlich verzichten, heißt das: Stilllegung einer weiteren Großzeche in den Kohlerevieren über die Stillegung einer Kapazitätsstätte hinaus, die schon im Dezember letzten Jahres beschlossen worden ist. Damit hat sich die Koalition dem politischen Druck der Atomlobby in den Atomländern Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen sowie der Atomwirtschaft selber gebeugt.
Bundeskanzler Kohl hat damit eindeutig und offen sein mehrfach gegebenes Wort gebrochen, er stehe zum Jahrhundertvertrag. Deswegen muß die vorliegende Verordnung von nun an als die Kohlelüge dieser Bundesregierung in die Geschichte der Kohleauseinandersetzungen eingehen.
Der Punkt 6 der Begründung kann nur im Zusammenhang mit dem vorgestern veröffentlichten Brief von Bennigsen-Foerder, Vorstandsvorsitzender der VEBA AG, an den Bundeskanzler Kohl interpretiert werden, in dem zum erstenmal ein maßgeblicher Manager der Atom- und Energiewirtschaft für die Aufkündigung des Jahrhundertvertrages eintritt
— Herr Kollege Niggemeier, Sie schütteln den Kopf; Sie kennen den Brief doch offensichtlich —, in dem er ausdrücklich sagt: Im nächsten Jahr soll der Jahrhundertvertrag neu verhandelt werden, und ab 1990 bis über das Jahr 2000 hinaus soll ein neuer Vertrag auf der Basis einer Verstromungsmenge von 30 Millionen t vorgelegt werden. Das heißt: dramatische Reduzierung der Verstromungsmengen, wie sie im vorliegenden Jahrhundertvertrag vorgesehen werden.
Wer ist von Bennigsen-Foerder? Es ist ja nicht irgendeiner, der das zum erstenmal in dieser Offenherzigkeit bekennt: erstens energiepolitischer Berater von Bundeskanzler Kohl, wie jeder weiß,
zweitens Vorsitzender der VEBA AG, der hundertprozentigen Mutter der Preußenelektra, die sieben Atomkraftwerke betreibt, u. a. den Schrottreaktor Stade, der mit Biblis A auch gestern wieder in die Schlagzeilen gekommen ist. In einer Situation, wo die Atomkraftwerksbetreiber aus Sicherheitsgründen wieder einmal in die Defensive geraten sind,
starten Sie sozusagen den Totalangriff auf die Kohle. Dieser Angriff von Bennigsen-Foerder ist um so gefährlicher, als derselbe Mann gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender der Ruhrkohle AG ist,
weil die VEBA 40 % des Aktienanteils an der Ruhrkohle hat. Jetzt ist wahr geworden, wovor wir seit mehreren Jahren gewarnt haben, als die VEBA ihren Aktienanteil bei der Ruhrkohle aufstockte.
Wir haben damals gesagt: Die VEBA AG ist wie ein Krebsgeschwür im Herzen der Ruhrkohle AG und schwächt den Widerstand der Ruhrkohle gegen die Verdrängung durch die Atomenergie. Genau das erleben wir in diesen Tagen.
— Ja, Herr Niggemeier, weil wir eben nicht zur Atomlobby gehören wie Sie, sehen wir einige Dinge trennschärfer als Sie.
Wir sagen aus diesem Grund: Der vorgelegte Verordnungsentwurf ist kein Schritt in die richtige Richtung, wie die SPD meint, sondern der Anfang vom Ende des Jahrhundertvertrages. Der Entwurf muß abgelehnt werden.
Die Alternative ist folgende: Wir fordern, daß der Kohleausgleichsfonds finanziell so ausgestattet wird, daß er seine gesetzlich vorgeschriebenen Ausgabenleistungen tatsächlich erfüllen kann. Dazu gehören selbstverständlich — da besteht Konsens — der Revierausgleich und die Erschwerniszuschläge für die niederflüchtige Kohle.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1988 8461
Stratmann
Das heißt, die 8,5 % , denen Sie zustimmen wollen, reißen im Jahre 1989 nach Aussagen des Wirtschaftsministeriums ein Loch in Höhe von 5 Milliarden DM.
Nicht nur eine zukünftige Belastung von Bundes-und Landeshaushalt im Saarland und in Nordrhein-Westfalen bedeutet das;
es wäre eine Erhöhung des Kohlepfennigs von 13,7 im kommenden Jahr notwendig. Wir fordern eine entsprechende finanzielle Ausstattung in der Größenordnung von 13,7 % Kohlepfennig für den Kohleausgleichsfonds.
Noch ein kritisches Wort zur SPD, Herr Jung: Sie haben im letzten Jahr mit Ihrem Abstimmungsverhalten selber dazu beigetragen, daß wir Ende 1986 eine Deckungslücke im Verstromungsvorhaben von 6 Milliarden DM haben. Sie haben vor einem Jahr lediglich eine Beibehaltung des Kohlepfennigs von 7,5 % gefordert. Auch mit diesen 7,5 % hätten Sie heute eine Dekkungslücke von über 5 Milliarden DM. Das wissen Sie doch! Insofern sind Sie für dieses Deckungsloch mitverantwortlich.
— Sie haben 3,5 % gefordert und die Bundesregierungskürzung auf 7,25 % abgelehnt. So war die Lage.
Unsere Alternative dazu ist folgende: gesetzlich vorgeschriebene Ausstattung des Kohleausgleichsfonds in einer Größenordnung von 13,7 %. Allerdings sehen wir, daß der Kohlepfennig als Instrument zur finanziellen Ausstattung des Kohlefonds nicht mehr geeignet ist.
Wir sind deswegen dafür, daß dieses Instrument durch eine Primärenergie- und Atomstromsteuer ersetzt wird. Diese Primärenergie- und Atomstromsteuer könnte mit den von uns zur Diskussion vorgeschlagenen Bemessungswerten ein Gesamtaufkommen von ca. 50 Milliarden DM pro Jahr haben. Das entspricht ungefähr dem volkswirtschaftlichen Gewinn, den wir seit 1985 durch den Ölpreisverfall haben: derzeit in der Größenordnung von 60 Milliarden DM.
Das heißt, mit den Steuervorschlägen, die wir machen, wird die Volkswirtschaft unter keinen Umständen unverkraftbar belastet.
Aus diesem Steueraufkommen sollen mehrere Sachen finanziert werden, u. a. die gesetzlich vorgeschriebene Aufstockung des Kohleausgleichsfonds. Darüber hinaus sollen ein ehrgeiziges Energieeinsparprogramm finanziert werden, die Förderung von
Techniken zur Gewinnung erneuerbarer Energien und ein Klimaschutzprogramm. Mit diesem Programm könnte der ökologische Umbau der Kohlereviere in Angriff genommen werden, der gleichzeitig neue und ökologisch verträgliche Arbeitsplätze in den Kohlerevieren bereitstellt.
Ich fasse zusammen. Die geplante Erhöhung des Kohlepfennigs reicht hinten und vorne nicht aus, um die notwendigen Ausgaben des Kohleausgleichsfonds zu decken. Der Verordnungsentwurf der Bundesregierung ist kein Schritt in die richtige Richtung, wie die SPD meint. Er ist der Anfang vom Ende des Jahrhundertvertrags.
Wir GRÜNEN lehnen ihn daher ab.