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ID1104903400

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/49 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 49. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 Inhalt: Nachruf auf das verstorbene Mitglied des Deutschen Bundestages Dr. h. c. Peter Lorenz 3399 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 3399C, 3440 D Absetzung des Punktes 20a von der Tagesordnung 3400 A Tagesordnungspunkt 16: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Die Reform der Strukturfonds (Drucksachen 11/929 Nr. 2.3, 11/1209) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Mitteilung der Kommission über die Haushaltsdisziplin (Drucksachen 11/929 Nr. 2.2, 11/1211) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Zweite Änderung des Vorschlags für eine Verordnung (EGKS — EWG — EURATOM) des Rates zur Änderung der Haushaltsordnung vom 21. Dezember 1977 für den Haushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (Drucksachen 11/929 Nr. 2.5, 11/1212) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Sitzung des Europäischen Rates am 29./30. Juni 1987 in Brüssel (Drucksachen 11/523, 11/1293) Dr. Kohl, Bundeskanzler 3400 C Dr. Vogel SPD 3406 D Rühe CDU/CSU 3412D Dr. Mechtersheimer GRÜNE 3418D Mischnick FDP 3421 B Frau Wieczorek-Zeul SPD 3424 B Frau Geiger CDU/CSU 3427 A Frau Beer GRÜNE 3429 C Genscher, Bundesminister AA 3432 B Dr. Spöri SPD 3435 D Bohl CDU/CSU 3438 C Erler SPD 3441A Lintner CDU/CSU 3442 C Frau Flinner GRÜNE 3444 B Frau Würfel FDP 3445 D Dr. Gautier SPD 3447 B Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 3449 C Brück SPD 3451A Becker (Nienberge) SPD (zur GO) 3452 B Seiters CDU/CSU (zur GO) 3452 C Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) 3452 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10, Dezember 1987 Namentliche Abstimmung 3454 A Ergebnis 3482 D Tagesordnungspunkt 17: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Kohlevorrangpolitik (Drucksache 11/958) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung Zustimmungsbedürftige Verordnung über den Prozentsatz der Ausgleichsabgabe nach dem Dritten Verstromungsgesetz für das Jahr 1988 (Drucksachen 11/1350, 11/1446) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung des Antrags des Abgeordneten Stratmann und der Fraktion DIE GRÜNEN: Umbaukonzept für die heimische Steinkohle (Drucksache 11/1476) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerstein, Wissmann, Dr. Lammert, Müller (Wadern) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Baum, Beckmann, Dr. Graf Lambsdorff, Dr. Hirsch, Dr. Hoyer, Dr.-Ing. Laermann, Möllemann, Frau Würfel und der Fraktion der FDP: Förderung der deutschen Steinkohle (Drucksache 11/1485) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Solidarität mit dem Widerstand der Bergleute und Stahlarbeiter gegen Arbeitsplatz- und Standortvernichtung (Drucksache 11/1511) Meyer SPD 3455 B Gerstein CDU/CSU 3458 C Stratmann GRÜNE 3460 C Beckmann FDP 3463 A Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 3464 C Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 3468A, 3478 C Schreiber CDU/CSU 3472 A Jung (Düsseldorf) SPD 3473 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 3475A, 3478 D Hinsken CDU/CSU 3476 B Dr. Lammert CDU/CSU 3479 A Namentliche Abstimmungen 3479D, 3480A Ergebnisse 3484B, 3485 D Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung empfängnisverhütender Mittel durch die Krankenkassen (Drucksache 11/597) Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 3480 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 3488 A Kirschner CDU/CSU 3489 B Frau Würfel FDP 3490 C Vogt, Parl. Staatssekretär BMA 3491 C Tagesordnungspunkt 19: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 1986 (Drucksachen 11/42, 11/1131) Weiskirch, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 3492 A Heistermann SPD 3494 B Breuer CDU/CSU 3498 A Frau Schilling GRÜNE 3501 B Nolting FDP 3503 C Leidinger SPD 3505 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg 3509 B Leidinger SPD (Erklärung nach § 30 GO) 3512B Vizepräsident Cronenberg 3510D, 3512 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1988 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1988) (Drucksachen 11/1000, 11/1431) Niegel CDU/CSU 3512D, 3520A Müller (Pleisweiler) SPD 3514 B Funke FDP 3516B Sellin GRÜNE 3517 B Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär BMWi 3518 C Pfuhl SPD 3519 B Tagesordnungspunkt 20 b: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Ernährungssicherung in Hungerregionen (Drucksachen 11/946, 11/1501) in Verbindung mit Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 III Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN: Ernährungssituation in Äthiopien (Drucksache 11/1482) Höffkes CDU/CSU 3520 C Frau Eid GRÜNE 3521 D Frau Folz-Steinacker FDP 3523 D Großmann SPD 3525 C Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär BMZ 3527 A Nächste Sitzung 3528 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 3529* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3399 49. Sitzung Bonn, den 10. Dezember 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 48. Sitzung, Seite IV, linke Spalte: Statt „ZusFr Frau Bulmahn GRÜNE" ist „ZusFr Frau Bulmahn SPD" zu lesen. Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 11. 12. Dr. Ahrens * 11. 12. Andres 11. 12. Bahr 11. 12. Frau Becker-Inglau 11. 12. Frau Beck-Oberdorf 11. 12. Frau Blunck * 11. 12. Böhm (Melsungen) * 11. 12. Frau Brahmst-Rock 11. 12. Brandt 10. 12. Dr. Briefs 11. 12. Büchner (Speyer) * 11. 12. Dr. von Bülow 11. 12. Frau Fischer * 11. 12. Dr. Friedrich 11. 12. Frau Ganseforth 11. 12. Dr. von Geldern 10. 12. Glos 11. 12. Dr. Glotz 11. 12. Grünbeck 11. 12. Haack (Extertal) 11. 12. Frau Dr. Hellwig 11. 12. Frau Hoffmann (Soltau) 11. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Hürland-Büning 11. 12. Jaunich 10. 12. Frau Kelly 11. 12. Kittelmann * 11. 12. Kolb 11. 12. Kreuzeder 11. 12. Lemmrich * 11. 12. Frau Luuk * 11. 12. Dr. Mahlo 11. 12. Marschewski 11. 12. Dr. Mertens (Bottrop) 11. 12. Dr. Möller 11. 12. Dr. Müller * 11. 12. Dr. Neuling 11. 12. Frau Oesterle-Schwerin 11. 12. Frau Olms 11. 12. Oswald 11. 12. Petersen 11. 12. Poß 10. 12. Rauen 11. 12. Dr. Schmude 10. 12. von Schmude 11. 12. Schröer (Mülheim) 10. 12. Schulze (Berlin) 11. 12. Frau Seuster 11. 12. Frau Dr. Timm * 11. 12. Frau Trenz 11. 12. Frau Vennegerts 11. 12. Dr. Warnke 11. 12. Wieczorek (Duisburg) 11. 12. Würtz 11. 12.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Sie haben Sorgen! Die GRÜNEN sind Ihr Problem, Herr Kollege, nicht unseres.
    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Ergebnis des Kopenhagener Gipfels kann sicher niemand zufrieden sein. Es wäre gut und richtig gewesen, wenn die Europäische Gemeinschaft — nicht zuletzt auch am Vorabend des amerikanischsowjetischen Gipfels — sich in der Lage gezeigt hätte, ihre internen Probleme zu lösen. Aber es besteht kein Zweifel, daß der Zeitpunkt für eine Entscheidung noch nicht reif war. Es sind in der Tat wichtige Annäherungen erzielt worden, auf denen wir jetzt in unserer Präsidentschaft aufbauen können.
    Es ist unrichtig, der Bundesregierung oder irgendeiner anderen Regierung für den Ausgang des Gipfels in Kopenhagen einen Vorwurf zu machen. Es ist auch in der Tat nicht zu einem Austausch solcher Vorwürfe gekommen. Wir haben uns verständigt, daß der Strukturfonds deutlich erhöht und konzentriert wird. Es wäre falsch — meine Kollegen von der SPD, Sie sollten hier Ihre Meinung noch einmal überprüfen —, wenn wir den gesamten Strukturfonds verdoppeln würden. Dann würden wir die Reichen reicher machen, ohne denjenigen, die es brauchen, ausreichend helfen zu können. Es geht darum, die Mittel für den
    Regionalfonds für die Staaten zu verdoppeln, bei denen eine zusätzliche Entwicklung erforderlich ist. Das sind die beiden neu beigetretenen Länder Spanien und Portugal, das ist natürlich Irland, das ist natürlich Griechenland, und das gilt zu einem gewissen Grade auch für bestimmte Regionen in Italien. Wir haben uns darauf verständigt, daß wir durch Konzentration der Erhöhung der Mittel erreichen wollen, daß für diese Gebiete eine Verdoppelung geschaffen werden kann. Auch die Einigung über eine vierte Einnahmequelle ist ein bedeutender Fortschritt, weil damit die Aufbringung der Mittel gerechter, nämlich stärker nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, erfolgen wird.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Die Einführung der Stabilisatoren in die gemeinsame Agrarpolitik wird ein wichtiger Schritt zur Begrenzung der Agrarausgaben sein. Aber widerstehen wir der Gefahr, dem einen vorzuwerfen, er kümmere sich mehr um die Gruppe, und dem anderen vorzuwerfen, er kümmere sich um jene Gruppe! Wir dürfen nicht die Stahlarbeiter gegen die Bauern ausspielen. Beiden muß in einem Prozeß schwerwiegender Strukturanpassungen geholfen werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Hier haben Sie zu Recht, Herr Kollege Vogel, auf die Verzweiflung vieler Menschen an Rhein und Ruhr und im Saarland hingewiesen; darüber wird morgen noch zu debattieren sein. Nur bitte ich Sie, auch zu erkennen: Die einzigen wirklichen Ausdehnungsmöglichkeiten, die wir für neue Arbeitsplätze haben, liegen weitgehend im Dienstleistungssektor und in der Flexibilisierung unseres Arbeitsmarktes. Bitte helfen Sie uns, das Korsett gesetzlicher Einschränkungen zu beseitigen, und denunzieren Sie nicht jeden Schritt in dieser Richtung als Sozialabbau! Es ist in Wahrheit Hilfe für die Arbeitslosen und für die, die Sorge um ihre Arbeit haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wir werden diese Präsidentschaft mit allem Ernst betreiben,

    (Dr. Spöri [SPD]: Hoffentlich!)

    weil wir wissen, daß wir unsere wirtschaftlichen Probleme nur dann lösen können, wenn wir die Kraft eines Marktes von 320 Millionen Verbrauchern sich entfalten lassen,

    (Dr. Spöri [SPD]: Richtig!)

    und wenn wir in der Währungspolitik weitere Fortschritte machen,

    (Beifall bei der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Endlich!)

    aufbauend auf dem Europäischen Währungssystem in Richtung auf eine Währungsunion, wenn wir eine technologische Zusammenarbeit in Europa schaffen, denn nur die neuen Technologien können es uns möglich machen, mit den Vereinigten Staaten und Japan mitzuhalten, unseren großen Wettbewerbern am Weltmarkt. Dieser Aufgabe stellt sich die Bundesregierung. Ich denke, hier sollten wir konstruktiv zusammenarbeiten.
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3433
    Bundesminister Genscher
    Offen gesagt, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, ich habe mich gewundert, wie Sie sich ausgerechnet in einer Debatte, wo es auch um Mittelstreckenraketen geht, auf Helmut Schmidt berufen konnten.
    Fast auf den Tag genau vor acht Jahren, am 14. Dezember 1979, habe ich in einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag den NATO-Doppelbeschluß begründet. Ich habe damals an die Sowjetunion und ihre Verbündeten appelliert, unsere Absichten ernst zu nehmen und ihren Beitrag zu leisten, damit die Rüstungsspirale gestoppt und schließlich zurückgedreht werden kann.
    Das Rüstungskontrollangebot
    — so hieß es in dieser Regierungserklärung —
    will verhindern, daß sowjetische Vorrüstung und westliche Nachrüstung einen neuen Rüstungswettlauf einleiten.
    Die Regierungserklärung schloß mit dem Versprechen:
    Wir werden mit Geduld und Beharrlichkeit alle
    gegebenen Verhandlungsmöglichkeiten nutzen.
    Das Protokoll verzeichnet anhaltenden Beifall bei allen Fraktionen. Die Regierung aus FDP und SPD konnte auf dem schweren Weg, den sie antrat, auf die Unterstützung der damaligen Opposition aus CDU und CSU rechnen.
    Die Wege von damals bis zum 8. Dezember 1987, dem Tag der Unterzeichnung des Abkommens über die Mittelstreckenraketen, haben sich auf lange Strecken voneinander entfernt, zuweilen haben sie sich auch gekreuzt. Jetzt feiern den Vertrag diejenigen, die auch um den Preis der Inkaufnahme verbleibender sowjetischer Raketen gegen unsere Stationierung eingetreten sind, und auch diejenigen, die Bedenken hatten gegen die doppelte Null-Lösung. Besonderen Anlaß zur Befriedigung haben jedoch die, die der Philosophie der Entscheidung vom Dezember 1979 in ihren beiden Teilen auch unter schwersten Bedingungen bis zum Schluß und mit allen Konsequenzen treugeblieben sind.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wer unseren schweren Weg — wenn Sie mir diese Feststellung mit dem Blick auf meine politischen Freunde erlauben — in diesen acht Jahren mitgegangen ist, weiß, wovon ich rede. Wir werden mit dieser Standhaftigkeit und Konsequenz auch in Zukunft handeln, wenn es darum geht,

    (Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Keine Nachrüstung, bitte!)

    die Politik der aktiven Friedenssicherung durchzusetzen.

    (Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Heißt das noch einmal Nachrüstung?)

    — Darauf komme ich gleich.
    Es ist ja ein kleines Wunder geschehen. Der Wettbewerb um den größeren Anteil am Zustandekommen der doppelten Null-Lösung ist entbrannt.

    (Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Sehr gut!)

    Ein Zeitungskommentator hat daran Anstoß genommen. Ich sehe weder Anlaß zur Kritik noch zur Ironie, sondern nur zur Zufriedenheit. Es ist doch ein gutes Zeichen für die Friedensverantwortung in unserem Land, wenn die Parteien darum wetteifern, wer das meiste zu einem historischen Schritt zur Friedenssicherung beigetragen hat. Es hat schon schlechtere Themen in der politischen Auseinandersetzung bei uns gegeben.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und den GRÜNEN)

    Die Chance eines neuen außen- und sicherheitspolitischen Konsensus, die in diesem Wettstreit liegt, sollten wir nutzen, — wenn sie denn besteht. Wir werden einen solchen Konsensus noch brauchen. Wir sollten ihn in unserer besonderen Lage suchen, auch um unserer Soldaten in unserer Wehrpflichtarmee willen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das ist ein neuer und guter Ton!)

    Meine Damen und Herren, wenn ich von Soldaten spreche, dann kann ich hier im Deutschen Bundestag als Mitglied der Bundesregierung nicht daran vorbeigehen, daß in diesen Tagen ein deutsches Gericht es für straflos erklärt hat, wenn man unsere Soldaten als „potentielle Mörder" bezeichnet. Wer das sagt, der sät Haß in unserem Volke. Er hat seine Friedensfähigkeit verloren.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    Der Dienst in der Bundeswehr ist Dienst für den Frieden. Der Auftrag unserer Soldaten lautet nicht, andere Völker zu überfallen, Kriege zu führen, der Auftrag ist einfach und klar: Dienst zu leisten, damit der Frieden bewahrt bleiben kann. Meine Damen und Herren, der Soldat ist unser Bruder genauso wie der Kriegsdienstverweigerer. Beide haben das Recht auf Achtung, und keinen werden wir diffamieren lassen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Meine Damen und Herren, wir werden unser Ziel der dauerhaften Friedenssicherung nur erreichen, wenn wir in der Analyse der Entwicklung ehrlich sind. Das bedeutet Festigkeit und Verhandlungsbereitschaft. Der Wille zur Verteidigung und der Wille zur Abrüstung waren notwendig. An keinem von beiden durfte es fehlen. Vor allem sind Stetigkeit, Berechenbarkeit und Kontinuität unserer Außen- und Sicherheitspolitik gefordert.
    Gefordert ist auch die Einsicht, daß sich der unverzichtbare Zusammenhalt unseres Bündnisses nicht nur bei der Verteidigung, sondern auch bei der Abrüstungspolitik bewähren muß.

    (Frau Traupe [SPD]: So ist es!)

    Die NATO ist keine Aufrüstungsgemeinschaft.

    (Sehr gut! bei der SPD)

    Sie ist eine wertbestimmte Sicherheitsgemeinschaft, für die Abrüstung und Rüstungskontrolle integraler Bestandteil ihrer Politik sind.
    3434 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
    Bundesminister Genscher
    Erforderlich war aber auch eine grundlegende Veränderung in der sowjetischen Haltung zu den Fragen der Abrüstung und des West-Ost-Verhältnisses. Auch im Westen waren neue Einsichten notwendig. Präsident Reagan hat das in eindrucksvoller Weise getan. Dafür ist ihm zu danken.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Das neue Denken bei der zunächst in ihrer Bedeutung von vielen unterschätzten, ja gescholtenen Begegnung von Reykjavik, die Erkenntnis, daß im nuklearen Zeitalter Sicherheit Kooperation verlangt und nicht Konfrontation, haben den Weg freigemacht.
    Wenn Gorbatschow schließlich bereit war, die vom Westen lange Zeit vergeblich geforderte und von der Sowjetunion ebenso beharrlich abgelehnte gänzliche Beseitigung aller Mittelstreckenraketen weltweit zuzugestehen, so hat er jedenfalls in dieser wichtigen Frage seinen Worten Taten folgen lassen.
    Für uns Europäer ist wichtig, daß die doppelte NullLösung die Bedrohung mit einer ganzen Kategorie von Vernichtungswaffen von uns nimmt. Sie schafft mehr und nicht weniger Sicherheit.

    (Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Das müssen Sie mal Herrn Wörner sagen! — Dr. Vogel [SPD]: Herr Generalsekretär, zuhören!)

    Genauso wichtig ist, daß beide Großmächte damit nicht haltmachen wollen, daß sie die uns ebenso bedrohenden strategischen Waffen in einem ersten Schritt um 50 % reduzieren wollen.
    Zum Gesamtkonzept unserer Abrüstungspolitik gehören mit gleicher Dringlichkeit die weltweite Beseitigung der chemischen Waffen, die Herstellung konventioneller Stabilität durch Gleichgewicht und durch Beseitigung von Invasionsfähigkeit und die Erarbeitung eines Mandats für die nuklearen Kurzstrekkenwaffen. Dieses Konzept der NATO-Außenministerkonferenz von Reykjavik muß weiterentwickelt und den sich verändernden Gegebenheiten angepaßt werden.

    (Sehr gut! bei der SPD)

    Aber die unbestreitbar notwendige Fortschreibung dieses Konzepts darf uns nicht daran hindern, die Schritte zu tun, die heute schon möglich sind.
    Der entscheidende geistige Durchbruch des Abkommens über die doppelte Null-Lösung besteht in der Einsicht, daß mehr Waffen keineswegs mehr Sicherheit bringen, daß vielmehr die Aussage in der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" ihre Berechtigung hat und ihre Rechtfertigung erfährt.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Vernichtungswaffen werden aus freier Entscheidung derjenigen, die sie besitzen, aus der Hand gelegt und nicht als Konsequenz des Sieges des einen über den anderen. Das ist das Neue, das sich in diesen Tagen ereignet.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Gemeinsame Sicherheit, genau das ist es!)

    Diese Entscheidung verlangt Weitsicht, Verantwortung, Festigkeit und einen starken Willen, sich gegen altes Denken durchzusetzen, das es auf allen Seiten gibt. Wir werden diese Verantwortung und diese Festigkeit auch in Zukunft brauchen.
    Nicht nur Verteidigung, auch Abrüstung verlangt Durchsetzungskraft und Standfestigkeit. Ganz sicher aber verlangt sie jenes neue Denken, das es allein möglich gemacht hat, die Rüstungsschraube nicht nur anzuhalten, sondern sie nach unten zu drehen. Dieser Sieg der Vernunft ist auch ein Anlaß zur Hoffnung. Aber diese Hoffnung wird sich nur erfüllen, wenn der gleiche Geist auch alle anderen Abrüstungsverhandlungen beseelt und wenn wir zwei prinzipielle Durchbrüche bei dem Mittelstreckenabkommen verwirklichen können, nämlich die asymmetrische Abrüstung zur Beseitigung von Überlegenheit und die wirksame Nachprüfbarkeit, auch durch Kontrolle vor Ort, zur Überwindung von Mißtrauen.
    Abrüstungspolitik als ein wesentlicher Teil unserer Kriegsverhinderungsstrategie erfordert ein Denken über den Tag hinaus. Das verlangt zuallererst, daß wir den Grundsatz ernst nehmen, zu dem sich heute West und Ost bekennen: Wenn eine Seite überlegen ist, dann soll es an ihr sein, diese Überlegenheit abzubauen, und nicht Sache des Unterlegenen sein, gleichzuziehen. Die erste Verantwortung liegt dabei bei dem Überlegenen.
    Der direkte Weg zur Abrüstung ist der bessere. Wer mehr Waffen hat, muß auch mehr abrüsten. Die Einsicht, daß derjenige, der überlegen ist, abrüstet, muß sich bewähren, wenn es entsprechend der NATO-Erklärung von Reykjavik darum geht, bei Kurzstrekkenraketen die sowjetische Überlegenheit durch Verhandlungen über gleiche Obergrenzen auf gleiche Obergrenzen zu beschränken und zu reduzieren.
    Das ist der Weg, der zum Gleichgewicht führt. Sie haben recht, Herr Kollege Rühe: Deshalb kann eine Modernisierung nicht auf der Tagesordnung stehen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Genauso bedeutsam ist die konsequente Beachtung der Tatsache, daß nukleare Waffen eine politische Funktion zu erfüllen haben. Die Verwischung der qualitativen Unterschiede zwischen atomaren und konventionellen Waffen kann leicht den abschüssigen Weg zu Kriegsführungsszenarien und damit zur Führbarkeit von Kriegen eröffnen. Bei der Strategie der flexiblen Erwiderung handelt es sich um eine Strategie der Kriegsverhinderung. Abschreckung bedeutet Abschreckung von Krieg, von jeder Art von Krieg, vom nuklearen ebenso wie vom konventionellen.

    (Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Sagen Sie das den USA!)

    Es geht deshalb um die Ausweitung der Optionen für die Kriegsverhinderung. Aber es kann beim Besitz nuklearer Waffen nicht um den Ausgleich konventioneller Schwachstellen gehen.
    Jedes andere Verständnis müßte unser Land zum atomaren Experimentierfeld machen. Ein solches Verständnis wäre das Gegenteil der politisch-operativen Leitsätze der NATO-Strategie.
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3435
    Bundesminister Genscher
    Modernes sicherheitspolitisches Denken darf sich nicht darin erschöpfen, Kriege weniger schrecklich zu machen, sondern es muß die Voraussetzungen verbessern, um sie unführbar zu machen. Es muß darum gehen, wirksame Strukturen kooperativer Sicherheitspolitik zu entwerfen. Diese Verantwortung darf niemand mehr für sich allein oder gar gegen den anderen wahrnehmen wollen.
    Zur eigenen Fähigkeit der Kriegsverhinderung durch Abschreckung von der Aggression muß auf beiden Seiten die Beseitigung der Fähigkeit zur Invasion hinzukommen, wie das für unser Bündnis heute schon gilt. Unter den Bedingungen des nuklearen Zeitalters muß es darum gehen, den Bestand konventioneller nuklearer Potentiale als einen wechselseitigen Zwang zu verstehen, militärische Auseinandersetzungen erst gar nicht entstehen zu lassen, Konflikte nur noch auf dem Verhandlungsweg zu lösen und von der Konfrontation allmählich, aber unaufhaltsam zur Zusammenarbeit überzugehen.
    Kooperative Sicherheitspolitik erfordert auch die Entwicklung entsprechender Mechanismen eines weltweiten politischen Krisenmanagements. Die Zustimmung, die heute im Deutschen Bundestag zur doppelten Null-Lösung ausgedrückt wird, ist auch eine Botschaft an das frei gewählte amerikanische Parlament, verbunden mit der Erwartung, daß der Vertrag, den wir wollen, der in unserem deutschen und europäischen Interesse liegt, dort die zur Ratifizierung notwendige Mehrheit finden möge.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Nicht nur bei den Verhandlungen über die chemischen Waffen, über die konventionelle Stabilität, über weitere vertrauensbildende Maßnahmen, bei denen die Europäer selbst am Verhandlungstisch sitzen, auch für die konsequente Fortsetzung des KSZE-Prozesses und für die Entwicklung der bilateralen Beziehungen mit den Staaten des Warschauer Pakts tragen die europäischen Verbündeten der USA eine große Verantwortung. Niemand kann uns diese Verantwortung abnehmen, auch nicht die Vereinigten Staaten. Die Stimme Europas, die europäische Identität, wie sie zuletzt in der Plattform der Westeuropäischen Union zum Ausdruck kam, darf nicht verfremdet werden zu einer Stimme der Bedenken, der Angst vor der eigenen Courage. Die Interessen Europas verlangen, daß wir Verteidigung, Rüstungskontrolle und Abrüstung als integrale Bestandteile unserer Sicherheitspolitik verstehen

    (Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Sie meinen Westeuropa! Immer diese Verwechslungen!)

    und daß wir durch Zusammenarbeit und Dialog mit unseren östlichen Nachbarn aus neuem Denken eine neue Wirklichkeit werden lassen. Die zentrale deutsch-sowjetische Beziehung hat dabei ein durch Geschichte und Geographie, durch Interessen und Verantwortung bestimmtes besonderes Gewicht.
    Meine Damen und Herren, nicht Kleinmut und Spekulationen über das, was in der Sowjetunion vor sich geht, dürfen uns leiten, sondern allein der klare und nüchterne Wille, jede Möglichkeit der Zusammenarbeit zu nutzen und jede Entwicklung zur Öffnung im Osten durch diese Zusammenarbeit zu fördern.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Durch vertiefte, in beiderseitigem Interesse liegende Zusammenarbeit muß ein unumkehrbarer, ein systemöffnender Prozeß gestaltet werden. Er muß der gegenseitigen Abhängigkeit ebenso Rechnung tragen wie der unteilbaren Verantwortung für das Oberleben der Menschheit. Es muß letztlich ein irreversibler, zwangsläufiger Prozeß der Zusammenarbeit werden.
    Bei der Durchsetzung dieser Politik wiegt die breite Unterstützung der Völker schwerer als die Kräfte der Beharrung und des Kleinmuts, die sich nur schwer aus den alten Feindbildern und dem Denken in rein militärischen Kategorien lösen können.
    Präsident Reagan forderte bei der Unterzeichnung des Mittelstreckenabkommens, wahren und dauerhaften Frieden zu schaffen. Generalsekretär Gorbatschow würdigte das Streben der Menschen nach einer Welt ohne Kriege. Beide meinen das gleiche.
    Kooperative Bemühungen um Sicherheit sollen unsere Welt friedlicher machen. Sie sollen die Grundlagen schaffen, um gemeinsam die Zukunftsaufgaben der Menschheit bewältigen zu können.
    Meine Damen und Herren, wir sind Realisten. Wir wissen, wie schwer auch die nächsten Schritte sein werden auf dem Weg zur Abrüstung, zu mehr Entspannung, auf dem Weg zu einer europäischen Friedensordnung. Hans Jonas sagt uns, daß es nicht um die überschwengliche Hoffnung auf ein irdisches Paradies geht, sondern um die bescheidenere Hoffnung auf die weitere Wohnlichkeit der Welt und ein menschenwürdiges Fortleben unserer Gattung.
    Wir sind mit dem Abkommen über die doppelte Null-Lösung diesem Ziel ein kleines Stück nähergekommen. Aber noch wichtiger ist, daß wir mit diesem Abkommen den Beweis erbringen: Abrüstung ist möglich, Abrüstung kann man vertraglich erreichen, Abrüstung kann man nachprüfen. Wir müssen Abrüstung nur wollen, und das auf beiden Seiten.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Meine Damen und Herren, wenn es darum geht, im nuklearen Zeitalter durch Zusammenarbeit das Überleben der Menschheit zu sichern, dann sollte man gerade am Tag der Menschenrechte daran erinnern, daß es Freiheit und Menschenrechte immer nur dort geben kann, wo auch noch Leben ist.
    Ich danke Ihnen.

    (Anhaltender Beifall bei der FDP — Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spöri.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Dieter Spöri


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesaußenminister hat sich hier vorrangig mit einem erfreulichen Gipfel beschäftigt; das ist gut, und das ist richtig. Die
    3436 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
    Dr. Spöri
    CDU hat bei dieser Rede, finde ich, ein bißchen zuwenig geklatscht;

    (Beifall bei der SPD)

    sie war in großen Teilen sehr gut, meine Damen und Herren. Aber die Beschäftigung mit diesem positiven Gipfel sollte hier debattenstrategisch nicht von dem ablenken, was in Kopenhagen passiert ist.
    Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung hervorgehoben, daß Europa angeblich durch ein abgestimmtes Handeln wirtschaftspolitisch auf die Krise an den Devisenmärkten reagiert und die wirtschaftspolitische Verantwortung wahrgenommen hätte. Meine Damen und Herren, diese Feststellung ist nicht etwa nur Schönfärberei; es ist die schlichte Unwahrheit. Die Wahrheit ist: Der europäische Gipfel in Kopenhagen hat wieder einmal in aller Deutlichkeit gezeigt, daß wir uns heute in einer sehr schweren Krise der ökonomischen Führung in Europa befinden. Er hat in einer prekären wirtschaftlichen Krisenlage nicht einmal den Versuch abgestimmter wirtschaftspolitischer Aktion gebracht. Das ist ein schlimmes Armutszeugnis für Europa. Die Bundesrepublik als größte Handelsnation der Welt ist wirtschaftspolitisch inzwischen auf internationalem Parkett auf Zwergengröße zusammengeschrumpft. Der Verlust an wirtschaftspolitischer Führungskompetenz, d. h. ganz konkret das Gefälle von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl wird gerade in diesen Tagen unübersehbar.

    (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das Wort vom Politikversagen macht zu Recht die Runde in der Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Warum habt ihr ihn nicht behalten?)

    — Sie haben ihn doch abgewählt, Herr Bohl!

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Bundesregierung ist sich offenbar der internationalen Verantwortlichkeit ihrer nationalen Wirtschaftspolitik nicht hinreichend bewußt. Nicht beachtet hat die Bundesregierung auch viel zu lange, daß heute Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht ohne Bezug zur existentiellen Krise unserer Umwelt betrieben werden kann.
    Angesichts des gigantischen Investitionsbedarfs zum Schutz und zur Sanierung unserer Umwelt ist eine Integration dieser beiden Politikbereiche unverzichtbar. Das sterile Kästchendenken in der Politik: hier Umweltpolitik, da Wirtschaftspolitik, bei dem immer noch die Umwelt stupid gegen Arbeitsplätze ausgespielt wird, ist nicht nur wirtschaftspolitisch Unsinn, sondern gefährdet unsere menschliche Existenz. Das müssen wir hier endlich in seiner vollen Dramatik erkennen. Wir müssen auch im Bundestag danach handeln.
    Wir Sozialdemokraten haben mit unserem Programm „Arbeit und Umwelt" einen möglichen Weg gewiesen — es gibt sicherlich auch andere diskussionsfähige Wege —, wie der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen für uns und unsere Kinder und Enkel mit der dringenden Notwendigkeit, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, versöhnt werden kann.
    Die Bundesregierung hat jahrelang unser Konzept dafür aus rein ideologischen Gründen zurückgewiesen. Der Bundesfinanzminister hat noch am 9. September in der Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag unser Programm „Arbeit und Umwelt" mit wahrheitswidrigen Argumenten diffamiert. Sie haben einfach nicht begriffen, daß die ökologische Krise und die Beschäftigungskrise gemeinsam gemeistert werden müssen und gemeinsam gemeistert werden können.
    Fünf Jahre lang haben Sie alle, die hier auf dieser Regierungsbank sitzen — leider sind Herr Bangemann und Herr Stoltenberg nicht mehr da — , mitten in einer weltwirtschaftlichen Aufschwungphase die Massenarbeitslosigkeit in unserem Land achselzuckend hingenommen. Das ist die Wahrheit. Fünf Jahre lang haben Sie unsere ökologische Krise nur in Sonntagsreden so richtig ernst genommen.
    Erst der Krach an den Börsen und die Verluste der Aktionäre haben Sie jetzt richtig wachgerüttelt. Jetzt sind Sie in einen hastigen und halbherzigen Aktionismus verfallen.
    Das vom Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung so gefeierte Konjunkturprogramm, das ja nicht so genannt werden darf, weil Herr Stoltenberg sonst böse würde, ist aber nichts weiter als weiße Salbe. Sie versuchen, Substanz, d. h. wirksames wirtschaftspolitisches Handeln durch Propaganda und viele Worte zu ersetzen. Die Reaktion auf den Finanzmärkten hat gezeigt, daß Ihr Programm dort sofort als dünnes Brett durchschaut worden ist. Die Wirtschaft hat mit massiver Kritik, ja sogar mit höhnischem Gelächter bis in die Koalitionsreihen hinein, bis zum Wirtschaftsgrafen hin reagiert.
    Sie haben mit Ihrem Konjunkturprogramm aber auch die Widersprüchlichkeit Ihrer gesamten Wirtschaftspolitik peinlich entlarvt.
    Jahrelang hat die Koalition uns hier gebetsmühlenhaft ihre angebotsorientierte Wirtschaftsphilosophie vorgetragen, die einfache Formel: mehr Gewinne — mehr Investitionen — weniger Arbeitslosigkeit.
    Wie sehen die Erfahrungen nach fünf Jahren dieser angebotsorientierten Politik aus? Der Umfangsverteilungseffekt bei den Einkommen ist durchaus stattlich. Die Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind um 61 % gestiegen. Die Anlageinvestitionen — und das ist entscheidend — sind in der gleichen Zeit aber nur um real 8 % gestiegen. Deshalb haben wir heute 400 000 Arbeitslose mehr als vor fünf Jahren — mit weiter steigender Tendenz. Sie haben es als erste Regierung der Nachkriegszeit fertiggebracht, einen starken konjunkturellen Aufschwung nicht zum Abbau der Arbeitslosigkeit zu nutzen. Das ist in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik einmalig.
    Nach diesen unwiderlegbaren Fakten muß jetzt nach diesen fünf Jahren festgestellt werden: Die einseitige, angebotsorientierte Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung ist gescheitert. Sie können sich nicht länger Illusionen machen. Ihre wirtschafts- und fi-
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3437
    Dr. Spöri
    nanzpolitische Glaubenslehre hat in der Praxis völlig versagt, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Ihr halbherziges Konjunkturprogramm ist ja bereits ein zaghaftes Eingeständnis in diese Richtung. Aber die Lehren aus den bitteren Erfahrungen der letzten fünf Jahre haben Sie immer noch nicht gezogen.
    Worum geht es denn eigentlich? Unternehmensgewinne, meine Damen und Herren, müssen sein, wenn in unsere Wirtschaft investiert werden soll. Aber Ihr Fehler, den Sie als Koalition gemacht haben, war es doch, daß Sie mitten im weltwirtschaftlichen Boom die finanzpolitischen Spielräume für die weitere Stärkung eh steigender Unternehmensgewinne jahrelang einseitig ausgeschöpft haben. Jetzt haben Sie finanzpolitisch Ihr Pulver verschossen. Für die notwendige Stärkung der Binnennachfrage ist nichts mehr in der Kasse.
    In dieser verfahrenen Situation versuchen Sie jetzt, Ihr Steuerpaket 1990 als Maßnahme zu verkaufen, die das Wachstum bereits im Jahre 1988 stärken soll. Das können Sie selbst nicht glauben. Und Sie glauben wohl auch nicht daran, daß der gemeinsame Binnenmarkt in Europa, der — hoffentlich — 1992 geschaffen sein soll, die Konjunktur schon im Jahre 1988 belebt. Diese Behauptung ist geradezu lachhaft. Sie glauben doch nicht im Ernst daran, daß die Konjunktur durch die Privatisierung von Staatsanteilen an Unternehmen wie Volkswagen, VIAG oder DSL-Bank besser läuft und auch nur ein einziger Arbeitsplatz zusätzlich geschaffen wird. Herr Bangemann soll mir einmal zeigen, wie das geht. Nein, nein, die Motive sind ganz andere: Sie wollen durch diese Verkäufe Kasse machen, indem Sie Volksvermögen verscherbeln. Sie wollen Kasse machen, um den Bundeshaushalt statistisch zu schminken. Das ist das wahre Motiv dieser Verkaufspolitik, meine Damen und Herren.
    Wenn man sich das Kreditprogramm einmal ansieht, das der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung so gelobt hat und das auf internationaler Ebene angeblich auf so große Zustimmung stößt, dieses Kreditprogramm, das Sie jetzt bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau auflegen wollen, dann könnte man fast meinen, daß das ein bißchen aus unserem Programm „Arbeit und Umwelt" abgeschrieben worden ist.

    (Zuruf von der SPD: Das wäre doch nicht das erste Mal! — Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selbst nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir hätten zwar überhaupt nichts gegen ein gutes Plagiat — das würden wir sogar begrüßen, meine Damen und Herren — , aber leider haben Sie falsch abgeschrieben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben überhaupt nicht abgeschrieben!)

    Denn Sie haben es versäumt, für die zusätzlichen Investitionen der Gemeinden, die Sie damit anregen wollen, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.
    So wie Ihr Programm jetzt konzipiert ist, wird es nur den finanzstarken Kommunen nützen, die ohnehin investieren können. Sie nehmen Ihre Zinssubventionen natürlich gerne mit, ohne zusätzlich zu investieren. Die vielen finanzschwachen Städte und Gemeinden aber, die keinen Spielraum mehr für zusätzliche Kredite haben, werden dieses Programm nicht in Anspruch nehmen können. So ist die Situation.

    (Beifall bei der SPD)

    Damit wird den Gemeinden und Regionen, die besonders dringend Hilfe benötigen, gerade nicht geholfen. Mit diesem Programm legen Sie einen atemberaubenden wirtschaftlichen Zickzackkurs hin. Ich gebe ja zu, meine Damen und Herren von der Koalition: Wir waren in unserer Regierungszeit wirtschaftspolitisch auch nicht die Weltmeister.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Aber wir haben — unter schwierigsten weltwirtschaftlichen Bedingungen einer massiven Ölpreisexplosion und weltweiter Rezession —

    (Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben Millionen Arbeitslose hinterlassen!)

    mit einer offensiven Investitionspolitik in der zweiten Hälfte der 70er Jahre immerhin mehr als 800 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Das sind die Fakten, meine Damen und Herren. Bei Ihnen sind dagegen am Ende des Aufschwungs 400 000 Menschen mehr arbeitslos als im Tiefpunkt der letzten Rezession. Das sind die Fakten, das sind die Ergebnisse Ihrer Politik. Sie können sich nicht länger daran vorbeimogeln.

    (Abg. Hinsken [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Bitte schön, Herr Kollege.