Rede von
Hans-Dietrich
Genscher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Sie haben Sorgen! Die GRÜNEN sind Ihr Problem, Herr Kollege, nicht unseres.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Ergebnis des Kopenhagener Gipfels kann sicher niemand zufrieden sein. Es wäre gut und richtig gewesen, wenn die Europäische Gemeinschaft — nicht zuletzt auch am Vorabend des amerikanischsowjetischen Gipfels — sich in der Lage gezeigt hätte, ihre internen Probleme zu lösen. Aber es besteht kein Zweifel, daß der Zeitpunkt für eine Entscheidung noch nicht reif war. Es sind in der Tat wichtige Annäherungen erzielt worden, auf denen wir jetzt in unserer Präsidentschaft aufbauen können.
Es ist unrichtig, der Bundesregierung oder irgendeiner anderen Regierung für den Ausgang des Gipfels in Kopenhagen einen Vorwurf zu machen. Es ist auch in der Tat nicht zu einem Austausch solcher Vorwürfe gekommen. Wir haben uns verständigt, daß der Strukturfonds deutlich erhöht und konzentriert wird. Es wäre falsch — meine Kollegen von der SPD, Sie sollten hier Ihre Meinung noch einmal überprüfen —, wenn wir den gesamten Strukturfonds verdoppeln würden. Dann würden wir die Reichen reicher machen, ohne denjenigen, die es brauchen, ausreichend helfen zu können. Es geht darum, die Mittel für den
Regionalfonds für die Staaten zu verdoppeln, bei denen eine zusätzliche Entwicklung erforderlich ist. Das sind die beiden neu beigetretenen Länder Spanien und Portugal, das ist natürlich Irland, das ist natürlich Griechenland, und das gilt zu einem gewissen Grade auch für bestimmte Regionen in Italien. Wir haben uns darauf verständigt, daß wir durch Konzentration der Erhöhung der Mittel erreichen wollen, daß für diese Gebiete eine Verdoppelung geschaffen werden kann. Auch die Einigung über eine vierte Einnahmequelle ist ein bedeutender Fortschritt, weil damit die Aufbringung der Mittel gerechter, nämlich stärker nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, erfolgen wird.
Die Einführung der Stabilisatoren in die gemeinsame Agrarpolitik wird ein wichtiger Schritt zur Begrenzung der Agrarausgaben sein. Aber widerstehen wir der Gefahr, dem einen vorzuwerfen, er kümmere sich mehr um die Gruppe, und dem anderen vorzuwerfen, er kümmere sich um jene Gruppe! Wir dürfen nicht die Stahlarbeiter gegen die Bauern ausspielen. Beiden muß in einem Prozeß schwerwiegender Strukturanpassungen geholfen werden.
Hier haben Sie zu Recht, Herr Kollege Vogel, auf die Verzweiflung vieler Menschen an Rhein und Ruhr und im Saarland hingewiesen; darüber wird morgen noch zu debattieren sein. Nur bitte ich Sie, auch zu erkennen: Die einzigen wirklichen Ausdehnungsmöglichkeiten, die wir für neue Arbeitsplätze haben, liegen weitgehend im Dienstleistungssektor und in der Flexibilisierung unseres Arbeitsmarktes. Bitte helfen Sie uns, das Korsett gesetzlicher Einschränkungen zu beseitigen, und denunzieren Sie nicht jeden Schritt in dieser Richtung als Sozialabbau! Es ist in Wahrheit Hilfe für die Arbeitslosen und für die, die Sorge um ihre Arbeit haben.
Meine Damen und Herren, wir werden diese Präsidentschaft mit allem Ernst betreiben,
weil wir wissen, daß wir unsere wirtschaftlichen Probleme nur dann lösen können, wenn wir die Kraft eines Marktes von 320 Millionen Verbrauchern sich entfalten lassen,
und wenn wir in der Währungspolitik weitere Fortschritte machen,
aufbauend auf dem Europäischen Währungssystem in Richtung auf eine Währungsunion, wenn wir eine technologische Zusammenarbeit in Europa schaffen, denn nur die neuen Technologien können es uns möglich machen, mit den Vereinigten Staaten und Japan mitzuhalten, unseren großen Wettbewerbern am Weltmarkt. Dieser Aufgabe stellt sich die Bundesregierung. Ich denke, hier sollten wir konstruktiv zusammenarbeiten.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3433
Bundesminister Genscher
Offen gesagt, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, ich habe mich gewundert, wie Sie sich ausgerechnet in einer Debatte, wo es auch um Mittelstreckenraketen geht, auf Helmut Schmidt berufen konnten.
Fast auf den Tag genau vor acht Jahren, am 14. Dezember 1979, habe ich in einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag den NATO-Doppelbeschluß begründet. Ich habe damals an die Sowjetunion und ihre Verbündeten appelliert, unsere Absichten ernst zu nehmen und ihren Beitrag zu leisten, damit die Rüstungsspirale gestoppt und schließlich zurückgedreht werden kann.
Das Rüstungskontrollangebot
— so hieß es in dieser Regierungserklärung —
will verhindern, daß sowjetische Vorrüstung und westliche Nachrüstung einen neuen Rüstungswettlauf einleiten.
Die Regierungserklärung schloß mit dem Versprechen:
Wir werden mit Geduld und Beharrlichkeit alle
gegebenen Verhandlungsmöglichkeiten nutzen.
Das Protokoll verzeichnet anhaltenden Beifall bei allen Fraktionen. Die Regierung aus FDP und SPD konnte auf dem schweren Weg, den sie antrat, auf die Unterstützung der damaligen Opposition aus CDU und CSU rechnen.
Die Wege von damals bis zum 8. Dezember 1987, dem Tag der Unterzeichnung des Abkommens über die Mittelstreckenraketen, haben sich auf lange Strecken voneinander entfernt, zuweilen haben sie sich auch gekreuzt. Jetzt feiern den Vertrag diejenigen, die auch um den Preis der Inkaufnahme verbleibender sowjetischer Raketen gegen unsere Stationierung eingetreten sind, und auch diejenigen, die Bedenken hatten gegen die doppelte Null-Lösung. Besonderen Anlaß zur Befriedigung haben jedoch die, die der Philosophie der Entscheidung vom Dezember 1979 in ihren beiden Teilen auch unter schwersten Bedingungen bis zum Schluß und mit allen Konsequenzen treugeblieben sind.
Meine Damen und Herren, wer unseren schweren Weg — wenn Sie mir diese Feststellung mit dem Blick auf meine politischen Freunde erlauben — in diesen acht Jahren mitgegangen ist, weiß, wovon ich rede. Wir werden mit dieser Standhaftigkeit und Konsequenz auch in Zukunft handeln, wenn es darum geht,
die Politik der aktiven Friedenssicherung durchzusetzen.
— Darauf komme ich gleich.
Es ist ja ein kleines Wunder geschehen. Der Wettbewerb um den größeren Anteil am Zustandekommen der doppelten Null-Lösung ist entbrannt.
Ein Zeitungskommentator hat daran Anstoß genommen. Ich sehe weder Anlaß zur Kritik noch zur Ironie, sondern nur zur Zufriedenheit. Es ist doch ein gutes Zeichen für die Friedensverantwortung in unserem Land, wenn die Parteien darum wetteifern, wer das meiste zu einem historischen Schritt zur Friedenssicherung beigetragen hat. Es hat schon schlechtere Themen in der politischen Auseinandersetzung bei uns gegeben.
Die Chance eines neuen außen- und sicherheitspolitischen Konsensus, die in diesem Wettstreit liegt, sollten wir nutzen, — wenn sie denn besteht. Wir werden einen solchen Konsensus noch brauchen. Wir sollten ihn in unserer besonderen Lage suchen, auch um unserer Soldaten in unserer Wehrpflichtarmee willen.
Meine Damen und Herren, wenn ich von Soldaten spreche, dann kann ich hier im Deutschen Bundestag als Mitglied der Bundesregierung nicht daran vorbeigehen, daß in diesen Tagen ein deutsches Gericht es für straflos erklärt hat, wenn man unsere Soldaten als „potentielle Mörder" bezeichnet. Wer das sagt, der sät Haß in unserem Volke. Er hat seine Friedensfähigkeit verloren.
Der Dienst in der Bundeswehr ist Dienst für den Frieden. Der Auftrag unserer Soldaten lautet nicht, andere Völker zu überfallen, Kriege zu führen, der Auftrag ist einfach und klar: Dienst zu leisten, damit der Frieden bewahrt bleiben kann. Meine Damen und Herren, der Soldat ist unser Bruder genauso wie der Kriegsdienstverweigerer. Beide haben das Recht auf Achtung, und keinen werden wir diffamieren lassen.
Meine Damen und Herren, wir werden unser Ziel der dauerhaften Friedenssicherung nur erreichen, wenn wir in der Analyse der Entwicklung ehrlich sind. Das bedeutet Festigkeit und Verhandlungsbereitschaft. Der Wille zur Verteidigung und der Wille zur Abrüstung waren notwendig. An keinem von beiden durfte es fehlen. Vor allem sind Stetigkeit, Berechenbarkeit und Kontinuität unserer Außen- und Sicherheitspolitik gefordert.
Gefordert ist auch die Einsicht, daß sich der unverzichtbare Zusammenhalt unseres Bündnisses nicht nur bei der Verteidigung, sondern auch bei der Abrüstungspolitik bewähren muß.
Die NATO ist keine Aufrüstungsgemeinschaft.
Sie ist eine wertbestimmte Sicherheitsgemeinschaft, für die Abrüstung und Rüstungskontrolle integraler Bestandteil ihrer Politik sind.
3434 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
Bundesminister Genscher
Erforderlich war aber auch eine grundlegende Veränderung in der sowjetischen Haltung zu den Fragen der Abrüstung und des West-Ost-Verhältnisses. Auch im Westen waren neue Einsichten notwendig. Präsident Reagan hat das in eindrucksvoller Weise getan. Dafür ist ihm zu danken.
Das neue Denken bei der zunächst in ihrer Bedeutung von vielen unterschätzten, ja gescholtenen Begegnung von Reykjavik, die Erkenntnis, daß im nuklearen Zeitalter Sicherheit Kooperation verlangt und nicht Konfrontation, haben den Weg freigemacht.
Wenn Gorbatschow schließlich bereit war, die vom Westen lange Zeit vergeblich geforderte und von der Sowjetunion ebenso beharrlich abgelehnte gänzliche Beseitigung aller Mittelstreckenraketen weltweit zuzugestehen, so hat er jedenfalls in dieser wichtigen Frage seinen Worten Taten folgen lassen.
Für uns Europäer ist wichtig, daß die doppelte NullLösung die Bedrohung mit einer ganzen Kategorie von Vernichtungswaffen von uns nimmt. Sie schafft mehr und nicht weniger Sicherheit.
Genauso wichtig ist, daß beide Großmächte damit nicht haltmachen wollen, daß sie die uns ebenso bedrohenden strategischen Waffen in einem ersten Schritt um 50 % reduzieren wollen.
Zum Gesamtkonzept unserer Abrüstungspolitik gehören mit gleicher Dringlichkeit die weltweite Beseitigung der chemischen Waffen, die Herstellung konventioneller Stabilität durch Gleichgewicht und durch Beseitigung von Invasionsfähigkeit und die Erarbeitung eines Mandats für die nuklearen Kurzstrekkenwaffen. Dieses Konzept der NATO-Außenministerkonferenz von Reykjavik muß weiterentwickelt und den sich verändernden Gegebenheiten angepaßt werden.
Aber die unbestreitbar notwendige Fortschreibung dieses Konzepts darf uns nicht daran hindern, die Schritte zu tun, die heute schon möglich sind.
Der entscheidende geistige Durchbruch des Abkommens über die doppelte Null-Lösung besteht in der Einsicht, daß mehr Waffen keineswegs mehr Sicherheit bringen, daß vielmehr die Aussage in der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" ihre Berechtigung hat und ihre Rechtfertigung erfährt.
Vernichtungswaffen werden aus freier Entscheidung derjenigen, die sie besitzen, aus der Hand gelegt und nicht als Konsequenz des Sieges des einen über den anderen. Das ist das Neue, das sich in diesen Tagen ereignet.
Diese Entscheidung verlangt Weitsicht, Verantwortung, Festigkeit und einen starken Willen, sich gegen altes Denken durchzusetzen, das es auf allen Seiten gibt. Wir werden diese Verantwortung und diese Festigkeit auch in Zukunft brauchen.
Nicht nur Verteidigung, auch Abrüstung verlangt Durchsetzungskraft und Standfestigkeit. Ganz sicher aber verlangt sie jenes neue Denken, das es allein möglich gemacht hat, die Rüstungsschraube nicht nur anzuhalten, sondern sie nach unten zu drehen. Dieser Sieg der Vernunft ist auch ein Anlaß zur Hoffnung. Aber diese Hoffnung wird sich nur erfüllen, wenn der gleiche Geist auch alle anderen Abrüstungsverhandlungen beseelt und wenn wir zwei prinzipielle Durchbrüche bei dem Mittelstreckenabkommen verwirklichen können, nämlich die asymmetrische Abrüstung zur Beseitigung von Überlegenheit und die wirksame Nachprüfbarkeit, auch durch Kontrolle vor Ort, zur Überwindung von Mißtrauen.
Abrüstungspolitik als ein wesentlicher Teil unserer Kriegsverhinderungsstrategie erfordert ein Denken über den Tag hinaus. Das verlangt zuallererst, daß wir den Grundsatz ernst nehmen, zu dem sich heute West und Ost bekennen: Wenn eine Seite überlegen ist, dann soll es an ihr sein, diese Überlegenheit abzubauen, und nicht Sache des Unterlegenen sein, gleichzuziehen. Die erste Verantwortung liegt dabei bei dem Überlegenen.
Der direkte Weg zur Abrüstung ist der bessere. Wer mehr Waffen hat, muß auch mehr abrüsten. Die Einsicht, daß derjenige, der überlegen ist, abrüstet, muß sich bewähren, wenn es entsprechend der NATO-Erklärung von Reykjavik darum geht, bei Kurzstrekkenraketen die sowjetische Überlegenheit durch Verhandlungen über gleiche Obergrenzen auf gleiche Obergrenzen zu beschränken und zu reduzieren.
Das ist der Weg, der zum Gleichgewicht führt. Sie haben recht, Herr Kollege Rühe: Deshalb kann eine Modernisierung nicht auf der Tagesordnung stehen.
Genauso bedeutsam ist die konsequente Beachtung der Tatsache, daß nukleare Waffen eine politische Funktion zu erfüllen haben. Die Verwischung der qualitativen Unterschiede zwischen atomaren und konventionellen Waffen kann leicht den abschüssigen Weg zu Kriegsführungsszenarien und damit zur Führbarkeit von Kriegen eröffnen. Bei der Strategie der flexiblen Erwiderung handelt es sich um eine Strategie der Kriegsverhinderung. Abschreckung bedeutet Abschreckung von Krieg, von jeder Art von Krieg, vom nuklearen ebenso wie vom konventionellen.
Es geht deshalb um die Ausweitung der Optionen für die Kriegsverhinderung. Aber es kann beim Besitz nuklearer Waffen nicht um den Ausgleich konventioneller Schwachstellen gehen.
Jedes andere Verständnis müßte unser Land zum atomaren Experimentierfeld machen. Ein solches Verständnis wäre das Gegenteil der politisch-operativen Leitsätze der NATO-Strategie.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3435
Bundesminister Genscher
Modernes sicherheitspolitisches Denken darf sich nicht darin erschöpfen, Kriege weniger schrecklich zu machen, sondern es muß die Voraussetzungen verbessern, um sie unführbar zu machen. Es muß darum gehen, wirksame Strukturen kooperativer Sicherheitspolitik zu entwerfen. Diese Verantwortung darf niemand mehr für sich allein oder gar gegen den anderen wahrnehmen wollen.
Zur eigenen Fähigkeit der Kriegsverhinderung durch Abschreckung von der Aggression muß auf beiden Seiten die Beseitigung der Fähigkeit zur Invasion hinzukommen, wie das für unser Bündnis heute schon gilt. Unter den Bedingungen des nuklearen Zeitalters muß es darum gehen, den Bestand konventioneller nuklearer Potentiale als einen wechselseitigen Zwang zu verstehen, militärische Auseinandersetzungen erst gar nicht entstehen zu lassen, Konflikte nur noch auf dem Verhandlungsweg zu lösen und von der Konfrontation allmählich, aber unaufhaltsam zur Zusammenarbeit überzugehen.
Kooperative Sicherheitspolitik erfordert auch die Entwicklung entsprechender Mechanismen eines weltweiten politischen Krisenmanagements. Die Zustimmung, die heute im Deutschen Bundestag zur doppelten Null-Lösung ausgedrückt wird, ist auch eine Botschaft an das frei gewählte amerikanische Parlament, verbunden mit der Erwartung, daß der Vertrag, den wir wollen, der in unserem deutschen und europäischen Interesse liegt, dort die zur Ratifizierung notwendige Mehrheit finden möge.
Nicht nur bei den Verhandlungen über die chemischen Waffen, über die konventionelle Stabilität, über weitere vertrauensbildende Maßnahmen, bei denen die Europäer selbst am Verhandlungstisch sitzen, auch für die konsequente Fortsetzung des KSZE-Prozesses und für die Entwicklung der bilateralen Beziehungen mit den Staaten des Warschauer Pakts tragen die europäischen Verbündeten der USA eine große Verantwortung. Niemand kann uns diese Verantwortung abnehmen, auch nicht die Vereinigten Staaten. Die Stimme Europas, die europäische Identität, wie sie zuletzt in der Plattform der Westeuropäischen Union zum Ausdruck kam, darf nicht verfremdet werden zu einer Stimme der Bedenken, der Angst vor der eigenen Courage. Die Interessen Europas verlangen, daß wir Verteidigung, Rüstungskontrolle und Abrüstung als integrale Bestandteile unserer Sicherheitspolitik verstehen
und daß wir durch Zusammenarbeit und Dialog mit unseren östlichen Nachbarn aus neuem Denken eine neue Wirklichkeit werden lassen. Die zentrale deutsch-sowjetische Beziehung hat dabei ein durch Geschichte und Geographie, durch Interessen und Verantwortung bestimmtes besonderes Gewicht.
Meine Damen und Herren, nicht Kleinmut und Spekulationen über das, was in der Sowjetunion vor sich geht, dürfen uns leiten, sondern allein der klare und nüchterne Wille, jede Möglichkeit der Zusammenarbeit zu nutzen und jede Entwicklung zur Öffnung im Osten durch diese Zusammenarbeit zu fördern.
Durch vertiefte, in beiderseitigem Interesse liegende Zusammenarbeit muß ein unumkehrbarer, ein systemöffnender Prozeß gestaltet werden. Er muß der gegenseitigen Abhängigkeit ebenso Rechnung tragen wie der unteilbaren Verantwortung für das Oberleben der Menschheit. Es muß letztlich ein irreversibler, zwangsläufiger Prozeß der Zusammenarbeit werden.
Bei der Durchsetzung dieser Politik wiegt die breite Unterstützung der Völker schwerer als die Kräfte der Beharrung und des Kleinmuts, die sich nur schwer aus den alten Feindbildern und dem Denken in rein militärischen Kategorien lösen können.
Präsident Reagan forderte bei der Unterzeichnung des Mittelstreckenabkommens, wahren und dauerhaften Frieden zu schaffen. Generalsekretär Gorbatschow würdigte das Streben der Menschen nach einer Welt ohne Kriege. Beide meinen das gleiche.
Kooperative Bemühungen um Sicherheit sollen unsere Welt friedlicher machen. Sie sollen die Grundlagen schaffen, um gemeinsam die Zukunftsaufgaben der Menschheit bewältigen zu können.
Meine Damen und Herren, wir sind Realisten. Wir wissen, wie schwer auch die nächsten Schritte sein werden auf dem Weg zur Abrüstung, zu mehr Entspannung, auf dem Weg zu einer europäischen Friedensordnung. Hans Jonas sagt uns, daß es nicht um die überschwengliche Hoffnung auf ein irdisches Paradies geht, sondern um die bescheidenere Hoffnung auf die weitere Wohnlichkeit der Welt und ein menschenwürdiges Fortleben unserer Gattung.
Wir sind mit dem Abkommen über die doppelte Null-Lösung diesem Ziel ein kleines Stück nähergekommen. Aber noch wichtiger ist, daß wir mit diesem Abkommen den Beweis erbringen: Abrüstung ist möglich, Abrüstung kann man vertraglich erreichen, Abrüstung kann man nachprüfen. Wir müssen Abrüstung nur wollen, und das auf beiden Seiten.
Meine Damen und Herren, wenn es darum geht, im nuklearen Zeitalter durch Zusammenarbeit das Überleben der Menschheit zu sichern, dann sollte man gerade am Tag der Menschenrechte daran erinnern, daß es Freiheit und Menschenrechte immer nur dort geben kann, wo auch noch Leben ist.
Ich danke Ihnen.