Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei Vorlagen sind in verbundener Debatte zu behandeln: erstens „Ernährungssicherung in Hungerregionen", zweitens „Ernährungssituation in Äthiopien", drittens „Nahrungsmittelhilfe an Äthiopien" . Der letztgenannte Antrag hat sich durch die Rücknahme durch die Fraktion DIE GRÜNEN erledigt, weil er in dem Antrag „Ernährungssituation in Äthiopien", von allen Fraktionen dieses Hauses eingebracht, aufgeht.
Zur Sache: Bevorstehende Hungerkatastrophen in verschiedenen Teilen der Welt waren für die Fraktionen von CDU/CSU und FDP Anlaß, die Ernährungssituation hier rechtzeitig in Erinnerung zu rufen und darüber zu diskutieren.
In Indien, dem Sahel-Raum, in Äthiopien haben mangelnde Regenfälle die Ernteerwartungen erheblich reduziert, in Ostindien und Bangladesch haben riesige Überschwemmungen die Nahrungsmittelproduktion vermindert. In Angola und noch mehr in Mosambik gefährden die Bürgerkriegssituationen die Versorgung der Bevölkerung mit Ernährungsgütern. Trotz unterschiedlicher Ursachen ist den Situationen in Afrika und Asien eines gemeinsam: Die Katastrophe ist unvermeidbar.
Die noch verbleibende Zeit muß intensiv genutzt werden, um alles Menschemögliche zu tun, um das Ausmaß der Katastrophen so gering wie möglich zu halten. Die Bevölkerung und alle in Politik und Gesellschaft Verantwortlichen sind vorgewarnt.
Die westliche Gebergemeinschaft — und damit auch die Bundesrepublik Deutschland — leistet humanitäre Hilfe für die bedrohten Menschen ohne Ansehen ihrer Religion, Volkszugehörigkeit und politischen Überzeugung.
An dieser Stelle möchte ich ganz herzlich all den Bürgern und Organisationen danken, die in den vergangenen Jahren bei Katastrophen geholfen haben, durch Geldspenden und persönlichen Einsatz, z. B. beim Technischen Hilfswerk, der Bundeswehr, kirchlichen und privaten Hilfswerken.
In diesen Tagen höre ich, daß mehrere Hilfsorganisationen und die beiden Kirchen um erneute Spenden
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3521
Höffkes
bitten. Ich hoffe, besser: ich bin mir dessen bewußt, daß unsere Mitbürger den Ruf hören und wieder zu spenden bereit sind, wie vor drei Jahren, als der Aufruf zum sogenannten „Tag für Afrika" über 120 Millionen DM an Spenden erbrachte.
Wenn den bedrohten Menschen geholfen werden soll, muß rechtzeitig Vorsorge getroffen werden. Deshalb bitten wir den Bundestag, die Bundesregierung aufzufordern, ein Notprogramm humanitärer Hilfe zu erarbeiten und dieses mit den westlichen Geberländern der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinten Nationen zu koordinieren.
Es sind aber auch Forderungen an die Regierungen der bedrohten Staaten zu stellen. Humanitäre Hilfe bedarf gewisser Grundsätze und der aktiven Unterstützung der Regierungen der Katastrophengebiete. Insbesondere muß der freie und ungefährdete Zugang zu den bedürftigen Bevölkerungsgruppen gewährt werden, und zwar ohne Ansehen ihrer ethnischen und religiösen Bindungen oder ihrer politischen Einstellung. Auch sollte in den von Hungersnot bedrohten Ländern die Bevölkerung aktiv an Planung, Durchführung und Kontrolle der Hilfsmaßnahmen mitwirken. Fluchtbewegungen sollten, wenn eben möglich, verhindert werden. Es ist besser, die von Hunger bedrohten Menschen durch Food-for-Work-, also Brotfür-Arbeit- Programme in ihrer angestammten Umgebung zu halten und in Projekten zu beschäftigen, die geeignet sind, zukünftige Katastrophen zu verhindern oder doch zumindest zu mildern.
Zu den weiteren Forderungen, auf die ich wegen der Kürze der Zeit nicht eingehen kann, darf ich auf den Inhalt des Koalitionsantrags und die Beschlußempfehlung des Ausschusses verweisen.
Ich muß aber noch wenige Worte über Äthiopien verlieren: Schon aus Länge und Umfang dieses von allen Parteien getragenen Antrags ist ersichtlich, daß es sich hier um eine besondere Situation handelt. Ich bedanke mich bei allen Damen und Herren Kollegen, die am Zustandekommen des Antrags mitgewirkt haben, für die konstruktiven Beiträge.
In Äthiopien haben wir bei der letzten Hungerkatastrophe 1984/85 besonders negative Erfahrungen bei vielen Hilfsmaßnahmen machen müssen. Zuerst hat die Regierung die beginnende Katastrophe quasi verheimlicht, so daß Hilfe nicht rechtzeitig einsetzen konnte. Im Verlauf der Hilfsmaßnahmen traten immer wieder politische Behinderungen auf, die es in Teilbereichen unmöglich machten, der Bevölkerung zu helfen. Bürgerkrieg und Umsiedlungsaktionen der äthiopischen Regierung haben humanitäre Hilfe behindert. Nach vorsichtigen Schätzungen sind fast 2 Millionen Menschen Opfer der Katastrophe geworden. Auf Grund der geographischen Umstände und der schlechten Infrastruktur des Landes ergaben sich bei der Durchführung des Programms große Transportprobleme, die den Einsatz schwerster Lkw verlangten und in entlegenen Gebieten den aufwendigen Lufttransport von Nahrungsmitteln erforderlich machten.
Die humanitäre Hilfe der Bundesregierung wurde über verschiedenste Träger abgewickelt. Multilateral wurden die Hilfsprogramme von UNHCR, UNICEF und IKRK mitfinanziert. Bilateral wurden die deutschen Hilfsorganisationen DRK, Diakonisches Werk, Caritasverband, Care, Deutsche Welthungerhilfe, Menschen für Menschen und Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt in ihren Äthiopienprogrammen unterstützt. Aber auch ganz mittelbar wurde die Bundesregierung über ihre Botschaft, die Bundeswehr — hier: die Luftwaffe — und das Technische Hilfswerk — des BMI — tätig. So flog die Luftwaffe allein 1984 266 Einsätze mit 808 Flugstunden für die Nahrungsmittelverteilung, und das THW leistete bei der Instandsetzung von Kraftfahrzeugen 1984/85 3 186 Helfertage.
Der materielle Einsatz lag schwerpunktmäßig bei der Lieferung von Lkw mit Ersatzteilen, Nahrungsmitteln in Form spezieller Proteinnahrung, Bekleidung, Decken, Zelten, Medikamenten und Säcken für den Abwurf von Lebensmitteln. Die Frachtkosten für die Lieferung dieser Hilfsgüter machten einen erheblichen Wert aus.
Jetzt sind in Äthiopien erneut fünf bis sieben Millionen Menschen dem Hunger ausgesetzt. Tausende sind bereits zu den ehemaligen Nahrungsmittelverteilungszentren gewandert. Allein im Koram, 430 Kilometer nördlich von Addis Abeba, sind 12 000 Hungernde aus der Region im Hungerlager. Die ersten Überfälle eritreischer Aufständischer auf Nahrungsmitteltransporte haben schon stattgefunden, bedauerlicherweise. Nahrungsmittelflüge beginnen. Bedroht ist insbesondere die Bevölkerung in der Nordregion Eritrea: Wollo und Tigre. Nahrungsmittelhilfe für das ganze Jahr wird erforderlich sein.
Es gäbe noch vieles aus eigenem Erleben zu berichten. Ich muß aber mit der herzlichen Bitte an die Bundesregierung schließen, sie möge zusammen mit allen Geberländern darauf hinwirken, daß die Regierung Äthiopiens und die Bürgerkriegsgruppen ihre politischen Auseinandersetzungen nicht auf dem Rücken der Menschen austragen und damit zusätzlich zur Naturkatastrophe und einer falschen Wirtschafts- und Landwirtschaftspolitik Millionen ihrer Bürger verhungern.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich bitte dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP „Ernährungssicherung in Hungerregionen" zuzustimmen, und zwar in der Ausschußfassung. Desgleichen bitte ich um Zustimmung zu dem interfraktionellen Antrag „Ernährungssituation in Äthiopien" .
Ich bedanke mich.