Rede von
Konrad
Gilges
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Sauer, Sie haben gesagt, das Rauchen sei ein Bedürfnis. Sie wissen genausogut wie ich, daß Rauchen kein Bedürfnis ist, sondern schlicht und einfach eine Sucht. Da ich mir seit rund drei Jahren auch im Rahmen dieser Diskussion im Ausschuß das Rauchen abgewöhnt habe, weiß ich noch mehr, daß es eine Sucht ist und daß es auch unsere Aufgabe ist, das Rauchen als Sucht zu deklarieren; das sollte man auch öffentlich tun.
— Gut, wenn wir einer Meinung sind, dann sagen wir nicht mehr: Rauchen ist ein Bedürfnis wie Essen, Trinken oder sonstige Bedürfnisse, sondern es ist eine Sucht. Gegen diese Sucht müssen wir kämpfen. Ich komme nachher noch einmal darauf zurück, weshalb ich das für notwendig halte. Ich sage das, damit das hier nicht falsch stehenbleibt.
Wir Sozialdemokraten begrüßen, daß hier heute Gelegenheit gegeben wird, über die Frage des Tabakrauchens und seiner gesundheitlichen Schäden zu diskutieren. Wir begrüßen das deswegen, weil das an die Arbeit der sozialliberalen Koalition anschließt.
Wenn hier schon ein Lob in Richtung einer Ministerin ausgesprochen wird, dann wäre zuerst die Frau Focke zu nennen; denn Frau Focke hat es wirklich fertiggebracht, im Rahmen ihrer Regierungszeit zwei entscheidende Maßnahmen durchzusetzen, nämlich gesetzgeberisch die Kennzeichnung der Schädlichkeit der Zigaretten auf der Tabakschachtel und zweitens die Vereinbarung eines Gebots zur Begrenzung der Werbung. Deshalb: Wenn wir schon loben, dann loben wir Frau Focke und warten einmal ab, ob Frau Süssmuth in der Lage ist, über ihre Appelle hinaus auch etwas Praktisches gesetzgeberisch durchzusetzen.
— Moment, ich habe gesagt: wenn, dann. Das haben Sie ja mitbekommen.
Es macht mir ein bißchen Schwierigkeiten und
— ich muß es Ihnen ehrlich gestehen — ich bin es schon fast leid, Herr Sauer, daß wir seit vielen Jahren im Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit über dieses Thema diskutieren. Wir haben Anhörungen gemacht. Dieses Thema stand, glaube ich, mindestens schon fünf- oder sechsmal auf der Tagesordnung dieses Ausschusses. Wir tauschen da immer wieder Noten über das aus, was Sie wollen, und das, was wir wollen, usw., usf. Wir haben auch im Rahmen des Jugendschutzgesetzes darüber geredet. Heute sagen Sie wieder, nächste Woche werden Sie einen Aktionskatalog der CDU vorlegen. Ich glaube Ihnen das mittlerweise nicht mehr.
— Oder in absehbarer Zeit.
Nehmen wir absehbare Zeit. Auch das glaube ich Ihnen mittlerweise nicht mehr. Ich sage Ihnen das ganz ehrlich.
Auch als Kollege glaube ich nicht mehr, daß Sie in der Lage sein werden, in absehbarer Zeit einen Katalog vorzulegen, der etwas gegen die Sucht Rauchen tut.
Ich möchte etwas zu dem sagen, was in den letzten Wochen geschehen ist. Wir Sozialdemokraten bedauern sehr und beklagen es auch, daß die Frau Ministerin nicht in der Lage war, sich mit Ihrem Aktionspro-
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gramm durchzusetzen. Dieses Aktionsprogramm ist ja öffentlich gemacht worden. Es ist eigentlich sehr wenig übriggeblieben, außer einem Appell in Frankfurt, der auf Freiwilligkeit beruht. Aber nirgendwo werden konkrete Maßnahmen der Bundesregierung eingeleitet.
Ich will ein Zweites sagen. Uns Sozialdemokraten wird immer vorgehalten, wir wären für Verbote oder wollten den Bürger bevormunden. Das ist dummes Zeug, das ist schlicht und einfach falsch.
Wir sind im Zusammenhang mit dem Rauchen der Meinung, daß es im Interesse des Bürgers notwendig ist, ihn vor Krankheiten zu schützen,
und Rauchen ist, ob passiv oder aktiv, ein Verursacher von Krankheiten. Die „Gewerkschaftlichen Monatshefte" haben — gerade heute habe ich das gelesen — in einem wissenschaftlichen Beitrag aufgelistet, welche Krankheiten alle durch das Rauchen verursacht werden oder durch das Rauchen verstärkt auftreten. Krankheiten werden also durch das Rauchen nicht nur verursacht, sondern treten auch verstärkt auf. Das sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen — in erheblichem Maß Magenkrebs, Speiseröhrenkrebs — , Erkrankungen der Atmungsorgane und schließlich die Frage der Unfruchtbarkeit. Ich habe Ihnen hier nur vier Krankheitsbereiche genannt, die aufzeigen, wo Rauchen der Verursacher von Krankheiten ist. Deshalb liegt es in unserer Verantwortung, etwas gegen das Rauchen zu tun, um die Menschen vor diesen Krankheiten zu schützen.
Wer einmal miterlebt hat, welches menschliche Schicksal es bedeutet, an Lungenkrebs zu erkranken, der ist wirklich schockiert und irritiert, daß es dann noch Leute gibt, die die Behauptung aufstellen, das Rauchen mache nicht krank oder sei unter Umständen auch kein Verursacher. Es ist nicht wahr und wir sollten es immer wiederholen, daß Rauchen der Verursacher für eine große Anzahl von Krankheiten ist.
Ich will mich da überhaupt nicht auf Zahlen festlegen. Es geht nicht um tausend oder hunderttausend. Die Anzahl reicht aus, um sich dagegen einzusetzen.
Ich wollte noch etwas zu der Bundesministerin sagen. Frau Saibold hat das auch schon gesagt. Wir haben im Frühjahr oder Sommer durch die Zeitung einen Katalog, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, zur Kenntnis genommen. Wir haben dann durch die Buschtrommel erfahren, daß dieser Katalog oder dieses Aktionsprogramm — das ich hier jetzt auch vorliegen habe — an die anderen Bundesministerien verschickt und vom Bundeswirtschaftsminister an — so wurde uns erzählt — die Tabakindustrie, an die Interessenverbände weitergegeben worden ist. Dann hat die Tabakindustrie die nötige Kampagne entwickelt, um dieses Aktionsprogramm zum Scheitern zu bringen.
Ich muß Ihnen sagen: Ich finde es wirklich schlimm, daß es der Tabakindustrie in dieser Republik möglich ist, eine Ministerin, ein Mitglied einer Bundesregierung, in die Knie zu zwingen.
Diese Frage bleibt, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bei aller Rabulistik, die uns Herr Sauer in dieser Frage immer wieder vorführt,
immer noch im Raum. Wir bedauern das gerade nicht, weil wir uns darüber freuen, sondern wir bedauern es im Interesse der Gesundheit der Bürger, die durch das Rauchen als Nichtraucher oder als Raucher betroffen sind, daß die Bundesministerin sich hier nicht durchsetzen konnte. Es gibt hier bei uns keine Schadenfreude, sondern ein großes Bedauern.
Ich hoffe, daß Sie in der Zukunft mehr in der Lage sein werden, solchen Kampagnen der Tabakindustrie zu begegnen, die von ihrer Betrachtungsweise her berechtigt sind. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, daß uns auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten angeschrieben hat. Der Herr Döding — mein Kollege — hat gesagt, wir sollten bei dieser ganzen Geschichte nicht übertreiben. Ich weiß auch, daß an dieser Frage Arbeitsplätze hängen und daß es ein Bündnis gibt. Aber dem gesundheitlichen Interesse ist Vorrang vor dem Interesse der Industrie einzuräumen,
das auf Gewinn geht. Ich will das zwar gelten lassen, aber man muß der Gesundheit den Vorrang geben.
Ich will zum Schluß kommen. Was ist heute zu tun? — Wir haben überhaupt keinen Streit darüber, daß der Nichtraucherschutz verstärkt werden muß. Dazu wurden Beispiele genannt, darüber müssen wir in den Ausschüssen debattieren. Ich glaube, daß wir dabei zu einer einvernehmlichen Regelung kommen können. Ich glaube, daß das zwar nicht über gesetzgeberische Maßnahmen möglich ist, aber durch bestimmte freiwillige Vereinbarungen und durch bestimmte Maßnahmen und Appelle ist da etwas zu regeln.
Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß die Aufklärung über die Krankheitsgefährdungen verstärkt werden muß.
Nicht einig sind wir in der Frage der Verstärkung der Werbebeschränkungen. Ich gehe davon aus, Herr Sauer, daß es notwendig ist, über gesetzgeberische Maßnahmen die Werbung für Tabakwaren einzuschränken.
— Einzuschränken. Ich will nicht sagen: total abzuschaffen, aber einzuschränken. Ich betrachte es als Zumutung, in Kinos, wo insbesondere Jugendliche hingehen — das ist heutzutage nun einmal so — , im Vorspann sechs, sieben Zigarettenwerbungen oder Tabakwerbungen zu zeigen. Das ist eine Zumutung für jeden Bürger und auch für Politiker. Dagegen soll-
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ten wir wirklich einmal etwas tun und eine Einschränkung vornehmen.
Das kann man eben nur über den gesetzgeberischen Weg. Ich habe nur ein Beispiel genannt, aber es gäbe noch einige andere Beispiele.
Wir sind nach wie vor der Meinung, daß das Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit geändert werden muß. Es ist unglaubwürdig, wenn wir zwar für Alkohol ein Abgabeverbot haben, aber kein Abgabeverbot bei Tabakwaren. Das ist unglaubwürdig.
Kein Jugendlicher und kein Kind versteht, daß er für den Vater zwar keine Flasche Bier kaufen darf, aber so viele Zigaretten, wie er will, sogar für sich selbst, sie nur in der Öffentlichkeit nicht rauchen darf. Das ist für jeden Gesetzgeber unglaubwürdig. Deshalb ist es notwendig, dieses Gesetz an dieser Stelle zu ändern — auch mit der notwendigen Konsequenz, daß alle öffentlich aufgestellten Zigarettenautomaten unter Umständen abgebaut oder so umgebaut werden müssen, daß der Zugang für Kinder ausgeschlossen ist. Wir bleiben dabei und lassen uns von dieser Forderung nicht abbringen. Ich hoffe, daß FDP, CDU/CSU und GRÜNE mit uns gemeinsam in der Lage sind, in diesem Bereich etwas zu tun, auch im Sinne der Maßnahmen, die Frau Focke in den 70er Jahren ergriffen hat. Ich fordere Sie dazu auf und bitte Sie darum.