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ID1104901500

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    Vokabeln: 7
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    7. Mischnick.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/49 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 49. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 Inhalt: Nachruf auf das verstorbene Mitglied des Deutschen Bundestages Dr. h. c. Peter Lorenz 3399 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 3399C, 3440 D Absetzung des Punktes 20a von der Tagesordnung 3400 A Tagesordnungspunkt 16: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Die Reform der Strukturfonds (Drucksachen 11/929 Nr. 2.3, 11/1209) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Mitteilung der Kommission über die Haushaltsdisziplin (Drucksachen 11/929 Nr. 2.2, 11/1211) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Zweite Änderung des Vorschlags für eine Verordnung (EGKS — EWG — EURATOM) des Rates zur Änderung der Haushaltsordnung vom 21. Dezember 1977 für den Haushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (Drucksachen 11/929 Nr. 2.5, 11/1212) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Sitzung des Europäischen Rates am 29./30. Juni 1987 in Brüssel (Drucksachen 11/523, 11/1293) Dr. Kohl, Bundeskanzler 3400 C Dr. Vogel SPD 3406 D Rühe CDU/CSU 3412D Dr. Mechtersheimer GRÜNE 3418D Mischnick FDP 3421 B Frau Wieczorek-Zeul SPD 3424 B Frau Geiger CDU/CSU 3427 A Frau Beer GRÜNE 3429 C Genscher, Bundesminister AA 3432 B Dr. Spöri SPD 3435 D Bohl CDU/CSU 3438 C Erler SPD 3441A Lintner CDU/CSU 3442 C Frau Flinner GRÜNE 3444 B Frau Würfel FDP 3445 D Dr. Gautier SPD 3447 B Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 3449 C Brück SPD 3451A Becker (Nienberge) SPD (zur GO) 3452 B Seiters CDU/CSU (zur GO) 3452 C Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) 3452 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10, Dezember 1987 Namentliche Abstimmung 3454 A Ergebnis 3482 D Tagesordnungspunkt 17: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Kohlevorrangpolitik (Drucksache 11/958) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung Zustimmungsbedürftige Verordnung über den Prozentsatz der Ausgleichsabgabe nach dem Dritten Verstromungsgesetz für das Jahr 1988 (Drucksachen 11/1350, 11/1446) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung des Antrags des Abgeordneten Stratmann und der Fraktion DIE GRÜNEN: Umbaukonzept für die heimische Steinkohle (Drucksache 11/1476) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerstein, Wissmann, Dr. Lammert, Müller (Wadern) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Baum, Beckmann, Dr. Graf Lambsdorff, Dr. Hirsch, Dr. Hoyer, Dr.-Ing. Laermann, Möllemann, Frau Würfel und der Fraktion der FDP: Förderung der deutschen Steinkohle (Drucksache 11/1485) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Solidarität mit dem Widerstand der Bergleute und Stahlarbeiter gegen Arbeitsplatz- und Standortvernichtung (Drucksache 11/1511) Meyer SPD 3455 B Gerstein CDU/CSU 3458 C Stratmann GRÜNE 3460 C Beckmann FDP 3463 A Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 3464 C Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 3468A, 3478 C Schreiber CDU/CSU 3472 A Jung (Düsseldorf) SPD 3473 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 3475A, 3478 D Hinsken CDU/CSU 3476 B Dr. Lammert CDU/CSU 3479 A Namentliche Abstimmungen 3479D, 3480A Ergebnisse 3484B, 3485 D Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung empfängnisverhütender Mittel durch die Krankenkassen (Drucksache 11/597) Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 3480 D Frau Verhülsdonk CDU/CSU 3488 A Kirschner CDU/CSU 3489 B Frau Würfel FDP 3490 C Vogt, Parl. Staatssekretär BMA 3491 C Tagesordnungspunkt 19: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 1986 (Drucksachen 11/42, 11/1131) Weiskirch, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 3492 A Heistermann SPD 3494 B Breuer CDU/CSU 3498 A Frau Schilling GRÜNE 3501 B Nolting FDP 3503 C Leidinger SPD 3505 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg 3509 B Leidinger SPD (Erklärung nach § 30 GO) 3512B Vizepräsident Cronenberg 3510D, 3512 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1988 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1988) (Drucksachen 11/1000, 11/1431) Niegel CDU/CSU 3512D, 3520A Müller (Pleisweiler) SPD 3514 B Funke FDP 3516B Sellin GRÜNE 3517 B Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär BMWi 3518 C Pfuhl SPD 3519 B Tagesordnungspunkt 20 b: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Ernährungssicherung in Hungerregionen (Drucksachen 11/946, 11/1501) in Verbindung mit Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 III Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN: Ernährungssituation in Äthiopien (Drucksache 11/1482) Höffkes CDU/CSU 3520 C Frau Eid GRÜNE 3521 D Frau Folz-Steinacker FDP 3523 D Großmann SPD 3525 C Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär BMZ 3527 A Nächste Sitzung 3528 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 3529* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3399 49. Sitzung Bonn, den 10. Dezember 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 48. Sitzung, Seite IV, linke Spalte: Statt „ZusFr Frau Bulmahn GRÜNE" ist „ZusFr Frau Bulmahn SPD" zu lesen. Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 11. 12. Dr. Ahrens * 11. 12. Andres 11. 12. Bahr 11. 12. Frau Becker-Inglau 11. 12. Frau Beck-Oberdorf 11. 12. Frau Blunck * 11. 12. Böhm (Melsungen) * 11. 12. Frau Brahmst-Rock 11. 12. Brandt 10. 12. Dr. Briefs 11. 12. Büchner (Speyer) * 11. 12. Dr. von Bülow 11. 12. Frau Fischer * 11. 12. Dr. Friedrich 11. 12. Frau Ganseforth 11. 12. Dr. von Geldern 10. 12. Glos 11. 12. Dr. Glotz 11. 12. Grünbeck 11. 12. Haack (Extertal) 11. 12. Frau Dr. Hellwig 11. 12. Frau Hoffmann (Soltau) 11. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Hürland-Büning 11. 12. Jaunich 10. 12. Frau Kelly 11. 12. Kittelmann * 11. 12. Kolb 11. 12. Kreuzeder 11. 12. Lemmrich * 11. 12. Frau Luuk * 11. 12. Dr. Mahlo 11. 12. Marschewski 11. 12. Dr. Mertens (Bottrop) 11. 12. Dr. Möller 11. 12. Dr. Müller * 11. 12. Dr. Neuling 11. 12. Frau Oesterle-Schwerin 11. 12. Frau Olms 11. 12. Oswald 11. 12. Petersen 11. 12. Poß 10. 12. Rauen 11. 12. Dr. Schmude 10. 12. von Schmude 11. 12. Schröer (Mülheim) 10. 12. Schulze (Berlin) 11. 12. Frau Seuster 11. 12. Frau Dr. Timm * 11. 12. Frau Trenz 11. 12. Frau Vennegerts 11. 12. Dr. Warnke 11. 12. Wieczorek (Duisburg) 11. 12. Würtz 11. 12.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Mechtersheimer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Das Washingtoner Abkommen ist ein Erfolg des Abrüstungswillens der Menschen über die Kräfte der Aufrüstung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Weil aber der Erfolg bekanntlich viele Väter und wohl auch Mütter hat, feiern Nachrüstungsgegner und Nachrüstungsbefürworter das Washingtoner Abkommen als ihren Sieg. Allerdings fällt auf, daß in beiden Lagern eine merkwürdige Tendenz besteht, dieses Abkommen herunterzuspielen. Man spricht von nur
    3 %, die abgerüstet werden sollen. Das ist eine wenig hilfreiche Interpretation dieses Abkommens,

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    denn weder die Friedensbewegung noch die Befürworter der Nachrüstung haben sich jemals über 3 oder
    4 % gestritten. Von beiden Seiten wurde immer darauf hingewiesen, daß das eine Frage der Qualität sei.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Kriseninstabilität dieser Waffen — natürlich ein Qualitätsbegriff — und auf der anderen Seite die permanenten Hinweise darauf, daß die Abschreckung glaubwürdig bleiben müsse: Das war die Begründung. Dann kann man nicht sagen: Es sind nur 3 % dieser Waffen abgerüstet worden.
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3419
    Dr. Mechtersheimer
    Alleine die Vereinbarungen zur Verifikation sind die größten vertrauensbildenden Maßnahmen in der Ost-West-Geschichte.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Schon allein deshalb ist es richtig, dieses Abkommen hoch einzuschätzen.
    Natürlich werden wir nicht hier, Herr Bundeskanzler und die anderen Vertreter der Regierungskoalition in der Regierung, zu entscheiden haben, wer nun wirklich Anteil am Zustandekommen dieses Vertrages hat und wie groß dieser Anteil ist. Aber mit Sicherheit werden sich die Historiker sehr wundern, wenn sie z. B. einmal Ihren Beitrag, Herr Genscher, in der letzten Ausgabe des „Stern" lesen. Dort steht der unvorstellbare Satz — ich zitiere — :
    Die Behauptung, die Nachrüstung sei zur Stärkung des Abschreckungsverbundes ohnehin notwendig gewesen, die sowjetische SS-20-Rüstung habe nur einen zusätzlichen Grund geliefert, ist eine von den Gegnern der doppelten Null-Lösung nachgeschobene Erfindung.
    Herr Genscher, das tut weh. Ich kann zu Ihren Gunsten nur annehmen, daß Sie das, was Sie geschrieben haben,

    (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Nicht verstanden haben!)

    nie lesen konnten; denn in Papieren, die Ihr Haus zu verantworten hat — „Argumente zum Doppelbeschluß des Nordatlantischen Bündnisses" — , finden Sie an mindestens vier Stellen Beschreibungen dieses Abschreckungsverbundes und die Begründung, die nämlich lautet: Wir brauchen den Abschreckungsverbund, und wir brauchen für diesen Abschreckungsverbund die Stationierung.
    Dazu nur ein Satz:
    Dieser Nachrüstungsbeschluß bedeutet für die Allianz politisch einen weiteren sichtbaren Beweis für die enge Koppelung gerade der USA an die Verteidigung Europas.
    Was ist das anderes als Abschreckungsverbund? Ich möchte also wirklich darum bitten, daß solche Entstellungen wie die in diesem Artikel von Ihnen hier korrigiert werden.
    1986 fand die „Frankfurter Allgemeine Zeitung"
    — wobei man ja „FAZ" zweckmäßigerweise mit „Frankfurter Aufrüstungszeitung" übersetzen
    sollte —

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    es geboten, ehrlich zu sein. Man ahnte nicht, was da auf diese Position zukam.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Unter Niveau!)

    — Nein, nein, da steht: Das Angebot einer Null-Lösung war für die Öffentlichkeit gedacht und im Vertrauen darauf ausgesprochen, daß Moskau nicht bereit wäre, seine Mittelstreckenraketen total zu beseitigen.

    (Hört! Hört! bei den GRÜNEN) Vergessen Sie das doch bitte nicht!

    Die Historiker werden hoffentlich Gelegenheit haben, auch in die Kabinettsprotokolle Einblick zu nehmen. Da hat beispielsweise der damalige Generalinspekteur Jürgen Brandt am 31. März 1982 gesagt: Es geht nicht darum, dem Waffensystem SS-20 entsprechende Waffensysteme des Westens entgegenzusetzen. Er hat das dann noch ausführlich begründet. Das alles sind Vorgänge, die in der Öffentlichkeit noch nicht klar sind, aber ich bin sicher, daß das in aller Deutlichkeit herausgestellt werden wird.
    Etwas verwundert bin ich darüber, daß Sie, Herr Bundeskanzler, zumindest am Anfang Ihrer Rede in einer sehr unfriedlichen Form über einen Abrüstungsvertrag gesprochen haben. Da stimmt irgend etwas nicht zusammen. Wer wirklich — auch inhaltlich und emotional — Abrüstung will, kann eigentlich nicht so um sich hauen. Deswegen möchte ich auch, obwohl das hier so ganz unüblich ist, durchaus einmal von Fehleinschätzungen unserer Seite sprechen. Das paßt vielleicht nicht in das Haus, aber ich möchte es trotzdem einmal machen.
    Zum einen haben wir nicht damit gerechnet, daß das Wettrüsten so schnell an seine wirtschaftlichen Grenzen stößt. Dadurch wurde eine tiefgreifende Neudefinition der Nuklearbeziehungen zwischen den beiden Supermächten in Gang gesetzt. Die Mittelstreckenraketen sind offenkundig auch für die Supermächte selbst sehr gefährlich geworden.
    Es war auch nicht zu erwarten, daß die Vorherrschaft der USA entgegen der bisherigen Praxis nicht dazu benutzt wurde, die Bundesrepublik zu Aufrüstung zu drängen, sondern dazu, sie zu Abrüstung zu veranlassen. Auch damit hatten wir nicht gerechnet.
    Es gibt eine zweite Fehleinschätzung unsererseits, die vielleicht gewichtiger ist: Wir haben den westlichen Demokratien mehr Abrüstungsbereitschaft abverlangt als einem kommunistischen Staat.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Das war ein Irrtum. Niemand konnte erwarten, daß die Sowjetunion einmal das Doppelte an Trägersystemen und — man höre — das Fünffache an Sprengköpfen in einen Vertrag einbringen wird. Als Gorbatschow tat, was unter Breschnew nicht möglich gewesen wäre, zeigte sich aber erst wirklich, wer Abrüstung will und wer nicht.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das war die Stunde der Wahrheit. Da hat sich nämlich gezeigt, daß wir befürchtet hatten, daß die Sowjetunion die Null-Lösung nicht wird annehmen können. Die Bundesregierung und die NATO hingegen haben erwartet und gehofft, daß sie es nicht tun wird,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    und auf der Basis dieser Erwartung haben sie das Wettrüsten fortgesetzt. Wie ist es sonst zu erklären, daß Franz Josef Strauß als Anhänger des Vereins zur Förderung der klaren Sprache damals gesagt hat, wenn die Sowjets jemals diese Null-Lösung annehmen, werde er mit der Kerze in der Hand von Schongau nach Altötting pilgern? Das sagt man doch nur,
    3420 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
    Dr. Mechtersheimer
    wenn man ganz sicher ist, daß die Sowjetunion einem solchen Abkommen nie zustimmen wird.

    (Schily [GRÜNE]: Was ist denn nun mit der Pilgerfahrt?)

    Es wäre unvorstellbar, mit einem Herrn Breschnew ein solches Abkommen zu machen. Das ist versucht worden; es ist gescheitert. Deswegen ist der Schlüssel für die Veränderung nicht im Nachrüstungsbeschluß, sondern in den Änderungen in Moskau zu sehen. Alles andere mag irgendwo eine Rolle gespielt haben, aber der entscheidende Grund liegt nicht in der Denkweise, die Sie hier als Grund anführen. Die ist das Gegenteil dessen, was Gorbatschow praktiziert hat.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Opposition und die Friedensbewegung haben, seit sichtbar wurde, daß es eine einfache und eine doppelte Null-Lösung geben könnte, dies nachhaltig, voll und ohne Vorbehalt begrüßt.

    (Vorsitz : Vizepräsident Stücklen)

    Dagegen haben Sie mit dem Boykott begonnen. Ich muß hier noch einmal Herrn Todenhöfer zitieren:
    Ich kann und werde einer Null-Lösung bei der Mittelstreckenraketenfrage nicht zustimmen.
    Herr Todenhöfer hat eine Konsequenz gezogen, die Respekt abnötigt. Herr Wörner hat am 30. Juni 1987 gesagt:
    Zur flexiblen Reaktion brauchen wir auch solche taktischen Nuklearwaffen, die das Territorium der Sowjetunion erreichen können.
    Herr Wörner, brauchen Sie nun die Waffen, oder brauchen Sie sie nicht? Das muß einmal gesagt werden. Ich kann verstehen, daß Zweifel laut werden, ob bei einer derartigen Wetterwendischkeit der Position die richtigen Voraussetzungen für ein so wichtiges Amt gegeben sind, das Sie anstreben. Deswegen verstehe ich die Diskussion auch über Ihre Person.
    Weshalb haben Sie Bauchschmerzen gegenüber einem Abkommen, das auch rein rechnerisch ein ausgezeichnetes Geschäft ist? Die Gründe liegen wohl im Politischen. Dieses Abkommen öffnet die Türen für eine neue politische Ordnung in Mitteleuropa.

    (Beifall des Abg. Schily [GRÜNEI)

    Nach dem Abzug der mehr als 4 000 Atomwaffen wird Europa nicht mehr wie bisher sein. Diese Raketen sind wie Nägel, mit denen man eine antiquierte politische Struktur in Europa vor dem Verfall geschützt hat. Werden diese Nägel herausgezogen, dann wird sich zeigen, daß das Bewußtsein der Menschen mit der heutigen militärischen Blockkonstellation immer weniger übereinstimmt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die militärischen Folgen sind ähnlich weitreichend. Denn nach dem Abzug von Pershing II, Cruise Missiles und Pershing I ändern die verbleibenden Nuklearsprengköpfe auf dem Territorium der Bundesrepublik natürlich ihre Qualität. Sie sind dann nicht mehr Bestand eines Abschreckungspakets, sondern sind, losgelöst von ihrer Klammer zu dem strategischen Potential der USA, nichts anderes als Gefechtsfeldwaffen. Dann können Sie in amerikanischen Vorschriften,
    in Air/Land-Battle und anderswo nachlesen, was mit denen geschehen soll. Sie sollen im Sinne herkömmlicher Kriegführung eingesetzt werden. Zum Glück haben auch Unionspolitiker begriffen, daß das mit Sicherheitspolitik überhaupt nichts mehr zu tun hat. Nur sehe ich im Augenblick gar keine Chance, in der NATO für diese dritte Null-Lösung Unterstützung zu finden. Nur — das dürfen wir von seiten der GRÜNEN eindeutig sagen — : Wenn Sie hier wirklich Position gegen die NATO beziehen sollten, dann können Sie mit einer Allparteienunterstützung aus diesem Parlament rechnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nur habe ich meine Zweifel, ob Sie das machen werden.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Die Zweifel sind berechtigt!)

    Die Regierung brüstet sich heute mit einem Abkommen, das sie nicht verhindern konnte. Das ist die Wirklichkeit.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir von den GRÜNEN können damit sehr gut leben, weil die militärischen und politischen Folgen dieses Doppel-Null-Abkommens unseren Zielen der Blocküberwindung und Denuklearisierung sehr wohl dienen. Ihren Zielen, sofern sie klar bekannt sind, dienen sie sicherlich nicht. Sie bekommen nämlich jetzt die Quittung für Ihre maßlosen Bedrohungskampagnen, die Sie gemacht haben, um die Nachrüstung durchzupeitschen. Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie nicht übersehen sollten.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Bevölkerung glaubt nämlich Ihrer Bedrohungspropaganda nicht mehr. Sie glaubt ihr immer weniger. Denn die Sowjetunion, die die Regeln des Wettrüstens über Bord wirft, eignet sich nicht zur Kultivierung von Feindbildern. Das hat weitreichende innenpolitisch-psychologische Konsequenzen. Wenn Sie die jüngste Umfrage über die Einstellung der 14- bis 18jährigen zur Bundeswehr gehört haben, werden Sie hoffentlich nachdenklich geworden sein, 41 % dieser jungen Leute beschreiben die Bundeswehr als „nicht so wichtig, überflüssig oder schädlich".

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das waren 1980 noch 24 %. Diese Veränderungen müssen Sie erkennen, wenn Sie auch im eigenen Interesse realistische Politik machen wollen. Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer erhöht sich seit mehreren Jahren jährlich um rund 10 000. Es sieht so aus, als wenn sich dieser Prozeß fortsetzen würde.
    Insgesamt sind die Bedingungen für eine Fortsetzung des Entnuklearisierungsprozesses in Europa günstig, und zwar aus ganz klaren Gründen.
    Erstens wird die Sowjetunion Vorschläge machen, die wiederum so gut sein werden, daß Sie nicht in der Lage sind, nein zu sagen. Das Merkwürdige ist, daß hier Überlegenheit, die als Bedrohung dargestellt wird, plötzlich zum Schlüssel für erfolgreiche Abrüstungsprozesse wird.
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987 3421
    Dr. Mechtersheimer
    Der zweite Grund. Keine Regierung in Westeuropa — da kann ich aufgreifen, was die FAZ realistischerweise feststellt — kann die Kraft aufbringen, eine erneute Nachrüstung auf ihrem Territorium innenpolitisch durchzusetzen.

    (Beifall bei den GRÜNEN sowie der Abg. Frau Wieczorek-Zeul [SPD])

    Das ist eine große Leistung der Friedensbewegung für die Zukunft, die oft nicht begriffen wird, übrigens auch in der Friedensbewegung selbst nicht.
    Sie werden feststellen, das selbst bei einem Ungleichgewicht, Herr Rühe, von 88 : 1 368 bei den Kurzstreckenraketen keine Nachrüstung nötig ist, um mit der Sowjetunion Abrüstungsabkommen anzugehen. Die 10 Milliarden Dollar sind nicht zu rechtfertigen, die man ausgegeben hat für diese sogenannte Nachrüstung im Mittelstreckenbereich. Dieses Gesetz wird auch in der konventionellen Rüstung gelten. Die Sowjetunion ist bereit, ihre Überlegenheiten zum Instrument von Abrüstungschancen zu machen, und das ist eine historisch neue Situation, die viele erst noch begreifen müssen.
    Eine Regierung, die auch nur den Funken eines Abrüstungswillens hätte, müßte in der konkreten Situation den Verteidigungshaushalt kürzen und den Streitkräfteumfang reduzieren.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Was Herr Carlucci machen kann, warum kann das nicht auch Herr Wörner oder sein Nachfolger?

    (Rühe [CDU/CSU]: Ihr neues Idol!)

    — Ja, bitte. Fortschritte, Veränderungen begeistern mich immer, weil das ein Ausdruck von Positivem ist, das ich immer unterstütze. Weitere Fortschritte wird es allerdings in diesem Land nach der bisherigen Erfahrung immer nur in Verbindung mit Landtagswahlen geben. Erst wenn die CDU vor der Alternative steht „Abrüstung oder Machtverlust" — Herr Stoltenberg, das ist vielleicht auch für Schleswig-Holstein von Interesse —, erst dann wird sie sich in Richtung Abrüstung bewegen. Die Wähler müssen dieser Regierung die Waffen aus den Händen winden, sonst macht sie keine Abrüstungspolitik.
    Lassen Sie mich zum Schluß daran erinnern, daß wir heute den Tag der Menschenrechte feiern. Da gibt es einen engen Zusammenhang, den man sehr wohl auch anders darstellen kann, als Sie, Herr Rühe, das getan haben. Im Schatten von Kriegen ist immer Völkermord betrieben worden, und im Schatten von Rüstung werden die Menschenrechte besonders stark verletzt. Deshalb zeigt sich die Ernsthaftigkeit Ihrer Bekenntnisse zu den Menschenrechten auch daran, ob Sie wirklich Abrüstungspolitik betreiben oder nicht. Wer also von Menschenrechtsverletzungen spricht, der sollte aktive Abrüstungspolitik betreiben, dann ist er glaubwürdig. Vielen Dank.

    (Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und
    Herren! Der Begriff „historischer Augenblick" wird oft verwendet, selten hat er jedoch geschichtlichen Bestand. Die Unterzeichnung des Abkommens über die Vernichtung der Mittelstreckenraketen durch Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow war aber mit Sicherheit ein solcher historischer Augenblick, der geschichtliche Bedeutung haben wird. Die Bundesrepublik Deutschland hat durch ihren Einsatz und ihre geradlinige Haltung entscheidend dazu beigetragen, daß dieses Ziel erreicht wurde; ich möchte hier ausdrücklich dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister für ihre Aktivität zur Erreichung dieses Ziels danken.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, die Linie der Freien Demokraten in der Außen- und Sicherheitspolitik hat sich als richtig, als erfolgreich erwiesen, nämlich Aufrechterhaltung einer gesicherten Verteidigungsfähigkeit auf der einen Seite und Wille zum Dialog, zur Kooperation und zur Abrüstung, wo immer möglich, auf der anderen Seite. Beides gehört zusammen, und dies haben wir ständig zum Leitmotiv unserer Politik gemacht.

    (Beifall bei der FDP)

    Meine Damen und Herren, der Wille zur Kooperation manifestiert sich nun im ersten wirklichen Abrüstungsabkommen, durch das die völlige Vernichtung von Waffensystemen hochmoderner Bauart auf beiden Seiten erfolgen wird. Für uns Deutsche, für die Europäer ist dies von besonderer Bedeutung, da ja diese Waffen in Europa stationiert sind und für uns die größte Bedrohung auf beiden Seiten darstellen.
    Die Beseitigung der Mittelstreckenraketen mit Reichweiten von 500 bis 5 500 km ist nicht nur ein Zeichen guten Willens auf beiden Seiten, sondern vor allen Dingen das Ergebnis einer konsequenten Politik, die mit dem NATO-Doppelbeschluß 1979 begann. Wir, die Freien Demokraten, standen allem Widerstand zum Trotz zum NATO-Doppelbeschluß und haben dafür in der Öffentlichkeit manches auf uns nehmen müssen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wenn Sie, Herr Kollege Vogel, heute zu diesen Dingen Stellung nehmen, dann sage ich: Wir — ich sage das selten — können ein wenig stolz sein auf dieses Ergebnis, weil wir von Anbeginn bis zum Schluß den Kurs durchgehalten haben und nicht schwankend geworden sind, wie es in Ihren Reihen geschehen ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, natürlich hat es, als der NATO-Doppelbeschluß geboren wurde, Bedenken, Vorbehalte auf vielen Seiten gegeben. Natürlich ist darüber diskutiert worden. Wenn Sie, Herr Kollege Vogel, davon sprechen, wieso wir auf die Idee kommen, einen Parteitag über Vermummung zu machen, muß ich Sie daran erinnern, daß wir zu einer Zeit über den NATO-Doppelbeschluß Parteitage durchgeführt und die Linie festgelegt haben, mit heftigen Diskussionen, aber mit klaren Entscheidungen, die bis heute ihre Gültigkeit haben, während Sie auf Ihrem Partei-
    3422 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 49. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1987
    Mischnick
    tag den Weg vom NATO-Doppelbeschluß weg gegangen sind.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wenn Sie sagen, wir sollten Parteitage durchführen, um die drängenden politischen Fragen unserer Zeit zu behandeln, so sage ich Ihnen: Unsere Kollegen in Nordrhein-Westfalen haben am vergangenen Wochenende über Strukturmaßnahmen, über Energiepolitik, über Bildungspolitik, sie haben in dem Land über Sachfragen gesprochen, um das es hier in erster Linie geht. Diese Mahnungen an unsere Adresse können Sie also ruhig sein lassen. Wir wissen schon selber, was wir parteipolitisch richtig und notwendig zu tun haben.