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    Plenarprotokoll 11/25 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 25. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. September 1987 Inhalt: Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dreßler SPD 1667 B Fuchtel CDU/CSU 1671 C Frau Unruh GRÜNE 1673 B Mischnick FDP 1675 A Dr. Blüm, Bundesminister BMA 1678 D Jaunich SPD 1685 A Dr. Hoffacker CDU/CSU 1687 D Frau Krieger GRÜNE 1690D Frau Dr. Niehuis SPD 1693 A Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG 1695 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 1699 C Dr. Spöri SPD 1700D Frau Vennegerts GRÜNE 1702 D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 1704 B Frau Simonis SPD 1708 C Nächste Sitzung 1712 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 1713* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 1713* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. September 1987 1667 25. Sitzung Bonn, den 11. September 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter * 11. 9. Bahr 11. 9. Bamberg 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11. 9. Dr. Biedenkopf 11. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Brandt 11. 9. Büchner (Speyer) ' 11. 9. Dr. von Bülow 11. 9. Catenhusen 11. 9. Duve 11. 9. Eigen 11. 9. Erler 11. 9. Dr. Feldmann * 11. 9. Gattermann 11. 9. Frau Dr. Götte 11. 9. Dr. Götz 11. 9. Großmann 11. 9. Dr. Hauchler 11. 9. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 11. 9. Frau Dr. Hellwig 11. 9. Hiller (Lübeck) 11. 9. Hoppe 11. 9. Hoss 11. 9. Irmer 11. 9. Jansen 11. 9. Jung (Lörrach) 11. 9. Kiechle 11. 9. Kirschner 11. 9. Kroll-Schlüter 11. 9. Dr. Kunz (Weiden) 11. 9. Lohmann (Witten) 11. 9. Frau Luuk * 11. 9. Dr. Mertens (Bottrop) 11. 9. Meyer 11. 9. Mitzscherling 11. 9. Müller (Düsseldorf) 11. 9. Müller (Wesseling) 11. 9. Niegel * 11. 9. Niggemeier 11. 9. Oostergetelo 11. 9. Rawe 11. 9. Reddemann ** 11. 9. Frau Renger 11. 9. Repnik 11. 9. Reuschenbach 11. 9. Rixe 11. 9. Schäfer (Mainz) 11. 9. Dr. Scheer * 11. 9. Frau Schilling 11. 9. Schluckebier 11. 9. Schmidt (München) ** 11. 9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11. 9. von Schmude ** 11. 9. Schröer (Mülheim) 11. 9. Dr. Sperling 11. 9. Tietjen 11. 9. Volmer 11. 9. Vosen 11. 9. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Warrikoff 11. 9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11. 9. Frau Wieczorek-Zeul 11. 9. Wissmann 11. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat m seiner 578. Sitzung am 26. Juni 1987 gemäß Artikel 94 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit §§ 5 und 7 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht zum Richter des Bundesverfassungsgerichts Herr Professor Dr. Dieter Grimm, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bielefeld, als Nachfolger für den Richter des Bundesverfassungsgerichts Professor Dr. Konrad Hesse in den Ersten Senat gewählt. Der Bundesrat hat in seiner 578. Sitzung am 26. Juni 1987 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz über die sechzehnte Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (Sechzehntes Anpassungsgesetz-KOV - 16. AnpG-KOV) Gesetz zur Verlängerung des Versicherungsschutzes bei Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Der Bundesrat begrüßt die Verlängerung der Bezugsfrist für Kurzarbeitergeld in der Stahlindustrie. Er bedauert jedoch, daß der Bundestag der Forderung des Bundesrates in seiner Stellungnahme vom 3. April 1987 zur Einbeziehung der Schiffbauindustrie nicht gefolgt ist. Die Lage in der Schiffbauindustrie gleicht der in der Stahlindustrie. Mit Sorge beobachtet der Bundesrat, daß die mangelhafte Absatzlage sowie wettbewerbsverzerrende Subventionen in anderen Staaten Tausende von Arbeitsplätzen in der Schiffbauindustrie gefährden. Er bittet die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, daß der Geltungsbereich der Ausnahmeregelung über einen verlängerten Bezug von Kurzarbeitergeld auf die Betriebe der Schiffbauindustrie im Sinne der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft über Beihilfen für den Schiffbau im 8. Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes ausgeweitet wird. Die Einbeziehung ist weiterhin erforderlich, um den strukturellen Anpassungsprozeß im Schiffbau mit den Mitteln des Arbeitsförderungsgesetzes sozialpolitisch wirksam unterstützen zu können. Die Dringlichkeit derartiger Anpassungshilfen für die Schiffbauindustrie wie für die Stahlindustrie ist auch durch das Gesetz über die Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104a Abs. 4 des Grundgesetzes an die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Freie Hansestadt Bremen und Freie und Hansestadt Hamburg zum Ausdruck gebracht worden. Der Bundesrat hat in seiner 579. Sitzung vom 10. Juli 1987 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: 1714* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. September 1987 Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen Gesetz über Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung für Kindererziehung an Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 (Kindererziehungsleistungs-Gesetz — KLG) Gesetz zur Verlängerung von Auslaufzeiten in der Montan-Mitbestimmung Gesetz zur dauerhaften sozialen Verbesserung der Wohnungssituation im Land Berlin Achtes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und sechstes Gesetz zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1987 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1987 — BBVAnpG 87) Achtes Gesetz zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes Gesetz zu dem Vertrag vom 30. April 1986 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ungarischen Volksrepublik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Gesetz zu dem Übereinkommen vom 11. Oktober 1985 zur Errichtung der Multilateralen Investitions-Garantie-Agentur (MIGA-Übereinkommen) Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Steuersenkungs-Erweiterungsgesetz 1988 — StSenkErwG 1988) Gesetz zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes Zu den beiden letztgenannten Gesetzen hat der Bundesrat folgende Entschließungen gefaßt: a) Zum Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Steuersenkungs-Erweiterungsgesetz 1988 — StSenkErwG 1988) Der Bundesrat bedauert, daß die Bundesregierung die Ergänzungsvorschläge des Bundesrates im Rahmen dieses Gesetzesvorhabens nicht aufgegriffen hat. Der Bundesrat hatte bereits im Zusammenhang mit dem Steuersenkungsgesetz 1986/88 den Wunsch geäußert, die Lebensaltersgrenze für die Berücksichtigung von Kindern von 16 auf 18 Jahre anzuheben. Der Bundesrat ist deshalb der Auffassung, daß zumindest dieser Vorschlag hätte realisiert werden können, ohne die notwendigen steuersystematischen und haushaltspolitischen Gesichtspunkte zu vernachlässigen. Der Bundesrat erwartet, daß die Bundesregierung die angekündigte Prüfung nunmehr unverzüglich vorantreibt und von sich aus eine entsprechende gesetzliche Regelung vorlegt. b) Zum Gesetz zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes Der Bundesrat billigt die in dem Gesetz vorgesehene Erhöhung des Kreditrahmens für den Ausgleichsfonds, um in Verbindung mit der zum 1. Juni 1987 vorgenommenen Erhöhung der Ausgleichsabgabe 1987 auf 7,5 % die Erfüllung bestehender Rechtsansprüche an den Fonds zu gewährleisten. Der Bundesrat hält allerdings die Entwicklung des Mittelbedarfs des Fonds, wie sie sich aufgrund der derzeitigen Zuschußregelung des Dritten Verstromungsgesetzes seit 1986 als Folge des Ölpreisverfalls ergeben hat, und die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Mehrbelastungen für die Stromverbraucher sachlich für nicht vertretbar. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, bei der Neuregelung der Strukturelemente des Kohlepfennigs einschließlich seiner Berechnungsmethode zu gewährleisten, daß einerseits die Hilfen in wirtschaftlich vertretbaren Grenzen gehalten werden, zum anderen zugleich regional einseitige Belastungen abgebaut werden. Er sieht dabei einen unverzichtbaren Zusammenhang mit einer Anschlußregelung für den Jahrhundertvertrag ab 1995. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die entsprechenden Verhandlungen mit den Betroffenen so zu führen, daß die Neuregelung ab 1988 in Kraft treten kann. Der Bundesrat weist außerdem darauf hin, daß die längerfristige Sicherung des Einsatzes deutscher Steinkohle nur bei Wiederherstellung des länderübergreifenden energiepolitischen Grundkonsenses über die gleichzeitige Nutzung von Kohle und Kernenergie möglich ist. Die hohen Kosten für die Erhaltung des deutschen Steinkohlebergbaus sind volkswirtschaftlich nur tragbar, wenn zum Ausgleich die Kostenvorteile der Kernenergie genutzt werden können. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 30. Juli 1987 mitgeteilt, daß sie den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Umwelt-Grundrechts, Drucksache 11/604, zurückzieht. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über den zweiten Teil der 32. ordentlichen Sitzungsperiode der Westeuropäischen Union vom 1. bis 4. Dezember 1986 in Pans (Drucksachen 10/6756, 11/138 Nr. 1.12) Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Nordatlantischen Versammlung über die Plenarsitzungen der Nordatlantischen Versammlung am 17. und 18. November 1986 in Istanbul (Türkei) (Drucksache 10/6758, 11/138 Nr. 1.13) Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Beratung nachstehender Vorlage abgesehen hat: Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EGKS, EWG, EURATOM) Nr. 300/76 zur Festlegung der Gruppen der Empfänger, der Bedingungen für die Gewährung und der Sätze der Vergütungen, die den im Schichtdienst arbeitenden Beamten gewährt werden können (Drucksache 11/138 Nr. 3.4) Der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Beratung nachstehender EG-Vorlagen, die ihm mit Sammeldrucksache 11/138 überwiesen wurden, abgesehen hat: Drucksache 11/138 Nummern 3.132, 3.133, 3.134, 3.135
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    Rede von Dieter-Julius Cronenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Bitte schön, Herr Abgeordneter Dreßler.


Rede von Rudolf Dreßler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Mischnick, stimmen Sie mir zu, daß ich soeben über unser gemeinsames Zukunftsinvestitionsprogramm — das Programm der sozialliberalen Koalition — gesprochen habe, und stimmen Sie mir zu, daß das Hamburger Weltwirtschaftsarchiv noch in jüngster Zeit, in den vergangenen Wochen, den exakten zusätzlichen Beschäftigungseffekt mit 457 150 Arbeitsplätzen errechnet hat? Kommen Sie, Herr Mischnick, unter diesem Gesichtspunkt dann nicht auch zu dem Ergebnis, daß das eine gute, auf mehr Beschäftigung ausgerichtete Politik war?

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    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Kollege Dreßler, ich habe nicht gesagt, daß alle Investitionen falsch waren. Ich habe darauf hingewiesen, daß ein Teil davon diese Wirkung hat, daß es ein Strohfeuer war und daß wir diese Fehler nicht wiederholen wollen, während in Ihren Programmen diese Fehler wiederholt werden. Deshalb kommen wir zu anderen Entscheidungen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das ist nun einmal unser Standpunkt; da können Sie — was ich Ihnen gar nicht vorwerfe — einen anderen haben.
    Der Herr Kollege Vogel und andere haben gestern beklagt, die Belastung der Löhne und Gehälter mit der progressiven Lohnsteuer sei sehr hoch, und Lohn- und Lohnnebenkosten seien sehr hoch. Gleichzeitig wird ständig beklagt, daß die Steuerreform kommt. Nun müßte man sich ja nun langsam einmal entscheiden, was man hier eigentlich will.

    (Sehr wahr! bei der FDP)

    Wir wollen und wir werden mit der Steuerreform gerade durch die Einführung eines größeren Grundfreibetrages eine halbe Million Menschen, vielleicht sogar mehr, völlig von der Steuer freistellen. Wir werden durch einen niedrigeren Eingangssatz die unteren



    Mischnick
    Einkommen entlasten. Wir werden den Bauch, den wir heute in der Steuerkurve für die mittleren Einkommen haben, abbauen. Das wird automatisch auch eine Auswirkung auf die höheren Einkommen haben.

    (Dr. Spöri [SPD]: Ja, und Spitzensteuersatzsenkung!)

    Das alles ist ein Projekt, das entlastend wirkt und gleichzeitig dazu führt, daß die Chance zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen eröffnet wird.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Wir haben doch heute zwei Probleme. Wir haben zum einen das Problem, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, Arbeitsplätze zu schaffen. Das zweite Problem ist, für vorhandene Arbeitsplätze Arbeitskräfte zu haben. Diese beiden Dinge stehen doch hier zur Diskussion. Wenn Sie durchs Land gehen, müssen Sie doch überall erleben, wie viele freie Plätze nicht besetzt werden können, weil die entsprechenden Arbeitskräfte — zugegebenermaßen regional unterschiedlich — nicht zur Verfügung stehen.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: So ist das!)

    Beide Punkte müssen wir sehen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Das glauben Sie selbst nicht, Herr Mischnick!)

    — Wenn Sie das noch nicht mitbekommen haben,

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Doch!)

    möchte ich Sie doch einmal bitten, mit offeneren Augen durch die Landschaft zu gehen und die vielen Anschläge zu sehen, mit denen Arbeitskräfte gesucht werden.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Was?)

    Ich behaupte nicht, daß mit diesem Suchen alle Probleme gelöst wären, aber wir haben beide Aufgaben zu erfüllen. Die Tatsache, daß wir heute über 630 000 Arbeitsplätze mehr haben,

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Ja, welche denn?)

    zeigt doch, daß die Gesamtpolitik gegriffen hat und daß auf diese Art und Weise die Chance, auch zur Herabsetzung der Arbeitslosenzahl zu kommen, größer wird.

    (Beifall bei der FDP)

    Und verschweigen Sie bei Ihren Diskussionen doch nicht, wie die Gesamtentwicklung unserer Bevölkerungsstatistik für die nächsten Jahre aussieht und wie sich schon daraus weitere Veränderungen ergeben werden.
    Ein weiterer Punkt: Bei allen Diskussionen über die Sozialpolitik wird immer so getan, als sei das, was im Haushalt steht, als sei das, was in den Haushalten der Versicherungsträger steht, der alleinige Beweis für eine gute Sozialpolitik. Dies ist falsch. Der wichtigste Faktor für die Sozialpolitik im weitesten Sinne des Wortes ist in den letzten fünf Jahren die Preisstabilität gewesen, denn jedes Prozent Preissteigerung ist eine unsoziale Maßnahme gegen die Masse der Arbeitnehmer; Preisstabilität erhöht die Kaufkraft der Arbeitnehmer und bietet damit auch bessere Möglichkeiten für individuelle, gezielte sozialpolitische Leistungen.
    Das haben wir — im Gegensatz zu früheren Zeiten — zustande gebracht.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Nun sagen Sie, die sozialen Sicherungssysteme würden von uns verwässert und abgebaut. Es wird immer von der sozialen Demontage gesprochen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wäre es nicht sinnvoll, sich im Jahre 1987 mehr Gedanken darüber zu machen, ob nicht manche überkommene Entwicklung, manches System, das vor 100 Jahren geschaffen worden ist, zwar damals richtig war, aber heute, in der neuen Zeit, weiterentwickelt werden muß, und dies eben nicht dadurch, daß ich es demontiere, sondern dadurch, daß ich neue Entwicklungen einbeziehe?
    Ich will ein typisches Beispiel dafür nennen. Wenn wir uns einmal die Zahlen der Berufsgenossenschaften ansehen, können wir feststellen, daß die Aufwendungen für Berufsunfälle im Verhältnis zum Anwachsen der Beschäftigtenzahl in den letzten 15, 20 Jahren viel geringer gestiegen sind als die in anderen Bereichen. Hier hat man mit einer gezielten Vorsorge erreicht, daß die Belastungen der Betriebe nicht im gleichen Tempo gestiegen sind, wie das in anderen Sozialversicherungsbereichen der Fall war. Lohnt es sich nicht, dann darüber nachzudenken, ob es auf Dauer sinnvoll ist, daß Invaliditätsvorsorge und Altersvorsorge in einem System zusammengefaßt sind? Müßte man nicht überlegen, die Invaliditätsvorsorge gezielter, spezieller zu betreiben und sie von der Altersvorsorge auf Dauer zu trennen? Wären das nicht Überlegungen, die man einmal anstellen kann, statt immer nur zu sagen: Korrekturen sind im System anzubringen?
    Und wenn wir hier schon langfristige Überlegungen anstellen, dann geht es ja nicht nur darum, in dieser Legislaturperiode — wie es vorgesehen ist — Entscheidungen für das Rentenversicherungssystem, für die Krankenversicherung zu treffen, sondern es geht auch darum, die Weichen so zu stellen, daß ich die Tür für längerfristige Überlegungen nicht zumache, sondern zusätzliche Gedanken entwickeln kann.
    Warum ist das so wichtig? Gerade wenn wir an die Sicherung des Rentenversicherungssystems denken, müssen wir heute doch feststellen, daß der Übergang in den Ruhestand mit 65 Jahren die absolute Ausnahme geworden ist, daß das vorzeitige Ausscheiden aus dem Arbeitsleben mit entsprechenden Belastungen sehr viel häufiger geschieht, daß ein Teil der Betreffenden, die vorzeitig ausscheiden, dies nicht unbedingt will. Hier spielen eben Arbeitsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit eine Rolle. Lohnt es sich dann nicht, darüber nachzudenken, wie man dies vermeiden kann, um damit auch Beitragserhöhungen aus diesem Grund — denn hier haben wir ja eine Mischung hinsichtlich der Beitragserhöhung, Invaliditäts- wie Altersvorsorge — zu vermeiden, um Spielraum für das zu bekommen, was wir brauchen, nämlich für die Altersvorsorge selbst? Wäre es, wenn hier das Angebot zur Zusammenarbeit kommt, nicht gut, über solche Grundsatzfragen — ohne Rücksicht darauf, ob man



    Mischnick
    damit heute oder morgen eine Schlagzeile machen kann — miteinander verstärkt nachzudenken,

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Ja, dann bilden Sie doch eine Kommission!)

    statt bei jedem Nachdenken darüber dem anderen nur ständig vorzuwerfen, er wolle soziale Demontage betreiben?

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sie haben doch eine Kommission! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN und der SPD)

    — Natürlich gehört das mit dazu. Oder darf ich Sie nicht auch daran erinnern, daß wir insgesamt stolz darauf sind, in unserer Bundesrepublik Deutschland Möglichkeiten geschaffen zu haben, den Bürger in den verschiedensten Bereichen immer mehr mitwirken zu lassen? Ich denke z. B. an den kommunalpolitischen Bereich, ich denke an die Mitbestimmung. Wir sprechen zwar immer davon, daß wir den mündigen Staatsbürger haben wollen — deshalb haben wir ihm mehr Rechte gegeben — , aber wenn es darum geht, im sozialpolitischen Bereich — bei Krankenversicherung, bei Altersvorsorge — mehr Eigenvorsorge möglich zu machen, dem Bürger mehr Möglichkeit der Mitgestaltung zu geben, dann wird das plötzlich so dargestellt, als sei das eine Demontage sozialer Sicherungssysteme. Wird es nicht höchste Zeit, daß wir die Verantwortungsbereitschaft des einzelnen auch in unseren sozialen Sicherungssystemen fördern, seine Mitgestaltungsmöglichkeiten verstärken und damit dafür sorgen, daß kein Überborden der Ausgaben und damit der Beitragssätze geschieht?

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es wäre es doch wert, darüber nachzudenken, wieso der Bürger, der mündig ist, bei Wahlen zu entscheiden, der mündig ist, im Betrieb einen Betriebsrat und daraus einen Aufsichtsrat zu wählen, nicht auch mündig sein soll, in der Rentenversicherung, in der Krankenversicherung selber gestaltend mitzuwirken. Es wäre sonst doch ein Armutszeugnis, das Sie dem Bürger ausstellen.
    Wir sind der Meinung: Bei allen Weiterentwicklungen müssen diese Gesichtspunkte mit eingebracht werden. Dabei haben wir nie geleugnet, welch enger Zusammenhang zwischen Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik, Sozialpolitik und Gesundheitspolitik besteht.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Herrlich!)

    Nur wenn das miteinander abgestimmt ist, kann eine entsprechende Wirkung erzielt werden. Deshalb werden wir bei den vor uns stehenden Entscheidungen die Aufgaben sehen, die wir zur weiteren Konsolidierung der Rentenversicherung mittelfristig zu lösen haben. Es ist doch unbestreitbar, daß wir heute aus der Situation von vor drei, vier fünf Jahren heraus sind, als wir praktisch von Tag zu Tag Sorge haben mußten. Wir wissen aber ganz genau, daß die Entscheidung, in Zukunft z. B. eine nettoähnliche Anpassung vorzunehmen, zwar für fünf, zehn, vielleicht 15 Jahre, aber nicht auf Dauer Entlastung bringen kann. Das ist aber das Ergebnis, das wir brauchen. Auch hier hat sich doch gezeigt, wie mühselig es manchmal ist, die richtigen Argumente nicht nur darzulegen, sondern diejenigen, die anderer Meinung sind, davon auch zu überzeugen. Als wir vor zehn Jahren davon sprachen, daß wir von der reinen bruttobezogenen Anpassung wegkommen müssen, wurden wir in diesem Haus — zugegebenermaßen sowohl von SPD wie von CDU/ CSU — nicht unterstützt, sondern es wurde gesagt, das alles müsse so bleiben. Heute sind wir Gott sei Dank gemeinsam so weit, das zu erkennen. Wenn dies früher erkannt worden wäre, dann hätten wir uns manche Entscheidung bei der Rentenanpassung ersparen können und wären heute weiter.
    Meine Bitte ist, wenn Widerstand kommt und jemand plötzlich sagt, das sei soziale Demontage, nicht wieder zurückzuschrecken, sondern heute die Entscheidung für morgen zu fällen.

    (Beifall bei der FDP — Zuruf der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Denn wir haben, Frau Unruh, nicht nur die Aufgabe, die Renten denen, die sie heute beziehen, zu sichern — das ist notwendig — und dafür zu sorgen, daß sie auch morgen an der Entwicklung unserer Wirtschaft teilhaben.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Anderes System!)

    Wir haben auch die Aufgabe, für die Beitragszahler von heute zu sorgen, die ja die Rentner von morgen sind. Denn wir dürfen ihre hohe Beitragszahlung von heute nicht als Ruhekissen für die Entscheidung von morgen und übermorgen betrachten, sondern müssen sie auch als einen Anspruch für die Zeit nach 2000 sehen. Das ist die Aufgabe, die vor uns steht.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    In diesem Zusammenhang gibt es doch keinen Zweifel, daß sowohl Beitragszahlung

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Anderes System!)

    wie Bundeszuschuß eine entscheidende Rolle spielen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Biedenkopf ist besser!)

    — Ach, wenn sie, Frau Unruh, mal nachlesen würden, was ich schon 1963 gesagt habe, würden Sie diese Zwischenrufe nicht mehr machen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sie haben es nicht getan!)

    Nur stelle ich heute fest: Auch in diesem Bereich muß die Zeit reifen. Damals hat man es nicht geglaubt. Als ich 1963 davon sprach, in den 70er Jahren brauche man 18 % Beitrag, hat man gesagt, das sei Volksverdummung, das sei Schwarzmalerei. 1963! Heute weiß jeder, daß man auch aus der Statistik ablesen kann, wie die Entwicklung ist. Damals wollte man es nur nicht eingestehen.
    Heute gerade in der Rentenversicherung im Interesse beider der Beitragszahler und der Rentner, die Weichen richtig zu stellen ist von entscheidender Bedeutung. Dabei wird der Bundeszuschuß eine große Rolle spielen.
    Nur warne ich davor, die Diskussion über den Bundeszuschuß so weiterzuführen, wie sie lange geführt worden ist, nämlich unter dem Motto: Der Bundeszuschuß muß so bemessen werden wie die Fremdleistungen, also die Rentenleistungen, die heute er-



    Mischnick
    bracht werden, für die keine Beiträge erbracht worden sind. Das ist in den letzten zehn, fünfzehn Jahren ein entscheidender Punkt gewesen.

    (Zander [SPD]: Sagen Sie doch etwas zu dem Haushalt, der hier beraten wird!)

    — Dazu gehört das doch alles. Wenn ich hier in der ersten Lesung der Haushaltsdebatte spreche, behandele ich die Grundsatzfrgen, die mit diesem Thema zusammenhängen. Da werde ich nicht anfangen, einzelne Positionen auseinanderzufieseln. Das machen wir in der zweiten und dritten Lesung. Die Grundsatzfragen stehen heute zur Debatte. Aber das müssen Sie doch nach den langen Jahren, die Sie hier sind, eigentlich wissen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das wissen Sie ja auch. Sie tun nur so, als wüßten Sie es nicht.
    Zurück zum Bundeszuschuß. Der Bundeszuschuß war natürlich — und ist es noch — in erster Linie zum Abdecken von nicht durch Beiträge gedeckten Leistungen gedacht. Ich denke an die Arbeitslosigkeit der 20er Jahre, an Vertreibung, Flucht, Kriegsereignisse. Aber wir müssen uns doch im klaren darüber sein, daß die Rentner, die in 10, 15, 20 Jahren in Rente gehen, den größten Teil ihrer Rentenansprüche durch eigene Beiträge abgedeckt haben, weil wir heute z. B. für Arbeitslosigkeit und für Wehrdienstleistungen Beiträge zahlen. Dadurch wird die Funktion des Bundeszuschusses eine andere werden. Auch darüber langfristig nachzudenken lohnt sich.
    Lassen Sie mich noch eine kurze Bemerkung zu der Entwicklung im Krankenversicherungsbereich machen. Hier hat sich ja doch eine — ich muß schon sagen — Neiddiskussion entwickelt.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Was?)

    Da sind mal die Zahnärzte dran; dann sind wieder die Ärzte dran; dann sind wieder die Apotheker dran; dann sind die Patienten dran; dann sind die Beitragszahler dran; darin sind die Krankenhäuser dran. Notwendig ist, alles geschlossen zu sehen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Er kriegt doch ErsterKlasse-Behandlung! — Gegenruf von der CDU/CSU: Sie doch auch!)

    Ich appelliere besonders an die Länder. Wenn wir bei der Krankenkassenreform zu prüfen haben, wie auch hier bei Beitragszahlern, Patienten und allen, die im gesundheitlichen Bereich tätig sind, die Selbstverantwortung stärker werden kann,

    (Zander [SPD]: Gesundbeter!)

    können wir die Krankenhäuser nicht ausnehmen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Der Grundsatz, daß derjenige, der wirtschaftlich arbeitet, es besser haben soll als derjenige, der unwirtschaftlich arbeitet, muß bei den Entscheidungen der Länder im Zusammenhang mit dem Krankenhausbereich noch stärker umgesetzt werden.

    (Beifall bei der FDP — Frau Unruh [GRÜNE]: Junge, Junge!)

    — Sie sagen „Junge, Junge! ", weil Sie keine Ahnung davon haben.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Gucken Sie sich doch mal das Programm der GRÜNEN an!)

    Es geht darum, daß wir die mittleren und kleineren Krankenhäuser, die leistungsfähig sind und mit ihren Pflegesätzen erheblich unter denen der Großkrankenhäuser liegen, entsprechend unterstützen. Man darf nicht glauben, mit Rieseneinrichtungen könne man verwaltungsmäßig Einsparungen erzielen.
    Es wird notwendig sein, auf diesem Sektor im Wege der Kooperation zwischen Bund und Ländern zu besseren Ergebnissen zu kommen; denn ein Drittel der Ausgaben im Bereich der Gesundheitsvorsorge fließen in den Krankenhausbereich.

    (Zuruf der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])