Rede von
Sigrid
Folz-Steinacker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer erinnert sich nicht an die schockierenden Bilder und Berichte von Hunger und Elend, die uns während der Dürrekatastrophe in Äthiopien und den übrigen afrikanischen Ländern der Sahelzone 1984, 1985 über die Medien erreichten? Diese Berichterstattung löste weltweit einen Schock aus, ermöglichte aber auch eine gewaltige internationale Hilfsaktion. Dadurch konnten Millionen von Menschen vor dem Hungertod gerettet werden.
3524 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
Frau Folz-Steinacker
Dennoch kam für viele Hungernde jede Hilfe zu spät. Das konnte geschehen, weil insbesondere die äthiopische Regierung zunächst die sich anbahnende Katastrophe nicht eingestehen wollte. Aber auch die internationale Gebergemeinschaft hatte die Situation unterschätzt, obwohl es frühzeitig Hinweise auf die Auswirkungen der Dürreperiode gab. Als dann die massive Hilfsaktion einsetzte, waren erhebliche Transportprobleme und Koordinierungsschwierigkeiten zu überwinden.
Angesichts dieser Erfahrungen sind sich heute alle Verantwortlichen darin einig, daß künftig durch rechtzeitiges Handeln und eine umfassende Vorbereitung und Koordinierung der Hilfsprogramme derartige Gefahren vermieden werden müssen.
Die Welternährungslage hatte sich 1986 insgesamt verbessert, wobei die Entwicklungsländer ihre Agrarproduktion deutlich steigern konnten. Besonders erfreulich war dabei das positive Abschneiden Afrikas, das neben dem Nahen Osten erhebliche Zuwächse erzielen konnte. Statistisch gesehen müßten alle Menschen auf der Erde satt werden können, da weltweit heute mehr Nahrung produziert wird, als die Menschheit zur Mindestversorgung benötigt.
Dieser positiven Entwicklung stehen jedoch auch weiterhin strukturelle Nahrungsmitteldefizite vieler Entwicklungsländer und eine wachsende Zahl unterernährter Menschen in diesen Ländern gegenüber. Die Zahl der Hungernden und Unterernährten auf der Welt beträgt laut FAO gegenwärtig zirka 512 Millionen. Meine Damen und Herren, das sind 512 Millionen Menschen zuviel.
Nach den vorliegenden Berichten aus Äthiopien hatte sich Ende 1987 die Ernährungslage in diesem Land, besonders in den nördlichen und den östlichen Provinzen, infolge des fast vollständigen Ernteausfalls ganz dramatisch verschlechtert. Es muß befürchtet werden, daß hier erneut eine Hungerkatastrophe droht, die noch größere Ausmaße als in den Jahren 1984, 1985 erreichen könnte. Und Hunger tut weh. Das haben wir hoffentlich bis heute noch nicht vergessen.
Nach inoffiziellen Angaben beträgt die Zahl der vom Hungertod bedrohten Menschen sogar 7 bis 8 Millionen. Bei diesen Meldungen stellt sich ganz zwangsläufig die Frage nach den Gründen dieser erneuten Katastrophe. Fehlende Niederschläge, aber auch die von der äthiopischen Regierung vorgenommene Kollektivierung des bäuerlichen Besitzes sowie gewaltsame Umsiedlungs- und Verdorfungsprogramme spielen hierbei eine ganz, ganz große Rolle.
Die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP haben mit ihrem Antrag Ernährungssicherung in Hungerregionen vom 14. Oktober 1987 auf Grund sich abzeichnender Ernährungskrisen in Äthiopien und in den anderen Regionen dieser Welt, wie ich hoffe, frühzeitig die Initiative ergriffen. Auf Grund der besonders dringlichen und sich fast dramatisch zuspitzenden Situation in Äthiopien haben sich alle vier — ich betone: alle vier — im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen darüber hinaus auf einen
interfraktionellen Antrag Ernährungssituation in Äthiopien geeinigt, in dem die Bundesregierung zur Durchführung eines umfangreichen Sofortprogramms sowie längerfristiger Maßnahmen zur Ernährungssicherung in Äthiopien aufgefordert wird.
Die damit deutlich gewordene Gemeinsamkeit aller Fraktionen in dieser entscheidenden humanitären Frage, in der es um das Überleben von Millionen Menschen geht, möchte ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich begrüßen.
Bemerkenswert sind an diesem Antrag auch die darin festgelegten politischen und organisatorischen Grundsätze für das Hilfsprogramm. Ich habe versprochen zu kürzen. Deswegen lese ich das nicht vor; Sie finden es in dem Antrag.
Meine Damen und Herren, immer dann, wenn in den Ländern der Dritten Welt Notsituationen in der Ernährung auftreten, spielen dabei Naturereignisse eine ganz große Rolle. Es wäre jedoch falsch, wenn wir nur darin die Hauptursachen für Hunger und Armut in den Entwicklungsländern sehen würden.
Lassen Sie mich daher einmal die aus meiner Sicht häufigsten Ursachen aufführen.
Erstens. Zu den klimatischen Ursachen gehören und gehörten natürlich die wiederholt auftretenden Dürreperioden, z. B. in der Sahel-Zone. Eine Ausdehnung der Wüsten und damit die Verringerung landwirtschaftlich nutzbarer Fläche beruht jedoch nicht nur auf einer anhaltenden Dürre, sondern vor allem auf der extremen Ausbeutung des Bodens, seiner Überlastung mit Vieh, schlechter Bewässerung und der, wie man sagen kann, unkontrollierten Abholzung.
Zweitens. Hohes Bevölkerungswachstum frißt das wirtschaftliche Wachstum auf, verhindert Entwicklung und macht Armut und Hunger zum Dauerzustand.
Drittens. Eine verfehlte Landwirtschaftspolitik ist außerdem in vielen Entwicklungsländern für die anhaltende Produktionskrise in der Landwirtschaft verantwortlich. Die Ausschöpfung des natürlichen Produktionspotentials wird häufig durch unzureichende preisliche Produktionsanreize, leistungshemmende Agrarverfassungen, schwache Markt-, Finanzierungs- und Infrastrukturen, die Vernachlässigung und vielfach Benachteiligung der Landwirtschaft — insbesondere der Kleinbauern — sowie durch eine einseitige Begünstigung des industriellen Sektors und durch überbewertete Wechselkurse verhindert.
Viertens. Ungünstige Betriebsstrukturen — ich kann Ihnen das leider nicht ersparen; es ist sehr wichtig, daß ich das hier vortrage —
durch eine sozial und wirtschaftlich ungerechte Verteilung der Produktionsfaktoren und Produktionsergebnisse.
Fünftens. Politische Krisen, die sich in bewaffneten Auseinandersetzungen äußern, riesige Flüchtlingsströme verursachen und zu Hungersituationen führen. Das hat meine Kollegin schon richtig ausgeführt.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3525
Frau Folz-Steinacker
Sie sehen: Wir haben wirklich einen Antrag zusammengestellt, der von allen vier Fraktionen getragen wird.
Sechstens. In vielen Entwicklungsländern geht ein großer Teil der erzeugten Nahrungsmittel durch falsche Behandlung, unsachgemäße Lagerung sowie Schädlinge verloren. Es ist daher auch eine Notwendigkeit, Maßnahmen zur Verringerung dieser vermeidbaren Verluste zu unterstützen. Diese Verluste sind wirklich vermeidbar; nur müßten wir da etwas tun.
Die FDP-Fraktion, meine Damen und Herren, begrüßt die Hilfe der Bevölkerung, das Engagement der nichtstaatlichen Trägerorganisationen sowie die Anstrengungen von Bundesregierung und multilateralen Institutionen bei der Bekämpfung des Hungers in Afrika und natürlich auch in anderen Regionen dieser Welt.
Nahrungsmittelhilfe ist jedoch nur zur kurzfristigen Bekämpfung extremer Notsituationen geeignet.
Wir müssen darauf achten, daß Nahrungsmittelhilfe nicht zur Dauereinrichtung wird. Vor allem darf Nahrungsmittelhilfe nicht die einheimischen landwirtschaftlichen Anstrengungen unterlaufen, und sie sollte auch nicht an Überschüssen der Geberländer orientiert sein.
— Ich freue mich, daß Sie alle mit mir zufrieden sind.
Wir wissen, daß die Mehrzahl der armen und an chronischer Unterernährung leidenden Menschen in den Entwicklungsländern auf dem Land lebt. Daher kommt der Förderung der Landwirtschaft und der Entwicklung des ländlichen Raumes in den Ländern der Dritten Welt eine ganz besondere Bedeutung zu.
Für uns Liberale steht fest: Nur wenn wir die Selbsthilfekräfte aller am Entwicklungsprozeß Beteiligten mobilisieren, günstige Rahmenbedingungen für eine kleinbäuerliche Landwirtschaft schaffen, den Abbau staatlicher Eingriffe in die Preisbildung und Funktionsweise der Märkte und einen Abbau ineffizienter wirtschaftlicher Aktivitäten des Staates erreichen, werden wir Fortschritte bei der Beseitigung von Hunger und Armut in den Ländern der Dritten Welt erzielen.
Wir müssen unsere Partner in der Dritten Welt in einem ganz sachlichen Dialog von den Notwendigkeiten dieser unserer Politik überzeugen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat bei der Verfolgung dieser Ziele unsere ganze Unterstützung.
— Um den Kollegen Holtz noch einmal zu verstärken: und unseren Druck. Wir passen da sehr genau auf.
Meine Damen und Herren, die FDP-Bundestagsfraktion bittet die Mitglieder dieses Hohen Hauses,
den vorliegenden Anträgen der Koalitionsfraktion „Ernährungssicherung in Hungerregionen" sowie dem interfraktionellen Antrag „Ernährungssituation in Äthiopien" zuzustimmen.
Danke.