Rede von
Dr.
Peter
Struck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsident, ich lege Wert auf die Feststellung, daß ich männlichen Geschlechts bin.
— Vielen Dank!
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Selten hat es im Finanzbereich eine größere Übereinstimmung zwischen SPD- und CDU-regierten Ländern, Landkreisen und kreisangehörigen Gemeinden gegeben als bei der Initiative der nord- und westdeutschen Länder zur Umverteilung der Sozialhilfelasten. Alle Beteiligten waren sich einig, daß der Beschluß des Bundesrates endlich einen Weg zur Erfüllung des Grundgesetzauftrages zeigte, gleichwertige Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen.
Leider jedoch, meine Damen und Herren, sind diese hochgespannten Erwartungen von der Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf zur Strukturhilfe nun schwer enttäuscht worden. Das Süd-Nord-Gefälle in der Bundesrepublik Deutschland wird mit diesem Gesetz jedenfalls nicht ernsthaft beseitigt. Die Kommunen werden bei den explosiv steigenden Sozialhilfekosten nicht entlastet, was bitter nötig wäre, damit sie endlich wieder Mittel für Investitionen freibekommen und auch ihren wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten können.
Deshalb ist es für uns selbstverständlich, daß die Finanzminister der Länder — wir appellieren hier an sie — einen wesentlichen Teil der Mittel nicht zur Milderung eigener Probleme in den Landeshaushalten nutzen, sondern gerade den Landkreisen und auch kreisangehörigen Gemeinden zur Verfügung stellen, die unter der durch die Arbeitslosigkeit verursachten hohen Strukturschwäche besonders zu leiden haben. Das meinen wir sehr ernst.
Ich möchte hier an dieser Stelle zu dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktion ein Wort sagen: Wir werden diesem Entschließungsantrag zustimmen, wenngleich wir bei der Darstellung, Herr Kollege Austermann, daß diese Strukturhilfe besonders die Probleme der Nord- und Ostsee mit lösen helfen könnte, große Bedenken haben. Es gibt ein viel besseres Programm, Herr Kollege Austermann, nämlich das von dem Kollegen Ernst Waltemathe initiierte Programm der SPD-Bundestagsfraktion
„Rettet die Nordsee jetzt". Herr Kollege Waltemathe, an dieser Stelle auch herzlichen Dank Ihnen für diese Initiative.
Wir wiederholen unseren Vorwurf: Die Bundesregierung ist durch ihre verfehlte Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik für die Arbeitslosigkeit verantwortlich, und sie kann und darf sich dieser Verantwortung nicht entziehen, indem sie Länder und Gemeinden allein läßt.
Sehr zu Recht hat die Evangelische Kirche in diesem Zusammenhang auf das Problem der Langzeitarbeitslosen hingewiesen, denen das Strukturhilfegesetz leider nichts oder nur wenig nutzen wird. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dazu schon vor langer Zeit eine Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vorgeschlagen, die die beste Lösung für dieses Problem gewesen wäre. Die Mehrheit dieses Hauses hat das abgelehnt, genauso wie sie heute die zweitbeste
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 116. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1988 8415
Dr. Struck
Lösung, nämlich den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Umverteilung der Sozialhilfelasten, auch wieder ablehnen wird — eine bittere Entscheidung für die strukturschwachen Regionen in der Bundesrepublik, die vom Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen genauso allein gelassen worden sind wie vom Bundesfinanzminister.
Trotz alledem sage ich: Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem Gesetzentwurf zustimmen, denn der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach. Aber ich füge hinzu: Für uns Sozialdemokraten bleibt die Umverteilung der Sozialhilfelasten weiter auf der Tagesordnung, sie ist nicht vom Tisch. Wir stimmen diesem Gesetz aber auch deshalb zu, weil Investitionen gefördert werden sollen, die nicht von der Bundesregierung erdacht wurden, sondern aus dem SPD-Programm „Arbeit und Umwelt" abgeschrieben worden sind.
Das kritisieren wir nicht, sondern nehmen es mit der Befriedigung desjenigen, der Recht behalten hat, zur Kenntnis. In den Förderungskatalog des § 3 dieses Gesetzes sind einvernehmlich noch Maßnahmen zur Dorferneuerung aufgenommen worden, eine wesentliche Verbesserung des Gesetzes, die kleinen Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland helfen wird.
Die Frage der Verfassungsmäßigkeit dieses heute zu entscheidenden Gesetzes über die Strukturhilfe hat in den Beratungen eine große Rolle gespielt. Zwar ist die Nähe dieser Finanzhilfen auch hinsichtlich der Sockelbeträge nach Art. 104 a, Abs. 4 zum Länderfinanzausgleich und zu Bundesergänzungszuweisungen nach Art. 107 nicht zu übersehen, aber die von der Bundesregierung mündlich und schriftlich dargelegten Argumente halten auch wir für geeignet, dieses Gesetz heute zu verabschieden.
Die Bundesregierung hat in der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates nahezu ausnahmslos die Änderungsvorschläge des Bundesrates abgelehnt. Wir bedauern dies sehr. Auch unsere Anträge im Haushaltsausschuß, die den Interessen der Länder gerecht werden, sind niedergestimmt worden, obwohl sie teilweise nur gesetzgeberische Klarstellungen bedeuteten. So sind wir nach wie vor der Auffassung, daß die Kriterien für die Verteilung der Finanzhilfen im Gesetz und nicht nur in der Begründung genannt werden sollten. Denn auf diese Weise kann für die Länder die Rechts- und Planungssicherheit im Verlauf der zehnjährigen Geltungsdauer des Gesetzes erhöht werden.
In den Besprechungen mit den Ländern, zuletzt am gestrigen Vormittag, hat die Revisionsklausel dieses Gesetzes eine große Rolle gespielt. Übereinstimmung bestand darin, die Überprüfung des Kreises der empfangsberechtigten Länder nicht erst 1992 und 1995 — wie im Gesetz vorgesehen — zu übernehmen, sondern dies schon früher zu tun. Vor allem im Hinblick auf die jetzt veröffentlichten Ergebnisse der Volkszählung hat die SPD-Fraktion deshalb die Überprüfungszeiträume 1991, 1993 und 1996 im Haushaltsausschuß vorgeschlagen. Dieser Antrag wurde ebenfalls abgelehnt. Es bleibt bei den Überprüfungsdaten 1992 und 1995. Aber wir können den Ländern, die durch diese Ablehnung unseres Antrags benachteiligt
werden, eine Beruhigung geben: Zum Zeitpunkt der ersten Überprüfung 1992 sind schon andere Mehrheitsverhältnisse hier im Deutschen Bundestag, und wir werden ihnen dann helfen.
Wir haben auch Anträge der Stadtstaaten Hamburg und Bremen aufgenommen, weil wir der Auffassung sind, daß diese Länder zum Ausgleich auf einen sehr viel höheren Sockelbetrag angewiesen sind als die übrigen Flächenstaaten. Für Bremen gilt dies darüber hinaus auch für die vorgesehene Änderung des Finanzausgleichsgesetzes, die auch nach unserer Meinung noch 25 Millionen DM jährlich mehr Haushaltshilfe erfordert, als dies im Gesetz vorgesehen ist. Leider hat sich die Mehrheit im Haushaltsausschuß diesen Argumenten nicht angeschlossen, sondern unseren Antrag abgelehnt.
Wir halten, Herr Bundesminister Stoltenberg, unseren in der ersten Lesung geäußerten Vorwurf, daß Sie nicht nach sachlichen Gesichtspunkten, sondern nach politischen Gesichtspunkten gerechnet haben, in vollem Umfang aufrecht. Anders sind die Veränderungen in den Zuweisungen für die SPD-regierten Länder, die von Besprechung zu Besprechung bis hin zum Gesetzentwurf, über den wir heute zu entscheiden haben, immer weniger erhielten, nicht zu erklären. Sie haben politisch gerechnet, so lange, bis Ihnen das Ergebnis paßte.
Trotzdem: Wir tragen dieses Gesetz mit, weil es ein wenn auch bescheidener Anfang ist, strukturschwachen Ländern etwas mehr Luft zu verschaffen.
— Sie verstehen davon ja nichts. Halten Sie sich einmal zurück! —
Aber es ist ebenso klar: Damit ist das Ziel, das SüdNord-Gefälle zu beseitigen, noch lange nicht erreicht. Die SPD-Fraktion wird dazu weitere parlamentarische Initiativen ergreifen.