Rede von
Volker
Jung
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsident! Meine Damen und Herren!
Vordergründig geht es in dieser Debatte, die wir sozusagen in letzter Minute führen, um die Höhe des Kohlepfennigs für das Jahr 1989.
In Wirklichkeit geht es aber darum, eine Politik zu vereiteln, die den Jahrhundertvertrag noch vor dem Ende seiner Laufzeit im Jahre 1995 aus den Angeln heben will.
Es geht letztlich darum, der deutschen Steinkohle, der einzigen heimischen Energiequelle von Bedeutung, ihren Platz in unserer Energieversorgung zu sichern. Ich glaube, daß es dafür in diesem Hause eine Mehrheit gibt. Ob sie sich aber über die Parteigrenzen hinweg durchsetzen kann, ist die eigentlich offene Frage.
Wenn es nur darum ginge, die Höhe des Kohlepfennigs für das nächste Jahr festzusetzen, dann wäre die Angelegenheit ganz einfach: Wir müßten nur § 8 des Dritten Verstromungsgesetzes anwenden, der vorschreibt, daß sich die Höhe der Ausgleichsabgabe und damit die Einnahmen des Verstromungsfonds nach den voraussehbaren Ausgaben zu richten haben.
Uns ist natürlich bewußt, daß der Kohlepfennig in diesem Fall auf mehr als 11% festgesetzt werden müßte. Das fordern wir nicht. Wir fordern es ausdrücklich nicht, weil uns klar ist, daß uns dies von einem möglichen Konsens noch weiter entfernen würde.
Aber man muß an dieser Stelle doch auch einmal sagen: Wenn der Bundeswirtschaftsminister den Kohlepfennig für die Jahre 1986 und 1987, nachdem die Weltmarktpreise für Öl, Erdgas und Importkohle zusammengebrochen waren und der Dollar-Kurs so drastisch abgesunken war, rechtzeitig und gesetzeskonform angehoben hätte, wenn er die Bugwelle von nicht erfüllten Ausgleichsansprüchen der Energieversorgungsunternehmen, die sich in diesem Jahr auf mehr als 6 Milliarden DM summieren, nicht so hätte anwachsen lassen,
dann würde heute ein Kohlepfennig zwischen 8 und 9 To ausreichen, um die zukünftigen Ansprüche zu erfüllen.
Das hat der Bundeswirtschaftsminister nicht getan.
Das hat er bewußt nicht getan, das hat er nicht gewollt.
Im Gegenteil: Auf der Wirtschaftsministerkonferenz im Oktober 1987 in Mettlach hat Herr Bangemann — gegen den Widerstand der Bergbauländer — sogar den Beschluß durchgedrückt, den Kohlepfennig bis 1995 schrittweise auf 4% abzusenken.
Damit hätte das Defizit des Verstromungsfonds auf 20 Milliarden DM anwachsen können. Und dabei sollte das Mengengerüst des Jahrhundertvertrages möglichst aufrechterhalten werden.
Ich betone ausdrücklich: möglichst, d. h. nur wenn es geht.
Das haben viele Kenner der Materie als Quadratur des Kreises bezeichnet. Zu keinem Zeitpunkt hat Herr Bangemann alle Beteiligten an einen Tisch zu holen versucht, um ein Gesamtpaket zu schnüren, das bis zum Ende des Jahrhundertvertrages halten könnte. Er hat vielmehr versucht, die Beteiligten gegeneinander auszuspielen, und damit ist er im September konsequent gescheitert, als die Elektrizitätswirtschaft ihre Bereitschaft zur Mitfinanzierung der Verstromungsregelung zurückgezogen hat. Erst danach kam dem Bundeswirtschaftsminister die Einsicht, daß es notwendig ist, den Kohlepfennig anzuheben. Wäre Herrn Bangemann diese Einsicht früher gekommen, dann hätte er schon in diesem Jahr eine gute Chance gehabt, mit der Elektrizitätswirtschaft zu einem Solidarbeitrag zu kommen.
Als zusätzliche Finanzierungsquelle ist ihm eingefallen, den Revierausgleich aus dem Verstromungsfonds herauszunehmen und die Zuschüsse für die niederflüchtige Kohle zu streichen. Mit dieser Regelung würden die Länderhaushalte von Nordrhein-Westfalen und dem Saarland, die ohnehin schon hohe Lasten
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1988 8457
Jung
zur Stützung der Kohle zu tragen haben, noch weiter belastet werden.
Weiter: Diese Regionalisierung der Kohlelasten lehnen wir ab. Ich möchte hier ausdrücklich sagen, daß wir den Punkt 6 der Begründung der Verordnung nicht mittragen. Wir lehnen ihn ab, sowohl in der alten Formulierung wie auch in der nachgeschobenen Formulierung.
Auch die nachgeschobene Begründung steht nicht im Einklang mit der nationalen Aufgabe, unsere Energieversorgung zu sichern, und ist deswegen auch verfassungsrechtlich bedenklich, worauf der Bundeswirtschaftsminister von seinen eigenen Beamten hingewiesen worden ist. Außerdem würde mit dieser Regelung ein neuer Subventionstatbestand geschaffen werden, der im Licht der Wettbewerbsregeln der Europäischen Gemeinschaft — anders als das Verstromungssystem — angreifbar ist.
Meine Damen und Herren, als die Verstromungsregelung 1980 beschlossen wurde, war das Konzept eigentlich ganz klar: Die Finanzierungslasten der Kohleverstromung sind von den Stromverbrauchern zu tragen und nicht von den öffentlichen Haushalten, schon gar nicht von Landeshaushalten. Weiter sollte die Kohle reviernah, d. h. in der Nähe der Lagerstätten verstromt werden. Wenn einige Bundesländer, an der Spitze Bayern und Niedersachsen, nunmehr seit 2 Jahren gegen dieses System Sturm laufen, dann stellen sie die Geschäftsgrundlage des Jahrhundertvertrages und auch des Dritten Verstromungsgesetzes in Frage.
Ihrem Argument, Sie müßten den teuren Kohlestrom von der Saar und von der Ruhr mit bezahlen, halten wir mit Helmut Schmidt entgegen,
daß die Steuerzahler in den anderen Bundesländern die horrenden Subventionen mitfinanziert haben, die in den vergangenen Jahrzehnten zur Entwicklung und Errichtung von Kernkraftwerken auch in Niedersachsen und Bayern gezahlt wurden.
Hier besteht ein sehr enger Zusammenhang.
Die Politik des Bundeswirtschaftsministers läßt doch nur zwei Interpretationsmöglichkeiten zu: Entweder ist Herrn Bangemann wirtschaftspolitisches Unvermögen vorzuwerfen,
oder es muß ihm die Absicht unterstellt werden, die Finanzierungsschwierigkeiten des Verstromungsfonds mutwillig herbeigeführt zu haben.
Welche Interpretation auch richtig ist,
es steht fest: Der Bundeswirtschaftsminister hat alle Beteiligten in höchstem Maße verunsichert, die Elektrizitätswirtschaft, den Steinkohlebergbau, dem jede verläßliche Planungsgrundlage genommen wurde, die Bergbauregionen und nicht zuletzt die Bergleute und ihre Familien. Er hat auf diese Art und Weise auch die Regierungskoalition fast gespalten, die sich ihrer Mehrheit zeitweilig nicht mehr sicher sein konnte, die in dieser Frage ihre Regierungsfähigkeit fast verloren hätte.
Ich sage dazu: wirklich kein starker Abgang des Bundeswirtschaftsministers. Man kann sich durchaus vorstellen, daß auf keiner Seite dieses Hauses so richtige Traurigkeit darüber aufkommt.
Die CDU-Landesgruppe in Nordrhein-Westfalen hat in Übereinstimmung mit uns Anfang November eine langfristige Regelung im Rahmen des Jahrhundertvertrages gefordert, die den Revierausgleich und die Kosten für niederflüchtige Kohle im Ausgleichsfonds beläßt. Aber die Koalitionsbeschlüsse von Mitte November haben ihre Forderungen nicht berücksichtigt. Und in den vergangenen Wochen mußte man auch mit ansehen, wie ein Landesvorsitzender Blüm, der übrigens an keiner Koalitionsrunde beteiligt war,
die nicht gewollten Beschlüsse wie saures Bier angepriesen hat. In diesem trickreichen Spiel reichen halt hehre Forderungen nicht aus, meine Damen und Herren von der CDU in Nordrhein-Westfalen. Sie müssen schon ein bißchen mehr tun, um die Interessen Ihres Landes durchzusetzen.
Sie sind es nämlich, die darüber entscheiden, ob die Regierungskoalition noch über eine Mehrheit verfügt oder nicht — nicht wir, die Opposition.
Wenn wir der Verordnung heute zustimmen, dann darf das allerdings nicht falsch verstanden werden.
Wir stimmen den 8,5 To zu, weil jede Erhöhung des Kohlepfennigs die Finanzierungsschwierigkeiten des Verstromungsfonds abmildert.