Rede von
Dr.-Ing.
Dietmar
Kansy
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Grünbeck, ich stimme Ihnen fast immer zu; auch in diesem Falle.
Meine Damen und Herren, ich will das Thema nicht bagatellisieren, aber wer hier das Wort von einer neuen Wohnungsnot in den Mund nimmt — und das tun Sie ja immer zwischen den Zeilen — , der geht
deswegen falsch, weil er vorhandene Situationen
— auf die ich gleich noch zu sprechen komme —
mit der Durchschnittsversorgung verwechselt. Deswegen führt natürlich auch der Hinweis allein, daß wir heute in einer Wohnung statistisch nur noch 2,3 statt 3,1 Personen haben — und das ist wahr —, nicht wesentlich weiter. Weil das so ist, weil der Durchschnittswert die Situation bestimmter Gruppen verdunkelt, ist staatliches Handeln für die Haushalte, die übrigbleiben, geboten; sie bleiben manchmal sogar übrig, nicht weil sie die Miete nicht bezahlen können, sondern — wie wir es gestern in der Anhörung gehört haben — weil die Vermieter sie nicht nehmen, aus was für Gründen auch immer. Sie sind im Grunde die Leidtragenden der Situation, die — ich wiederhole mich noch einmal — u. a. auftritt, weil es eine Marktreaktion gibt, obwohl wir im Wohnungsbau eigentlich keinen richtigen Markt haben. Dieser Markt reagiert natürlich anders als z. B. bei Limonadenknappheit in der Hitzeperiode. Das ist nämlich das Problem, was weder von Ihnen noch von dem Kollegen Jahn — von den GRÜNEN möchte ich jetzt gar nicht reden —
hier seriös angesprochen ist. — Ja, Frau Kollegin, wir kennen Ihre Meinung, was Eigentum und Wirtschaft betrifft. Die liegt ungefähr zwischen Karl Marx und Pippi Langstrumpf, ungefähr in der Mitte.
Die Wohnung ist nämlich nicht nur ein Sozialgut, sondern die Wohnung ist auch ein Wirtschaftsgut. Und in dieses Wirtschaftsgut sind in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur Milliarden, sondern Billionen von Mark investiert worden. Das muß man zur Kenntnis nehmen.
— Billionen. Mit B.
— Ich habe dem Mieterpräsidenten gerade etwas Nachilfe gegeben.
Es ist natürlich so, daß der Markt zunächst einmal sozial blind ist. Keiner von uns hat das jemals abgestritten. Der Minister hat das in Dutzenden von Artikeln geschrieben.
Wenn wir erheblich größere Kaufkraft, erheblich größere Nachfrage haben, entstehen natürlich insbesondere für diejenigen Probleme, die sich auf diesem Markt nicht allein versorgen können.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1988 8437
Dr.-Ing. Kansy
— Herr Kollege Müntefering, ich will Ihren Zwischenruf aufnehmen; wir sind hier ja kein großes Auditorium. Ich finde es wirklich bedauerlich, daß Sie nichts Besseres tun, als diese Lage wieder unglaublich zu dramatisieren, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Ober Ihre fahrplanmäßig wiederkehrenden Horrorvisionen hatte ich schon gesprochen. Aber ich muß Ihnen einmal etwas sagen: Je intensiver Sie diese Mär von einer allgemeinen Wohnungsnot verbreiten,
um so sicherer reden Sie die Mieten in die Höhe.
Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Deswegen ist bereits Ihr erster Satz in der Großen Anfrage — ich darf zitieren: „Es gibt keine Wohnungspolitik des Bundes mehr. " —
falsch. Wir machen eine andere Wohnungspolitik als Sie,
eine Politik, die die Steuergelder — bis auf die Eigentumsförderung und die große Menge für das Wohngeld — nicht mehr in Stein und Beton gießt, auch nicht mehr, Herr Kollege Menzel — so leid es Ihnen tut, und es tut Ihnen weh, ich weiß — , in Hunderttausende verwirtschaftete Wohnungen z. B. von der Neuen Heimat, für die Sie ja eine nicht unerhebliche Mitverantwortung tragen
und die vorübergehend beim Berliner Bäckermeister gelandet waren. Damit erreichen Sie heute nicht mehr die wirklich Bedürftigen. Wir machen vielmehr eine Politik, die auf den einzelnen Bedürftigen zugeht.
Das ist eben die Idee des Wohngeldes. Wir geben dieses Jahr 4 Milliarden DM Wohngeld aus. Wenn Sie an das gestrige Hearing denken, werden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß das Wohngeld von keinem als ein wirksames Instrument in Frage gestellt worden ist.
Das Hearing hat uns aber gezeigt, daß der Staat mit der Aufgabe überfordert ist, das Wohnungsangebot zu jeder Zeit an jedem Ort und für jeden einzelnen Haushalt bedarfsgerecht zu steuern. Trotz Fehlbelegungsabgabe z. B. ergeben sich nach wie vor riesige Vorteile für gut verdienende Mitbürger, die zu Unrecht in den Wohnungen wohnen. Dagegen kommen andere, die neu auf den Wohnungsmarkt kommen — die angesprochenen jungen Familien, Studenten usw. —, nicht in die Wohnungen, weil dort eben andere wohnen.
Wir sprechen uns nicht gegen den sozialen Wohnungsbau aus.
Aber die direkte Förderung des sozialen Wohnungsbaus, Herr Kollege Conradi — ich muß das wiederholen —, ist eine Aufgabe, die im Grundsatz und nach
dem Grundgesetz primär den Ländern zusteht. Wir haben sie dabei jahrzehntelang unterstützt.
Aber 1984, zur Zeit der letzten Wohnungshalden, verlangten die Ministerpräsidenten aller Bundesländer vom Bundeskanzler die sogenannte Entflechtung im Wohnungsbau mit dem Ziel, die Förderung voll durch die Länder zu übernehmen.
Richtig ist, daß die Bundesregierung daraufhin ihre Ansätze reduziert und sich auf das Wohngeld und auf die Förderung von Eigenmaßnahmen konzentriert hat.
Für uns hat sich immer die Frage gestellt: War das, was damals gemacht wurde, vernünftig? Denn es gab im Grunde keine Entscheidung. Man hatte sich damals nicht geeinigt. Deswegen wiederhole ich die Forderung: Der Bund und die Länder müssen sich jetzt wirklich als erstes kurzfristig und eindeutig darüber einigen, wer unter welchen Umständen für die Versorgung derjenigen Gruppen der Bevölkerung zuständig ist, die sich mit eigenen Mitteln nicht versorgen können. Nur, eines geht natürlich nicht: Wenn in dieser ewigen Wellensituation zwischen zu vielen und zu wenigen Wohnungen Entspannung herrscht, ziehen die Landesbauminister — auch mancher Ministerpräsident tut das — durch die Lande und segnen das Volk mit der Kompetenz, die sie eigentlich nicht so sehr brauchen;
doch wenn ein etwas schärferer Wind weht wie heute, fällt allen nur noch der Bund ein. Meine Damen und Herren, das gilt von Herrn Zöpel bis zu Herrn Stoiber. Wir sollten nicht in dieser Art und Weise mit unserem föderativ verfaßten System umgehen, daß man erst eigene Kompetenzen geltend macht, dann aber die eigenen Anstrengungen für den sozialen Wohnungsbau zurückführt. Das gilt für alle Bundesländer. Ich habe mir noch einmal die Zahlen für das letzte abgerechnete Jahr herausgesucht: Von 1986 auf 1987 haben die Bundesländer, die heute nach dem Bund rufen, von München bis nach Düsseldorf, ihre eigenen Mittel um durchschnittlich 23,6 % reduziert.
Und die sozialdemokratischen Länder, meine Damen und Herren, gehen da mit gutem Beispiel voran. Damit hier kein Mißverständnis auftritt: Auch der Freistaat Bayern war darunter, der seine Mittel reduziert hat und heute diesen Minister anklagt, daß er zuwenig getan hat.