Rede von
Dieter
Heistermann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mit dem beginnen, was der Wehrbeauftragte zum Schluß gesagt hat: Ohne Kenntnis des Urteils und der Urteilsbegründung möchte ich keine Schuldzuweisungen an die Richter vornehmen. Ich möchte mir das Urteil vorher genau angucken. Aber eines kann ich hier sagen: Wir nehmen die Soldaten vor solchen Unterstellungen in Schutz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich einen Satz von Karl-Wilhelm Berkhan, dem ehemaligen Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, zitieren:
Der angepaßte, jederzeit disponible Soldat, der „Untertan in Uniform", darf in der Armee eines freiheitlichen, sozialen Rechtsstaats keinen Platz finden.
Ich ergänze diesen Satz: Wir brauchen eine politische
Führung, die darüber wacht, daß Recht und Gesetz in
der Bundeswehr streng beachtet und eingehalten werden.
Anlaß für diese Vorbemerkungen ist der Jahresbericht 1986 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Herrn Willi Weiskirch, der wie seine Vorgänger auf gravierende Beispiele von Verstößen gegen die Grundlagen der Inneren Führung hinweist.
Wir müssen fragen: Welcher Geist weht durch die Bundeswehr? Was geschieht eigentlich, wenn dem Bundesminister Aussagen von Soldaten vorliegen, wie: „Ich wollte weiterkommen und habe nichts gesagt"; oder: „Wenn ich gefragt werde, warum niemand in dieser Lage aufgemuckt hat, so meine ich, wem hätte ich das sagen sollen"; oder : „ Ich sagte auch nichts, weil ich befördert werden wollte." Die schlechten Beispiele ließen sich beliebig erweitern.
Auch Abgeordnete, die Gespräche mit Soldaten führen, wissen um die Hinweise auf Mißstände in der Truppe, die ihnen oft nur unter dem Vorbehalt der Verschwiegenheit und der ausdrücklichen Zusage mitgeteilt werden, nur nichts weiterzugeben, damit die Quelle dieser Information nicht bekannt wird. Dieser Beschwerdeweg wird inzwischen von vielen Soldaten in Anspruch genommen. Dies läßt auch die Schlußfolgerung zu: Da ist etwas faul im Staate Dänemark.
Der Wehrbeauftragte erhält schon eine bessere Übersicht über die Stimmung der Soldaten durch die an ihn gegebenen Eingaben als z. B. die Vorgesetzten durch die Beschwerden. Aber auch sein Eindruck beruht in erster Linie auf den Eingaben. Er erfährt nichts über all diejenigen, die sich aus Furcht vor Nachstellungen überhaupt nicht zu Wort melden. Dies ist aber insbesondere unter den Wehrpflichtigen weit verbreitet. Mit der Einberufung zur Bundeswehr werden Wehrpflichtige systematisch eingeschüchtert.
— Ich komme gleich dazu. — Das Druckmittel sind nicht wie früher etwa Schikanen im Stil von 08/15 durch übertriebenen Dienst auf dem Kasernenhof oder im Gelände, sondern das heutige Druckmittel besteht in dem Entzug von freien Wochenenden.
Wehrpflichtigen ist die Heimfahrt am Wochenende das Wichtigste. So erfolgt ein fast total willfähriges Verhalten, ohne sich über Ungerechtigkeiten zu beschweren, aus Angst davor, daß sich die einzelnen Vorgesetzten durch zusätzlichen Dienst am Wochenende rächen könnten.
Wirklich ehrliche Aussagen bekommt man nur von Verwandten oder Söhnen von Bekannten, die als Wehrpflichtige Dienst tun. Auch diese Wahrheit müssen Sie zur Kenntnis nehmen und nicht nur das, was in den Köpfen bei Ihnen zu Hause ist.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3495
Heistermann
— Wir können darüber gleich debattieren, Kollege Wittmann. — Zu fragen ist, warum diese Soldaten das Vertrauen in ihre jeweiligen Vorgesetzten verloren haben. Warum reagieren Betroffene nicht? Schlimmer: Warum funktioniert die Dienstaufsicht nicht? Das gilt für die politische wie für die militärische Seite.
— Ich würde sagen, Sie ziehen sich auch erst einmal anders an, bevor Sie hier den Mund aufmachen. — Ich sage noch einmal: Wie wird sichergestellt, daß die Befehlsbefugnis nicht auf Felder ausgedehnt wird, auf denen sie nichts zu suchen hat?
Wer trägt hierfür Verantwortung? Der Hinweis auf zentrale Dienstvorschriften wird dem Problem nicht gerecht. Vorschriften sind noch keine Realität. KarlWilhelm Berkhan hat recht, wenn er in seiner Rede zum 30jährigen Bestehen der Bundeswehr ausführt:
Daher ist hier Dienstaufsicht im Sinne rechtzeitiger Hilfe immer angebracht. Sie ist Pflicht. So verletzt es die Kameradschaft, wenn Vorgesetzte ihre Untergebenen walten lassen und erst bei Fehlverhalten mit disziplinaren Maßnahmen drohen oder gar eingreifen.