Rede von
Horst
Sielaff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich zitiere:
Wenn man jetzt die Auswanderung irgendwie stoppen könnte, würde das Deutschtum noch gerettet werden. Viele rein deutsche Dörfer sind definitiv verloren. Aber es gibt noch Dörfer, wo sich das Deutschtum erhalten hat und wo noch eine gewisse Gemeinschaft existiert. Dort könnte sich eine neue Gemeinschaft wieder formieren. Aber wir erleben die letzten Stunden unseres Volkes. Für mich
— so die Schreiberin, die Deutsche aus Rumänien —
ist dies sehr deprimierend. Ich weiß nicht, ob Deutschland hier bei uns die richtige Politik führt und nicht mit allen Mitteln die Auflösung unserer Gemeinschaft ... unterstützt.
Weiter heißt es in diesem Brief:
Deutschland müßte froh sein, daß es hier sein altes Kulturvolk besitzt ... Das Ganze hat mit einer Familienzusammenführung begonnen und hat sich zu einer Auswanderung entwickelt; und all dies innerhalb so ganz kurzer Zeit . . .
Ich bin der Meinung,
— so die Schreiberin —
die Bundesrepublik sollte uns mehr helfen, als mit allen legalen und illegalen Mitteln zur Auswanderung anzutreiben. Das Deutschtum in Mitteleuropa müßte erhalten bleiben.
Herr Waffenschmidt, ich habe Ihre Aussage gehört
— ich hoffe, daß es herüberkommt, auch hier aus der rechten Ecke dieses Hauses —,
daß Sie nicht wollen, daß sie alle herkommen. Und wenn wir über die Probleme der Aussiedlung diskutieren, dann müssen auch diese Stimmen ernst genommen werden.
Möglichkeiten, um das Bleiben zu stärken, sollten in unserer Politik intensiver und nachhaltiger bedacht werden. Das Reisen von hier nach dort und umgekehrt muß bewußt unterstützt und ausgeweitet werden; Schulpartnerschaften sollten auf- und ausgebaut werden. Dafür notwendige Mittel müssen bereitgestellt werden.
Meine Damen und Herren, bundesdeutsche Schulreisen führen wohl nach Moskau, Leningrad und Kiew, nicht aber nach Alma Ata, Zelinograd und Frunse, in die Zentren der Deutschen in der Sowjetunion. Hier müssen bewußt Akzente gesetzt und die Möglichkeiten auch genutzt werden.
Wir müssen uns fragen, wie wir der deutschen Literatur, wie wir Büchern und Zeitschriften, geschrieben von Deutschen, die in der Sowjetunion, in Rumänien oder Ungarn leben, auch hier bei uns zu größerer Verbreitung verhelfen können. Die Auflagen könnten dort erhöht werden, wenn es in der Bundesrepublik einen größeren Abnehmerkreis gäbe. Wir könnten
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Dezember 1988 8301
Sielaff
auch die technischen Probleme, z. B. Beschaffung der notwendigen Druckmaterialien, lösen helfen, indem wir mit den amtlichen Stellen verhandeln und eventuelle Finanzhilfen ermöglichen.
Warum, so frage ich, bemühen wir uns nicht, z. B. in Alma Ata herausgegebene deutschsprachige kasachische oder kirgisische Märchenbücher in unseren Bibliotheken einem breiten bundesdeutschen Interessentenkreis zur Verfügung zu stellen?
Wieso, so frage ich, liegen in der Bundesrepublik nirgendwo deutsche Zeitungen aus Ost- und Südosteuropa aus, während das üble Blatt „Der Schlesier" in allen Heimatstuben ausliegt? Ist es ein Mangel an Phantasie, oder ist dies politische Absicht, weil bei uns nicht das verzerrte Bild über die Situation der Deutschen in jenen Ländern gestört werden soll?
Wir könnten in unseren Büchereien und Bibliotheken Geschichtsbücher anbieten, die die Geschichte der Deutschen in den ost- und südosteuropäischen Ländern vermitteln, aufgeschrieben von dort lebenden Historikern deutscher Abstammung. Wir könnten damit auch den interessierten Menschen bei uns in der Bundesrepublik Deutschland Zugang zu diesen Quellen verschaffen und auf der anderen Seite den Fortbestand solcher Veröffentlichungen sichern. Statt dessen werden wenig hilfreiche sogenannte historische Werke aus einer bestimmten Richtung des BdV hier gefördert und die anderen vernachlässigt.
Fast wie bestellt, Herr Jäger, hatte ich gestern in der Post einen Brief mit folgendem Inhalt: In Rumänien erscheint ein kleiner Band — ich habe ihn hier in der Hand — in einem deutschsprachigen Verlag. Es ist eine Biographie über einen der führenden Köpfe der Banater Arbeiterbewegung. Würden nur 500 Exemplare von uns gekauft, dann würde diese Bestellung eine neue Auflage in einer Höhe sichern, die auch zu einer Weiterverbreitung innerhalb der Deutschstämmigen in Rumänien führen würde. Herr Hennig und Herr Waffenschmidt, vielleicht sind Sie bereit, hier zu helfen.
Ich könnte viele andere Beispiele nennen, wo man dort wirklich helfen könnte und wo eine Unterstützung hilfreich wäre.
Herr Gester, das sind konkrete Möglichkeiten, Deutschen in Rumänien und in anderen Ländern, die dort bleiben wollen, zu helfen
und ihre Kultur dort zu erhalten.
— Da hilft, Herr Czaja, Ihr Zwischenrufen und Schreien überhaupt nichts.
Wäre nicht ein Teil der im Haushaltsplan ausgewiesenen 17 Millionen DM zur Pflege der ostdeutschen Kultur sinnvoll auch in solchen Bereichen eingesetzt?
— Herr Gerster, daß Sie nicht sachlich bleiben können und hier so engstirnig sind, wissen wir. Sie reden ja nur mit Scheuklappen und haben keine Ahnung,
was die Deutschen in Kasachstan, in Kirgisien oder sonstwo wollen. Sie waren noch nie da. Informieren Sie sich doch! Kommen Sie bei einer Reise einmal mit und unterhalten sich mit diesen Leuten.
Zur Situation der Deutschen in der Sowjetunion gehört dann — das sage ich genauso deutlich — auch die Diskussion über eine autonome Republik oder ersatzweise die Bildung von nationalen Einheiten in bestimmten Regionen oder von kommunalen Einheiten.
Lassen Sie mich eines abschließend sagen. Im Antrag der Koalition heißt es:
Kein Deutscher in diesen Gebieten wird aufgefordert, in die Bundesrepublik Deutschland zu kommen.
Ich habe es gehört, Herr Waffenschmidt; Sie haben es wiederholt. Ich meine, das ist eine gute Aussage. Wir sollten das aber auch durch konkrete Taten deutlich machen.
Im Koalitionsantrag steht aber auch die These:
Bei den Aussiedlern handelt es sich in der großen Mehrzahl um gut ausgebildete jüngere Menschen. 1987 waren rund 90 % aller Aussiedler Jugendliche oder Erwachsene im arbeitsfähigen Alter
Solche Aussagen können in Ost- und Südosteuropa den Eindruck erwecken, daß die Bundesregierung diese Menschen zur Konsolidierung ihres eigenen brüchigen Systems der sozialen Sicherung braucht. Das sollten wir vermeiden. Hier sollten wir deutlich widersprechen.
Ich komme zum Schluß. Alle unsere Hilfe darf nicht dazu führen, andere Nationalitäten zu benachteiligen, sondern es geht darum, ein Defizit aus der Vergangenheit auszugleichen. Hier sind wir uns einig. Niemand will denen Hilfe verweigern, die zu uns kommen. Es darf aber nicht der Eindruck entstehen, daß andere unterstützungswürdige Gruppen bei uns über die Aussiedlerpolitik in Vergessenheit geraten. Denn
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das würde letztlich auch zu Lasten der Aussiedler gehen, meine Damen und Herren.
— Herr Gerster, auf Ihre Bewertung lege ich keinen Wert.