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ID1104906100

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/49 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 49. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 Inhalt: Nachruf auf das verstorbene Mitglied des Deutschen Bundestages Dr. h. c. Peter Lorenz 3399 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 3399C, 3440 D Absetzung des Punktes 20a von der Tagesordnung 3400 A Tagesordnungspunkt 16: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Die Reform der Strukturfonds (Drucksachen 11/929 Nr. 2.3, 11/1209) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Mitteilung der Kommission über die Haushaltsdisziplin (Drucksachen 11/929 Nr. 2.2, 11/1211) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Zweite Änderung des Vorschlags für eine Verordnung (EGKS — EWG — EURATOM) des Rates zur Änderung der Haushaltsordnung vom 21. Dezember 1977 für den Haushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (Drucksachen 11/929 Nr. 2.5, 11/1212) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Sitzung des Europäischen Rates am 29./30. Juni 1987 in Brüssel (Drucksachen 11/523, 11/1293) Dr. Kohl, Bundeskanzler 3400 C Dr. Vogel SPD 3406 D Rühe CDU/CSU 3412D Dr. Mechtersheimer GRÜNE 3418D Mischnick FDP 3421 B Frau Wieczorek-Zeul SPD 3424 B Frau Geiger CDU/CSU 3427 A Frau Beer GRÜNE 3429 C Genscher, Bundesminister AA 3432 B Dr. Spöri SPD 3435 D Bohl CDU/CSU 3438 C Erler SPD 3441A Lintner CDU/CSU 3442 C Frau Flinner GRÜNE 3444 B Frau Würfel FDP 3445 D Dr. Gautier SPD 3447 B Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 3449 C Brück SPD 3451A Becker (Nienberge) SPD (zur GO) 3452 B Seiters CDU/CSU (zur GO) 3452 C Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) 3452 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10, Dezember 1987 Namentliche Abstimmung 3454 A Ergebnis 3482 D Tagesordnungspunkt 17: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Kohlevorrangpolitik (Drucksache 11/958) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung Zustimmungsbedürftige Verordnung über den Prozentsatz der Ausgleichsabgabe nach dem Dritten Verstromungsgesetz für das Jahr 1988 (Drucksachen 11/1350, 11/1446) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung des Antrags des Abgeordneten Stratmann und der Fraktion DIE GRÜNEN: Umbaukonzept für die heimische Steinkohle (Drucksache 11/1476) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerstein, Wissmann, Dr. Lammert, Müller (Wadern) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Baum, Beckmann, Dr. Graf Lambsdorff, Dr. Hirsch, Dr. Hoyer, Dr.-Ing. Laermann, Möllemann, Frau Würfel und der Fraktion der FDP: Förderung der deutschen Steinkohle (Drucksache 11/1485) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Solidarität mit dem Widerstand der Bergleute und Stahlarbeiter gegen Arbeitsplatz- und Standortvernichtung (Drucksache 11/1511) Meyer SPD 3455 B Gerstein CDU/CSU 3458 C Stratmann GRÜNE 3460 C Beckmann FDP 3463 A Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 3464 C Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 3468A, 3478 C Schreiber CDU/CSU 3472 A Jung (Düsseldorf) SPD 3473 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 3475A, 3478 D Hinsken CDU/CSU 3476 B Dr. Lammert CDU/CSU 3479 A Namentliche Abstimmungen 3479D, 3480A Ergebnisse 3484B, 3485 D Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung empfängnisverhütender Mittel durch die Krankenkassen (Drucksache 11/597) Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 3480 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 3488 A Kirschner CDU/CSU 3489 B Frau Würfel FDP 3490 C Vogt, Parl. Staatssekretär BMA 3491 C Tagesordnungspunkt 19: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 1986 (Drucksachen 11/42, 11/1131) Weiskirch, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 3492 A Heistermann SPD 3494 B Breuer CDU/CSU 3498 A Frau Schilling GRÜNE 3501 B Nolting FDP 3503 C Leidinger SPD 3505 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg 3509 B Leidinger SPD (Erklärung nach § 30 GO) 3512B Vizepräsident Cronenberg 3510D, 3512 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1988 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1988) (Drucksachen 11/1000, 11/1431) Niegel CDU/CSU 3512D, 3520A Müller (Pleisweiler) SPD 3514 B Funke FDP 3516B Sellin GRÜNE 3517 B Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär BMWi 3518 C Pfuhl SPD 3519 B Tagesordnungspunkt 20 b: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Ernährungssicherung in Hungerregionen (Drucksachen 11/946, 11/1501) in Verbindung mit Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 III Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN: Ernährungssituation in Äthiopien (Drucksache 11/1482) Höffkes CDU/CSU 3520 C Frau Eid GRÜNE 3521 D Frau Folz-Steinacker FDP 3523 D Großmann SPD 3525 C Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär BMZ 3527 A Nächste Sitzung 3528 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 3529* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3399 49. Sitzung Bonn, den 10. Dezember 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 48. Sitzung, Seite IV, linke Spalte: Statt „ZusFr Frau Bulmahn GRÜNE" ist „ZusFr Frau Bulmahn SPD" zu lesen. Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 11. 12. Dr. Ahrens * 11. 12. Andres 11. 12. Bahr 11. 12. Frau Becker-Inglau 11. 12. Frau Beck-Oberdorf 11. 12. Frau Blunck * 11. 12. Böhm (Melsungen) * 11. 12. Frau Brahmst-Rock 11. 12. Brandt 10. 12. Dr. Briefs 11. 12. Büchner (Speyer) * 11. 12. Dr. von Bülow 11. 12. Frau Fischer * 11. 12. Dr. Friedrich 11. 12. Frau Ganseforth 11. 12. Dr. von Geldern 10. 12. Glos 11. 12. Dr. Glotz 11. 12. Grünbeck 11. 12. Haack (Extertal) 11. 12. Frau Dr. Hellwig 11. 12. Frau Hoffmann (Soltau) 11. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Hürland-Büning 11. 12. Jaunich 10. 12. Frau Kelly 11. 12. Kittelmann * 11. 12. Kolb 11. 12. Kreuzeder 11. 12. Lemmrich * 11. 12. Frau Luuk * 11. 12. Dr. Mahlo 11. 12. Marschewski 11. 12. Dr. Mertens (Bottrop) 11. 12. Dr. Möller 11. 12. Dr. Müller * 11. 12. Dr. Neuling 11. 12. Frau Oesterle-Schwerin 11. 12. Frau Olms 11. 12. Oswald 11. 12. Petersen 11. 12. Poß 10. 12. Rauen 11. 12. Dr. Schmude 10. 12. von Schmude 11. 12. Schröer (Mülheim) 10. 12. Schulze (Berlin) 11. 12. Frau Seuster 11. 12. Frau Dr. Timm * 11. 12. Frau Trenz 11. 12. Frau Vennegerts 11. 12. Dr. Warnke 11. 12. Wieczorek (Duisburg) 11. 12. Würtz 11. 12.
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    Rede von Uta Würfel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren! Sehr geehrte Damen! Der Gründer von Amnesty International, Peter Benenson, schrieb 1961:
    Schlagen Sie Ihre Zeitung an irgendeinem beliebigen Tag auf, und Sie werden eine Meldung aus irgendeinem Teil dieser Welt lesen, die folgendermaßen lautet: Ein Mensch ist eingekerkert, gefoltert, hingerichtet worden, weil seine Ansichten oder religiösen Überzeugungen nicht mit denen der Machthaber übereinstimmten.
    Leider gilt dies heute noch. Millionen solcher Menschen sitzen in Gefängnissen, keineswegs nur hinter dem Eisernen oder dem Bambusvorhang; und ihre Zahl wächst.
    Die Unterzeichnung des Vertrages über den Abbau atomarer Mittelstreckenraketen durch Präsident Reagan und Parteichef Gorbatschow war für die Weltöffentlichkeit ein Signal von besonderer Tragweite. Wer könnte sich angesichts dieses historischen Ereignisses nicht des persönlichen Gefühls erwehren, daß hiermit ein Weg beschritten worden ist, durch den wir womöglich alle eine neue, eine andere Lebenschance, ja, Lebensqualität erhalten können?
    3446 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
    Frau Würfel
    Heißt aber die Unterzeichnung dieses ersten wirklichen Abrüstungsabkommens, daß die Völker unserer Erde von nun an ohne Angst leben werden? Ganz bestimmt heißt es das nicht.
    In unserem Jahrzehnt finden in jedem dritten Staat der Erde brutale Folter- und Mißhandlungspraktiken Anwendung.
    In etwa 130 Staaten ist die Todesstrafe nach wie vor gesetzlich verankert, und nach wie vor nehmen Regierungen ihren Bürgern das Leben, sei es in Form von Hinrichtungen, sei es durch politische Morde.
    In unzähligen Gefängnissen sitzen Menschen ein, weil sie dafür bestraft wurden, daß sie sich zu ihren politischen oder religiösen Überzeugungen bekannt haben.
    In zahlreichen Staaten der Erde sind Menschen wegen politischer Vergehen in Haft, ohne daß ihnen Gelegenheit gegeben wird, sich in einem fairen Gerichtsverfahren zu verteidigen.
    In unzähligen Haftzentren, Gefängnissen und Militärlagern werden Menschen brutal mißhandelt und gefoltert.
    Selbstverständlich sind von Menschenrechtsverletzungen Männer und Frauen gleichermaßen betroffen, so wie die Menschenrechte für Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen zu gelten haben.
    Dennoch gibt es besondere Formen von Menschenrechtsverletzungen, die ausschließlich an Frauen verübt werden. Frauen werden verfolgt und inhaftiert, weil sie gegen kulturelle jahrtausendealte Normen und Sitten aufbegehren und gegen die ihnen von der Gesellschaft zudiktierte Rolle opponieren. Frauen werden als Geiseln genommen, inhaftiert und gefoltert, um ihre Männer oder Familienangehörigen zu zwingen, sich zu stellen. Frauen sind in ihren Verfolgungssituationen einem Polizei- und Militärapparat ausgeliefert, der oft ausschließlich aus Männern besteht. Vergewaltigungen und sexueller Mißbrauch weiblicher Häftlinge in Verhör- und Haftsituationen sind an der Tagesordnung. Sexuelle Gewalt wird häufig als ein überlegtes Mittel eingesetzt, um Persönlichkeit und Menschenwürde der Frauen zu zerstören.
    Es besteht eine große Kluft zwischen den Verpflichtungen von Regierungen zur Achtung der Menschenrechte und ihren tatsächlichen Praktiken.
    Die Realisierbarkeit der Menschenrechte hängt vielfach nicht nur von schriftlichen Garantien eines Staates oder einer Staatengruppe ab, sondern auch von einer Menschenrechtspolitik, mit der andere Länder sowie Organisationen und Publizisten die Bewahrung und Einlösung solcher geschriebener Rechtsgarantien wirkungsvoll unterstützen können. Keine Regierung der Welt darf für sich in Anspruch nehmen, das Recht zu haben, ihre Bürger willkürlich zu verhaften, zu foltern, zu töten oder derartige Praktiken auch nur zu dulden.

    (Beifall bei allen Fraktionen — Abg. Dr. Knabe [GRÜNE]: Keine!)

    — Keine!
    Eine ganz besondere Mahnung, den Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen fortzusetzen, ist der
    nicht enden wollende Strom von Flüchtlingen, die auf der Suche nach Sicherheit schon fast jede Staatsgrenze dieser Welt überschritten haben. Während die einen ihre Heimat auf Grund von Hungersnöten oder kriegerischen Auseinandersetzungen verlassen mußten, wurden viele andere zur Flucht gezwungen, weil sie von Menschenrechtsverletzungen betroffen waren. Verletzungen der Menschenrechte sind nicht symptomatisch für bestimmte Regionen oder politische Systeme. Herr Lintner hat auf die Menschenrechtsverletzungen im östlichen Teil unseres Vaterlandes hingewiesen.
    Ich hatte im November dieses Jahres Gelegenheit, pakistanische Flüchtlingslager an der Grenze zu Afghanistan zu besichtigen. Ich möchte Ihnen kurz davon berichten.
    Im Januar geht der Krieg von Afghanistan ins neunte Jahr. Die Auswirkungen dieses Krieges auf die zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Zivilbevölkerung sind groß. Die wichtigste und sichtbarste Folge des Krieges ist die größte zusammenhängende Flüchtlingsbewegung der Welt. Der Flüchtlingsstrom aus Afghanistan ergießt sich in die Nachbarländer. Die Zahl der Flüchtlinge ist inzwischen auf viereinhalb Millionen angestiegen. Von einem 15 Millionen Menschen umfassenden Volk hat bereits ein Drittel — als Folge der Gewalt, des Unrechts und der Leiden — seine Heimat verlassen. Dies ist ein Faktum, meine Damen und Herren, das bereits an sich ein Menschenrechtsproblem darstellt.

    (Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Afghanistan blutet aus. Die Strategie der Sowjetunion zielt offensichtlich darauf ab, die Bevölkerung durch nicht nachlassende Bombardierung der Dörfer, der Städte und der Ernten zum Verlassen des Landes zu zwingen. Diese Entvölkerungspolitik zeigt deutliche Erfolge. Wie gesagt, jeder dritte Afghane hat sein Land bereits verlassen und ist geflohen. Besonders die Kinder, die älteren und schwachen Menschen sind den Strapazen der Flucht in der Regel nicht gewachsen. Die Kindersterblichkeit lag im Winter 1985 beinahe bei 85 %.
    Ich habe Flüchtlingslager in Belutchistan angetroffen, in denen die Menschen Mangel an Nahrung, an Kleidung, an Schutz vor Kälte und vor allem an Hygiene haben. Ein einziger künstlich angelegter Wassergraben läuft durch ein riesiges Wüstengebiet, in dem das Wasser stundenweise morgens und abends angestellt wird. Diesem Wassergraben wird das Trinkwasser ebenso entnommen, wie man sich gleichzeitig darin wäscht. Sie können sich vorstellen, wie Krankheiten durch diesen Mangel an Hygiene im Flüchtlingslager begünstigt werden. Auf der anderen Seite gibt es nicht die geringste medizinische Versorgung.
    Die Registrierung der Flüchtlinge durch die pakistanischen Behörden in Belutchistan erfolgt durch die Vielzahl der angekommenen Flüchtlinge so schleppend, daß wir Flüchtlinge angetroffen haben, die seit Monaten nicht registriert worden sind und die, um nicht zu verhungern, weil nur registrierte Flüchtlinge Nahrung erhalten, tagelange Fußmärsche in Kauf
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3447
    Frau Würfel
    nehmen, um beim pakistanischen Straßenbau ein paar Rupien verdienen zu können.
    Meine Damen und Herren, meine Zeit reicht nicht aus, um weiteres zu schildern. Wir beschäftigen uns ja auch morgen noch einmal mit Afghanistan. Deshalb möchte ich zusammenfassen:
    Die humanitäre Hilfe für Flüchtlinge ist zweifellos eine wichtige Aufgabe, die von vielen Hilfsorganisationen zu leisten versucht wird. Humanitäre Hilfe kann jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn Menschenrechtsverletzungen, die so viele Flüchtlingsbewegungen erst auslösen, begegnet und ein Ende bereitet wird.

    (Dr. Knabe [GRÜNE]: Richtig!)

    Die internationale Staatengemeinschaft, aber auch wir in der Bundesrepublik sind aufgerufen, allen vor Krieg oder staatlichen Repressionen fliehenden Menschen zu helfen. Aber wir müssen auch daran arbeiten, den Menschenrechtsverletzungen Einhalt zu gebieten, die so viele Menschen in unfreiwilliges Exil zwingen.

    (Beifall bei allen Fraktionen)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gautier.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Fritz Gautier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die bisherige Debatte verfolgt hat, kann man zu einem ganz eigenartigen Eindruck kommen: entweder Thema verfehlt, oder es war, was die Ergebnisse des Kopenhagener Gipfels angeht, der Bereich Schönfärberei. Das, was ich am besten fand, war die außenpolitische Rede des ab 1. Januar 1988 personifizierten Ratspräsidenten, Herrn Genscher, die ich wirklich sehr beeindruckend fand.

    (Pfeffermann [CDU/CSU]:. Im Gegensatz zu Ihrer Rede!)

    Aber er hat quasi kein Wort zu den Aufgaben der deutschen Ratspräsidentschaft ab 1. Januar 1988 gesagt.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch des Bundesaußenministers Genscher)

    — Doch, das steht auf der Tagesordnung, nämlich der Kopenhagener Gipfel, die Schlußfolgerungen, die wir daraus ziehen, und was die Aufgaben der deutschen Ratspräsidentschaft sind.
    Herr Genscher, Sie als personifizierter Ratspräsident haben ja ab 1. Januar 1988 das Vergnügen, die Geschicke der EG wesentlich mitzubestimmen.

    (Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Der bekommt gleich Angst, wenn er Sie hört!)

    — Das weiß ich nicht. Das hoffe ich jedenfalls nicht. Ich bin an sich ein ganz friedlicher Mensch. Von daher nehme ich das nicht an.

    (Beifall bei der SPD)

    Am 1. Januar 1988 haben wir übrigens noch einen sehr bemerkenswerten Tag. Am 1. Januar 1988 sind nämlich die Römischen Verträge 30 Jahre lang in Kraft. Wenn wir einmal ganz kurz zurückblicken, hat es seit 1958 sicher ein in weiten Bereichen einen europapolitischen Aufbruch gegeben. Wir haben damals durch den Abbau der Grenzen, Verwirklichung der Zollunion, gemeinsame Handelspolitik, gemeinsame Agrarpolitik — damals noch als erfolgreich verstanden — , Niederlassungsfreiheit, Freizügigkeit und vieles mehr, viele Sachen im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft verwirklicht. Wir hatten dann in den 70er und zu Beginn der 80er Jahre zwei Erweiterungen der Gemeinschaft mit Großbritannien, Dänemark, Irland und später mit Griechenland, Spanien und Portugal. Diese Erweiterungen der Gemeinschaft fielen auch mit erheblichen ökonomischen Krisen zusammen, mit denen sich alle Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft auseinandersetzen mußten. Ich erinnere nur an die Ölpreisschocks, die wir zweimal hatten, und daran, daß viele Mitgliedsstaaten nicht die Konsequenz daraus gezogen haben, gemeinsam eine Politik zu betreiben, sondern die nationalen Egoismen zugenommen haben.
    Die EG hatte nach meiner Einschätzung kaum die Kraft zu einem gemeinsamen Handeln. Das Ergebnis der Politik der 70er und 80er Jahre ist so, wie es die Bürger draußen auch verstehen. Man hört dies, wenn man auf Veranstaltungen ist. Die Bürger verstehen die Europäische Gemeinschaft nämlich vielfach als einen Verein zur Finanzierung der Agrarpolitik. Da diese gemeinsame Agrarpolitik bei der Bevölkerung ein relativ schlechtes Image hat — darüber kann man nun lange reden, das ist so; das erfährt jeder, egal ob er in der Regierung oder in der Opposition ist — , spielt dies auch eine Rolle für das Image der EG insgesamt.
    Was wir, glaube ich, brauchen, ist eine neue Identifikation der Bürger mit der Europäischen Gemeinschaft. Ich glaube, daß hier Jacques Delors Bemerkenswertes geleistet hat, als er mit den Stichworten Binnenmarkt bis 1992, Selbstbehauptung Europas, Demokratisierung Europas und Loslösung von der Vorherrschaft des Dollar — als einige Stichworte, die ich hier nennen möchte — einen neuen Impuls gegeben hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Doch eine solche Vision von Europa nützt herzlich wenig, wenn sich nicht auch faktisch die Politik ändert. Eine Änderung dieser Politik sollte ja auf dem Gipfel in Kopenhagen erreicht werden. Drei Punkte sollten die Regierungschefs entscheiden, da die Fachminister dazu nicht in der Lage waren: die zukünftige Finanzierung der EG und Haushaltsdisziplin, die Rolle der Strukturfonds und die Reform der Agrarpolitik. Leider ist dieser Gipfel gescheitert. Warum? Weil die notwendige Reform der EG-Agrarpolitik nicht beschlossen werden konnte. Bundeskanzler Kohl und Agrarminister Kiechle haben dies zumindest mit verhindert und damit, glaube ich, langfristig auch den Interessen Deutschlands geschadet.

    (Beifall bei der SPD)

    Worum geht es im Bereich der Agrarpolitik? Ich möchte einmal ein paar Zahlen sagen. Die Kosten der Agrarpolitik sind, glaube ich, für fast keinen Bürger mehr verständlich. Im Haushalt 1988 stehen sage und schreibe 57 Milliarden DM für Agrarmarktordnungsausgaben. Das sind 68 % des EG-Haushalts oder umgerechnet 160 Millionen DM pro Tag oder, in einer
    3448 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
    Dr. Gautier
    anderen Zahl, 170 DM pro Kopf der Bevölkerung in der Europäischen Gemeinschaft. Wir haben in den letzten Jahren jährliche Steigerungsraten des Agrarhaushalts von 10 bis 20% gehabt. Die Subventionen in der Landwirtschaft, ausgedrückt in Haushaltszahlen, übersteigen mittlerweile die Nettowertschöpfung in der Landwirtschaft.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Dann müßten die Bauern ja schon alle Millionäre sein!)

    — Nein. Ich komme noch darauf zurück, warum sie nicht Millionäre sind.
    Warum ist es so, daß wir solche explodierende Agrarausgaben haben?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie einmal etwas Neues!)

    — Ja, ja. Seien Sie einmal ganz ruhig! — Warum ist dies so? Ich glaube, es ist ein grundsätzlicher Mangel der europäischen Agrarpolitik, daß wir sie so wie Leistungsgesetze in der Bundesrepublik Deutschland konzipiert haben. Zum Beispiel richten sich Kindergeldzahlungen in der Bundesrepublik Deutschland nach der Anzahl der Kinder. Dies sind typische Leistungsgesetze, und das ist gut so. Wenn die Geburtenrate hoch ist, dann entstehen eben mehr Kosten für Kindergeld. Aber genauso ist auch die europäische Agrarpolitik konzipiert. Wir subventionieren das Produkt. Wird viel Getreide produziert, dann wird es halt teuer; es ist wie bei einem Leistungsgesetz. Dies kann halt nicht gutgehen; denn im Gegensatz zu den Geburtenzahlen wird jedes Jahr mehr an Getreide, Rindfleisch, Ölsaaten usw., usf. produziert, und die EG muß bezahlen, unabhängig davon wieviel produziert wird.

    (Beifall des Abg. Dr. Vogel [SPD])

    Das Ziel dieser Politik, nämlich die Sicherung des landwirtschaftlichen Einkommens, wird dadurch erwiesenermaßen ja nicht erreicht. Im Gegenteil: Die Agrareinkommen stagnieren, und die Einkommensschere innerhalb der Landwirtschaft geht immer weiter auseinander.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Wenn man sich die Agrarausgaben der EG einmal nach Produkten ansieht, stellt man fest, daß der größte Batzen des Geldes für Getreide, Milch, Rindfleisch und Fette ausgegeben wird.