Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal sagen, daß ich diese Thematik, die wir heute hier behandeln, als am allerwenigsten für eine parteipolitisch und polemisch geführte Auseinandersetzung geeignet halte. Das richtet sich insbesondere an die SPD.
— Ich befasse mich jetzt nicht mit Zwischenrufen, sondern mit Ihrer Rede, und die ist für die Menschen, denen wir helfen wollen, nicht sehr hilfreich gewesen.
Meine Damen und Herren, die beiden Anträge, die wir heute in erster Lesung beraten, zeigen Übereinstimmung zumindest in dem Bestreben, möglichst effektive und schnelle Hilfen bei der Integration unserer deutschen Landsleute in unsere Gesellschaft zu erzielen. Besonders bei dieser deutschen Problematik sollten sich alle Parteien weiterhin darum bemühen, mit möglichst weitgehender Gemeinsamkeit nicht nur Programme zu entwickeln, die gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Eingliederung garantieren, sondern vielmehr auch unseren Mitbürgern klarzumachen, daß jene Deutschen, die als Deutsche zu uns kommen, einen moralischen Anspruch darauf haben, bei uns zu leben, und dabei unsere ganze Unterstützung verdienen, so, wie es von uns und von der Bundesregierung auch praktiziert wird.
Schon im Oktober 1986 hat der Deutsche Bundestag mit den Stimmen aller Parteien festgestellt, daß die Aufnahme und Eingliederung von Übersiedlern aus der DDR Gelegenheit gibt, die Gemeinsamkeit und Solidarität der Deutschen zu beweisen. Meine Damen und Herren, ich halte die zum Teil aus parteipolitischen Gründen unsachlich geführte Diskussion, leider, wie wir hier heute feststellen müssen, teilweise auch in diesem Hause, aber auch in Landesparlamenten und in Medien,
die Diskussion über die Aussiedler, die Übersiedler und die ausländischen Staatsbürger, die Sie mit einbeziehen, die hilfesuchend in unser Land kommen, nicht nur für die Betroffenen, gelinde gesagt, nicht für sonderlich hilfreich. Bislang hat sie nur den wenigen, aber immer noch zu vielen Menschen hier genutzt, die aus egoistischen und politisch durchschaubaren
Gründen jeglichen Zuzug anderer Menschen in unseren Staat verhindern möchten.
Meine Damen und Herren, bei allen möglichen Gelegenheiten wiederholen wir, sicher zu Recht, daß wir ein Staat mit großem kulturellem Erbe sind, und zählen auf, wer alles an großen Denkern und Philosophen ein Deutscher ist. Wir sind stolz darauf. Doch darin kann sich — in dieser Richtung ist auch vom Kollegen Lüder schon etwas gesagt worden — Kultur nicht erschöpfen. Kultur ist die Summe moralischer und ethischer Erfahrungen und Werte, die Maßstab und Raster für unser Handeln besonders im Umgang mit unseren Mitmenschen sein sollten. Unter diesem Gesichtspunkt muß es für uns die vorrangigste Aufgabe sein, zu überlegen, wie man all diesen Deutschen, die zu uns kommen, möglichst schnell und erfolgreich helfen kann.
Es genügt sicher auch nicht, daß wir wissen, daß eine große Anzahl von Aussiedlern unverschuldet Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache hat und daß wir deshalb Sprachkurse einrichten und fördern müssen. Auch dazu ist hier schon etwas gesagt worden.
Wir müssen vor allen Dingen auch unsere Bundesregierung, die verdienstvoll in diesem Bereich tätig ist, weiterhin darin unterstützen — dies wird in beiden Anträgen und wiederholt auch von der Bundesregierung betont — , in möglichst eindringlicher Weise bei unseren ost- und südosteuropäischen Nachbarstaaten darauf hinzuwirken, daß die Lebensbedingungen und kulturellen Entfaltungsmöglichkeiten der in den Aussiedlungsgebieten lebenden Deutschen qualitativ so verbessert werden, daß sie ihre Identität auch künftig wahren können.
Meine Damen und Herren, nicht nur für die deutschen Minderheiten in Ost- und Südosteuropa, sondern selbstverständlich auch für unsere Landsleute in Mitteldeutschland muß die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen als Grundlage für ihr künftiges Leben und für den Umgang mit anderen Völkern Europas anerkannt werden. Wenn Deutsche nach diesen Grundsätzen leben können, insbesondere in den Ostblockländern, und in dem erforderlichen Umfang auch als Minderheit respektiert werden, dann gibt es für uns keinen Grund, diese Landsleute aufzufordern, zu uns zu kommen.
Meine Damen und Herren, andererseits ist es auch das erklärte Ziel der CDU/CSU, denjenigen, die aus ihrem persönlichen Empfinden oder wegen unzuträglicher Freiheitseinschränkung und staatlicher Drangsalierung ein Verbleiben in diesen Ländern nicht ertragen können oder auch nur nicht mehr wünschen, so weit und so effektiv wie möglich dabei zu helfen, zu uns zu kommen. Das gilt für alle Aussiedler, genauso wie für alle Übersiedler aus dem Gebiet der DDR und dem östlichen Teil Berlins, die Sie in Ihrem Antrag ja im übrigen auch mit ansprechen.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, möchte ich einige Bemerkungen zur Situation der Übersiedler und Übersiedlerinnen aus der DDR und dem östlichen Teil meiner Heimatstadt Berlin machen: Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung am 16. Oktober 1986 die Bundesregierung in einer
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Dezember 1988 8303
Schulze
gemeinsamen Erklärung aufgefordert — hier zitiere ich aus der Drucksache 10/5657 II 3.:
Die Eingliederungshilfen für Aussiedler ... aus den Aussiedlungsgebieten und für Deutsche aus der DDR und Berlin sind so zu harmonisieren, daß Nachteile für die Deutschen aus der DDR in Zukunft vermieden werden. Die Hilfen sollten entsprechend angeglichen werden.
Bis heute bestehen dort noch, ich möchte sagen, einige wenige, aber möglicherweise für die Betroffenen gravierende Unterschiede. Diese sollten bei der Beratung in den zuständigen Ausschüssen besprochen und nach Möglichkeiten einer Angleichung gesucht werden. Damit würden wir, meine ich, einen wichtigen Beitrag zur Gleichbehandlung aller Deutschen, die zu uns kommen, leisten und Diskussionen um Unterschiede verhindern.
Von allen Maßnahmen, die wir für unsere Landsleute verabschieden und planen können, halte ich eine möglichst schnelle Arbeitsaufnahme für die erfolgversprechendste; denn mit dem Tag der Arbeitsaufnahme beginnt der Prozeß der Integration des einzelnen. Nicht alleine mit der Einweisung einer Familie in eine von Staat, Land oder Gemeinde zur Verfügung gestellte Wohnung beginnt die Integration, auch nicht mit dem Erlernen der deutschen Sprache. Diese Maßnahmen sind für mich nur Voraussetzungen für eine Integration in unsere Gesellschaft. Der Arbeitsplatz, meine Damen und Herren, gibt dem einzelnen Aus- oder Übersiedler tatsächlich am ehesten die Chance, im persönlichen Kennenlernen und im alltäglichen Umgehen mit seinen Mitmenschen deren Lebens- und Denkweisen zu lernen. Deshalb müssen wir hier ganz besondere Anstrengungen unternehmen.
Ich verkenne nicht — auch das will ich deutlich sagen — , daß wir mit der Verwirklichung unserer Ziele einige Probleme haben. Wir werden uns alle Mühe geben, bestehende Defizite z. B. in der kurzfristigen Bereitstellung von Wohnungen so schnell wie möglich abzubauen. Ich habe mit Interesse davon gehört, daß der Bundesbeauftragte für Aussiedlerfragen, Dr. Waffenschmidt, kürzlich in Berlin die Anregung gegeben hat, nicht unbedingt benötigte Bundesgrundstücke für solche Bauten, und seien sie zunächst einmal auch in behelfsmäßiger Form, zur Verfügung zu stellen.
Wünschenswert, meine Damen und Herren, wäre es auch, wenn diejenigen Hilfsorganisationen, die mit ihrer verdienstvollen Arbeit wesentlich zur Integration unserer Landsleute beitragen, noch mehr materielle Unterstützung von Bund, Ländern und Gemeinden, aber auch von unseren Bürgern erhielten, damit sie in unbürokratischer Weise den Menschen, denen wir helfen wollen, Beratung zuteil werden lassen können und damit also auch die Voraussetzungen für die Integration schaffen.