Rede von
Gerhard O.
Pfeffermann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Ziel, die Vollendung des europäischen Binnenmarktes, ist im EG-Vertrag verankert. Dieser europäische Binnenmarkt ist integraler Bestandteil der politischen Einigung Europas. Es soll also ein Raum ohne Binnengrenzen mit 320 Millionen Einwohnern geschaffen werden, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet sein soll. Ein gemeinsamer Markt für Innovation und Kommunikation gehört dabei zu den unabdingbaren Voraussetzungen für den angestrebten freien Waren- und Dienstleistungsverkehr. Von daher bedeutet dieser Binnenmarkt ein neues Potential für wirtschaftliches Wachstum und damit für die Beschäftigung. Er bedeutet neue Chancen für den technologischen Fortschritt und gleichzeitig die Möglichkeit großer Kostenersparnis für die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten. Dieser Binnenmarkt ist die Voraussetzung dafür, daß Europa auf den rasant wachsenden Telekommunikationsmärkten insbesondere gegenüber den starken Konkurrenten USA und Japan im Wettbewerb bestehen kann.
Zur Entwicklung des gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsgeräte hat die EG-Kommission ein Grünbuch vorgelegt. Wir begrüßen, daß die EG darin von dirigistischen Eingriffen in die organisatorische Zuständigkeit der Mitgliedstaaten absieht. Generelle Zeilsetzung des Grünbuchs ist die Schaffung eines offenen und mehr wettbewerbsorientierten Umfeldes für Telekommunikationsdienstleistungen und Endgeräte unter Wahrung der Integrität der Telekommunikationsnetze und der finanziellen Leistungsfähgikeit der Fernmeldeverwaltungen. Sie ist auf den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr ausgerichtet. Die Netzinfrastruktur und der Telefondienst, die infrastrukturell bedeutendste Telekommunikationsmöglichkeit, werden von der Wettbewerbsverpflichtung ausgenommen. Damit wird gleichzeitig auch die finanzielle Leistungskraft der Fernmeldeverwaltungen
zum Ausbau der Telekommunikationsnetze und ihre Innovation zur Erfüllung von Infrastrukturaufgaben erhalten.
Ohne diese Sicherstellung der Integrität der Telekommunikationsnetze, deren Ausbau und ihre Innovation kann ein öffentliches Fernmeldewesen den Ausbau und die Weiterentwicklung seiner Infrastruktur insbesondere auch in den ländlichen Bereichen und die Aufgaben der Daseinsvorsorge im Rahmen der vorgegebenen Gemeinwohlverpflichtung nicht erfüllen. Die Kommission akzeptiert im Grünbuch die unterschiedlichen Lösungsansätze für diese Aufgabe in den Staaten der EG und damit auch die Aufgabenstellung, wie sie das Grundgesetz der Deutschen Bundespost vorgibt.
Wir bedauern in diesem Zusammenhang, daß es im federführenden Ausschuß nicht möglich war, zu einer gemeinsamen Beschlußempfehlung mit der Opposition, zumindest mit der SPD, zu kommen. Leider hat dies die SPD kategorisch abgelehnt. Wenn ich mir heute den Änderungsantrag der SPD zu diesem Tagesordnungspunkt ansehe, bleibt es noch unverständlicher, warum sich die SPD einer gemeinsamen Stellungnahme versagt hat, denn die Teile Ihrer Beschlußempfehlung, meine Damen und Herren von der SPD, die sich auf das Grünbuch tatsächlich beziehen, hätten in eine gemeinsame Empfehlung eingebracht werden können bzw. sind sogar auch heute schon Bestandteil auch unserer Beschlußempfehlung. Jene sechs von acht Spiegelstrichen allerdings in Ihrer Empfehlung, die sich nicht auf das Grünbuch, sondern auf eine Neustrukturierung der Deutschen Bundespost beziehen, sind zum jetzigen Zeitpunkt eine Vorwegnahme einer Diskussion, die mit dem Grünbuch unmittelbar nichts zu tun hat. Wir jedenfalls haben nicht die Absicht, heute über die Neustrukturierung der Deutschen Bundespost zu sprechen, sondern über die Entwicklung des gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsgeräte in der EG, und lehnen daher Ihren Änderungsantrag ab.
Wir begrüßen, daß die Beratung der Vorschläge der Kommission aus dem Grünbuch mit den interessierten Stellen in den Mitgliedstaaten bereits dazu geführt hat — da stimmen wir mit der großen Mehrheit der Bundesländer überein; übrigens auch denen der SPD — , daß sich ein Konsens vor allem in folgenden Punkten abzeichnet: erstens eine volle Liberalisierung des Marktes für Endgeräte und Berücksichtigung eines angemessenen Übergangszeitraums, zweitens eine Liberalisierung des Angebots von Mehrwertdiensten, drittens die Trennung hoheitlicher und betrieblicher Tätigkeiten der Fernmeldeverwaltungen, viertens die Orientierung der Gebührengestaltung an den Kosten, fünftens die Festlegung von europäischen Standards, wobei der Versuch unternommen werden muß, zu weltweiten Standards zu kommen, um auf diese Weise ein europäisches und weltweites Zusammenwirken der Dienste und Endgeräte sicherzustellen. Sechstens. Daß dabei für die Fernmeldeverwaltung die volle und aktive Beteiligung am Wettbewerb auf gleicher Basis sichergestellt sein muß, ist für uns nicht nur selbstverständlich, sondern unabdingbar.
Deutscher Bundestag — 11, Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. April 1988 4825
Pfeffermann
Wir verhehlen nicht, daß wir es mit einem gewissen Bedauern zur Kenntnis genommen haben, daß die Kommission erst jetzt, nämlich mit Schreiben vom 5. Februar, zum Ausdruck gebracht hat, daß sie die Notwendigkeit einer gemeinsamen Analyse der sozialen Auswirkungen und Bedingungen für einen sozial akzeptablen Wandel erkannt und leider erst jetzt entsprechende erste Aktivitäten auf europäischer Ebene eingeleitet hat; denn wir sind der Auffassung: sozialer Konsens, Akzeptanz neuer Technologien und strukturelle Veränderung sowie flankierende Maßnahmen auch im Bereich des Datenschutzes gehören mit zu den Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung gemeinsamer Positionen.
Es gibt eine Reihe von Punkten, bei denen die Erörterung gezeigt hat, daß eine weitere Diskussion und genaue Definition erforderlich sind. So muß die Entwicklung einer einheitlichen europäischen Position zur Satellitenkommunikation vertieft werden. Wir würden uns als Bundesrepublik Deutschland von der allgemeinen Entwicklung absetzen, wenn wir hier die Entwicklung in anderen europäischen Staaten negieren wollten. Unser Ziel muß es sein, im internationalen Bereich die bestehende Politik kontinuierlich weiterzuführen und weiter darauf zu achten, daß bestehende Satellitensysteme nicht in Frage gestellt werden.
Die Entwicklung von europaweiten Telekommunikationsdiensten unter Beachtung der jeweils erforderlichen Kompatibilität und Interoperabilität ist im Interesse der Schaffung besserer Wettbewerbsbedingungen für die Bürger wie für die Anwender unerläßlich. Das von der Kommission angestrebte gemeinschaftsweite Diensteangebot muß allerdings nach unserer Auffasung auf eine flächendeckende Infrastruktur ausgerichtet sein. Dienste dieser Art dürfen nicht zu einem neuen Gefälle von Ballungsgebieten zu ländlichen Räumen führen.
Zur Entwicklung gemeinsamer Tarifgrundsätze sind wir mit der Kommission der Meinung, daß unter Wettbewerbsgesichtspunkten eine Annäherung der Tarifstrukturen wünschenswert ist. EG-einheitliche Tarifhöhen erscheinen uns auf absehbare Zeit nicht erreichbar. Letztlich ist eine stärkere Orientierung der Tarife an der tatsächlichen Kostenstruktur aus Wettbewerbsgründen zwischen den einzelnen Staaten dringend geboten; denn der zunehmende Wettbewerb auf den internationalen Fernmeldemärkten macht nicht mehr an den Grenzen der Bundesrepublik halt. Überzogene Tarife können schnell von Verlagerungen zu Telekommunikationszentren ins Ausland führen.
Die Voraussetzungen für die Nutzung fortgeschrittener Telekommunikationssysteme zur Entwicklung benachteiligter Regionen der Gemeinschaft sollen im Rahmen des bestehenden STAR-Programms weitergeführt werden. Dabei muß die Bundesregierung gegenüber der EG darauf bestehen, daß Beschaffungen aus Fördermitteln der Gemeinschaft EG-weit ausgeschrieben werden.
Wenn wir uns aus politischer Überzeugung für die Durchsetzung eines europäischen Telekommunikationsmarktes einsetzen und dazu die Öffnung des Marktes für mehr Wettbewerb befürworten, so muß
dies ein fairer Wettbewerb sein, d. h. eine ausgewogene Anwendung der Wettbewerbsregeln für private Anbieter und die öffentlichen Fernmeldeverwaltungen gleichermaßen gegeben sein. Eine klare Definition des Netzzugangs für Mietleitungen für öffentliche Datennetze und das ISDN ist gleichermaßen Voraussetzung für einen fairen Wettbewerb.
Im Rahmen der europäischen Entwicklung wird die deutsche Bundespost nicht länger am Monopol des einfachen Telefonhauptanschlusses festhalten können. Wir müssen darauf bestehen, daß eine Freigabe dieses Monopols nicht ausschließlich zu Lasten der kleinen und mittleren Gerätehersteller in Deutschland geht. Durch eine ausreichende Übergangsfrist muß es gerade diesen Herstellergruppen ermöglicht werden, sich auf die neuen Marktbedingungen einzurichten.
Neben den großen Chancen bringt der europäische Binnenmarkt die Notwendigkeit der Umstrukturierung in vielen Bereichen mit sich. Durch geeignete Maßnahmen diese Umstrukturierung rechtzeitig zu bewältigen, ist unsere Aufgabe, die Aufgabe der Industrie, der Wirtschaft, der Verwaltungen. Vor diesem Hintergrund ist die zeitliche Zielsetzung der Kommission sehr ehrgeizig. Wir sehen darin aber eine Rahmenplanung, auf deren Basis konkrete Vorlagen entwickelt und entschieden werden müssen, und sind bereit, diesen Weg mit zu unterstützen.