Rede von
Bernd
Schmidbauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der heute von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf zum Schutz der Ozonschicht ist umweltpolitisch von ganz besonderer Bedeutung. Die Fraktionen sind heute übereingekommen, eine verkürzte Debatte zu führen. Ich will aber ausdrücklich sagen — ich befinde mich dabei in Übereinstimmung mit allen Fraktionen — , daß wir dies bei der zweiten und dritten Lesung der Gesetzesvorlage nachholen, daß wir dann ausreichend Gelegenheit zur Diskussion haben werden. Gleiches gilt natürlich auch für den noch einzubringenden Entwurf betreffend das Montrealer Protokoll.
Worum geht es? Ein unsichtbarer Ozonschutzschild in der Stratosphäre, der die schädlichen UV-B-
Strahlungen der Sonne absorbiert, wird über den Polbereichen immer stärker reduziert. Neueste Meßergebnisse des Ozone-Trends-Panel, der das weltweite Fachwissen der auf diesem Gebiet arbeitenden Forscher repräsentiert, ergeben folgendes Bild: Die Gesamtozonschicht hat von 1969 bis 1986 zwischen dem 30. und dem 64. nördlichen Breitengrad im Jahresdurchschnitt um 1,7 bis 3 % abgenommen, während der Wintermonate sogar um 2,3 bis 6,2 %. Eine alarmierende Tatsache, wie ich finde.
Diese Ozonabnahme über der nördlichen Hemisphäre beruht etwa zur Hälfte auf der Wirkung der Fluorchlorkohlenwasserstoffe. Unerwartet stark hat sich im letzten Jahrzehnt die Ozonschicht der Antarktis verändert. Während des antarktischen Frühlings verringerte sich ihre Dicke um über 50 % in Höhen von 20 km bis 50 km, teilweise bis 95 %, so daß wir inzwischen vom Ozonloch über der Antarktis sprechen.
Diese Erkenntnisse wurden auch in mehreren Anhörungen und Beratungen der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" bestätigt. Ich darf in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, daß in dieser Enquete-Kommission über alle Fraktionen hinweg eine, wie ich finde, sehr harmonische und effektive Arbeit betrieben wird. Ich möchte mich an dieser Stelle bei den Kollegen dafür recht herzlich bedanken.
In engem Zusammenhang mit dem Abbau des stratosphärischen Ozons ist die Zunahme der Spurengase in der Troposphäre, also in der unteren Atmosphäre in etwa 10 km bis 15 km Höhe, zu sehen. Eine Reihe von Spurengasen, Treibhausgase genannt, verursachen den sogenannten Treibhauseffekt, d. h. die Erwärmung der Erdoberfläche und der Meere mit weitreichenden Klimaänderungen. Die Fluorchlorkohlenwasserstoffe, die primär für die Zerstörung des stratosphärischen Ozons verantwortlich sind, also für den Abbau der Ozonschicht, tragen zu etwa 20 % ebenfalls zum Treibhauseffekt bei.
Auf Grund dieser Erkenntnis muß — auch dies, denke ich, ist übereinstimmend hier zu erklären — die weltweite Produktion von über 1 Million Tonnen dieser FCKWs trotz vorzüglicher chemischer Eigenschaften — nicht brennbar, milde reinigende Wirkung, sie reagieren nicht chemisch, am Arbeitsplatz leicht handzuhaben — drastisch reduziert werden. Der Anteil der Bundesrepublik Deutschland bei der weltweiten Produktion kann etwa mit 10 % angegeben werden. Aufgeschlüsselt bedeutet das für das Jahr 1986: Einsatz im Aerosolbereich 26 000 t, 24 000 t zur Kunststoffverschäumung, 4 000 t für Kühl- und Kältemittel und etwa 25 000 t — das können auch ein paar tausend Tonnen mehr sein — als Lösungs- und Reinigungsmittel in vielen Branchen, besonders der Elektronik.
Was ist zu tun? Ich denke, obwohl nicht alle wissenschaftlichen Erkenntnisse heute im einzelnen vorliegen, müssen wir handeln. Jeder, wir selbst und alle anderen, vorwiegend die betroffenen Staaten müssen erkennen, daß wir uns ein weiteres jahrelanges Gerangel und ein zähes Ringen um Detailfragen nicht leisten können. Darüber, so denke ich, müssen wir uns alle im klaren sein. Im Umweltschutz sind wir alle Nachbarn. Ist einer betroffen, sind wir alle betroffen. Hier endlich müssen wir unser Denken und Handeln über nationale Grenzpflöcke erheben. Das gilt in ganz besonderem Maße für den Schutz der Erdatmosphäre. Bei kaum einer anderen ökologischen Gefahr wird die Bedrohung unseres Planeten in seiner Gesamtheit derart deutlich.
Einen ersten, richtungweisenden Schritt für eine international vorsorgende Umweltpolitik stellt das Wiener Übereinkommen vom März 1985 dar. Es for-
5708 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 84, Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Juni 1988
Schmidbauer
dert alle Nationen dazu auf, neben verstärkter Forschung alle erforderlichen nationalen und internationalen Maßnahmen sowie geeignete Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen zum Schutz der Erdatmosphäre zu ergreifen. Eine Besonderheit des Wiener Übereinkommens — und das ist wichtig — ist die Vorgabe, zur Konkretisierung der angestrebten Maßnahmen sogenannte Protokolle einzuführen. Es ist erstaunlich, daß wir bereits heute ein solches Protokoll vorliegen haben. Das erste wurde im Herbst 1987 als Montrealer Protokoll vorgelegt. Es beinhaltet eine weltweite Umsetzungsstrategie zur Verminderung der FCKW-Produktion und damit natürlich auch der FCKW-Emissionen.
Inzwischen haben die wissenschaftlichen Untersuchungen der OTP sowie die Anhörungen der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" ergeben, daß die Vorschläge des Montrealer Protokolls bei weitem nicht ausreichen, um eine gefährliche Zerstörung des Ozonmantels zu verhindern. Hier ist eine möglichst umgehende weitergehende Reduzierung der FCKWs — mittelfristig um 50 % und mindestens um 85 % bis 95 % bis zum Jahr 2000 — zwingend notwendig.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dieses Protokoll sieht diese Möglichkeit vor. Es sieht vor, daß Maßnahmen und Protokolle aktuellen Ergebnissen angepaßt werden können. Das ist die Chance auch dieses Protokolls. In der Kritik dieses Protokolls sollte man nicht vorschnell sein, sondern sollte alle Kraft darauf verwenden, die Chance dieses Protokolls dynamisch fortzuentwickeln und zu nutzen. Ich will jetzt nicht auf die vielversprechenden nationalen Maßnahmen im einzelnen eingehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Bundesrepublik Deutschland haben wir freiwillige Vereinbarungen zur Reduzierung im Aerosol-Bereich, im Spraydosen-Bereich. Das ist vernünftig und gut so. Dies muß weitergehen. Dies muß so weit gehen, daß wir diese Stoffe nur noch dort einsetzen, wo es wie z. B. im medizinischen Bereich unabdingbare Notwendigkeiten gibt. Durch diese Maßnahmen werden wir bereits im nächsten Jahr eine Reduzierung um 90 bis 95 %, je nach Berechnungsbasis, realisiert haben. Das ist ein Fortschritt in der Bundesrepublik Deutschland.
Der zweite Anwendungsbereich, Klima und Kälte, muß ebenfalls durch solche Vorsorgemaßnahmen, durch freiwillige Absprachen, freiwillige Vereinbarungen, möglichst rasch angegangen werden. Dies ist in Berlin bei einer Anhörung angekündigt worden. Ich denke, daß wir in wenigen Wochen auch hier einen gewaltigen Schritt nach vorn tun können.
Im Lösungsmittel-Bereich, von dem wir wissen, daß es dort einen wachsenden Markt gibt, bestehen natürlich bestimmte Schwierigkeiten. Selbstverständlich wird die Industrie jetzt nicht mit wehenden Fahnen dieses Protokoll begrüßen. Hier müssen wir in Verhandlungen, in Gesprächen, in Übereinkommen mit allen europäischen Nachbarstaaten zäh versuchen, die Industrie in der Kooperation, in der Verantwortung zu halten. Das ist für mich ein ganz wichtiges Moment.
Die Mitglieder der Enquete-Kommission wissen, daß wir dabei sind. Ich werde am 5. Juli in Manchester mit dem europäischen Verband darüber Gespräche führen, damit es auch dort Fortschritte gibt. Wir haben erlebt, daß seit 1976/78 Absichtserklärungen bestehen, die nicht eingehalten wurden. Auch daran will ich erinnern, damit wir die Erwartungen nicht zu hoch setzen.
Ich finde, daß Minister Töpfer hier in sehr kurzer Zeit zu einer Umsetzung gekommen ist.
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen werden wir in vielfältiger, oft erschreckender Weise mit den umweltpolitischen Versäumnissen der Vergangenheit konfrontiert. Wir hatten heute auch hier eine entsprechende Debatte. Lassen wir es deshalb nicht zu, daß sich eine in ihren Dimensionen und Auswirkungen vorstellbare Bedrohung zur Katastrophe ausweitet. Auf Unkenntnis können wir uns heute nicht mehr berufen. Wissenschaftliche Fakten liegen auf dem Tisch.
Mit den modernsten Mitteln, die uns die Technik zur Verfügung stellt, müssen wir beginnen, die Auswirkungen eines ehemals unbedacht eingesetzten technologischen Fortschritts aufzufangen, damit unsere Umwelt nicht irreversibel aus dem Gleichgewicht gerät. Das Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht kann hierbei als Modell einer internationalen, langfristig orientierten und vorsorgenden Umweltpolitik gelten.
Wir wünschen uns — auch das möchte ich sehr deutlich sagen — , daß es durch internationale Vereinbarungen zu einer Verringerung der den Treibhauseffekt verursachenden Spurengase sowie zur Lösung anderer grenzüberschreitender Umweltprobleme kommt. Ich begrüße es außerordentlich, daß der Herr Bundeskanzler erklärt hat, daß dies ein Tagesordnungspunkt im Rahmen des Weltwirtschaftsgipfels sein wird und auch bei seinen Verhandlungen in Moskau auf der Tagesordnung stehen wird. Es ist wichtig, daß wir andere Länder sensibilisieren, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland Beispiel geben, nicht zu warten, bis andere Länder mitziehen. Dann wird es auch gelingen, andere Länder, andere Mitbürger in Europa stärker für diese Fragen zu sensibilisieren.
Ich danke Ihnen.