Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Da müssen Sie erstens die Sachverständigen fragen. Zweitens überrascht es mich überhaupt nicht, daß diejenigen, die Lehrgänge anbieten, mehr Geld haben wollen. Wenn die Sachverständigen in erster Linie mehr Geld haben wollen, dann, finde ich, geht mein Sachverstand etwas weiter, denn mein Sachverstand sagt mir, daß die Beschäftigungschancen nicht nur mit Geld zu erhöhen sind, sondern mit mehr Phantasie, mit mehr Initiative, mit gewerkschaftlichen Beiträgen. Wir können mit dem, was wir machen, lediglich flankierend tätig sein und wollen auch nicht mehr.
— Nein, Herr Kirschner, ich habe heute keine Fragestunde, sondern ich habe heute vorzutragen, was das Ziel der 9. Novelle ist.
Ich will schon sagen: Wenn der Anteil der Arbeitslosen an den Qualifizierungsmaßnahmen gesunken ist, dann muß ich auch darauf hinweisen, daß der Hauptgrund bei den freien Trägern liegt. Wir sind immer für die Kombination von Maßnahmen der Bundesanstalt und der freien Träger, aber im Zuge einer Rückfrage, auch an die kirchlichen Träger, müssen sie daran erinnert werden, daß öffentliche Bildungsmaßnahmen in erster Linie für diejenigen gedacht sind, die keine Arbeit mehr haben.
Was die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen anlangt, so will sie niemand abstellen. Nur gibt es für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auch Grenzen. Denn wenn das das allgemeine Mittel wäre, bräuchte man es immer nur weiter zu steigern. Aber was ist das eigentlich für eine gespaltene Diskussion? Bei der ÖTV muß ich mich wegen der Steigerung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschimpfen lassen, weil sie sagt, diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen würden auf dem regulären Arbeitsmarkt Arbeitsplätze vernichten, und hier im Parlament werde ich von der Opposition attackiert, weil wir Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht weiter steigern.
Im übrigen halte ich es für ganz sinnvoll, daß die Träger auch etwas zuzahlen müssen. Offensichtlich ist es doch so, daß die Lehrgangskosten höchst unterschiedlich sind, auch von Träger zu Träger.
Also kann doch in diesem Bereich auch ein Markt entstehen. Der Markt geht nie zu Lasten der Qualität.
Da entsteht dann ein bißchen mehr Wettbewerb. Wenn die Mark, die von Arbeitnehmern sauer verdient wurde, zweimal umgedreht wird, bevor sie einmal ausgegeben wird, kann das der Qualität nur nutzen.
Ein Umsteuern ist aus folgendem Grund notwendig. Bisher war im Gesetz vorgeschrieben, daß der durchschittliche Beitrag, die durchschnittliche Unterstützung, 80 % betragen soll. Nur haben sich immer weniger Träger danach gerichtet. Das war ein Muster ohne Wert. Da muß der Gesetzgeber nachhelfen. Wenn die Selbstverwaltung diese Orientierung offenbar nicht mehr für verbindlich hält, dann muß man das durch Gesetz nachholen.
In einigen Landesarbeitsamtsbezirken hat man sich offenbar auf die hundertprozentige Förderung eingestellt. Auch das ist hier schon gesagt worden. In Nordrhein-Westfalen waren es 73 % mit hundertprozentiger Förderung, in Niedersachsen waren es 63 %, und bevor Sie das Argument bringen, daß das strukturschwache Länder seien, nenne ich das strukturschwache Land Schleswig-Holstein mit großen Problemen, wo es 24 % sind. Also kann es doch nicht allein regional begründet werden, sondern hier brauchen wir bessere, verläßlichere Ansatzpunkte, und deshalb setzt der Gesetzgeber fest, wann 100 % gewährt werden können, und er setzt auch die Grenzen dieser Förderung. Ich sehe als Ziel eine solidarische und solide Finanzierung. Auch das Arbeitsamt muß vor Mitnahmeeffekten geschützt werden.
Im übrigen können auch die Länder ihren Beitrag leisten, ganz in Übereinstimmung mit dem, was die Kirchen im Ausschuß für Arbeit vorgeschlagen haben. Das richtet sich doch nicht nur an den Bund; denn warum sollte der Bund allein zuständig sein? Wir zahlen z. B. für Nordrhein-Westfalen an Strukturhilfen in einem Jahr — jetzt neu — 750 Millionen DM. Davon sollen die mal ein bißchen an die Kommunen weitergeben, denn dafür sind die Strukturhilfen nämlich gedacht.
Nordrhein-Westfalen erhält von dem Kuchen der Strukturhilfen 30,6 %, obwohl sein Bevölkerungsanteil nur 27,3 % beträgt.
Den öffentlichen Trägern muß ich auch sagen, daß in erster Linie sie selber ordentliche Arbeitsplätze schaffen sollen, daß die Arbeitsbeschaffungsmaßnah-
8266 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Dezember 1988
Bundesminister Dr. Blüm
men kein Ersatz für ihre Planstellen sind. 60 % der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind Maßnahmen im öffentlichen Dienst. Da kann ich nur sagen: So hatten wir und so haben wir nicht gewettet.
Nun noch zum Schluß: Frau Beck-Oberdorf sagt, die Phantasie, die wir hätten, sei nur die Phantasie der Ausgrenzung.
Wie bezeichnen Sie denn unser Angebot Altersteilzeit? Ist das Ausgrenzung, oder ist das ein Angebot zu neuen Arbeitsformen?
— Lieber Kollege Heyenn, sehen Sie einmal nach, was Sie damals bei Einführung des Vorruhestandes von diesem Pult aus vorgetragen haben. Ich dachte heute morgen, Sie würden die alte Platte wieder laufen lassen. Es war alles das, was Sie damals gesagt haben; Sie haben nur das Wort „Vorruhestand" gegen „Altersteilzeit" ausgetauscht. Damals haben Sie gesagt: Keine Chance, kein Tarifpartner wird dieses Vorruhestandsgesetz nutzen. —
Heute sagen Sie dasselbe. Die Wirklichkeit hat Sie beim Vorruhestand widerlegt, sie wird Sie auch bei der Altersteilzeit widerlegen.
Sie haben gesagt: Bloße Augenwischwerei. — Zwei Jahre später haben Sie trauernd an diesem Pult gestanden und das bedauert, was Sie zwei Jahre vorher zu Augenwischerei erklärt haben.
Insofern bleiben wir bei unserem Angebot. Ich denke in der Tat, es hat pfadfinderische Bedeutung, und es soll auch Bahnen ebnen für eine Arbeitszeitpolitik, die nicht alles über einen Kamm schert, für eine Arbeitszeitpolitik, die den unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen gerecht wird. Ich bin ganz sicher, viele ältere Mitbürger wollen länger arbeiten, aber sie wollen nicht mehr so viel arbeiten.
Das ist kein Widerspruch. Also: Länger im Lebensalter, aber nicht mehr mit dem Arbeitszeitquantum, das ein Jüngerer erfüllt; sachter Übergang in den Ruhestand. Ein sachter Übergang entspricht doch auch den Lebensbedürfnissen.
Lassen wir uns — da ermahne ich auch uns von der Koalition — weder durch Geschrei der Opposition noch von Ideologen lenken. Orientieren wir unsere Politik an den Bedürfnissen der Menschen! Das halte ich für den besten Ratgeber für die Politik. In diesem Sinne ist die Altersteilzeit ein neuer Weg, der den Wünschen vieler älterer Mitbürger entspricht. Wir werden diesem Weg hier im Arbeitsförderungsgesetz, dann aber auch bei der Rentenreform, eine entsprechende rentenrechtliche Regelung hinzufügen müssen, nämlich daß man auch nicht mehr vor die Wahl gestellt wird: ganz in den Ruhestand oder ganz ins
Erwerbsleben, sondern daß man teils-teils arbeiten kann.
Ich weiß, daß Sie, daß die Sozialisten für eine Politik des „teils-teils" nie ein Gespür entwickelt haben. Sie haben immer nur die kollektiven Einheitslösungen. Dem setzen wir auch am Arbeitsmarkt eine Politik der Differenzierung entgegen, eine Politik, die den unterschiedlichen Wünschen unterschiedlicher Menschen gerecht wird.