Rede von
Barbara
Weiler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Heute morgen in der Debatte wurde von der Regierungskoalition der Satz geprägt: Weniger Geld führt zu mehr Kreativität. Ich finde, dies ist auch ein weiteres Motto, das über diesem Gesetz stehen kann. Neben dem Sozialabbau beim Gesundheits-Reformgesetz und neben dem Sozialabbau der Neunten Novelle zum AFG heute morgen ist jetzt ein weiterer Personenkreis an der Reihe. Es ist ein kleiner Personenkreis; aber ich denke, er ist zumindest ebenso schutzbedürftig.
Heute soll die Novellierung eines Gesetzes verabschiedet werden, das wie so viele in den letzten Wochen ausschließlich dazu dient, die Kassen von Herrn Stoltenberg zu sanieren. Nach Auffassung der SPD besteht ein unabweisbarer Reformbedarf. Nach der von uns geforderten Anhörung haben Sie zwar nun einige Kleinigkeiten geändert; aber in der Grundtendenz ist es eine Gesetzesnovellierung geworden, die einerseits eine Abkassierung der Betroffenen und andererseits eine Verwaltungsvereinfachung bedeutet, die die spezielle Situation der Künstler in keiner Weise berücksichtigt. Auch dieses Gesetz ist — ich schaue auf die Debatte in der letzten Woche zurück — ein Opfer der sogenannten Gesundheitsreform geworden; denn wegen des Gesundheits-Reformgeset-
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Frau Weiler
zes haben wir im Ausschuß nicht die entsprechende Zeit gehabt, um über notwendige und vernünftige Reformschritte im Detail beraten zu können.
Zum Beispiel fand der Ausschuß nicht die Zeit, sich mit dem interessanten Vorschlag des Schriftstellerverbands auseinanderzusetzen, der die Chance eröffnen könnte, das Verwaltungsverfahren zu vereinfachen und gleichzeitig den sozialen Schutz der selbständigen Künstler auszubauen.
Wir begrüßen, daß Sie immerhin bereit waren, die geplante Dreijahresfrist, in der Berufsanfänger und Berufsanfängerinnen unabhängig von der Höhe des Jahreseinkommens versichert sind, zu revidieren. Es bleibt also bei der bereits jetzt bestehenden Fünfjahresfrist.
In der Anhörung ist folgendes deutlich geworden. Die allgemeine ökonomische Situation selbständiger Künstler hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Großspektakel wie die Musicals „Cats" oder „Starlight Express" vermitteln nur ein Zerrbild der realen Situation der Künstler in der Bundesrepublik. Da gibt es gerade im schriftstellerischen Bereich viele Neuanfänger, die jahrelang um Anerkennung ihrer künstlerischen Leistungen ringen müssen und in dieser Zeit sozusagen von der Hand in den Mund leben.
Da gibt es Künstler, die nach Zeiten einer Schaffenspause ihre künstlerische Tätigkeit wieder aufnehmen, jedoch nicht mehr unter die Berufsanfängerregelung fallen. Ich denke hier insbesondere an Frauen, die nach der Familienphase wieder in den Beruf zurückkehren wollen. Sie erwerben weder in der Zeit, die sie für die Familienbetreuung aufwenden, eigene Rentenansprüche, noch sind sie nach dem Wiedereinstieg in den Beruf in das soziale Sicherungssystem einbezogen; denn auf sie trifft die Versicherungspflicht nicht zu.
So wird auch an Hand der Künstlersozialversicherung wieder deutlich, daß es für Frauen viele Stolpersteine auf dem Weg zur beruflichen Anerkennung gibt.
Auf der Verwerterseite sind die Probleme der 45 Theaterverlage deutlich geworden, die durch den hohen Honoraranteil am Umsatz überdurchschnittlich durch die Künstlersozialabgabe belastet werden. In diesem Punkt hat uns die CDU signalisiert, daß sie bereit wäre, darüber zu diskutieren, wie wir diesen Theaterverlagen helfen können. Nur: Ich befürchte, Herr Dr. Becker, das kann Ende nächsten Jahres schon zu spät sein.
Um unsere Position noch einmal zu verdeutlichen: Verwaltungsvereinfachung — ja, Stärkung der Finanzlage — ja, dies jedoch nur unter Beibehaltung des Hauptziels, nämlich der Stärkung des sozialen Schutzes der selbständigen Künstler.
Dieses Hauptziel wird der vorliegende Entwurf auch nach den kleinen Änderungen nicht gerecht. Unsere wichtigsten Kritikpunkte sind: Die Umstellung auf das neue Beitragsverfahren ist eine unausgewogene Maßnahme der Verfahrensvereinfachung, die zur Untersicherung der Künstler im Alter führt.
Im Vorgriff auf unsere Beschlüsse hier hat — eigentlich unter Mißachtung des Gesetzgebungsverfahrens — die Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen bereits ab 18. November den Versicherten geschrieben, sie mögen doch schon jetzt nach dem eventuell zu verabschiedenden Gesetz verfahren und ihre Beiträge entsprechend melden. So etwas Ähnliches hatten wir auch beim Arbeitsförderungsgesetz schon einmal.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Künstler werden in unzulässiger Weise den Freiberuflern gleichgestellt, indem sie bei dem vorgezogenen Krankengeldanspruch allein für den höheren Beitrag aufkommen müssen. Der besondere Schutz der Berufsanfänger wird abgebaut, indem sie Mindestbeiträge zahlen müsen.
Im Ausschuß haben wir mehrere Änderungsvorschläge gemacht. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang auf die Vorschläge der anderen Fraktionen eingehen, und zwar zunächst einmal auf diejenigen der GRÜNEN. Wir haben Verständnis für Ihre Änderungsanträge und sind mit der Zielsetzung einverstanden. Wir sind aber der Meinung, daß die Formulierung, die Sie benutzt haben, nicht das gewünschte Ergebnis bringt. Darum werden wir die ersten drei Anträge ablehnen, und dem letzten Antrag bezüglich der Bühnenverlage werden wir zustimmen.
— Ja.
Wir haben darüber hinaus eine sehr interessante Stellungnahme von zwei mitberatenden Ausschüssen, die ich Ihnen nicht verheimlichen möchte. Da die meisten Kolleginnen und Kollegen die Berichte nicht so ausführlich lesen, wie es vielleicht wünschenswert wäre, möchte ich diese Stellungnahmen doch einmal zitieren.
Die uns sympathischste Stellungnahme hat der mitberatende Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit beschlossen. Er hat nämlich mit Stimmenmehrheit klipp und klar beschlossen, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Der Innenausschuß — ebenfalls beratend — hat einstimmig — mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP —
und dem federführenden Ausschuß eine Reihe von Punkten auf den Weg gegeben, die wir berücksichtigen müssen, und zwar war das eine ziemlich harsche Kritik. Wir sind der Meinung, daß sich diese Kritikpunkte im Prinzip mit unseren decken. Ich empfehle wirklich allen, sich diese Punkte noch einmal genau anzusehen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir möchten gerne, daß der Beitragsverzug nicht zum Ruhen von Leistungsansprüchen führen darf. Eine solche Maßnahme ist nach unserer Meinung nicht mit dem Prinzip der Versicherungspflicht vereinbar. Die Reaktion auf bestehende Außenstände kann nur in einer verstärkten Prüfung und Eintreibung bestehen; mit
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Frau Weiler
dieser — das war ja in der Anhörung zu hören — liegt es im argen. Es gibt Millionen von Außenständen. Die längst fällige personelle Aufstockung der KünstlerSozialkasse ist auch mit den drei Personen mehr nicht ausreichend. Das wissen auch Sie.
— Aber für die Betriebsprüfung sind es nur drei. Die Betriebsprüfung ist eben das besonders Wichtige, was sich sogar, wie Sie wissen, selbst trägt.
Durch die Festsetzung einer Höchstgrenze für die Bemessungsgrundlage der Künstlersozialabgabe wird dem Problem der Theaterverlage nach unserer Meinung Rechnung getragen. Darum haben wir den Antrag gestellt. Sie haben das leider nicht angenommen.
Zur Stärkung der Finanzlage der Versicherung ist eine unabdingbare Voraussetzung, konsequent das Verwertungskonzept durchzuführen. Das bedeutet, daß jeder Unternehmer — auch die öffentliche Hand — Künstlersozialabgabe zahlen muß, auch wenn er nur gelegentlich künstlerische Leistungen verwertet. Wir denken hier insbesondere an Aufträge wie „Kunst am Bau" und ähnliches. Ich weiß, daß auch Sie darüber nachdenken. Wie eben schon gesagt: wieder ein Opfer des GRG, daß wir nicht die Zeit hatten, im Detail zu beraten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe hier noch einmal einen Teil unserer generellen Kritik vorgetragen. Ich bin der Meinung — wie sicherlich auch Sie —, daß wir im nächsten Jahr einmal ausführlich Verbesserungsvorschläge prüfen müssen, auch die der Verbände, die des Verbandes der Schriftsteller. Ich hoffe, daß Sie dann nicht dem Votum des Finanzministers folgen, sondern dem Votum des Innenausschusses, des mitberatenden Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und daß sich dann der Sozialausschuß, der Ausschuß, der eigentlich für die soziale Sicherung der Künstler verantwortlich ist, nicht hinter dem Innenausschuß und dem Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit verstecken muß.