Rede von
Dora
Flinner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der EG-Gipfel in Kopenhagen ist ohne Einigung über die Agrar- und Finanzreform zu Ende gegangen. Herr Kohl sagt: Von einem Scheitern des Gipfels kann man nicht sprechen. Was ist es denn sonst?; so frage ich.
Ich möchte mit dem Agrarbereich beginnen, der für die meisten Schwierigkeiten, die höchsten Ausgaben und die dicksten Schlagzeilen sorgt. Ich finde es aber schade, daß weder Herr Kiechle noch einer seiner Staatssekretäre anwesend sind.
— Ja, die Bauern zu verkaufen; das ist richtig.
Hier ist eine Neuordnung schon lange dringend notwendig. Aber schon wieder ist sie durch eine gegenseitige Blockadepolitik verschoben. Dabei kostet jede Verzögerung wieder riesige Geldsummen. Die hohen Summen werden nicht für uns Bauern verbraucht — bei uns kommt nur ein geringer Prozentsatz an —, sondern für die Erzeugung riesiger Überschüsse, die nirgendwo abgesetzt werden können, nicht bei uns, nicht innerhalb der EG und auch nicht auf dem Weltmarkt.
Das Geld fließt überwiegend in die Agro-Industrie. Lagerhaus- und Kühlhausbetreiber sowie Transportunternehmen kassieren ab. Es sieht aber so aus, als ob wir Bauern von den Milliarden profitierten.
Erst kürzlich hieß es aus SPD-Kreisen, wenn man die Stahlarbeiter so hoch subventionierte wie uns Bauern, dann drohten keine Massenentlassungen. Hier liegt der große Irrtum. Wofür werden denn die Millionen ausgegeben? Dienen sie wirklich dem Erhalt von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft? Nein; denn die ganzen Programme der Regierung, die sie auch EG-weit durchsetzen will, haben nur das eine Ziel: die bäuerliche Landwirtschaft abzubauen.
Die Politik des Herrn Kiechle hat das Sterben von 100 000 Betrieben schon fest ins Agrarkonzept einprogrammiert. Das ist der sogenannte Strukturwandel. Wenn Herr Kiechle beklagt, daß es eine in Jahrhunderten gewachsene Landwirtschaftsstruktur ist, die er nicht nach dem Krieg aus dem Boden stampfen konnte, dann verrät sich sein Ziel, den Strukturwandel zu Lasten der Kleinen zu beschleunigen.
Die Programme zur Flächen- und Betriebsstillegung sowie zur Vorruhestandsregelung, die die Bundesregierung EG-weit durchsetzen will, sind eine gewaltige Aktion zur Vernichtung von Arbeitsplätzen.
Aber nicht nur das; gestern wurde im Agrarausschuß ganz deutlich: Die Überschüsse und deren Finanzierung bekommen wir durch diese Programme nicht weg. — Auch Sie waren im Ausschuß dabei. — Denn ertragreiche Flächen werden nicht stillgelegt, da hierfür 1 200 DM/ha zuwenig sind; das macht kein Bauer mit. Somit ist doch offenkundig, daß hier auch wieder Preissenkungen und Einkommensverluste durch die Hintertür uns Bauern abverlangt werden wie die Mitverantwortungsabgabe und die Stabilisatoren.
Da sagt der Landwirtschaftsminister: Uns Agrarpolitikern stehen weiterhin schwierige Zeiten bevor. Er meint in Wirklichkeit: Den Bauern stehen schwierige Zeiten bevor. Er versüßt diesen Satz mit dem völlig unpassenden Leitspruch — den hat er unlängst, letzte Woche, gesagt — : „Um Honig zu essen, muß man auch einmal in den Bienenstock klettern. " Aber von Honigessen kann bei uns Bauern keine Rede sein. Diejenigen, die den Honig essen, sind nicht dieselben
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3445
Frau Flinner
wie diejenigen, die in den Bienenstock klettern müssen.
Es heißt: — Wir Deutsche sind in der EG die größten Nettobeitragszahler, aber gleichzeitig auch die größten Nutznießer. — Im großen und ganzen stimmt das auch, angesichts dessen, daß der deutsche Exportüberschuß im wesentlichen innerhalb der EG verbleibt. Aber die Vorteile und die Nachteile sind ungerecht verteilt. Während die deutsche Industrie vom Export kräftig profitiert, leidet unsere deutsche Landwirtschaft. Weil die Regierung der Industrie gegenüber immer nachgibt, müssen wir Bauern die Folgen tragen. Das heißt für Tausende: Aufgabe ihrer Höfe, ihrer Existenzen, ich möchte sogar behaupten: auch das Aufgeben ihrer Heimat.
Mit solcher EG-Agrarpolitik kann man den zur Zeit vielzitierten ländlichen Raum nicht erhalten.
Wie soll es in der EG weitergehen, wenn demnächst Deutschland, der sogenannte Zahlmeister, die Präsidentschaft übernehmen wird?
Um erfolgreich zu sein, damit es unter Herrn Kohls Präsidentschaft keinen Zusammenbruch gibt, muß er Herrn Kiechle zu weiteren Bauernopfern drängen. 10 bis 15 % Einkommenseinbußen sind einkalkuliert. Es ist ein aussichtsloses Rückzugsgefecht.
Für uns deutsche Bauern hat die EG das Aus gebracht. Aber wie sollte es anders sein, wenn in der Hauptsache die Interessen der Industrie berücksichtigt werden? Solange die EG nur nach ökonomischen Gesichtspunkten geführt wird, kann es keine befriedigenden Ergebnisse geben. Zwar gibt es als Alibi Umweltprogramme sozusagen nebenbei, als Bonbon oder Trostpflaster, aber in Wirklichkeit bleibt der Umweltschutz doch auf der Strecke. Von einer ökologischen Gemeinschaft sind wir leider weit entfernt.
Im Gegenteil: Mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit eines EG-weiten Vorgehens werden sinnvolle und notwendige Maßnahmen zum Umweltschutz blockiert, abgeschwächt oder verzögert. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an den Katalysator, die Schadstoff- und Grenzwertdiskussionen und ähnliches. Gerade in diesen Bereichen wären nationale Alleingänge zwingend notwendig.
Ein weiterer Punkt sind die Infrastrukturen, die ausgeglichen werden sollen. Aber mit diesen Angleichungen sind auch wieder Umweltprobleme verbunden. Mit europäischer Gleichmacherei werden nicht nur die regionalen Eigenheiten zerstört, sondern gewachsene Strukturen und ländliche Räume der anderen EG-Länder sind in Gefahr. Die einzigen, die dabei verdienen, sind wieder die Großindustrien.
Nun war das Scheitern des Gipfels in Kopenhagen keine große Überraschung. Schließlich hatten dort die Regierungen ganz unterschiedlicher Länder eine Einigung zu finden. Wenn man dagegen betrachtet, daß
sich hier nicht einmal die Parteien dieses Hauses auf eine kurze Empfehlung an die Regierung einigen konnten, ist das Versagen in Kopenhagen nur logisch.
Was wir brauchen, ist eine ganz andere Politik: eine ökologische Ausrichtung der EG. Ökonomische Nutzen fallen dabei von alleine an. Ein ökologischer Umbau der EG-Agrarpolitik fordert die Abkehr von der Industrialisierung und der Chemisierung, vom Abbau der bäuerlichen Landwirtschaft, der so schön neutral immer „Strukturwandel des ländlichen Raumes" genannt wird.
Nicht die Förderung der Alternativen zur Landwirtschaft, sondern die Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft ist notwendig zum Erhalt des ländlichen Raums. Dazu gehört auch ein dringend notwendiges Programm gegen die EG-weite Massenarbeitslosigkeit.
Wir GRÜNEN sind der Auffassung, daß Arbeitsplätze neu geschaffen werden könnten. Einige Beispiele möchte ich aufzeigen: im ökologischen Landbau, in der Forstwirtschaft und bei der Herstellung technischer Geräte für die ökologische Landwirtschaft. Im gesamten Umweltbereich könnte man vielen einen Arbeitsplatz verschaffen. Ich denke weiterhin an einen umfassenden Überstundenabbau. Wir GRÜNEN haben schon oft in unseren Beiträgen Ideen und Vorschläge entwickelt, neue Wege für eine EG-Politik, die gangbar sind.
Wir fordern Sie auf, endlich den Weg einzuschlagen, der uns alle aus der europäischen Katastrophe führt.
Danke.