Rede von
Dr.
Martin
Bangemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Wir haben erst jüngst in den Haushaltsberatungen beispielsweise eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 1 Milliarde DM zur Absicherung des Unternehmens Ruhrkohle vereinbart und beschlossen. Wir haben im vergangenen Haushaltsjahr — das werden
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Bundesminister Dr. Bangemann
wir auch im nächsten Haushaltsjahr tun — den EBV bei Betriebsverlusten entlastet.
Wir unterstützen also nicht nur die Verstromung der Kohle und die Verhüttung der Kohle, sondern wir tragen auch dazu bei, daß Betriebsverluste abgedeckt werden.
Man kann nun wirklich nicht sagen, daß das keine Leistungen des Bundes sind. Deswegen ist es wichtig, daß wir auch gemeinsam den Anpassungsprozeß bewältigen; denn Überkapazitäten, die bestehen, gefährden im Kern diese Kohlepolitik, die wir ja weiter betreiben wollen.
Überkapazitäten kann man nicht rechtfertigen, am wenigstens unter dem Gesichtspunkt der Energiesicherung.
Das weiß auch jeder. Morgen wird man in der Kohlerunde von Erkenntnissen ausgehen, die sich vielleicht noch marginal voneinander unterscheiden. Man wird von einer Überkapazität von 13, 14 oder 15 Millionen t ausgehen. Diese Unterschiede beruhen im übrigen auf unterschiedlichen Einschätzungen und nicht auf einer anderen Einschätzung der Lage insgesamt. Von dieser Überkapazität gehen morgen alle aus.
Ich habe neulich bereits in einer Diskussion in Haltern gesagt: Ich finde es nicht angemessen und im übrigen auch gar nicht nützlich für die Lösung der Probleme, die Herr Meyer mit Recht beschrieben hat, daß so getan wird, als bemühten sich die Bundesregierung — insbesondere der Bundeswirtschaftsminister — und die Regierungskoalition darum, eine Veränderung der Kohlepolitik vorzunehmen, daß sie nun aber auf den entschlossenen Widerstand der SPD und der IGBE stießen.
Das ist ja nicht so, Herr Meyer; Sie wissen das auch. Ich nehme es Ihnen auch nicht übel, daß Sie es hier nicht so offen gesagt haben.
Sie haben hier als Mitglied einer Oppositionsfraktion gesprochen. Ich anerkenne das. Sie haben dort eine andere Rolle zu übernehmen. Das ist auch in Ordnung.
Aber wir werden morgen bei der Kohlerunde sehen, daß wir diesen Anpassungsprozeß gemeinsam bewältigen können und bewältigen müssen.
Strukturelle Absatzeinbußen kann man nicht bestreiten. Wir haben Absatzeinbußen bei der europäischen Stahlindustrie und damit natürlich auch bei der deutschen Stahlindustrie. Wir werden uns morgen mit diesem Problem zu befassen haben. Daß das einen nachlassenden Bedarf an Kokskohle bedeutet, ist jedermann klar. Allein die Nachfrage der deutschen Stahlindustrie hat seit 1985 um mehr als 4 Millionen t nachgelassen. Insgesamt beträgt der Absatzrückgang, wenn man den Wärmemarkt und die anderen Möglichkeiten des Absatzes einbezieht, rund 12 Millionen t.
Meine Damen und Herren, diese Entwicklung ist nicht konjunkturell verursacht — sonst könnte man das zwei, drei Jahre aufhalten —, sondern sie ist durch einen strukturellen Kapazitätsüberhang bedingt.
— Ich bin ja für vieles verantwortlich. Ich übernehme auch einiges, wofür ich nicht verantwortlich bin, damit Sie immer einen Menschen haben, auf den Sie einschlagen können.
Daß ich aber für diesen Anpassungsbedarf veranwortlich bin, das ist nun zuviel.
— Es ist ja das Problem, daß man in einer solchen schwierigen Diskussion, in der man eigentlich damit rechnen müßte, daß jeder sich entweder sachkundig macht oder, wenn er schon sachkundig ist, es nicht vergißt, sich immer wieder mit Argumenten auseinandersetzen muß, die eigentlich nur dem politischen Kampf entstammen, aber nicht der Bereitschaft, eine Lösung zu finden.
Auch die Unternehmen wissen seit Jahren, daß die Subventionen insbesondere für die Kokskohlenexporte in der Höhe angepaßt werden müssen. Daß das nicht mit Energiesicherung begründet werden kann, sollte doch wohl hoffentlich klar sein. Wir geben jährlich 800, 900 Millionen DM für die Subventionierung von Exporten von Kokskohle in andere Länder aus. Das kann ja wohl kein Beitrag zur Energiesicherung sein. Dieses Geld — da haben doch die Kollegen aus der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion recht — fehlt uns dann für den Umstrukturierungsprozeß. Es ist doch nicht sinnvoll, Geld für etwas auszugeben, was wirtschaftlich überhaupt keinen Sinn macht, Arbeitsplätze künstlich zu erhalten, die sowieso wegfallen, anstatt das Geld zu nehmen, dafür dann andere Arbeitsplätze zu schaffen oder mindestens dabei zu helfen, daß sie entstehen können.
Deswegen müssen wir diese Überkapazität zurückführen, und das werden wir morgen, wie ich hoffe, einverständlich machen. Wir werden den Prozeß zeitlich so strecken, daß dabei auch eine sozial verträgliche Lösung erreicht werden kann. Wir dürfen letztlich auch nicht übersehen, daß wir mit dieser Politik im Augenblick noch im Windschatten dessen leben, was ich in der Europäischen Gemeinschaft erreicht habe: Vor zweieinhalb Jahren war nämlich die Europäische Gemeinschaft dabei, eine ganz andere Kohlepolitik zu formulieren, die unsere Unterstützung völlig unmöglich gemacht hätte. Ich habe mich damals mit
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Erfolg dafür eingesetzt, daß das geändert worden ist, so daß wir das, was wir hier machen, bis 1992 überhaupt fortsetzen können. Aber auch das nehmen Sie ja nicht zur Kenntnis.
Deswegen sollten wir auch nicht übersehen, daß wir mit dieser Kohlepolitik einen Anpassungsprozeß betreiben müssen, um die internationale Kritik, die mit Sicherheit nach diesem Zeitraum wieder beginnen wird, auffangen zu können. Meine Damen und Herren, ich empfinde es als Pflicht eines Mitglieds der Bundesregierung, solche Wahrheiten auszusprechen und danach zu handeln. Am wenigsten ist den Bergleuten und den Regionen damit geholfen, daß man die Augen aus Angst vor der Entwicklung verschließt und Zukunftsperspektiven vorgaukelt, die überhaupt nicht bestehen.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat uns dazu gebracht, diesen Vorschlag zu machen, den wir heute hier diskutieren. Es ist völlig klar, und jedermann weiß das: Wenn wir, gemessen an den eigentlichen Kosten, den Kohlepfennig festlegen wollten und müßten, müßte er weitaus höher angesetzt sein. Das war übrigens auch im vergangenen Jahr schon so, Herr Meyer. Das wissen auch Sie sehr genau. Wir haben das im vergangenen Jahr nur noch dadurch überspielen können, daß wir das Kreditvolumen des Verstromungsfonds auf 2 Milliarden DM erhöht haben und daß wir — wie auch in diesem Jahr — eine Bugwelle vor uns herschieben, die aus einer vernünftigen, einvernehmlichen Regelung mit EVUs entstanden ist.
Ich senke den Kohlepfennig, und zwar aus zwei Gründen. Erstens — das hat Klaus Beckmann hier schon deutlich gesagt — : Wir hätten — ich habe vorher selbstverständlich versucht, herauszufinden, wofür Mehrheiten vorhanden sind — eine Mehrheit für einen anderen Kohlepfennig nicht gehabt.
Das folgende hören Sie nicht gern — ich weiß das, und ich verstehe auch, daß Sie das nicht gerne hören — : Wenn Sie eine Landesregierung — ich nehme nur einmal ein Land — politisch mit dem, was diese Landesregierung in der Kernenergie macht, vorführen und dann gleichzeitig erwarten, daß die Abgeordneten dieses Landes in diesem Hause dafür stimmen, daß der Kohlepfennig noch höher angesetzt wird, der übrigens die revierfernen Länder im nächsten Jahr stärker belasten wird als die Revierländer, dann können Sie sich doch ausmalen, daß Sie das Schicksal der Steinkohle mutwillig mit Ihrer Politik mehr gefährden, als jeder andere es tun könnte. Das ist das Problem.
— Da gibt es gar nichts zu lächeln, Herr Lafontaine. Ich kann auch Sie einmal als Beispiel für eine Kohlepolitik nehmen, die geradezu unverständlich geworden ist.
Die IGBE im Saarland fordert Sie auf, eine Grube zu schließen, die ganz offensichtlich betriebswirtschaftlich nicht mehr vernünftig betrieben werden kann. Die IGBE des Saarlandes hat eingesehen, daß die Schließung dieser Grube den Saarbergwerken insgesamt eine Zukunft, jedenfalls auf absehbare Zeit, sichern kann. Sie fordert Sie auf, sich daran zu beteiligen. Der Bund will sie schließen. Die Betriebsräte sind damit einverstanden.
Jedermann sieht die Notwendigkeit ein, diese Grube zu schließen — nur der Herr Lafontaine nicht. Da muß man sich doch einmal fragen,
aus welchen Gründen eine solche Politik betrieben wird. Das kann doch nicht mehr eine vernünftige, auf Sicherung der Arbeitsplätze bedachte Politik sein. Das ist eine Politik des Wählerfangs, der Wählertäuschung. Das ist besonders schlimm, wenn es um Arbeitsplätze und Menschen geht.
— Sie können das alles nachprüfen. Herr Lafontaine
— „Genosse Lafontaine" kann ich nach seinen neuesten geistespolitischen Ausflügen ja nicht mehr sagen —
wird ja hier gleich sprechen. Ich habe hier nur wiederholt, was in den Aufsichtsratssitzungen von Saarbergwerk traurige Wahrheit gewesen ist, und Herr Lafontaine kann sich ja dazu äußern. Wir werden auch über die Stahl-Behauptungen, die Sie in Ihrem eigenen Antrag aufstellen, morgen sehr lange und sehr gründlich diskutieren. Dann müssen Sie sich einmal anhören, was die Wahrheit ist und was Ihre Märchen sind, die Sie über die Wahrheit erzählen, obwohl Sie sehr genau wissen, daß es anders ist.
Wir werden die Kapazitätsanpassungen schrittweise durchführen. Wir werden sie auch mit einer aktiven Regionalpolitik begleiten. Wir werden uns nicht darauf beschränken, daß die sozialen Leistungen länger gewährt werden. Aber ich bitte auch, das nicht geringzuachten. Auch diese Debatte der vergangenen Tage war unerträglich. Wenn das, was eine große Leistung der IG Metall, der Wirtschaftsvereinigung, der Bundesregierung und der Landesregierungen beim Stahl war, als Almosen bezeichnet wird,
was soll man denn dann überhaupt noch machen, um den Menschen zu helfen? Merken Sie denn nicht, wohin Sie sich verstiegen haben
und was Sie da anrichten?
Das ist unglaublich.
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Wir bemühen uns, mit Einsatz von viel Geld den Prozeß sozial erträglich zu machen und zu flankieren. Wir werden viel Geld — und zwar gern — in der Regionalpolitik für die Schaffung neuer Arbeitsplätze ausgeben.
Aber das alles wird nur dann gehen, wenn man den Versuch macht, wirklich bei der Wahrheit zu bleiben.
Natürlich — das weiß auch ich, Herr Meyer — sind wir mit dieser Festsetzung, die wir beim Kohlepfennig treffen, nicht am Ende der Verhandlungen mit den Energieversorgungsunternehmen. Das ist richtig.
Sie wissen auch, daß diese Herren, die übrigens in ihren Entscheidungen nicht unbedingt frei sein müssen — sie können ja von Kommunen und Ländern auch einmal beeinflußt werden; da könnten Sie ja einmal versuchen, Ihren politischen Einfluß auszuüben — , einen Grundsatz des römischen Rechts sehr gut hersagen können: „pacta sunt servanda" , aber den anderen Grundsatz, daß man auf veränderte Umstände eingehen muß, nicht kennen.
Man muß doch der Bundesregierung zugestehen, daß sie darauf verweist, daß sich die Voraussetzungen für die Bezuschussung der Verstromung von Kohle fundamental verändert haben und daß sich für den Bezug auf den Ölpreis aus mehreren Gründen die Grundlage verändert hat: wegen der gesunkenen Ölpreise und wegen des gesunkenen Dollarkurses, aber auch aus dem Grund, weil dieser Bezug ja im Grunde genommen fiktiv geworden ist, soweit und solange Energieversorgungsunternehmen nur noch beschränkt Öl zur Erzeugung von Elektrizität einsetzen. Das trifft für einige zu. Für die große Zahl trifft es nicht zu. Wenn die Bundesregierung dann sagt, diese veränderten Umstände müsse man berücksichtigen, so ist das, glaube ich, nicht mehr als angemessen und gerecht. Das sollten auch die EVUs im Interesse einer gemeinsamen Kohlepolitik einsehen. Im übrigen würden sie es um so mehr einsehen, wenn wir wenigstens an einem Strang zögen und wenn Sie nicht hier diese Position der EVUs auch noch politisch unterstützen würden, sondern mit uns zusammen diesen Sachverhalt deutlich machen und auf die EVUs einwirken würden, und zwar gerade da, wo Sie das politisch können. Dann wäre die Ausgangslage wesentlich günstiger, als sie heute ist.
Aber ich werde mich bemühen — mit der Festsetzung auf 7,25 % haben wir das nächste Jahr gewonnen —, auch dieses Problem zu lösen. Ich bin ganz sicher, daß wir es lösen können. Wir werden auch den Solidaritätsbeitrag der Elektrizitätswirtschaft sowie den der revierfernen Länder brauchen. Zu diesem Solidaritätsbeitrag gehört aber auch, daß ein energiepolitisches Interesse der revierfernen Länder an der Nutzung sowohl der Kernenergie als auch der Kohle weiterhin vorhanden ist.
Das, meine Damen und Herren, sind die Voraussetzungen, von denen wir ausgehen. Diese Voraussetzungen kann niemand ändern. Das ist ja das Drama: Der Rückgang der Nachfrage im Bereich Stahl, im Wärmemarkt, die Unmöglichkeit, Kohleexporte weiter zu subventionieren, lassen sich von niemandem zurückdrehen. Deswegen müssen wir die Kapazitätsanpassung bewältigen. Wir können sie ohne Schaden für die Menschen bewältigen, wenn sich eine gewisse Einigkeit aller Beteiligten herstellen läßt:
nicht nur über die Notwendigkeit dieses Anpassungsprozesses, sondern auch über die Maßnahmen, die dabei eingesetzt werden müssen. Und ich wiederhole: Das sind nicht nur soziale Maßnahmen, sondern das werden auch gezielte Programme sein, die in den betroffenen Regionen Förderbedingungen schaffen, bei denen neue Arbeitsplätze entstehen können. Aber
— das sage ich hier auch mit ganz großem Nachdruck — weder die Bundesregierung noch die Landesregierungen können solche Ersatzarbeitsplätze schaffen. Das muß von Firmen, Unternehmen, insbesondere auch von kleinen und mittleren Unternehmern, getan werden, die die öffentliche Förderung zwar sicherlich als Unterstützung begreifen werden, die aber immer noch einen eigenen Entschluß zur Investition und zum Investitionsstandort fassen müssen. Sie haben die freie Wahl, sie müssen nicht in die Kohleregionen gehen, sie können woanders hingehen. Ich bitte doch nun darum, daß man gemeinsam
— auch die dort betroffenen Menschen, deren Erregung ich verstehen kann, aber vor allen Dingen die dort politisch Verantwortlichen, die diese Erregung nicht nur verstehen, sondern auch begreifen sollten, daß jemand dann, wenn er in der Erregung dazu beiträgt, daß die Attraktivität eines solchen Ortes für Investitionen nachläßt, dessen Zukunft damit verspielt
— Besonnenheit an den Tag legt.
Meine Damen und Herren, tragen Sie dazu bei, daß das Ruhrgebiet ein attraktiver Investitionsstandort bleibt.
Ein Investitionsstandort, der attraktiv sein will, darf nicht brennen, meine Damen und Herren.
Ich habe das hier jetzt schon oft gehört, ich habe das in manchen Debatten gehört: Wenn die Ruhr brennt, reicht das Wasser des Rheins nicht aus, um den Brand zu löschen. Das ist sicher richtig.
Aber tragen wir alle dazu bei, Herr Stratmann, daß die
Ruhr nicht brennt! Denn wenn das eintritt, dann können wir soviel Geld zur Verfügung stellen, wie wir
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wollen, dann wird kein einziger Arbeitsplatz dort geschaffen.
Die Verantwortung dafür ist nicht allein eine Verantwortung der Regierung oder der sie tragenden Parteien. Das ist auch Ihre Verantwortung. Und ob Sie sich ihr gerecht erweisen, da habe ich meine großen Zweifel.