Rede von
Eduard
Lintner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die Regierungserklärung des Bundeskanzlers zu dem soeben in Washington unterzeichneten Abrüstungsabkommen gerade am internationalen Tag der Menschenrechte, nämlich heute, abgegeben wird, ist sicher ein Zufall.
Und doch ist dieses Zusammentreffen nicht ohne eine tiefere Logik; denn Rüstungskontrolle und Abrüstung sind nur in einem Klima gegenseitigen Vertrauens zwischen Ost und West möglich. Ein solches Vertrauen kann nur geschaffen werden, wenn alle Felder der Politik in diesen Prozeß mit einbezogen werden. Eine Beschränkung auf ein Gebiet, z. B. die Sicherheitspolitik, ist dem Vertrauen als einem bestimmten Zustand völlig wesensfremd.
Deshalb war es folgerichtig und ganz in unserem Sinne, wenn der amerikanische Präsident bei seinem Treffen mit dem sowjetischen Generalsekretär auch nach der Verwirklichung der Menschenrechte gefragt hat. Die große Ernsthaftigkeit dieses Anliegens kommt dabei auch darin zum Ausdruck, daß künftig eine eigene Arbeitsgruppe sich des Themas „Menschenrechte" annehmen wird.
Die Menschen wollen in einer Welt leben, in der das Recht auf Leben, Freiheit und Glück für alle gewährleistet wird,
hat der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow in seiner Rede nach der Vertragsunterzeichnung in Washington u. a. gesagt. Dann hat er hinzugefügt:
Die Menschen wollen in einer demokratischen und freien Welt leben, wo alle gleich sind, wo jedes Volk ein Recht auf die Wahl seiner Gesellschaft ohne Einmischung von außen hat.
Ein großes Wort, meine Damen und Herren.
Die Lösung der deutschen Frage könnte das praktische Beispiel für die Gültigkeit dieses Wortes sein.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3443
Lintner
Wenn also Michail Gorbatschow mit seiner Ankündigung Ernst machen will, dann soll er dem deutschen Volk die — wie er sich wörtlich ausgedrückt hat —„Wahl seiner Gesellschaft ohne Einmischung von außen" ermöglichen.
Präsident Reagan hat uns aus dem Herzen gesprochen, als er bei seinem Besuch in Berlin öffentlich von Gorbatschow die Beseitigung der Mauer gefordert hat. Ebenso war es als der stellvertretende amerikanische Außenminister Whitehead wenig später im Gespräch mit Erich Honecker schlicht feststellte, den Amerikanern werde es immer unverständlich bleiben, wieso ein Staat auf seine eigene Bevölkerung schießen lasse. Gott sei Dank scheint in diesem Punkt bei der DDR-Führung heute Nachdenklichkeit zu herrschen; denn das Schießen ist an der innerdeutschen Grenze zumindest seltener geworden.
Vertrauensbildung ohne die Achtung von Menschenrechten — wie z. B. der Respekt vor der Persönlichkeit des einzelnen Menschen — ist unmöglich. Wenn für den Machterhalt jedes Mittel recht ist, dann werden Rechte und Pflichten letztlich zu bloßen, unglaubwürdigen Lippenbekenntnissen. Der tatsächliche Umgang mit Menschenrechten — nicht der verbale — ist sozusagen das Spiegelbild der eigentlichen politischen Absichten, ein Charakteristikum des politischen Systems und deshalb auch für alle übrigen Felder der Politik bedeutsam.
Als Deutsche liegt uns vor allem die menschenrechtliche Situation unserer Landsleute am Herzen. Hier tragen wir eine ganz unmittelbare und in den Augen der Welt sicher auch ganz selbstverständliche Verantwortung.
Wir haben daher nicht nur das Recht, sondern geradezu die Verpflichtung, an einem Tag wie heute jene Staaten des Ostblocks, in denen Deutsche und deutsche Minderheiten leben, daran zu erinnern, daß sie allen menschenrechtlichen, im Völkerrecht relevanten Verträgen und Vereinbarungen zugestimmt haben. Sie haben sich dadurch aber auch allen anderen Unterzeichnerstaaten gegenüber verpflichtet, die elementaren Menschen- und Bürgerrechte zu garantieren.
Damit haben sie sich — wie übrigens ganz selbstverständlich auch wir — einer Art ständigen weltweiten öffentlichen Kontrolle über den Grad der Verwirklichung dieser Vertragspflichten bei ihnen zu Hause unterworfen. Das bedeutet im Klartext: Wenn wir die Einhaltung dieser Zusicherungen einfordern, dann kann uns nicht entgegengehalten werden, das sei eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Staates.
Im übrigen müssen sich die Machthaber in den Ostblockstaaten natürlich auch von ihrer eigenen Bevölkerung fragen lassen, ob sie denn auch meinen, was sie draußen in der Welt beteuern und häufig in ihren eigenen Länderverfassungen sogar auch noch ausdrücklich schriftlich verankert haben. Der offene Widerspruch zwischen öffentlichen Bekundungen und der Wirklichkeit ist heute zu eklatant, als daß darüber nicht auch in diesen Ländern offen debattiert werden müßte.
Solange das aber z. B. in der DDR unter Strafdrohung steht, sind wir freie Deutsche im demokratischen Staat Bundesrepublik in besonderem Maße verpflichtet, über die menschenrechtliche Wirklichkeit in der DDR die Welt offen zu informieren. Selbstverständlich sind die Bundesregierung und wir an vernünftigen Beziehungen zu der Regierung der DDR und zu den Ostblockstaaten interessiert. Aber es wäre ein folgenschweres Mißverständnis, wenn daraus der Schluß gezogen würde, wir würden um der lieben Beziehungen willen zu Menschenrechtsverletzungen schweigen oder einfach zur Tagesordnung übergehen.
Selbstverständlich kann auch Schweigen manchmal hilfreich sein; zahlreiche Einzelbeispiele belegen das. Aber Schweigen zu bestimmten Zuständen allgemeiner Art droht in Komplizenschaft mit den Unterdrückern auszuarten. Diesen Vorwurf wollen wir uns nicht zuziehen.
Diese Haltung kommt auch darin zum Ausdruck, daß wir uns künftig von einer unabhängigen Wissenschaftlerkommission beim Bundesjustizministerium regelmäßig in objektiver Form über die menschenrechtliche Situation der Deutschen in den Staaten des Ostblocks berichten lassen. Der erste Bericht wird uns in Kürze als Bundestagsdrucksache vorliegen.
Für die Deutschlandpolitik möchte ich in diesem Zusammenhang besonders hervorheben, daß die Forderung der Deutschen nach Einheit zunächst und vor allem die Forderung nach Einlösung des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes ist, ein Recht, das uns genauso selbstverständlich wie allen übrigen Völkern der Welt zusteht und auch zugestanden werden muß. Es gibt daher keinen einsehbaren Grund, dieses ganz natürliche, in der Menschenwürde verankerte Recht gerade den Deutschen vorzuenthalten. Die Forderung der Deutschen nach Wiedervereinigung ist daher keine typisch deutsche Besonderheit, sondern ein ganz selbstverständlicher Wunsch des deutschen Volkes.
Selbstbestimmungsrecht für die Deutschen meint aber logischerweise zugleich auch immer Selbstbestimmungsrecht für die anderen betroffenen Völker. Wenn wir also für unser Selbstbestimmungsrecht eintreten, dann bieten wir damit auch den Völkern im Ostblock eine demokratische Perspektive, denen ja ebenfalls bis heute das Selbstbestimmungsrecht verweigert worden ist. Das Wiedervereinigungsgebot hat daher nichts, aber auch gar nichts mit Revanchismus oder ähnlichem zu tun, sondern es ist ein völkerrechtlich längst anerkanntes Menschenrecht, ein unverzichtbarer Anspruch auch für das deutsche Volk.
Meine Damen und Herren, daß es innerhalb des Kommunismus auch in bezug auf nationale Minderheiten anders geht, zeigt beispielhaft die Volksrepublik Ungarn. Dort sind heute den Deutschen jene Minderheiten- und Volksgruppenrechte verbindlich zugesagt und verwirklicht, deren Geltung wir in be-
3444 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
Lintner
zug auf unsere Landsleute auch von den Regierungen in der CSSR, in Polen, in der UdSSR und in Rumänien fordern.
Das Beispiel Ungarn stellt einen großen Erfolg der Politik der Bundesregierung bei der Implementierung von Menschen- und Minderheitenrechten dar.
— Zugegeben, auch der Einsicht der Ungarn.
Gemäß der mit der ungarischen Regierung getroffenen Vereinbarung werden es die in Ungarn lebenden Deutschen künftig leichter haben, sich ihrer Kultur in Wort und Schrift zu bedienen, eigene Gottesdienste abzuhalten und die deutsche Sprache in der Schule zu lernen.
Das Beispiel Ungarn muß jetzt dazu genutzt werden, auch die übrigen Ostblockregierungen von der Richtigkeit dieses Umgangs mit den deutschen Minderheiten zu überzeugen.
Der Tag der Menschenrechte, den wir heute begehen, muß auch ein Tag sein, an dem wir die deutsche Frage auf die Tagesordnung der Politik setzen. Dabei können wir, weil es sich um eine menschenrechtlich begründete Forderung handelt, auf das Verständnis und die Unterstützung auch unserer ausländischen Freunde und der übrigen Welt rechnen und hoffen.
Ich füge hinzu: Angesichts der Reden von Gorbatschow jetzt in den USA sollte uns eigentlich auch das Verständnis der Sowjetunion für diesen Wunsch sicher sein.
Wir können unsere Forderung deshalb mit großer Selbstverständlichkeit und großem Selbstbewußtsein erheben. Wir sollten dies auch immer wieder möglichst gemeinsam mit einer Stimme tun.
Überhaupt glaube ich, daß diese Gemeinsamkeit für die Durchsetzung dieses Anliegens besonders wichtig ist. Da sich alle Fraktionen und Parteien zu den Menschenrechten bekennen, sollte es möglich sein, diese Gemeinsamkeit auch zu erreichen.
Ich danke Ihnen.