Rede von
Dr.
Fritz
Gautier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Auch ich würde es sehr begrüßen, wenn der Ratspräsident seine Beratungen entweder außerhalb machen oder zuhören würde.
Ich will noch einmal eine Zahl nennen: Allein für Raps und Sonnenblumenkerne — die meisten Bürger kennen das gar nicht — geben wir jährlich fünf Milliarden DM aus. Dann streiten wir uns hier im Bundestag darüber, ob wir für die Förderung von Stahlstandorten 20 oder 50 Millionen DM ausgeben. Dies ist doch wirklich lächerlich.
Wenn wir uns die Zahlen weiter ansehen, stellen wir fest, daß 40 % der gesamten Ausgaben auf die Exportsubventionierung entfallen. 20 Milliarden DM — das ist der Prozentsatz in Zahlen ausgedrückt — werden verwendet, um europäische Agrarprodukte auf den Weltmärkten zu verschleudern. Wenn eine Tonne Weizen bei uns in der EG ungefähr 400 DM kostet, müssen wir 200 DM drauflegen, um sie überhaupt exportieren zu können, und dies noch in Abhängigkeit vom Dollar-Kurs. Das heißt, die Amerikaner bestimmen, wieviel Geld wir im Haushalt der Europäischen Gemeinschaft ausgeben, und nicht wir selber.
Da ist es kein Wunder, wenn wir dann in Konflikte mit unseren Handelspartnern kommen.
Wenn man diese Zahlen einmal kurz zusammenfaßt, stellt man fest: Wir geben 0,7 % des Bruttosozialprodukts für die EG-Marktordnung aus. Diese 0,7 werden ausgegeben für Lagerung, Vernichtung und Verschleuderung von Agrarprodukten.
Welche Lösungen können wir denn überhaupt anbieten? Da ist ja ganz verwunderlich, was die Regierung im Augenblick an Lösungen anbietet. Herr Bangemann — er ist der Oberderegulierer und der oberste Marktwirtschaftler — erklärt uns das immer; Herr Mischnick hat uns das heute morgen erklärt. Bloß soll dies alles nicht im Agrarbereich gelten. Dort soll mehr Dirigismus eingeführt werden; da soll jeder Hektar oder jeder Teilhektar erfaßt und teilstillgelegt oder ganz stillgelegt werden.
Ich glaube, daß wir zur Ursprungskonzeption der Agrarmarktpolitik zurück müssen. Die Intervention darf nicht die Regel sein, sondern muß die Ausnahme für den Ausgleich von saisonalen und regionalen Schwankungen in der Produktion sein. Die Intervention muß ein Auffangnetz sein und keine Dauerregelung.
Wir Sozialdemokraten wollen mehr Marktwirtschaft in der Agrarpolitik. Das hat auch die EG-Kommission vorgeschlagen. Der holländische Christdemokrat Frans Andriessen findet in dieser Frage die volle Unterstützung der SPD. Leider findet er keine Unterstützung bei seinen Parteifreunden Kohl und Kiechle. Unter anderem deswegen ist der Kopenhagener Gipfel gescheitert.
Wenn wir Sozialdemokraten sagen, wir wollten mehr Marktwirtschaft in der Agrarpolitik, dann wissen wir auch, daß die Bedeutung der Agrarstrukturpolitik und der Agrarsozialpolitik steigen wird. Darüber kann man mit uns reden. Wir benötigen eine Politik für den ländlichen Raum. Wir benötigen auch eine Agrarsozial- und eine Agrarstrukturpolitik inklusive dessen, was auch Herr Mischnick heute morgen
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3449
Dr. Gautier
gesagt hat, nämlich einer Form von direkter Einkommensübertragung, einer Vorruhestandsregelung und ähnlichem mehr. Wir sind auch bereit, darüber zu reden, welchen Beitrag man für die Extensivierung in der Landwirtschaft ausgeben kann. Dies ist aber eine andere Konzeption als die, die vertreten wird.
Ich kann nur darüber lachen, wenn Herr Kohl in seiner Regierungserklärung heute morgen wieder von einkommensorientierter Preispolitik gesprochen hat. Diese einkommensorientierte Preispolitik ist ausweislich Ihrer eigenen Statistiken gescheitert.
Dann kommt in derselben Regierungserklärung — Herr Stoltenberg zetert ja jeden Tag darüber — das berühmte Wort von der Haushaltsdisziplin vor. Haushaltsdisziplin soll für alle Bereiche gelten, bloß nicht für die Agrarpolitik. Da wird die Haushaltsdisziplin von Herrn Stoltenberg, von Herrn Kiechle und auch von Herrn Kohl verhindert. Wir sagen: Mit der Haushaltsdisziplin sind wir einverstanden, aber sie muß für jeden Bereich gelten, also auch für den Bereich der Agrarpolitik. Dies kann nicht eine Open-end-Garantie sein, sondern auch hier muß einmal ein Deckel draufgesetzt werden.
Herr Präsident, ich habe nur noch wenig Zeit, wenn ich das richtig sehe; aber ich habe hier noch eine ganze Reihe von Notizen. Das ist das Problem, wenn man der Parlamentsreform nachkommen will, die ja anstrebt, daß man keine getippten Reden haben, sondern daß man sich ein paar Stichworte machen und spontan reden soll. Ich will aber die restliche Zeit nutzen, um ganz kurz einen Satz oder zwei Sätze zur Frage der Verwirklichung des Binnenmarktes zu sagen.
Selbstverständlich sind wir Sozialdemokraten für die Verwirklichung des europäischen Binnenmarkts. Wenn Sie als Präsidentschaft Schwerpunkte setzen, werden wir Sie in diesem Bereich sicher tatkräftig unterstützen. Bloß, der europäische Binnenmarkt ist nach unseren Vorstellungen nicht zum Null-Tarif zu haben. Wir sagen auch: Der europäische Binnenmarkt muß mit einem sozialen Rahmen und mit einem europäischen Beschäftigungspakt verknüpft werden. Dem dient u. a. die Verdoppelung der Mittel für die Strukturfonds.
Dies ist nichts anderes als ein vernünftiges Investitionsprogramm. Europa darf sich nicht ausschließlich zu einem Europa der multinationalen Unternehmen entwickeln, die sicher davon profitieren werden. Wir wollen vielmehr auch ein Europa haben, in dem sich auch die Arbeitnehmer und die normalen Bürger wiederfinden.
Schönen Dank.