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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/49 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 49. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 Inhalt: Nachruf auf das verstorbene Mitglied des Deutschen Bundestages Dr. h. c. Peter Lorenz 3399 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 3399C, 3440 D Absetzung des Punktes 20a von der Tagesordnung 3400 A Tagesordnungspunkt 16: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Die Reform der Strukturfonds (Drucksachen 11/929 Nr. 2.3, 11/1209) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Mitteilung der Kommission über die Haushaltsdisziplin (Drucksachen 11/929 Nr. 2.2, 11/1211) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Zweite Änderung des Vorschlags für eine Verordnung (EGKS — EWG — EURATOM) des Rates zur Änderung der Haushaltsordnung vom 21. Dezember 1977 für den Haushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (Drucksachen 11/929 Nr. 2.5, 11/1212) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Sitzung des Europäischen Rates am 29./30. Juni 1987 in Brüssel (Drucksachen 11/523, 11/1293) Dr. Kohl, Bundeskanzler 3400 C Dr. Vogel SPD 3406 D Rühe CDU/CSU 3412D Dr. Mechtersheimer GRÜNE 3418D Mischnick FDP 3421 B Frau Wieczorek-Zeul SPD 3424 B Frau Geiger CDU/CSU 3427 A Frau Beer GRÜNE 3429 C Genscher, Bundesminister AA 3432 B Dr. Spöri SPD 3435 D Bohl CDU/CSU 3438 C Erler SPD 3441A Lintner CDU/CSU 3442 C Frau Flinner GRÜNE 3444 B Frau Würfel FDP 3445 D Dr. Gautier SPD 3447 B Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 3449 C Brück SPD 3451A Becker (Nienberge) SPD (zur GO) 3452 B Seiters CDU/CSU (zur GO) 3452 C Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) 3452 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10, Dezember 1987 Namentliche Abstimmung 3454 A Ergebnis 3482 D Tagesordnungspunkt 17: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Kohlevorrangpolitik (Drucksache 11/958) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung Zustimmungsbedürftige Verordnung über den Prozentsatz der Ausgleichsabgabe nach dem Dritten Verstromungsgesetz für das Jahr 1988 (Drucksachen 11/1350, 11/1446) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung des Antrags des Abgeordneten Stratmann und der Fraktion DIE GRÜNEN: Umbaukonzept für die heimische Steinkohle (Drucksache 11/1476) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerstein, Wissmann, Dr. Lammert, Müller (Wadern) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Baum, Beckmann, Dr. Graf Lambsdorff, Dr. Hirsch, Dr. Hoyer, Dr.-Ing. Laermann, Möllemann, Frau Würfel und der Fraktion der FDP: Förderung der deutschen Steinkohle (Drucksache 11/1485) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Solidarität mit dem Widerstand der Bergleute und Stahlarbeiter gegen Arbeitsplatz- und Standortvernichtung (Drucksache 11/1511) Meyer SPD 3455 B Gerstein CDU/CSU 3458 C Stratmann GRÜNE 3460 C Beckmann FDP 3463 A Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 3464 C Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 3468A, 3478 C Schreiber CDU/CSU 3472 A Jung (Düsseldorf) SPD 3473 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 3475A, 3478 D Hinsken CDU/CSU 3476 B Dr. Lammert CDU/CSU 3479 A Namentliche Abstimmungen 3479D, 3480A Ergebnisse 3484B, 3485 D Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung empfängnisverhütender Mittel durch die Krankenkassen (Drucksache 11/597) Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 3480 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 3488 A Kirschner CDU/CSU 3489 B Frau Würfel FDP 3490 C Vogt, Parl. Staatssekretär BMA 3491 C Tagesordnungspunkt 19: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 1986 (Drucksachen 11/42, 11/1131) Weiskirch, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 3492 A Heistermann SPD 3494 B Breuer CDU/CSU 3498 A Frau Schilling GRÜNE 3501 B Nolting FDP 3503 C Leidinger SPD 3505 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg 3509 B Leidinger SPD (Erklärung nach § 30 GO) 3512B Vizepräsident Cronenberg 3510D, 3512 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1988 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1988) (Drucksachen 11/1000, 11/1431) Niegel CDU/CSU 3512D, 3520A Müller (Pleisweiler) SPD 3514 B Funke FDP 3516B Sellin GRÜNE 3517 B Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär BMWi 3518 C Pfuhl SPD 3519 B Tagesordnungspunkt 20 b: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Ernährungssicherung in Hungerregionen (Drucksachen 11/946, 11/1501) in Verbindung mit Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 III Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN: Ernährungssituation in Äthiopien (Drucksache 11/1482) Höffkes CDU/CSU 3520 C Frau Eid GRÜNE 3521 D Frau Folz-Steinacker FDP 3523 D Großmann SPD 3525 C Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär BMZ 3527 A Nächste Sitzung 3528 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 3529* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3399 49. Sitzung Bonn, den 10. Dezember 1987 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 48. Sitzung, Seite IV, linke Spalte: Statt „ZusFr Frau Bulmahn GRÜNE" ist „ZusFr Frau Bulmahn SPD" zu lesen. Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 11. 12. Dr. Ahrens * 11. 12. Andres 11. 12. Bahr 11. 12. Frau Becker-Inglau 11. 12. Frau Beck-Oberdorf 11. 12. Frau Blunck * 11. 12. Böhm (Melsungen) * 11. 12. Frau Brahmst-Rock 11. 12. Brandt 10. 12. Dr. Briefs 11. 12. Büchner (Speyer) * 11. 12. Dr. von Bülow 11. 12. Frau Fischer * 11. 12. Dr. Friedrich 11. 12. Frau Ganseforth 11. 12. Dr. von Geldern 10. 12. Glos 11. 12. Dr. Glotz 11. 12. Grünbeck 11. 12. Haack (Extertal) 11. 12. Frau Dr. Hellwig 11. 12. Frau Hoffmann (Soltau) 11. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Hürland-Büning 11. 12. Jaunich 10. 12. Frau Kelly 11. 12. Kittelmann * 11. 12. Kolb 11. 12. Kreuzeder 11. 12. Lemmrich * 11. 12. Frau Luuk * 11. 12. Dr. Mahlo 11. 12. Marschewski 11. 12. Dr. Mertens (Bottrop) 11. 12. Dr. Möller 11. 12. Dr. Müller * 11. 12. Dr. Neuling 11. 12. Frau Oesterle-Schwerin 11. 12. Frau Olms 11. 12. Oswald 11. 12. Petersen 11. 12. Poß 10. 12. Rauen 11. 12. Dr. Schmude 10. 12. von Schmude 11. 12. Schröer (Mülheim) 10. 12. Schulze (Berlin) 11. 12. Frau Seuster 11. 12. Frau Dr. Timm * 11. 12. Frau Trenz 11. 12. Frau Vennegerts 11. 12. Dr. Warnke 11. 12. Wieczorek (Duisburg) 11. 12. Würtz 11. 12.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Robert Leidinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Auch als Abgeordnetem, natürlich.


Rede von Peter Kurt Würzbach
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Leidinger, ich bedanke mich und frage Sie: Wie beurteilen Sie es als ein Mitglied des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, als ein Mann, der die Bundeswehr kennt, wenn hier von dem Sprecher einer Partei im Deutschen Bundestag an Hand von einigen wenigen zu verurteilenden und nicht zu leugnenden Beispielen pauschal alle Soldaten in der Bundeswehr, besonders alle Vorgesetzten, in einer unfairen, unrichtigen und undemokratischen Form verurteilt werden? Uns interessiert, wie Sie das beurteilen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Robert Leidinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Kollege Würzbach, genau das hat der Kollege Heistermann nicht getan.

    (Würzbach [CDU/CSU]: Er hat es getan!)

    Er hat ausdrücklich zwischen dem, was in der Bundeswehr zu würdigen ist, und dem, was auch konkret anzusprechen ist, getrennt, nicht mehr und nicht weniger.
    Jetzt möchte ich gerne fortfahren oder, wenn es geht, überhaupt einmal anfangen.

    (Biehle [CDU/CSU]: Er hat doch gesagt: systematisch!)

    — Herr Biehle, Sie werden noch zu Wort kommen. Es gibt auch noch andere Gelegenheiten.
    Frau Schilling, eines muß ich schon sagen: Ihre Bemerkungen sind manchmal herzerfrischend, aber in der Sache gehen sie wirklich an den Themen vorbei. Da haben Sie leider Gottes keine Ahnung. Aber damit möchte ich mich nicht weiter aufhalten.
    Ich möchte eine Vorbemerkung machen. Der Bundestag sollte über einen Bericht, der im März des Jahres vorgelegt wird, nicht erst zu Weihnachten debattieren.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Aus dieser Praxis könnte in der Öffentlichkeit ein Stellenwert herausgelesen werden, den wir so nicht wollen.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Mein Vorschlag: In dieser Hinsicht sind gute Vorsätze für das neue Jahr am Platze.
    Meine Damen und Herren, wer wie ich die Bundeswehr von außen und von innen kennt, weiß, daß ihr Ruf teils besser, teilweise aber auch schlechter als ihr tatsächlicher Zustand ist. Übertriebene Sorgen brauchen wir uns um die Streitkräfte heute nicht zu machen. Aber neben den hausgemachten Schwierigkeiten und den offenkundigen Versäumnissen der derzeitigen politischen Führung gibt es zunehmend Probleme, die dringend einer Lösung bedürfen. Dies gilt für offene Fragen zur demokratischen Entwicklung der Armee genauso wie für neue Aufgabenstellungen und zukünftige Strukturen. Hier läßt die Bundesregierung die Soldaten warten, ja ich möchte sagen: eigentlich im Stich. Das ständige Verschieben überfälliger Entscheidungen — von der Dienstzeitregelung über die zukünftige Streitkräftestruktur bis hin zur Reservistenkonzeption — demotiviert und verunsichert aktive Soldaten und die Reservisten.
    Herr Bundesminister, ich bin eigentlich empört darüber, daß Sie heute nachmittag einem kranken Admiral und dem Heer pauschal die Verantwortung dafür zuschieben, daß Sie die Planungskonferenz, die für den 17. Dezember dieses Jahres in Ihrem Hause vorgesehen war, heute wieder einmal haben platzen lassen. Das bestätigt genau diese Hinhalte- und Schiebetaktik, von der ich gerade gesprochen habe.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Hinzu kommen als weiterer Ballast eine ständige Überfrachtung mit zusätzlichen Aufgaben aus über 30jährigem Routinedienstbetrieb und viele bürokratisch angehäufte Hemmnisse, die zu Mühlsteinen der Effizienz geworden sind. Zunehmend kommen persönliche Ängste und Sorgen hinzu. Dies alles hinterläßt Spuren im inneren Gefüge der Armee.
    Ich möchte allerdings ausdrücklich anerkennen, daß in unserer Bundeswehr viele qualifizierte Offiziere und Unteroffiziere Dienst tun. Sie sorgen immer noch mit Engagement für einen hohen Leistungsstand, die entsprechende Motivation und eine zeitgemäße Menschenführung in der Truppe.

    (Würzbach [CDU/CSU]: Die ganz große Mehrheit ist das!)

    — Das sage ich ja. Das will ich auch so dargestellt wissen. Das sage ich auch mit aller Betonung, Herr Kollege Würzbach. Aber die Medaille hat auch eine Kehrseite, und diese darf weder zerredet noch verharmlost werden. Diese Kehrseite zeigt im Bereich der Inneren Führung leider immer noch deutliche Defizite auf. Nach 32 Jahren Bundeswehr sind das keine Geburtsfehler mehr. Heute sind dies entweder Systemfehler, oder es ist schlicht anhaltend falsches Führungsverhalten. Dies darf weder bagatellisiert noch sollte es dramatisiert werden.

    (Würzbach [CDU/CSU]: Noch pauschaliert!)

    Vielmehr ist eine konsequente Korrektur der auftretenden Mißstände notwendig.

    (Beifall bei der SPD)

    Es reicht uns Sozialdemokraten — Herr Wehrbeauftragter, ich muß Sie hier persönlich ansprechen —
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3507
    Leidinger
    nicht, wenn Sie in der Stellungnahme des Beirats für Fragen der Inneren Führung beim Ansprechen von Grundrechtsverletzungen damit zitiert werden, daß Sie — so wörtlich — mehr Licht als Schatten sehen.
    Das sprichwörtliche Bild von Licht und Schatten ist so nicht hinnehmbar. Wenn die Bundeswehr eine wohlgeführte Armee ist — und das will ich ihr insgesamt ausdrücklich bescheinigen — , darf es diese Schatten heute nicht mehr geben. Schatten, die Jahr für Jahr exemplarisch nachweisen, daß es bei der Umsetzung der Grundsätze der Inneren Führung doch immer noch deutliche Defizite gibt: Bei der Menschenführung, bei der Fürsorge, in der praktischen Ausbildung und beim Umgang miteinander und untereinander, also bei dem, was man allgemein „Betriebsklima" nennt.
    Meine Damen und Herren, es gibt deutliche Anzeichen dafür, daß der Ton insgesamt rüder, der Umgang hemdsärmeliger und auch das Führungsverhalten von Vorgesetzten teilweise rücksichtsloser werden. Bilden sich hier, nicht nur bei den Wehrpflichtigen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Subkulturen in den Streitkräften, die wir so nicht hinnehmen können?
    Wir Sozialdemokraten erwarten hier von der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr konsequentes Handeln.
    Auch wenn der Herr Wehrbeauftragte im Bereich der Grundrechtsverletzungen, also bei den sogenannten Schindereien und Schikanen, bei über 8 000 Fällen von nur 3 % spricht, stellt sich für uns trotzdem die Frage: Ist dies tatsächlich alles oder nur die berühmte Spitze des Eisberges? Wie hoch ist dann die Dunkelziffer? Es wird sie geben. Ich möchte das, wie ich schon angesprochen habe, nicht dramatisieren, aber deutlich feststellen.
    Lassen Sie mich dazu bitte ein Beispiel nennen, auch wenn Sie, Herr Wehrbeauftragter, darauf verzichtet haben. Ich muß es nennen, weil es mich betroffen gemacht hat. Was würden Sie sagen, meine Damen und Herren, wenn Ihr Sohn in die Kaserne zur Grundausbildung käme und dort durch seinen Zugführer mit der schwachsinnigen Bemerkung begrüßt würde: Meine Freunde nennen mich Stinky, aber ich habe keine Freunde. — Das ist so geschehen in einer Einheit in Niederbayern, wo die Welt doch angeblich noch in Ordnung ist. Das ist so geschehen in einer Kompanie, in der offensichtlich, Herr Biehle, durch ein völlig überzogenes Elitedenken seit Jahren eine Wehrpflichtigengeneration nach der anderen schikaniert wurde.
    Der Herr Wehrbeauftragte hat diesen Fall vor wenigen Tagen persönlich überprüft, und ich danke ihm dafür.
    Ich möchte in kurzen Auszügen den Leserbrief eines ehemaligen Soldaten zitieren, der in diesen Tagen in der „Passauer Neuen Presse" veröffentlicht wurde. Er macht mich betroffen.
    Mit großer Genugtuung lese ich diesen Bericht, denn ich dachte immer, die Gemeinheiten der Luftlander werden immer verborgen bleiben. Denn es kann sich nur der vorstellen, der wie ich
    dort seinen Wehrdienst abgeleistet hat, wie menschenunwürdig man dort behandelt wird.
    An anderer Stelle heißt es, ich zitiere wiederum
    — Herr Biehle, es wäre ja Gelegenheit gegeben, mit Herrn Heistermann den Besuch zu machen, den Sie ja für nächstes Jahr angekündigt haben;

    (Frau Schilling [GRÜNE]: Nur wenn ich auch mit darf!)

    — bitte schön, fragen Sie den Herrn Wehrbeauftragten —:
    Es bleibt zu hoffen, daß jetzt ernsthafte Konsequenzen gezogen werden, daß diejenigen, die jetzt drinnen sind, und die, die später reinkommen, eine schönere Wehrzeit haben als wir.
    Meine Damen und Herren, ich will dies ganz bewußt nicht verallgemeinern, aber ich will das aus einer persönlichen Betroffenheit heraus ansprechen. Wir erwarten deshalb von Ihnen, Herr Bundesminister, daß Sie die vorhandenen und starken Selbstreinigungskräfte der Bundeswehr auffordern, die Kräfte der Restauration endlich zurückzudrängen.

    (Beifall bei der SPD)

    Es sind schließlich unsere Kinder, die in die Kasernen gehen.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen Bereich ansprechen, der mir als Sozialdemokrat besonders wichtig ist. Ich meine das, was man als Tradition und Traditionspflege versteht. Die Absicht des Bundesministers der Verteidigung, einen neuen Traditionserlaß durchzusetzen, ist ja, Gott sei Dank, vor Jahren schon gründlich schiefgegangen. Der Beirat zu Fragen der Inneren Führung hat sich dazu ja sehr deutlich geäußert.
    Bis heute wurden die erlassenen Richtlinien offziell nie geändert. Unterschwellig aber wird in der Praxis ein neues Denken spürbar — das kann ich auf Grund von vielen Beispielen berichten — , ein Denken, das konservativ, ja restaurativ ist und das sich zunehmend auf rein militärische Tugenden beschränkt. Ein verengtes Denken, das Verhaltensweisen von Soldaten im Zweiten Weltkrieg militärisch verherrlicht, ohne es politisch zu werten. Beispiele dafür gibt es auch in jüngster Zeit genug; der Kollege Heistermann hat zwei angesprochen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, für mich sind auch Offiziersheime wirklich nicht dazu da, neue Bücher über Ritterkreuzträger des Zweiten Weltkriegs vor 200 Ehrengästen zu präsentieren.
    Das kann doch nicht die Tradition unserer Bundeswehr sein!
    Soldatische Tugenden haben zweifellos ihren Stellenwert, sie sind den Grundwerten unserer Gesellschaft aber absolut unterzuordnen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch zwei Themen ansprechen.
    Erstens: die Dienstzeitbelastung und ihre Regelung.
    Die Bundeswehr bewirtschaftet ihre Ressourcen nach Richtlinien. Das gilt für das Material, das Geld und für Verbrauchsgüter wie Betriebsstoffe, Ersatz-
    3508 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
    Leidinger
    teile und Munition. Nur eines bewirtschaftet sie nicht: die Zeit ihrer Soldaten. Im Gegenteil, es ist üblich, Schwierigkeiten, Engpässe oder Sonderaufgaben durch Personal und den Faktor Zeit zu regeln.

    (Würzbach [CDU/CSU]: Aber wir bewirtschaften sie schon besser als in der Vergangenheit! Das müssen Sie einräumen!)

    — Ja, das ist alles richtig, Herr Kollege Würzbach. Es ist besser, aber da ist noch viel zu tun.

    (Würzbach [CDU/CSU]: Noch nicht gut genug! Das ist korrekt!)

    Der Soldat wird zur disponiblen Verfügungsmasse. Dies macht die Armee auf Dauer kaputt, und es schadet, wie wir wissen, ihre Attraktivität für die kommenden schwierigen Jahre. Wir Sozialdemokraten forden deshalb die gesetzliche 40-Stunden-Woche für die Bundeswehr. Notwendiger Zusatzdienst muß voll durch Freizeit und notfalls durch Bezahlung ausgeglichen werden.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Wir werden dazu übrigens einen Gesetzentwurf einbringen.