Rede von
Robert
Leidinger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Würzbach, genau das hat der Kollege Heistermann nicht getan.
Er hat ausdrücklich zwischen dem, was in der Bundeswehr zu würdigen ist, und dem, was auch konkret anzusprechen ist, getrennt, nicht mehr und nicht weniger.
Jetzt möchte ich gerne fortfahren oder, wenn es geht, überhaupt einmal anfangen.
— Herr Biehle, Sie werden noch zu Wort kommen. Es gibt auch noch andere Gelegenheiten.
Frau Schilling, eines muß ich schon sagen: Ihre Bemerkungen sind manchmal herzerfrischend, aber in der Sache gehen sie wirklich an den Themen vorbei. Da haben Sie leider Gottes keine Ahnung. Aber damit möchte ich mich nicht weiter aufhalten.
Ich möchte eine Vorbemerkung machen. Der Bundestag sollte über einen Bericht, der im März des Jahres vorgelegt wird, nicht erst zu Weihnachten debattieren.
Aus dieser Praxis könnte in der Öffentlichkeit ein Stellenwert herausgelesen werden, den wir so nicht wollen.
Mein Vorschlag: In dieser Hinsicht sind gute Vorsätze für das neue Jahr am Platze.
Meine Damen und Herren, wer wie ich die Bundeswehr von außen und von innen kennt, weiß, daß ihr Ruf teils besser, teilweise aber auch schlechter als ihr tatsächlicher Zustand ist. Übertriebene Sorgen brauchen wir uns um die Streitkräfte heute nicht zu machen. Aber neben den hausgemachten Schwierigkeiten und den offenkundigen Versäumnissen der derzeitigen politischen Führung gibt es zunehmend Probleme, die dringend einer Lösung bedürfen. Dies gilt für offene Fragen zur demokratischen Entwicklung der Armee genauso wie für neue Aufgabenstellungen und zukünftige Strukturen. Hier läßt die Bundesregierung die Soldaten warten, ja ich möchte sagen: eigentlich im Stich. Das ständige Verschieben überfälliger Entscheidungen — von der Dienstzeitregelung über die zukünftige Streitkräftestruktur bis hin zur Reservistenkonzeption — demotiviert und verunsichert aktive Soldaten und die Reservisten.
Herr Bundesminister, ich bin eigentlich empört darüber, daß Sie heute nachmittag einem kranken Admiral und dem Heer pauschal die Verantwortung dafür zuschieben, daß Sie die Planungskonferenz, die für den 17. Dezember dieses Jahres in Ihrem Hause vorgesehen war, heute wieder einmal haben platzen lassen. Das bestätigt genau diese Hinhalte- und Schiebetaktik, von der ich gerade gesprochen habe.
Hinzu kommen als weiterer Ballast eine ständige Überfrachtung mit zusätzlichen Aufgaben aus über 30jährigem Routinedienstbetrieb und viele bürokratisch angehäufte Hemmnisse, die zu Mühlsteinen der Effizienz geworden sind. Zunehmend kommen persönliche Ängste und Sorgen hinzu. Dies alles hinterläßt Spuren im inneren Gefüge der Armee.
Ich möchte allerdings ausdrücklich anerkennen, daß in unserer Bundeswehr viele qualifizierte Offiziere und Unteroffiziere Dienst tun. Sie sorgen immer noch mit Engagement für einen hohen Leistungsstand, die entsprechende Motivation und eine zeitgemäße Menschenführung in der Truppe.
— Das sage ich ja. Das will ich auch so dargestellt wissen. Das sage ich auch mit aller Betonung, Herr Kollege Würzbach. Aber die Medaille hat auch eine Kehrseite, und diese darf weder zerredet noch verharmlost werden. Diese Kehrseite zeigt im Bereich der Inneren Führung leider immer noch deutliche Defizite auf. Nach 32 Jahren Bundeswehr sind das keine Geburtsfehler mehr. Heute sind dies entweder Systemfehler, oder es ist schlicht anhaltend falsches Führungsverhalten. Dies darf weder bagatellisiert noch sollte es dramatisiert werden.
Vielmehr ist eine konsequente Korrektur der auftretenden Mißstände notwendig.
Es reicht uns Sozialdemokraten — Herr Wehrbeauftragter, ich muß Sie hier persönlich ansprechen —
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3507
Leidinger
nicht, wenn Sie in der Stellungnahme des Beirats für Fragen der Inneren Führung beim Ansprechen von Grundrechtsverletzungen damit zitiert werden, daß Sie — so wörtlich — mehr Licht als Schatten sehen.
Das sprichwörtliche Bild von Licht und Schatten ist so nicht hinnehmbar. Wenn die Bundeswehr eine wohlgeführte Armee ist — und das will ich ihr insgesamt ausdrücklich bescheinigen — , darf es diese Schatten heute nicht mehr geben. Schatten, die Jahr für Jahr exemplarisch nachweisen, daß es bei der Umsetzung der Grundsätze der Inneren Führung doch immer noch deutliche Defizite gibt: Bei der Menschenführung, bei der Fürsorge, in der praktischen Ausbildung und beim Umgang miteinander und untereinander, also bei dem, was man allgemein „Betriebsklima" nennt.
Meine Damen und Herren, es gibt deutliche Anzeichen dafür, daß der Ton insgesamt rüder, der Umgang hemdsärmeliger und auch das Führungsverhalten von Vorgesetzten teilweise rücksichtsloser werden. Bilden sich hier, nicht nur bei den Wehrpflichtigen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Subkulturen in den Streitkräften, die wir so nicht hinnehmen können?
Wir Sozialdemokraten erwarten hier von der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr konsequentes Handeln.
Auch wenn der Herr Wehrbeauftragte im Bereich der Grundrechtsverletzungen, also bei den sogenannten Schindereien und Schikanen, bei über 8 000 Fällen von nur 3 % spricht, stellt sich für uns trotzdem die Frage: Ist dies tatsächlich alles oder nur die berühmte Spitze des Eisberges? Wie hoch ist dann die Dunkelziffer? Es wird sie geben. Ich möchte das, wie ich schon angesprochen habe, nicht dramatisieren, aber deutlich feststellen.
Lassen Sie mich dazu bitte ein Beispiel nennen, auch wenn Sie, Herr Wehrbeauftragter, darauf verzichtet haben. Ich muß es nennen, weil es mich betroffen gemacht hat. Was würden Sie sagen, meine Damen und Herren, wenn Ihr Sohn in die Kaserne zur Grundausbildung käme und dort durch seinen Zugführer mit der schwachsinnigen Bemerkung begrüßt würde: Meine Freunde nennen mich Stinky, aber ich habe keine Freunde. — Das ist so geschehen in einer Einheit in Niederbayern, wo die Welt doch angeblich noch in Ordnung ist. Das ist so geschehen in einer Kompanie, in der offensichtlich, Herr Biehle, durch ein völlig überzogenes Elitedenken seit Jahren eine Wehrpflichtigengeneration nach der anderen schikaniert wurde.
Der Herr Wehrbeauftragte hat diesen Fall vor wenigen Tagen persönlich überprüft, und ich danke ihm dafür.
Ich möchte in kurzen Auszügen den Leserbrief eines ehemaligen Soldaten zitieren, der in diesen Tagen in der „Passauer Neuen Presse" veröffentlicht wurde. Er macht mich betroffen.
Mit großer Genugtuung lese ich diesen Bericht, denn ich dachte immer, die Gemeinheiten der Luftlander werden immer verborgen bleiben. Denn es kann sich nur der vorstellen, der wie ich
dort seinen Wehrdienst abgeleistet hat, wie menschenunwürdig man dort behandelt wird.
An anderer Stelle heißt es, ich zitiere wiederum
— Herr Biehle, es wäre ja Gelegenheit gegeben, mit Herrn Heistermann den Besuch zu machen, den Sie ja für nächstes Jahr angekündigt haben;
— bitte schön, fragen Sie den Herrn Wehrbeauftragten —:
Es bleibt zu hoffen, daß jetzt ernsthafte Konsequenzen gezogen werden, daß diejenigen, die jetzt drinnen sind, und die, die später reinkommen, eine schönere Wehrzeit haben als wir.
Meine Damen und Herren, ich will dies ganz bewußt nicht verallgemeinern, aber ich will das aus einer persönlichen Betroffenheit heraus ansprechen. Wir erwarten deshalb von Ihnen, Herr Bundesminister, daß Sie die vorhandenen und starken Selbstreinigungskräfte der Bundeswehr auffordern, die Kräfte der Restauration endlich zurückzudrängen.
Es sind schließlich unsere Kinder, die in die Kasernen gehen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen Bereich ansprechen, der mir als Sozialdemokrat besonders wichtig ist. Ich meine das, was man als Tradition und Traditionspflege versteht. Die Absicht des Bundesministers der Verteidigung, einen neuen Traditionserlaß durchzusetzen, ist ja, Gott sei Dank, vor Jahren schon gründlich schiefgegangen. Der Beirat zu Fragen der Inneren Führung hat sich dazu ja sehr deutlich geäußert.
Bis heute wurden die erlassenen Richtlinien offziell nie geändert. Unterschwellig aber wird in der Praxis ein neues Denken spürbar — das kann ich auf Grund von vielen Beispielen berichten — , ein Denken, das konservativ, ja restaurativ ist und das sich zunehmend auf rein militärische Tugenden beschränkt. Ein verengtes Denken, das Verhaltensweisen von Soldaten im Zweiten Weltkrieg militärisch verherrlicht, ohne es politisch zu werten. Beispiele dafür gibt es auch in jüngster Zeit genug; der Kollege Heistermann hat zwei angesprochen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, für mich sind auch Offiziersheime wirklich nicht dazu da, neue Bücher über Ritterkreuzträger des Zweiten Weltkriegs vor 200 Ehrengästen zu präsentieren.
Das kann doch nicht die Tradition unserer Bundeswehr sein!
Soldatische Tugenden haben zweifellos ihren Stellenwert, sie sind den Grundwerten unserer Gesellschaft aber absolut unterzuordnen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch zwei Themen ansprechen.
Erstens: die Dienstzeitbelastung und ihre Regelung.
Die Bundeswehr bewirtschaftet ihre Ressourcen nach Richtlinien. Das gilt für das Material, das Geld und für Verbrauchsgüter wie Betriebsstoffe, Ersatz-
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teile und Munition. Nur eines bewirtschaftet sie nicht: die Zeit ihrer Soldaten. Im Gegenteil, es ist üblich, Schwierigkeiten, Engpässe oder Sonderaufgaben durch Personal und den Faktor Zeit zu regeln.
— Ja, das ist alles richtig, Herr Kollege Würzbach. Es ist besser, aber da ist noch viel zu tun.
Der Soldat wird zur disponiblen Verfügungsmasse. Dies macht die Armee auf Dauer kaputt, und es schadet, wie wir wissen, ihre Attraktivität für die kommenden schwierigen Jahre. Wir Sozialdemokraten forden deshalb die gesetzliche 40-Stunden-Woche für die Bundeswehr. Notwendiger Zusatzdienst muß voll durch Freizeit und notfalls durch Bezahlung ausgeglichen werden.
Wir werden dazu übrigens einen Gesetzentwurf einbringen.