Rede von
Dr.
Gerhard
Stoltenberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns schon in einer gewohnten Situation: Auf der einen Seite zeichnet sich eine überwältigende Mehrheit für
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1988 8421
Bundesminister Dr. Stoltenberg
dieses Gesetz ab, auf der anderen Seite hören wir bis zum Schluß die Klagen jener, die ihre Zustimmung, Herr Kollege Struck, sehr mühsam begründen müssen oder die bis zum Schluß meinen, daß sie zuwenig und andere Länder zuviel bekommen.
Ich will aus der intensiven Diskussion der letzten Wochen und Monate nur einige wichtige Punkte noch einmal hervorheben. Nach der Bundesregierung haben auch der Haushaltsausschuß und die mitberatenden Ausschüsse den Gesetzentwurf verfassungsrechtlich geprüft. Nach diesen Prüfungen entspricht der Entwurf der Finanzordnung des Grundgesetzes, insbesondere Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes. Vor allem sieht das Strukturhilfegesetz keinen Nebenfinanzausgleich vor. Alle anderslautenden Behauptungen sind unzutreffend. Es geht nicht um die Zuweisung allgemeiner Haushaltsmittel, sondern die Bundesmittel werden exakt zweckgebunden zur Förderung wachstumswirksamer Investitionen der Länder und Gemeinden zur Verfügung gestellt. Insofern begrüße ich die präzisierende Ergänzung, die der Haushaltsausschuß hier noch vorgenommen hat.
Insofern, Herr Senator Krupp, ist Ihre Bewertung unzutreffend. Sie ist übrigens auch unzutreffend in der erneuten falschen Schilderung der Vorgeschichte dieses Gesetzes.
Die Zeit erlaubt es mir leider nicht, darauf einzugehen.
Die Kriterien für die Auswahl der empfangsberechtigten Länder und die Verteilung der bereitgestellten Mittel sind sachgerecht. Sie entsprechen natürlich nicht denen des Finanzausgleichs; sonst hätten wir einen Nebenfinanzausgleich geschaffen. Aber das Grundgesetz erlaubt nach Art. 104 a Abs. 4 einen erweiterten Ermessensspielraum. Herr Senator, ich will Sie einmal daran erinnern, daß wir diesen erweiterten Ermessensspielraum ja genutzt haben, als wir in der Verantwortung dieser Bundesregierung über Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes den norddeutschen Ländern eine befristete Finanzhilfe zur Meisterung der Folgeprobleme an Werftstandorten bewilligt haben. In diesem Zusammenhang haben wir von Hamburg solche Bedenken überhaupt nicht gehört, obwohl Nordrhein-Westfalen, das Saarland und andere strukturschwache Gebiete an dieser Förderung nicht beteiligt waren.
Es sind auch keine Bedenken erhoben worden, als wir als erste Bundesregierung unter ähnlichen, vergleichbaren Strukturvorzeichen dem Saarland nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes für drei Jahre Sondermittel zur Verfügung gestellt haben. Es ist schon erstaunlich, wie sich die verfassungsrechtlichen Argumente mancher Bundesländer je nach der Opportunität des Tages und den Berechnungen über die
Wirkungen hier verändern, meine Damen und Herren.
Ich will hier nur sagen, daß wir uns auf die Länder konzentrieren, deren Wirtschaftskraft einen Rückstand gegenüber dem Bundesdurchschnitt aufweist.
Die Unterstellung, hier werde nach parteipolitischen Gesichtspunkten entschieden, ist schon deshalb unsinnig, weil auf die sozialdemokratisch regierten Bundesländer — gemessen an ihrer Einwohnerzahl — ein überproportionaler Anteil der Mittel entfällt.
Das zeigt auch jeder einfache tabellarische Vergleich.
Meine Damen und Herren, die Ausschüsse des Deutschen Bundestages sind der Anregung des Bundesrates, die Zugangskriterien im Gesetz allein abstrakt zu beschreiben, aus gutem Grund nicht gefolgt. Wir sind ebenfalls der Meinung, daß durch die jetzt vorgesehene Gestaltung, nämlich die Benennung der empfangsberechtigten Länder im Gesetz, mehr Klarheit erreicht und der verfassungsrechtlich bessere Weg gewählt wurde. Eine abstrakte Regelung der Zugangsvoraussetzungen bedeutete eine zu starke Gewichtung bestimmter Kriterien als Leitgröße staatlicher Strukturpolitik.
Bei der Verteilung der Finanzhilfen auf die einzelnen Länder wurde der besonderen Situation der kleineren Länder, insbesondere der Stadtstaaten, durch den vorgesehenen Sockelbeitrag, wie wir glauben, angemessen Rechnung getragen. Gerade bei Hamburg und Bremen und auch bei Berlin hat er ein relativ hohes Gewicht. Im übrigen habe ich, Herr Senator, schon bei der ersten Beratung hier darauf hingewiesen, daß die Besonderheiten der Stadtstaaten im Verhältnis zu den Flächenländern im Länderfinanzausgleich durch die Einwohnerwertung sehr nachhaltige Berücksichtigung finden.
Meine Damen und Herren, der Katalog der förderungsfähigen Maßnahmen bezieht sich ausschließlich auf die Förderung von Strukturverbesserungen in den für künftiges Wachstum wichtigen Bereichen, z. B. auf Umweltschutz, einschließlich Entsorgung, sowie Verkehr, Förderung von Forschung und Technologie, Städtebau und — jetzt in der erweiterten Fassung — Dorferneuerung. Wir haben in unserem Verständnis des kooperativen Föderalismus in der Tat den Landtagen, den Landesregierungen bewußt Spielraum für wachstumswirksame Investitionsentscheidungen belassen. Deswegen haben wir auch darauf verzichtet, die Beträge für bestimmte Investitionsbereiche festzuschreiben oder eine Einzelsteuerung vorzunehmen. Wir erwarten allerdings — ich unterstreiche hier die Intention des Entschließungsantrages der Koalitionsfraktionen — , daß die Flächenländer einen erheblichen Teil der Mittel den kommunalen Gebietskörperschaften als wichtigen Trägern, den wichtigsten Trägern der Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung stellen. So können die Länder dazu beitragen, den
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Bundesminister Dr. Stoltenberg
weiteren Anstieg der kommunalen Investitionen für die Zukunft zu sichern.
Zu den vollkommen unsinnigen Fehlbehauptungen von Herrn Struck will ich nur eines anmerken.
Sie sind völlig unsinnig. Ich sage das hier: vollkommen unsinnig, Herr Struck.
Ich will hier nur festhalten, daß wir nicht eine Bedrohung, einen Rückgang der kommunalen Investitionen haben, sondern unverändert auch in diesem Jahr einen deutlich weiteren Anstieg.
Seit 1985 steigen die Sachinvestitionen der Kommunen im Jahresdurchschnitt um 4 bis 5 %.
Wir erwarten, daß dieses Gesetz diesen Prozeß nicht nur verstetigt, sondern, wenn möglich, im Interesse der Arbeitsmarktpolitik, der Beschäftigung, auch noch verstärkt. Das ist Beschäftigungspolitik
durch Entscheidungen. Insofern muß man den verbalen Fehldarstellungen, die vor allem wieder von Ihrer Seite kamen, noch einmal kurz widersprechen.
Meine Damen und Herren, die Entscheidung der Bundesregierung und der Mehrheit dieses Hohen Hauses, keine Sozialhilfekosten auf den Bund zu übertragen, ist wohlbegründet. Ich erkenne an — das unterstreicht, was der Kollege Austermann gesagt hat —,
daß Ministerpräsident Albrecht mit seiner Initiative eine Diskussion ausgelöst hat, die jetzt auf anderen Wegen den Ländern mit Strukturproblemen hilft. Aber wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir den Weg der Sozialhilfe in der Kostenträgerschaft des Bundes für falsch halten.
Ich will Sie einmal an folgendes erinnern: Wir haben jetzt noch einen Steueranteil des Bundes von 45 % an dem Gesamtsteueraufkommen. 55 % gehen an die Länder, an die Kommunen und an die EG. Aus diesen 45 % finanziert der Bund den gesamten Zuschuß zum Rentensystem, der jetzt die 30-MilliardenDM-Grenze überschreiten wird und mit der Rentenreform strukturell noch angehoben wird. Er finanziert die gesamten Sonderausgaben für Knappschaft und agrarsoziale Sicherung, die jetzt — bei starken Steigerungsraten — etwa 15 Milliarden DM im Jahr betragen. Er trägt die Mittel für die Bundesanstalt für Arbeit — 4 Milliarden DM in diesem Jahr — und die Arbeitslosenhilfe. Dies sind zusammen fast 60 Milliarden DM. Er trägt traditionell den überwiegenden Teil der Kriegsfolgekosten — ich nenne die Kriegsopferversorgung als den Hauptteil — in einer Größenordnung von 15 Milliarden DM.
Bei einer vernünftigen Aufgabenteilung auf der Grundlage unserer Verfassung müssen Länder und Kommunen einen begrenzten Teil der Sozialaufwendungen weiter tragen, nämlich die Sozialhilfe.
Die Strukturprobleme der Sozialhilfe, die nach meiner Überzeugung in manchen Bereichen veränderungsbedürftig ist, können nicht durch Verschiebung der Lasten gelöst werden. Sie müssen in einer tiefgründigeren Debatte angegangen werden.
Ich möchte am Ende der Debatte allen mitberatenden Ausschüssen, vor allem dem federführenden Haushaltsausschuß, herzlich dafür danken, daß sie den Entwurf mit großer Sorgfalt, aber auch zügig beraten haben, so daß im Interesse der Länder und Kommunen, die ja ihre Haushalte schon auf dieses Konzept hin aufbauen, die Verabschiedung noch in diesem Jahr erfolgen kann.
Als letztes möchte ich — das spielte in der Debatte zu Recht eine Rolle — auf die vor einigen Tagen bekanntgewordenen ersten, vorläufigen Ergebnisse der Volkszählung eingehen. Sie konnten im Gesetzgebungsverfahren selbstverständlich nicht mehr berücksichtigt werden. Nach diesen Ergebnissen sind bei im wesentlichen unveränderter Gesamtbevölkerung zum Teil deutliche regionale Verschiebungen in den Einwohnerzahlen gegenüber den bisherigen statistischen Annahmen zu erwarten. In den letzten zwei Wochen war jedoch eine Überprüfung der Folgen im Hinblick auf die Ihnen vorliegende Gesetzesvorlage nicht möglich, vor allem weil die amtlichen Zahlen für Länder, Kreise und Gemeinden erst zu einem späteren Zeitpunkt vorliegen werden. Es kann sich allerdings die Notwendigkeit ergeben, auch schon vor der ersten im Gesetz vorgesehenen Anpassung auf der Basis dann gesicherter Daten eine Novellierung vorzunehmen. Die Bundesregierung wird diese Frage im nächsten Jahr sorgfältig prüfen und Ihnen dann über die Folgerungen berichten.
Schönen Dank.