Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Namens der Bundesregierung kann ich den Antrag, der hier beraten wird, ausdrücklich begrüßen. Ja, ich kann darüber hinaus sagen, daß wir seit geraumer Zeit im Sinne dieses Antrags handeln.
— Liebe Frau Eid, warten Sie das Ende ab. Ich werde nicht in einem Satz all das beantworten können, was Sie wissen wollen. — Es sind seit der letzten großen Hungerkatastrophe in Äthiopien erst zwei Jahre vergangen, und wieder bedroht der Hunger Millionen von Menschen. Wir haben alle nicht vergessen, daß die Menschen in unserem Land in den Jahren 1984 und 1985 großzügige humanitäre Hilfe geleistet haben. Auch die Bundesregierung hat damals getan, was sie irgend konnte. Allein der „Tag für Afrika" hat ein Spendenaufkommen von mehr als 120 Millionen DM erbracht, und das verpflichtet uns bis heute. Die Bundesregierung hat in jener Zeit rund 200 Millionen DM für den Kampf gegen den Hunger in Äthiopien eingesetzt.
Aber wir haben auch Hilfe geleistet, nachdem die Bilder hungernder Kinder von den Fernsehschirmen verschwunden waren. Im Jahre 1986 haben wir Nahrungsmittelhilfe im Wert von rund 32 Millionen DM bereitgestellt. Im jetzt ablaufenden Jahr 1987 werden wir Nahrungsmittelhilfe in derselben Größenordnung leisten.
Wir haben bei dieser Hilfe nicht nach Schuldigen gefragt. Das humanitäre Ziel der Überlebenshilfe hatte Vorrang vor jeder anderen Überlegung.
So werden wir auch im Jahre 1988 wieder umfangreiche humanitäre Soforthilfe leisten. Die bilaterale Nahrungsmittelhilfe an Äthiopien wird sich ungefähr in der gleichen Größenordnung wie auch 1987 bewegen. Sie soll wiederum vor allem über internationale und private nationale Hilfsorganisationen abgewikkelt werden. Wieder werden wir Nahrungsmittel liefern und ihren Transport durch Lastwagen und — wenn nötig — auch durch Flugzeuge unterstützen. Bereits gegenwärtig besteht eine u. a. von der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesregierung finanzierte Luftbrücke nach Tigre. Koordinierung ist auch hier ein selbstverständlicher Bestandteil der internationalen Hilfe. Vor diesem Hintergrund können wir davon ausgehen, daß Äthiopiens Bedarf an Nahrungsmittelhilfe im Jahre 1988 insgesamt gedeckt werden wird.
Meine Damen und Herren, wir leisten humanitäre Soforthilfe, wo die Menschen sie benötigen. Aber das entbindet uns natürlich nicht von der entwicklungspolitischen Pflicht, zu fragen: Was sind die Ursachen des Hungers? Es ist hier zur Genüge gesagt worden — ich
kann das nur noch wiederholen — , daß Dürre und Bürgerkrieg ihre Rolle spielen. Das sind Erscheinungen, die in das reine Fach des Entwicklungspolitikers vielleicht nur zu einem Teil hineingehören.
Ich möchte hier noch einen wesentlich konkreteren Punkt herausgreifen. Nur, lassen Sie mich an der Stelle sagen, Frau Eid: Die hier von Ihnen verbreitete Annahme, daß diese Bundesregierung nicht jedes Mittel nutzt, um die äthiopische Regierung darauf hinzuweisen, daß dieses Elend ohne eine friedliche Verständigung im Lande nie aufhören wird, ist völlig abwegig. Das tun wir auf jede Weise. Für mich persönlich beginnt das z. B. mit der Erinnerung daran, wie Herr Minister Klein und ich vor etwas mehr als sechs Jahren Fidel Castro in Havanna einmal die Frage gestellt haben, wie er denn eigentlich begründen wolle, daß er die Eritreer bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in jeder Weise unterstützt hat und dann der äthiopischen Regierung Rat und Mittel zur Verfügung stellte, um den Krieg gegen die Eritreer zu führen.
— Jawohl, Herr Holtz, Sie wissen genau, wovon ich spreche. —
Ich möchte hier jetzt aber noch sehr deutlich auf die Landwirtschaftspolitik der äthiopischen Regierung eingehen. Denn es gilt hier auch die Frage zu beantworten, die jeder Spender in unserem Land auf den Lippen hat, warum es denn in der Zwischenzeit nicht möglich war, die Wiederholung des Elends zu vermeiden. Und darauf haben wir zu antworten.
Die Landwirtschaftspolitik der äthiopischen Regierung ist nach allem, was wir wissen, was die internationale Gebergemeinschaft und viele Partner in der Dritten Welt an Erkenntnissen haben, leider verfehlt. Sie hat falsche Rahmenbedingungen für die Entwicklung des ländlichen Raumes gesetzt.
Den größten Teil der Budgetmittel, die für den Landwirtschaftssektor bestimmt sind, läßt die äthiopische Regierung den unwirtschaftlichen Staatsfarmen zukommen. Der Kleinbauernsektor, der zu mehr als 90 To zur landwirtschaftlichen Produktion Äthiopiens beiträgt und die Lebensgrundlage für die Masse der ländlichen Bevölkerung des Landes darstellt, wird so in einer nicht zu vertretenden Weise vernachlässigt.
Die Kleinbauern leiden insbesondere darunter, daß die staatlich garantierten Produzentenpreise so niedrig festgesetzt werden, daß sie keinen Anreiz zur Mehrproduktion für den Markt darstellen, daß eine Pflicht zur Abgabe an staatliche Vermarktungsorganisationen besteht und keine gesicherten Landnutzungsrechte gewährt werden. Leider hat die äthiopische Regierung bisher eben noch nicht erkannt, daß gerade die Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zur Bekämpfung des Hungers unabdingbar ist.
3528 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
Parl. Staatssekretär Dr. Köhler
Die Bundesregierung hat sich im EG-Ministerrat seit Jahren dafür eingesetzt, von der äthiopischen Regierung eine Unterstützung der Kleinbauern zu fordern. Die EG-Kommission — ich danke Vizepräsident Natali hier ganz besonders — hat in ihrem Politikdialog mit der äthiopischen Regierung bisher alles versucht, um diesen Standpunkt zu verbreiten, aber keinen durchgreifenden Erfolg erzielt. Auch die Weltbank bemüht sich, der äthiopischen Regierung in der Frage der Politik im Landwirtschaftsbereich den richtigen Rat zu geben. Sie hat bisher keine Erfolge verzeichnen können.
Erschwert wird die Lage der Landwirtschaft ja noch durch die Verdorfungs- und Umsiedlungspolitik der äthiopischen Regierung. Diese Verdorfungspolitik hat in der Vergangenheit wesentlich weniger Schlagzeilen als die Umsiedlung gemacht, aber es wäre wert, daß auch darüber mehr gesprochen wird, denn sie hat möglicherweise noch viel weiter reichendere Folgen, da sie bereits gegenwärtig Millionen von Menschen erfaßt. Die Erfahrungen mit der Verdorfung in einigen äthiopischen Provinzen können wir wie folgt zusammenfassen: Die Wirkung auf die landwirtschaftlich Produktion ist überwiegend negativ, da die Wege n den neuen Dörfern zu den Feldern zu lang sind und damit weniger Zeit für die Arbeit auf den Feldern bleibt. Die von der Regierung versprochenen Dienstleistungen in den Dörfern, insbesondere auf dem Gebiet des Gesundheitswesens und der Erziehung, konnten wegen Mangels an finanziellen Mitteln nicht eingerichtet werden. Die neuen Dörfer schaffen die siedlungsmäßigen Voraussetzungen für die politische Kontrolle der ländlichen Bevölkerung durch die Regierung und für die Kollektivierung der Landwirtschaft.
Die bisherigen Erfahrungen mit der Umsiedlung von Menschen aus Nordäthiopien in den Westen und Südwesten Äthiopiens sind ebenfalls negativ. Meine Damen und Herren, ich stütze mich hier nicht nur auf eigenes Urteil. Wir haben uns noch gestern die jüngsten Eindrücke und Erfahrungen z. B. eines so engagierten Mannes wie Bob Geldof, der gerade in Äthiopien gewesen ist, aus London durchsagen lassen.
Die Zwangsdeportation hat dominiert. Beim Transport herrschte Brutalität. Die Umsiedlungslager werden durch Armee und Miliz bewacht. Der Aufwand an finanziellen Mitteln und Fachpersonal ist beträchtlich, das ökonomisch-ökologische Potential vieler Neusiedlungsgebiete dagegen noch unerforscht. Die Neusiedler haben beträchtliche Krankheits- und Anpassungsrisiken. Gleichzeitig werden in den Aufnahmegebieten ethnische Minderheiten an den Rand gedrückt. Insgesamt besteht der Eindruck, daß die Umsiedlung den Aufstandsbewegungen die Bevölkerung entziehen soll.
Auf Grund dieser Erfahrungen und absehbaren Risiken ist die Bundesregierung nach wie vor eindeutig gegen die Umsiedlung wie auch gegen die Verdorfung.
Die Rehabilitierung dürregeschädigter Gebiete als Alternative zur Umsiedlung ist von der äthiopischen Regierung bisher noch nicht ernsthaft ins Auge gefaßt worden.
Die Bundesregierung wird gemeinsam mit wichtigen anderen Gebern, insbesondere der Europäischen Gemeinschaft und der Weltbank, der äthiopischen Regierung immer wieder darzulegen und zu erklären versuchen, daß sie im Rahmen ihrer Landwirtschaftspolitik der Kleinbauernförderung Priorität einräumen und die Umsiedlungs- und Verdorfungskampagnen beenden muß, wenn sie einen Beitrag zur Beseitigung der strukturellen Ursachen des Hungers leisten will.
Meine Damen und Herren, ich habe damit klargelegt, weshalb die Zeit der letzten beiden Jahre trotz aller unserer Anstrengungen, die wir unternommen haben, nicht genutzt wurde. Deswegen sage ich zum Schluß: Unter den Bedingungen, die ich hier genannt habe — aber auch nur unter diesen Bedingungen — sind wir jederzeit zur Zusammenarbeit mit der äthiopischen Regierung im Landwirtschaftssektor bereit. Unabhängig von dieser Frage wird die Bundesregierung auch weiterhin humanitäre Soforthilfe in dem Umfang und, in der Form leisten, wie sie die Menschen in Äthiopien benötigen. Die vom Bundesminister Klein in der letzten Woche angekündigte Soforthilfe für Flüchtlinge in Äthiopien war nur ein erster Schritt in diese Richtung. Es wird nicht an unseren Bemühungen fehlen.
Ich danke Ihnen.