Rede von
Otto
Schily
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die neuesten Hiobsbotschaften aus Hanau werden möglicherweise den Herrn Bundeskanzler wiederum Zuflucht bei der Formel suchen lassen, die Situation sei über ihn gekommen.
Ob der Bundeskanzler der von den schockierenden Nachrichten aus Hanau mit Recht äußerst beunruhigten Bevölkerung noch andere Kommentare zu bieten hat, werden wir während dieser Debatte erfahren —oder auch nicht.
Jedenfalls hat der immerhin manchmal schwach aktive Umweltminister Töpfer eine Konsequenz gezogen, die wir begrüßen, und die seit langem fällige Schließung der Firma Nukem verfügt, wenn auch nur vorläufig bis zur vollständigen Klärung des Sachverhalts, wie es heißt.
Ich meine aber nicht, daß das Anlaß bietet, besondere Lobeshymnen auf Herrn Töpfer anzustimmen. Vergessen wir bitte nicht, daß diese Entscheidung nach dem Atomgesetz zwingend vorgeschrieben ist.
Aber so weit sind wir ja offenbar gekommen, daß wir einer Regierung schon dankbar sein müssen, daß sie sich an die gesetzlichen Vorschriften hält.
Wir haben in der Vergangenheit eine Vielzahl erschreckender Erkenntnisse sammeln müssen, daß es beispielsweise möglich ist, daß in Hanau eine Reihe von Nuklearbetrieben mit einem besonders hohen Gefährdungsgrad errichtet und eröffnet worden sind, ohne daß die gesetzlich vorgeschriebenen Errichtungs- und Betriebsgenehmigungen erteilt worden sind. Vor dem Hintergrund der heutigen Erkenntnislage wirkt dieser Zustand besonders dramatisch.
Dafür — das sage ich sowohl an die Adresse dieser Seite als auch an die Adresse der Sozialdemokratie — tragen Sie gemeinsam die Verantwortung.
Das müssen Sie heute ernst nehmen.
Ich glaube, das ist auch der Grund dafür, daß gerade Sie sich in Ihren Reihen seit langem gegen eine vollständige Aufklärung sperren, daß Sie sich einem Untersuchungsausschuß im Hessischen Landtag verweigert haben und daß Sie sich einem Untersuchungsausschuß hier im Bundestag verweigert haben.
Das wollen wir hier festhalten.
Lieber Herr Hauff, ich sage Ihnen eines. Sie haben hier heute mit großem Tremolo verkündet: Jede Stunde, die die Aufklärung verzögert wird, schadet unserem Volk. Ja, wo waren Sie denn im vergangenen Jahr? Wo waren Sie denn, als es darum ging, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen? Da habe ich nichts von Ihnen gehört. Warum waren Sie nicht hier im Bundestag und haben sich unseren Forderungen angeschlossen, solche Aufklärung vorzunehmen?
Kann eigentlich irgend jemand, meine Damen und Herren, von den Vorkommnissen bei den Hanauer Nuklearbetrieben wirklich überrascht sein?