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ID1110812300

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/108 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 108. Sitzung Bonn, Dienstag, den 22. November 1988 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Grunenberg 7415A Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989 (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksachen 11/2700, 11/2966, 11/3119) Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksachen 11/3204, 11/3231 — Dr. Vogel SPD 7415B, 7453 C Dr. Dregger CDU/CSU 7426 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 7432 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 7438 C Dr. Kohl, Bundeskanzler . . . . 7443A, 7454B Jungmann SPD 7454 C Dr. Geißler CDU/CSU 7457 A Frau Wieczorek-Zeul SPD 7461 C Austermann CDU/CSU 7465 B Wüppesahl fraktionslos 7467 A Namentliche Abstimmung 7469 D Ergebnis 7471D Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes — Drucksachen 11/3205, 11/3231 — Waltemathe SPD 7470 A Dr. Rose CDU/CSU 7473 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 7475 D Hoppe FDP 7477 D Wischnewski SPD 7479 C Dr. Stercken CDU/CSU 7481 C Verheugen SPD 7484 B Genscher, Bundesminister AA 7486 A Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Drucksachen 11/3207, 11/3231 — in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksachen 11/3217, 11/3231 — Dr. de With SPD 7490 D von Schmude CDU/CSU 7493 B Häfner GRÜNE 7494 D Kleinert (Hannover) FDP 7496 C Diller SPD 7498 A Engelhard, Bundesminister BMJ 7499 B Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksachen 11/3219, 11/3231 — Esters SPD 7501 B Borchert CDU/CSU 7503 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1988 Frau Eid GRÜNE 7506 A Frau Folz-Steinacker FDP 7507 B Klein, Bundesminister BMZ 7508 D Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksachen 11/3221, 11/3231 — Büchler (Hof) SPD 7511B Dr. Neuling CDU/CSU 7513 D Dr. Knabe GRÜNE 7516A Hoppe FDP 7517 B Hiller (Lübeck) SPD 7518 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . . 7519D Namentliche Abstimmung 7539 D Ergebnis 7540 A Einzelplan 16 Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit — Drucksachen 11/3216, 11/3231 — Waltemathe SPD 7523 A Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 7525 C Frau Garbe GRÜNE 7529 B Dr. Weng (Gerlingen) FDP 7531A Schäfer (Offenburg) SPD 7532 D Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 7535C Namentliche Abstimmungen . . 7539B, 7539C Ergebnisse 7540B, C, D Nächste Sitzung 7540 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 7541* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 22. November 1988 7415 108. Sitzung Bonn, den 22. November 1988 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    *) Endgültiges Ergebnis und Namensliste 109. Sitzung, Anlage 2 **) Endgültiges Ergebnis und Namensliste 109. Sitzung, Anlage 3 Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bahr 22. 11. Dr. Bangemann 25. 11. von Bülow 23. 11. Dr. Dollinger 25. 11. Duve 24. 11. Dr. Ehrenberg 22. 11. Dr. Emmerlich 22. 11. Frau Fischer 24. 11. Francke (Hamburg) 24. 11. Dr. Haack 24. 11. Dr. Hauff 25. 11. Dr. Hornhues 22. 11. Graf Huyn 24. 11. Dr. Jenninger 25. 11. Frau Kelly 25. 11. Dr. Klejdzinski 24. 11. Dr. Köhler 24. 11. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lenzer 24. 11. Lutz 22. 11. Meyer 25. 11. Dr. Müller 25. 11. Frau Pack 25. 11. Pfuhl 24. 11. Dr. Pick 22. 11. Rappe 22. 11. Regenspurger 24. 11. Rühe 22. 11. Dr. Scheer 24. 11. Schmidt (München) 25. 11. Schröer (Mülheim) 22. 11. Spranger 24. 11. Todenhöfer 22. 11. Vosen 23. 11. Dr. von Wartenberg 24. 11. Weirich 22. 11. Weiß (München) 22. 11. Würtz 24. 11. Dr. Zimmermann 23. 11.
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    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Ich möchte jetzt wirklich ohne Unterbrechung fortfahren dürfen.

    (Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Ich wollte Sie ja nicht unterbrechen, sondern ich wollte nur eine Nachfrage stellen!)

    — Das ist doch der Punkt. Das ist doch dasselbe.
    Meine Damen und Herren, deshalb macht es durchaus einen Sinn, daß wir mit einer nationalen Europakonferenz den Versuch unternehmen, einen nationalen Konsens auch mit den verschiedenen gesellschaftlichen Kräften über unser künftiges Verhalten bei der Herstellung des gemeinsamen Binnenmarktes herbeizuführen. Die Sorge, die bei unseren Partnerstaaten, vor allen Dingen in den Vereinigten Staaten und Japan — —

    (Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Herr Kollege Ehmke, ich möchte fortfahren können, ohne daß ich durch Fragen unterbrochen werde.

    (Jungmann [SPD]: Sie wollen der Beantwortung der Frage ausweichen!)

    — Daß ich der Beantwortung der Frage des Herrn Kollegen Ehmke nicht ausweichen will, Herr Kollege, ergibt sich schon daraus, daß ich sie doch gar nicht kenne.

    (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, es wird aber auch wichtig sein, daß wir bei der Herstellung des Binnenmarktes, des Technologieraumes, des Sozialraumes, übrigens auch des Währungsraumes uns der Tatsache bewußt sind, daß die EFTA-Staaten in Europa daran interessiert sind, diese Schritte mit uns vollziehen zu können.
    Es wird in Europa eine Diskussion darüber geführt, ob eine Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft jetzt angemessen sei oder nicht und wer als neues Mitglied in Frage komme. Die Europäische Gemeinschaft muß für neue Mitglieder offen sein, die die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft erfüllen.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Richtig!)

    Ob ein beitrittswilliger Staat die Voraussetzungen erfüllen kann, Vollmitglied mit allen Rechten und Pflichten zu sein, muß dieser Antragsteller entscheiden, das können nicht wir entscheiden. Deshalb sind wir offen für solche Anträge und werden uns diesen Anträgen gegenüber offen verhalten. Ich bin nicht der Meinung, daß es richtig wäre, wenn wir sagen würden, daß wir bis zur Herstellung des Binnenmarktes sozusagen eine geschlossene Tür für neue Mitglieder



    Bundesminister Genscher
    haben. Das soll keine Einladung sein, sondern das ist eine Erklärung der Offenheit.
    Nun wird die Frage nach der Einheit Europas und nach der Auswirkung des gemeinsamen Binnenmarktes aber nicht nur in den marktwirtschaftlichen Staaten der Welt und in EFTA-Staaten gestellt, sondern hier ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß uns diese Frage auch von den europäischen Mitgliedstaaten des RGW gestellt wird.
    Ich denke, daß wir hier Rechenschaft ablegen müssen, welche Auswirkungen die Schaffung dieses Binnenmarktes für unser Ziel der Herbeiführung einer europäischen Friedensordnung hat. Ich verwende betont den Begriff europäische Friedensordnung für das ganze Europa — vom Atlantik bis zum Ural —, weil ich dem Eindruck entgegentreten möchte, daß das Verständnis, daß Europa mehr als die Europäische Gemeinschaft ist, eine erst jüngst gewonnene, durch den Begriff vom europäischen Haus, den Gorbatschow in die Diskussion eingeführt hat, ins Bewußtsein gedrungene Vorstellung ist. Der Begriff der europäischen Friedensordnung, die Forderung nach einer Friedensordnung für das ganze Europa, vom Atlantik bis zum Ural, ist im Harmel-Bericht des westlichen Bündnisses vom Jahre 1967 enthalten.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Wir haben die Schlußakte von Helsinki und den KSZE-Prozeß immer als eine Kursbestimmung hin zu einer solchen europäischen Friedensordnung verstanden. Das kann nicht nur eine Friedensordnung sein, die sich mit Fragen der militärischen Sicherheit befaßt. Vielmehr gehört zu einer Friedensordnung auch der innere Frieden in Europa. Deshalb haben wir den humanitären Fragen in der Schlußakte eine solche Bedeutung zugemessen. Deshalb messen wir den Menschenrechten eine solche Bedeutung zu. Deshalb sind für uns die Fragen der Zusammenarbeit in allen Bereichen von entscheidender Bedeutung.
    Die Ankündigung Gorbatschows, daß die Sowjetunion das Ziel habe, ein gemeinsames europäisches Haus zu schaffen, ist — darin liegt ihre politische Bedeutung — die erste konstruktive Reaktion auf das seit 1967 vom Westen vorgelegte Angebot.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das ist ihre politische Bedeutung. Der Westen wäre schlecht beraten, wenn er in dem Augenblick, in dem die erste konstruktive Reaktion kommt, auf ein solches Angebot nunmehr negativ reagieren würde.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Meine Damen und Herren, hier geht es vielmehr darum, daß wir unseren Entwurf einer europäischen Friedensordnung, eines gemeinsamen europäischen Hauses erarbeiten. Beides kann dasselbe meinen, es muß aber nicht dasselbe meinen. Der Begriff des gemeinsamen europäischen Hauses bietet sich deshalb zur Verwendung an, weil er bildhaft ausdrücken kann, was wir meinen. Es muß nämlich ein Haus mit offenen Türen und Fenstern mit der Gelegenheit für Menschen sein, sich frei zu begegnen, für Ideenaustausch und für einen Güteraustausch. Das ist unser Verständnis.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wenn wir uns mit diesem Bild befassen, sollten wir keine neue künstliche Diskussion führen, als sei der Prozeß der Einigung in der Europäischen Gemeinschaft ein Gegensatz zu dem Ziel, im größeren Europa zu einem neuen Verhältnis der Staaten zueinander zu kommen.

    (Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Das wäre theoretisch aber möglich!)

    — Herr Kollege Mechtersheimer, zu den Realitäten in Europa gehört, daß die Staaten der Europäischen Gemeinschaft demokratische Staaten sind, die durch gemeinsame Ideale und Wertvorstellungen verbunden sind. Zu den Realitäten Europas gehört auch, daß die Jahrzehnte der Trennung aus dem einen Europa nicht zwei gemacht haben, übrigens auch nicht aus einer deutschen Nation zwei deutsche Nationen. Es besteht ein Europa und eine deutsche Nation.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das gehört zu den Realitäten, von denen wir ausgehen, von denen übrigens nicht nur wir ausgehen. Honecker spricht von der deutschen Nation, und von der Einheit Europas spricht man heute lauter — auch in den Amtsstuben der Staaten des Warschauer Paktes — , als das früher der Fall war.
    Aber was ist nun die Bedeutung der Einigung in der Europäischen Gemeinschaft? Die Bedeutung liegt darin, daß sich diese Europäische Gemeinschaft für die Sowjetunion und ihre Verbündeten zunehmend als ein attraktives Modell der demokratischen Zukunftsgestaltung erweist. Das ist die Bedeutung unseres Einigungsprozesses. Wir haben mit der Einigung in der Europäischen Gemeinschaft vielleicht den größten Sieg der europäischen Geschichte erreicht, ohne daß ein Menschenleben dabei verlorengegangen ist und geopfert werden mußte. Es ist ein Sieg über nationale Egoismen, es ist aber auch ein Beispiel dafür, wie freie Gesellschaften miteinander leben können, wie sie nationale Egoismen überwinden können und daß unser gesellschaftliches Modell die größere Attraktivität hat. Alles, was heute in den Staaten des Warschauer Pakts — in dem einen lauter, in dem anderen leiser, in dem einen intensiver, in dem anderen zurückhaltender — diskutiert wird, ist in Wahrheit die Grundfrage, wie unter Aufrechterhaltung der Grundvorstellungen sozialistischer Staaten möglichst viel an marktwirtschaftlichen und freiheitlichen gesellschaftichen Vorstellungen in die eigene Ordnung übernommen werden kann.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Heute geht es darum, diese Attraktivität zu erhöhen.
    Meine Damen und Herren, wenn Sie an die beginnenden 80er Jahre zurückdenken, als in den Vereinigten Staaten ein Buch über den Niedergang Europas erschien, war die Europäische Gemeinschaft eben kein attraktives Modell. Heute ist es weltweit ein attraktives Modell, aber vor allen Dingen auch für die Findung Europas und für die Zusammenarbeit zwi-



    Bundesminister Genscher
    schen West und Ost. Da wollen wir diese Kraft nun allerdings einsetzen.
    Das bedeutet, daß wir auch hier eine andere Realität nicht aus den Augen verlieren dürfen, nämlich daß wir sicherheitspolitisch zwar Fortschritte erzielt haben. Ein großer Fortschritt für mich war der erfolgreiche Abschluß der Konferenz über vertrauensbildende Maßnahmen in Stockholm. Ein großer Fortschritt ist das INF-Abkommen. Aber noch immer stehen sich enorme Militärpotentiale in Europa gegenüber, und noch immer gibt es Überlegenheiten in weiten Bereichen auf der anderen Seite. Deshalb ist vereinbarte Abrüstung notwendig. Solange es sie nicht gibt, ist es notwendig, die eigene Verteidigungsfähigkeit auch als eine der Grundlagen der eigenen Sicherheit zu erhalten.
    Deshalb, Herr Kollege Lippelt, ist es auch erforderlich, daß die Bundesrepublik Deutschland als eines der leistungsfähigen Länder dafür Sorge trägt, daß die weniger leistungsfähigen Länder in unserem westlichen Bündnis ihre militärische Verantwortung erfüllen können. Das ist der Grund für die Hilfeleistungen, die wir an die Türkei, die wir an Griechenland und an Portugal erbringen.
    Was vollzieht sich denn in Wahrheit im westlichen Bündnis, was vollzieht sich in der Europäischen Gemeinschaft? Im Grunde vollzieht sich in der Europäischen Gemeinschaft mit den Strukturfonds, über die wir uns verständigt haben, nicht nur unter deutschem Vorsitz, sondern unter aktiver deutscher Teilnahme und aktivem Beitrag eine Art europäischer Lastenausgleich, weil wir wissen, daß der Gemeinsame Markt nur dann funktionieren kann, wenn wir die strukturellen Nachholbedürfnisse der bestimmten Länder oder bestimmter Regionen in der Europäischen Gemeinschaft erfüllen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wenn wir jetzt im Verteidigungsbereich diesen Ländern, soweit sie Mitglied des westlichen Bündnisses sind, durch Hilfe in diesem Bereich die Lage erleichtern, ihre Verantwortung zu erfüllen, dann haben die auch weiter Mittel für die soziale und strukturelle Entwicklung, und wir leisten zugleich einen Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit.

    (Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Vielleicht brauchen Sie die Waffen gar nicht!)

    Ich glaube, wenn wir das in diesem Verständnis sehen, dann wird uns deutlich, daß es heute wirklich darum geht, auf der Grundlage gesicherter Verteidigung, für die die Bundeswehr einen wichtigen Beitrag leistet — deshalb werde ich nicht müde festzustellen, daß der Dienst in der Bundeswehr Friedens- und Freiheitsdienst ist —,

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    eine Politik aktiver Rüstungskontrolle und Abrüstung zu betreiben. Wir tun als Bundesregierung alles, was in unseren Kräften steht, damit auch die Gegensätze, die es auf der westlichen Seite noch gibt, für den Abschluß der Konferenz in Wien und für die Aufnahme der Verhandlungen über die konventionelle Stabilität endlich überwunden werden können. Es ist völlig müßig, daß im Westen eine Diskussion darüber
    geführt wird, wie ernst es Gorbatschow meint oder nicht meint. Meine Damen und Herren, die Ernsthaftigkeit von Abrüstungswillen kann man am besten am Verhandlungstisch feststellen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Man muß diesen Verhandlungstisch nur erreichen, und das liegt im elementaren Interesse unserer Bundesrepublik Deutschland.

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    Gerade in den letzten Stunden haben sich einige Schritte vollzogen, die mich jetzt zuversichtlicher machen, als ich mich noch vor einigen Tagen dazu geäußert hätte. Das heißt, es besteht noch immer eine reale Chance, daß wir in diesem Jahr die Wiener Konferenz beenden und damit auch die Eröffnung für die Verhandlungen über die konventionelle Stabilität eröffnen können, die nun einmal das Kernproblem europäischer Sicherheit ist.
    Gleichzeitig geht es darum, daß wir in der Zusammenarbeit vorankommen und daß wir erkennen, daß in den neuen Entwicklungen — ich sage noch einmal: unterschiedlich weit fortgeschritten, von den einen zögernder, von den anderen aktiver betrieben —, in den Staaten des Warschauer Pakts eine Chance für das gesehen wird, was der Bundespräsident zu recht als systemöffnende Zusammenarbeit bezeichnet. Ich kann mich denjenigen nicht anschließen, die der Meinung sind, daß derjenige, der nun das Signal für ein solches neues Denken, auch für das Überprüfen alter Klischees in den sozialistischen Ländern gegeben hat — ich meine Gorbatschow — , für gefährlicher gehalten werden muß als die, die in der Vergangenheit eine Politik betrieben haben, die uns die wahrlich nicht leichte Entscheidung abgenötigt hat, uns hier z. B. zum NATO-Doppelbeschluß zu bekennen und ihn auch durchzusetzen.
    Wer glaubt, daß derjenige, der über Neues nachdenkt, gefährlicher sei, der hat eigentlich — ich muß es schon so sagen — ein beachtliches Maß an Mißtrauen in die eigene Standfestigkeit, in die eigene Überzeugungskraft, in die Attraktivität des eigenen Systems.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Sehr vornehm ausgedrückt!)

    Ich habe es neulich gesagt, ich wiederhole es hier: Es müßte schlimm um die Einheit der westlichen Demokratien, um ihre Vitalität bestellt sein, wenn wir die Angst vor der Sowjetunion brauchten, um unsere Gemeinschaft aufrechtzuerhalten.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und des Abg. Dr. Mechtersheimer [GRÜNE])

    Deshalb sollten wir darangehen, Feindbilder abzubauen, Versuche zu unternehmen, die Lage in Europa durch Zusammenarbeit zu verbessern. Ich bin besonders dankbar dafür, daß man heute in der Debatte auch großen Wert gelegt hat — Herr Kollege Rose, Sie haben länger darüber gesprochen — auf die kulturelle Zusammenarbeit, auf die Errichtung von Kulturinstituten, auf die Pflege der nationalen Identität. Natürlich haben wir dazu eine Grundkonzeption. Wann



    Bundesminister Genscher
    man es verwirklichen kann, das ist nicht eine autonome Entscheidung des Auswärtigen Amtes, auch nicht des Deutschen Bundestages, auch nicht der Bundesregierung, sondern der Entwicklung, wie wir sie haben.
    Nehmen wir ein Beispiel: Vor zwei, drei Jahren bestand nicht die Chance der Errichtung von Kulturinstituten in den Ländern, wo wir uns jetzt über die Errichtung verständigt haben. Wir haben seit einiger Zeit mit der Sowjetunion einen Ausschuß für humanitäre Fragen. In diesem Ausschuß für humanitäre Fragen haben wir bis zum September dieses Jahres ausschließlich über Ausreiseprobleme für Sowjetbürger deutscher Nationalität gesprochen. Seit September dieses Jahres sprechen wir dort über die Frage der Bewahrung der kulturellen und der nationalen Identität sowjetischer Staatsangehöriger deutscher Nationalität. Bei ihrer Religionsausübung ergeben sich neue Formen der Zusammenarbeit. Auch das ist ein Ergebnis des KSZE-Prozesses.
    Deshalb, glaube ich, sind wir gut beraten, wenn wir konsequent und im Bewußtsein dessen, daß die Kraft der Freiheit sich noch immer durchgesetzt hat und die überzeugendere politische Kraft war, an die Arbeit gehen, um diese europäische Friedensordnung zu schaffen, um das gemeinsame europäische Haus zu bauen.
    Meine Damen und Herren, ich bin ganz sicher: Wenn wir das konsequent tun, dann wird dieses europäische Haus humaner sein, als das ganze Europa es in den letzten Jahrzehnten gewesen ist, und dafür zu arbeiten lohnt sich.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN, die ich nach der Reihenfolge der Drucksachennummern aufrufe.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3326? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag mit der Mehrheit der Fraktionen der Regierungskoalition abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/3327? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der Regierungskoalition und der SPD abgelehnt.
Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 11/3328? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dies ist wiederum abgelehnt mit der Mehrheit der Fraktionen der Regierungskoalition.
Dann kommen wir zum Antrag auf Drucksache 11/3329. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Sie machen es mir aber schwer; wechselnde Mehrheiten. Das heißt, dieser Antrag ist mit der Mehrheit der Regierungskoalition und der SPD abgelehnt.
Jetzt kommen wir zum Antrag auf Drucksache 11/3330. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das ist mit der gleichen Mehrheit wie bei Drucksache 11/3329 gewesen.
Jetzt kommen wir zum Änderungsantrag auf Drucksache 11/3331. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Das ist dieselbe Mehrheit wie eben zuvor.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 05. Wer dem Einzelplan 05, Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Einzelplan angenommen mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen, bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion und Gegenstimmen der Fraktion DIE GRÜNEN.
Ich rufe nun auf: Einzelplan 07
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz
— Drucksachen 11/3207, 11/3231 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Diller von Schmude
Dr. Weng (Gerlingen) Kleinert (Marburg)
Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
— Drucksachen 11/3217, 11/3231 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Schroeder (Freiburg) Würtz
Kleinert (Marburg)

Zum Einzelplan 07 liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/3339 und 11/3340 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieser Einzelpläne eine Stunde vorgesehen. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann kann ich die Aussprache eröffnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. de With.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans de With


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gustav Heinemann hat mit der ihm eigenen trockenen Kürze den Satz geprägt: „Rechtspolitik ist positiver Verfassungsschutz. " Nun wird der Bundesminister der Justiz sagen: Da ist ja einiges geschehen. Natürlich kann er einiges aufzeigen. Sein Haus ist nach wie vor fleißig und auch produktiv, und seinen Mitarbeitern sei öffentlich gedankt für ihre stets faire und sachliche Arbeit im Rechtsausschuß des Bundestages auch der Opposition gegenüber.
    Aber werten müssen wir an Gustav Heinemanns Wort die politische Leistung des Bundesjustizministers, ob er Wertzeichen gesetzt hat und welche. Tun wir das, stellen wir fest, daß diese Bundesregierung



    Dr. de With
    auch im Bereich der Rechtspolitik eine Menge schuldig geblieben ist.

    (Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

    Da gibt es den Tod der Robben, die langsame Erstikkung der Nordsee, nach wie vor das Waldsterben.

    (Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Was kann denn der Engelhard dafür?)

    Zu einem Vorschlag aber zur Einführung des Staatsziels Umweltschutz im Grundgesetz vermochte sich die Bundesregierung bislang nicht aufzuraffen. Im Rechtsausschuß kam es zunächst zu einem unwürdigen Kompetenzgerangel zwischen dem Justiz- und dem Innenressort und dann zu dem kläglichen Hinweis, das sei Sache des Parlaments. Natürlich kann nur der Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit das Grundgesetz ändern. Aber war es nicht der Bundeskanzler, der in seiner Regierungserklärung statuiert hat, daß das Staatsziel Umweltschutz im Grundgesetz verankert werden müsse? Der entsprechende Entwurf der SPD liegt seit der letzten Legislaturperiode vor. Regierung und Koalition haben versäumt, hier ein sichtbares Zeichen zu setzen.

    (Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

    Da gab es in der vergangenen Legislaturperiode weiter einen Entwurf der SPD, die Bestrafung der Vergewaltigung auch auf entsprechende Handlungen in der Ehe auszudehnen, denn Vergewaltigung ist Vergewaltigung. Da haben Sie, Herr Minister Engelhard, vor fast genau einem Jahr, nämlich am 7. November 1987, erklärt, daß auch Sie mit dem Zweiklassenrecht der Vergewaltigung — in der Ehe straflos, außerhalb strafbar — Schluß machen wollten. Sie mußten jedoch später eingestehen, daß Sie sich in der Koalition nicht einigen konnten, insbesondere wegen des Widerstands der CSU, die auch durch Abwesenheit glänzt.

    (Zuruf von der SPD: Was erwarten Sie? — Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Ihre Rede ist nicht interessant genug!)

    — Sie werden schon noch hören, wie interessant es ist.
    Mag es sich hier auch — das sei eingestanden — nur um eine relativ einfache gesetzestechnische Änderung des Strafgesetzbuches handeln — Sie, Herr Minister, hätten auch hier eine Wegmarke setzen können. Die Frauen hätten es Ihnen gedankt. Aber schlimm genug: Die Koalition hat unseren Gesetzesantrag im Rechtsausschuß ersatzlos abgelehnt.

    (Zuruf von der SPD: Toll ist das!)

    Die SPD-Fraktion hat nach sorgfältiger Vorbereitung im Sommer dieses Jahres ein Anhörungsverfahren durchgeführt

    (Zuruf von der SPD: Im Rechtsausschuß scheint jetzt eine Sitzung deswegen zu sein! Es ist nämlich keiner da!)