Rede von
Heinz
Westphal
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten
Jahresbericht 1986
— Drucksache 11/42, 11/1131 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Breuer Dr. Klejdzinski
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gehe davon aus, daß das von den Geschäftsführern Mitgeteilte ein Antrag der Fraktionen ist, denn § 115 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung verlangt einen Geschäftsordnungsantrag, wenn wir dem Wehrbeauftragen das Wort erteilen wollen. — Der Antrag liegt vor.
3492 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
Vizepräsident Westphal
Dann darf ich unseren Wehrbeauftragten, Herrn Weiskirch, herzlich begrüßen und ihm das Wort geben.
Weiskirch, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich bedanke mich für die Möglichkeit, hier einige Anmerkungen zu meinem Jahresbericht 1986 machen zu können. Der Bericht ist, wie mir die zahlreichen und intensiven Reaktionen gezeigt haben, auf große Aufmerksamkeit sowohl bei der militärischen Führung als auch bei den einzelnen Soldaten gestoßen. Aus Gesprächen und schriftlichen Äußerungen von Soldaten aller Laufbahngruppen weiß ich, daß er viele Diskussionen, wenn auch mit durchaus kontroversem Charakter, ausgelöst hat. Ich begrüße das, weil dadurch die Wachsamkeit gegenüber den von mir angesprochenen Problemen geschärft und die Beseitigung von Schwachstellen möglich gemacht wird.
Allerdings ist, wie seine Vorläufer, auch dieser Jahresbericht von Mißverständnissen nicht verschont geblieben. So wurden meine zusammenfassenden Feststellungen über das Führungsverhalten von Vorgesetzten zum Teil in stark sinnentstellender Weise verkürzt und zum Gegenstand mancher Kritik mir gegenüber gemacht. Wer den Bericht jedoch aufmerksam liest — das sollte eigentlich jeder tun, der sich kritisch mit ihm beschäftigt — , dürfte meine Feststellung, daß unsere jungen Wehrpflichtigen alles in allem Soldaten als Führer erleben, die ihren Dienst gut, ja, lobenswert versehen, nicht unterschlagen.
Ich habe in meinem Bericht mit besonderem Nachdruck betont, daß die jungen Wehrpflichtigen durch die Praxis des Dienstes auch den Sinn des Dienstes erkennen müssen. Dabei habe ich eine Reihe von Verhaltensweisen angesprochen, die zwar nicht als gravierende Verstöße gegen die Grundrechte der Soldaten und gegen die Grundsätze der Inneren Führung anzusehen sind, aber gleichwohl die Einstellung der Wehrpflichtigen zum Dienst in den Streitkräften überaus negativ beeinflussen können. Das gilt beispielsweise von der Art, wie Sauberkeit und Ordnung befohlen und kontrolliert werden, von der Heranziehung zu Ordonanz- und sonstigen Diensten gegen den Willen der Soldaten sowie von ganz persönlichen Dienstleistungen für Vorgesetzte.
Meine Anmerkungen dazu im Jahresbericht haben zahlreiche Eingaben von Soldaten unmittelbar zur Folge gehabt. Daraus kann ich schließen, daß scheinbar belanglose Vorkommnisse in der Truppe von grundwehrdienstleistenden Soldaten als schwerwiegend, als schikanös, ja, als demütigend empfunden werden.
Das gilt auch für den Umgangston in den Streitkräften. Es gibt tatsächlich wohl kaum einen Bereich, in dem meine Mahnungen so wenig gefruchtet haben wie hier. Auch nach der Veröffentlichung des Jahresberichts 1986 haben mich erneut zahlreiche Eingaben erreicht, in denen Äußerungen von Vorgesetzten mit herabsetzendem und beleidigendem Charakter angeprangert werden. Ich bedaure, daß ich hier offenbar immer wieder gegen Mauern anrennen muß. Wenn junge Wehrpflichtige ihren Wehrdienst positiv erleben sollen, dann hängt das nicht zuletzt auch von den
Formen ab, in denen die zwischenmenschlichen Beziehungen ablaufen. Ich habe erst jüngst die demoralisierenden Wirkungen eines fehlerhaften Führungsverhaltens im Umgang und im Umgangston zwischen Vorgesetzten und Untergebenen untersuchen müssen, und zwar in einer Einheit, die damit bereits Schlagzeilen in der Presse gemacht hatte.
Zugegeben, ein etwas rauherer Ton mag zuweilen durchaus angehen; stets gültiger Maßstab müssen aber dabei die Würde und die Ehre des einzelnen Soldaten bleiben.
Ich will gerne hinzufügen, daß eine Einheit auch mit vernünftigem Ton geführt werden kann. Dafür erhalte ich bei meinen Truppenbesuchen ebenfalls überzeugende Beispiele. Bei dem Besuch eines Panzerbataillons vor einigen Monaten antwortete mir ein Soldat in einer Gesprächsrunde auf die Frage, wie hier der Umgangston sei, spontan: „Bei uns wird jedenfalls nicht gebrüllt. " Aus der zustimmenden Reaktion seiner Kameraden konnte ich entnehmen, daß alle so dachten.
In meinem Bericht habe ich auch die zusätzliche Belastung angesprochen, die den Wehrpflichtigen und ihren Eltern durch die Ableistung des Grundwehrdienstes entstehen, und dabei auch auf die kindergeldrechtlichen Folgen hingewiesen. Es kann sich dabei um Beträge von mehreren hundert DM monatlich handeln. Diese Nachteile stehen in keinem Verhältnis zu den Entlastungen, die die Eltern durch die Leistungen des Bundes, also Wehrsold, Unterbringung und Verpflegung für ihren Sohn erhalten.
Mein Vorschlag im Jahresbericht, grundwehrdienstleistende Söhne im Rahmen des Bundeskindergeldgesetzes als „Zählkinder" zu berücksichtigen, hat auch der Verteidigungsausschuß in seiner Stellungnahme zu meinem Jahresbericht als erwägenswert angesehen. Ein entsprechender Vorstoß des Bundesministers der Verteidigung hat indessen nicht zum Erfolg geführt. Die Frage, wie die Belastungen der betroffenen Familien aufgefangen werden können, darf aber nicht so ohne weiteres ad acta gelegt werden. Sie muß auf der Tagesordnung bleiben.
Dienstzeitentlastung, Planbarkeit der Freizeit sowie ein gerechter und praktikabler Ausgleich für besondere zeitliche Inanspruchnahme sind ein Themenkomplex, mit dem ich mich wie der Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages seit Jahren zu befassen habe. Ich habe es in diesem Zusammenhang als meine besondere Aufgabe angesehen, darauf hinzuwirken, daß möglichst schnell eine allseits befriedigende Lösung gefunden wird. Viel, allzuviel Zeit ist hierüber verstrichen.
Nachdem mir nun vor einiger Zeit aus dem Verteidigungsministerium mitgeteilt worden ist, daß mit der seit langem vorbereiteten Neuregelung zum 1. März 1988 zu rechnen sei, ist dieser Termin nun aber offenbar wieder weiter nach hinten geschoben worden.
Das ist ein Sachverhalt, den ich nur zutiefst bedauern kann.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3493
Wehrbeauftragter Weiskirch
Lassen Sie mich noch ein Problem erwähnen, das sich bei der Heranziehung von Wehrübenden zu Mobilmachungsübungen ergibt. Die Zeit zwischen dem Ende des Grundwehrdienstes und einer solchen Übung darf nach der derzeitigen Regelung neun Monate nicht unterschreiten. In meinem Jahresbericht habe ich eine Prüfung angeregt, ob diese Karenzzeit nicht wie bei Einzelwehrübungen auf ein Jahr verlängert werden kann. Leider hat sich der Bundesminister der Verteidigung in seiner Stellungnahme zu meinem Jahresbericht dazu nicht geäußert. Ich möchte diese Anregung noch einmal mit Nachdruck vortragen.
In jüngster Zeit habe ich verstärkt meine Aufmerksamkeit den laufenden Modellversuchen des Territorialheeres zur Neugestaltung der Reservistenausbildung gewidmet. Bei meinen Truppenbesuchen hat sich eine ganze Reihe von Reservisten darüber beklagt, daß sie noch vor Ablauf eines Jahres nach Beendigung des Grundwehrdienstes oder eines Dienstverhältnisses als Zeitsoldaten wieder einberufen worden seien. Hierdurch werde die Einarbeitung bzw. Eingewöhnung am neuen Arbeitsplatz ganz erheblich beeinträchtigt.
Auch die Arbeitgeber stünden einer solchen Praxis sehr reserviert und ablehnend gegenüber.
In diesem Zusammenhang eine Bemerkung zur sozialen Sicherung unserer Grundwehrdienstleistenden und Wehrübenden sowie ihrer Familienangehörigen. Sie bestimmt sich nicht zuletzt durch die Art und Höhe der Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz. Soweit sie sich nicht automatisch den steigenden Lebenshaltungskosten anpassen, wurden sie endlich nach acht Jahren mit Wirkung vom 1. Juli 1987 fortgeschrieben. Für diese Verbesserung standen die erforderlichen Haushaltsmittel aber bereits am 1. Januar 1987 zur Verfügung. Damit ist zu meinem Bedauern diese Verbesserung den Soldaten erst mit einer erheblichen Verzögerung zugute gekommen.
Nun gilt es immer noch, die Ungerechtigkeiten zu beseitigen, die sich durch die unterschiedliche Abfindung der Wehrübenden des öffentlichen Dienstes einerseits und des privaten Bereichs andererseits ergeben. Eine einkommensmäßige und rentenversicherungsrechtliche Gleichstellung dieser Personengruppe ist in diesem Haus bei der Beratung des Gesetzes zur Verbesserung der Wehrgerechtigkeit und Verlängerung der Dauer des Grundwehrdienstes am 17. April 1986 gefordert worden. Dieser Forderung soll nunmehr durch die 8. Novelle zum Unterhaltssicherungsgesetz Rechnung getragen werden. Ich hoffe, daß hierdurch ein seit vielen Jahren beklagter Mangel im Wehrrecht beseitigt wird. Nach meinen Erfahrungen glauben viele Wehrübende, in der schleppenden Behandlunug dieser Angelegenheit ein Fehlen der Bereitschaft zu erkennen, mit dem Gedanken der Wehrgerechtigkeit für Wehrübende in vollem Umfang ernst zu machen.
Ein Wort zu den Betreuungseinrichtungen für die Soldaten. Die Mannschafts-, Unteroffizier- und Offizierheime sowie die Soldatenheime bzw. Soldatenfreizeitheime nehmen eine wichtige Stellung für die Förderung einer sinnvollen und interessanten Freizeitgestaltung aller Soldaten an ihrem Standort ein,
wobei ja die Unteroffizier- und Offizierheime auch dienstlichen Verwendungen dienen. Ich verfolge die Entwicklung dieser Einrichtungen mit besonderem Interesse. Hierbei macht mich allerdings besorgt, daß eine rückläufige Nutzung der Mannschaftsheime festzustellen ist.
Die Verantwortlichen sollten deshalb alles daransetzen, die Attraktivität der Mannschaftsheime auch durch eine bessere Ausstattung zu erhöhen.
Hierzu gehört insbesondere, daß von den Soldaten nur solche Preise verlangt werden, die ihrem Wehrsold entsprechen. Ich freue mich, feststellen zu können, daß der Verteidigungsausschuß in seiner gestrigen Sitzung ähnliches vertreten und gefordert hat.
Sorgen bereitet mir der Fortbestand der Soldatenheime bzw. der Soldatenfreizeitheime, die wegen des veränderten Freizeitverhaltens, insbesondere der Jugend, nicht mehr den Zulauf haben, wie es eigentlich wünschenswert wäre. Es sollte deshalb das Bemühen aller Vorgesetzten in den Streitkräften sein, sich für eine stärkere — auch dienstliche — Nutzung dieser in den Händen gemeinnütziger Trägerverbände befindlichen Einrichtungen einzusetzen, erfüllen diese Heime doch eine wichtige Aufgabe: die Kontakte der Soldaten — unabhängig vom Dienstgrad und unabhängig von der Konfession — untereinander und mit der Zivilbevölkerung ohne Gewinnstreben zu pflegen.
Zum Schluß noch eine Bemerkung zur Behandlung von Eingaben an den Wehrbeauftragten: In meinem Bericht bin ich auf die Beschwerden eingegangen, mit denen sich Wehrpflichtige wegen der verzögerlichen Bearbeitung ihrer Versetzungsanträge an mich gewandt haben. Zu Recht hat der Bundesminister der Verteidigung in seiner Stellungnahme zu meinem Jahresbericht hierzu ausgeführt, daß auf eine sorgfältige Bearbeitung allein um einer zeitlichen Beschleunigung willen nicht verzichtet werden könne; dem stimme ich zu. Widersprechen muß ich ihm allerdings, wenn er in diesem Zusammenhang im Normalfall von einer Bearbeitungsdauer von etwa vier Wochen ausgeht. Erkenntnisse aus einer Vielzahl von mir überprüfter Fälle sprechen ganz klar gegen diese Annahme. Es dauert ganz erheblich länger. Verzögerung, Interessenlosigkeit und Gleichgültigkeit bei der Bearbeitung müssen nicht nur Verbitterung hervorrufen, sondern wirken sich zwangsläufig auch auf die Einstellung des Betroffenen zur Diensterfüllung selbst aus, zumal dann, wenn die Dringlichkeit oder Wichtigkeit von Anträgen nicht erkannt oder schlichtweg verkannt wird.
Ich will nicht schließen, ohne ein Wort zum Urteil eines Frankfurter Gerichtes zu sagen, nach dem es
3494 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
Wehrbeauftragter Weiskirch
nicht strafbar sein soll, Soldaten als potentielle Mörder zu bezeichnen.
Dazu haben mich die ersten Eingaben von Soldaten erreicht. Bei allem Respekt vor der richterlichen Gewalt und Unabhängigkeit
habe ich doch erhebliche Zweifel, ob eine solche Entscheidung dem Auftrag der Soldaten, treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, gerecht wird.
Was an mir liegt, werde ich jedenfalls tun, um unsere Soldaten im Rahmen meines gesetzlichen Auftrages in Schutz zu nehmen.
Ich bedanke mich.