Rede:
ID1102412700

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Häfner.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/24 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 24. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Jahn (Marburg) 1563 A Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/700) in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksache 11/701) Dr. Vogel SPD 1563 a Dr. Waigel CDU/CSU 1576 D Ebermann GRÜNE 1586 B Ronneburger FDP 1590 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 1593 B Dr. Vogel SPD (Erklärung nach § 30 GO) 1602 C Dr. Ehmke (Bonn) SPD 1602 C Frau Geiger CDU/CSU 1607 C Frau Hensel GRÜNE 1610 B Genscher, Bundesminister AA 1611 D Frau Wieczorek-Zeul SPD 1615 D Wimmer (Neuss) CDU/CSU 1618 C Dr. Mechtersheimer GRÜNE 1620 A Frau Seiler-Albring FDP 1622 D Kühbacher SPD 1624 D Dr. Wörner, Bundesminister BMVg 1626 D Horn SPD 1632 B Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 1633 D Dr. Penner SPD 1636 B Möllemann, Bundesminister BMBW 1642 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 1643 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 1646D Dr. Hirsch FDP 1649 B Bernrath SPD 1651 C Engelhard, Bundesminister BMJ 1653 C Dr. de With SPD 1655 B Dr. Wittmann CDU/CSU 1658 D Häfner GRÜNE 1660 D Lüder FDP 1663 C Nächste Sitzung 1664 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1665* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. September 1987 1563 24. Sitzung Bonn, den 10. September 1987 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 10. 9. Antretter * 11. 9. Frau Beck-Oberdorf 11. 9. Frau Blunck * 10. 9. Böhm (Melsungen) ** 11. 9. Büchner (Speyer) * 11. 9. Bühler (Bruchsal) * 10. 9. Dr. von Bülow 11. 9. Catenhusen 11. 9. Eigen 11. 9. Dr. Feldmann ' 11. 9. Großmann 11. 9. Frau Dr. Hellwig 11. 9. Hoss 11. 9. Irmer 11. 9. Jansen 11. 9. Jung (Lörrach) 11. 9. Lemmrich * 10. 9. Frau Luuk * 11. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller * 10. 9. Niegel * 11. 9. Oostergetelo 11. 9. Rawe 11. 9. Reddemann ** 11. 9. Schäfer (Mainz) 11. 9. Dr. Scheer * 11. 9. Schmidt (München) ** 11. 9. Frau Schmidt (Nürnberg) 11. 9. von Schmude ** 11. 9. Schröer (Mülheim) 11. 9. Dr. Sperling 11. 9. Tietjen 11. 9. Dr. Unland ** 10. 9. Volmer 11. 9. Dr. Vondran 10. 9. Dr. Wieczorek 11. 9. Wieczorek (Duisburg) 11. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Fritz Wittmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Lieber Herr de With, darf ich Ihnen folgendes sagen: Natürlich haben wir von Ihnen Androhung bekommen, daß Sie Anhörungen machen, denn Sie haben ja das bekannte Minderheitenrecht, eine Anhörung zu beantragen. Es wird uns doch wohl nicht verwehrt sein, daß wir gemeinsam die Fragen formulieren, damit dann nicht vielleicht 20 oder 30 und mehr Sachverständige geladen werden, also damit wir es dann konzentrieren; das war unsere Mitwirkung, und das war unser Mittragen, und das war die Kooperation; so haben wir das gemacht.

    (Bohl [CDU/CSU]: Genau! Damit da nicht noch größerer Unsinn rauskommt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)

    Aber die Initiative zur Anhörung zu jeder Kleinigkeit, zu der man wirklich einen Mann im ersten Semester fragen könnte, der einem das schon sagen würde, hat die Arbeit letzten Endes verzögert.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Schily [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Herr Schily, bei Ihnen beantworte ich aus grundsätzlichen Erwägungen überhaupt keine Frage.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD — Schily [GRÜNE]: Welche grundsätzlichen Erwägungen sind denn das? — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Seien Sie doch froh, daß er Ihnen die Ehre einer Zwischenfrage geben wollte! Seien Sie doch froh darüber! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und den GRÜNEN)

    — Nein, bei Ihnen tue ich das aus grundsätzlichen Erwägungen nicht.

    (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    — Dann lesen Sie in Ihrem Lebenslauf nach.

    (Anhaltende Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, wir werden auch in dieser Legislaturperiode im Wirtschaftsrecht, nämlich im Insolvenzrecht — der Herr Minister hat darauf hingewiesen — , dann auch auf dem Gebiet der Markenpiraterie einiges zu tun haben. Wir werden die Verschärfung der Haftung für fehlerhafte Produkte einführen. Allerdings sollten wir hier nicht zu amerikanischen Verhältnissen kommen. Wir müssen sehr darauf achten, denn sonst wird bei uns gewerbliche und produzierende Tätigkeit kaum mehr möglich. Wir werden den Schutz bei Verbraucherkrediten verstärken. Schließlich wollen wir eine Entlastung der Gerichte. Herr de With, ich bin auch mit Ihnen einer Meinung, daß hier grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden müssen. Ich glaube nicht, daß wir uns weiter mit Streitwertheraufsetzungen und ähnlichen Dingen mehr durchmogeln können. Hier müssen grundsätzliche, vielleicht manchmal auch etwas unangenehme Entscheidungen getroffen werden.
    Ich bin überzeugt, daß die Rechtspolitik auch in der elften Wahlperiode ein Aktivposten der Regierungspolitik sein wird.
    Danke schön.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Häfner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Gerald Häfner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Ja, Herr Wittmann, mit Rechtspolitik hat das nicht so viel zu tun gehabt, was Sie hier erzählt haben, sondern sehr viel mehr mit der Einstimmung auf den Zustand, in den man sich offensichtlich in der bayerischen Landesvertretung um diese Uhrzeit begibt.

    (Fellner [CDU/CSU]: Sie können doch Leute, die hier sitzen, nicht einfach so beschimpfen!)

    Die Art, wie Sie über Mitglieder dieses Hauses gesprochen haben, wie Sie Bundestagsabgeordnete unterschiedlicher Klassen konstituieren, hat mich ziemlich erschreckt; das sage ich Ihnen ganz offen.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Erschüttert!)

    — Danke sehr, Herr Kollege, Sie finden immer die stärkeren Worte, wie der Name schon sagt.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, lieber Herr Engelhard, ich werde es auch nicht ganz ohne starke Worte abgehen lassen.
    Bei der Vorstellung Ihres Programms im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages haben Sie, Herr



    Häfner
    Engelhard, gesagt: „Rechtspolitik steht nicht immer im Lichte der Öffentlichkeit. Das", haben Sie gesagt, „hat auch seine guten Seiten." Nach Ihrer Rede kann ich das verstehen, jedenfalls aus Ihrer Sicht.
    Wer derartig verwaschen und derartig unkonkret über einschneidende rechtspolitische Vorhaben spricht und gerade die wesentlichen Dinge dabei ausläßt und wer immer wieder jede Festlegung scheut, der muß sich fragen lassen, ob er seine Politik lieber hinter dem Rücken der Bevölkerung betreibt als im hellen Licht der Öffentlichkeit.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich halte — lassen Sie mich das so deutlich sagen — diese ministerielle Vermummung für einen sehr großen Schaden! Wir warten auf den Tag, an dem Sie, Herr Engelhard, einmal klar sagen, was Sie wollen. Ich denke, die Öffentlichkeit und auch der Deutsche Bundestag haben ein Recht darauf.
    Ich werde zusammen mit meiner Fraktion dazu beitragen, daß diese Öffentlichkeit hergestellt wird. Denn Rechtspolitik ist Demokratiepolitik. Sie greift sehr massiv in das Leben der Menschen ein; sie gestaltet das Zusammenleben; sie ist entscheidend mitverantwortlich dafür, ob in unserem Staat ein freiheitliches, tolerantes und demokratisches Klima herrscht oder ob Überwachung, Bespitzelung und Einschränkungen demokratischer Freiheiten weiter voranschreiten.
    Die Liberalen sind einmal angetreten, um Partei zu nehmen „für die Person — gegen die Institution" — so steht es in Ihren Freiburger Thesen — , „für die Achtung und den Schutz der Menschenwürde und damit für Selbstbestimmung des einzelnen, gegen die den Menschen seiner selbst entfremdenden Fremdbestimmungen und Anpassungszwänge".
    Sie selbst nennen sich gerne einen liberalen Minister. Ihr Ministerium soll Ihrem Haushaltsantrag zufolge in einer 15 000 DM teuren Broschüre als — ich zitiere — „Bauhütte des Rechts" dargestellt werden.

    (Lachen bei den GRÜNEN)

    Nach Lektüre der Koalitionsvereinbarungen zur Innen- und Rechtspolitik denkt man eher an ein Abbruchunternehmen des Rechts.

    (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

    Dabei schießen die Autoren dieser Koalitionsvereinbarung manchmal auch weit über das vermutlich selbstgesteckte Ziel hinaus.

    (Fellner [CDU/CSU]: Herr Lehrer, sagen Sie doch einmal etwas zur Rechtspolitik!)

    — Hören Sie zu; ich zitiere nämlich wörtlich aus Ihren Koalitionsvereinbarungen. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen. Da steht als erste der angekündigten gesetzlichen Maßnahmen: „strafbewehrtes Verbot der Vermummung bei öffentlichen Versammlungen

    (Fellner [CDU/CSU]: Herr Lehrer, das zeigt auch, daß Sie nicht lesen können!)

    und sonstigen öffentlichen Menschenansammlungen,
    auch in geschlossenen Räumen " . Das ist das erste
    generelle Faschingsverbot oder Karnevalsverbot in der Bundesrepublik Deutschland!

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Sie können jetzt schon damit anfangen, für die Faschings- oder Karnevalszeit, in der sich bekanntlich auch Mitglieder der Bundesregierung gerne vermummen — angeduselt sind sie ja manchmal auch schon im Frühherbst — , Gefängnisse zu bauen, die mehr als die Hälfte der Bundesbürger fassen, wenn Sie das so verwirklichen wollen, wie Sie es zu Papier gebracht haben.
    So, wie Sie jetzt die Vermummung zur Straftat machen wollen — und dies auch noch in geschlossenen Räumen —, zwingen Sie — das wissen Sie als Jurist und als Rechtspolitiker genau — die Polizei, ob sie es für richtig hält oder nicht, dazu, jede Ansammlung winterlich stark vermummter Personen, jeden Faschingszug, jeden Maskenball aufzulösen und alle Beteiligten zum Zwecke der Bestrafung festzunehmen.
    Wenn es nicht so ernst wäre, könnte man sagen: Endlich darf im Hohen Hause wieder mal gelacht werden; die Regierung befindet sich selbst schon im Karneval. Aber es ist ernst! Schließlich steht dieser Satz wörtlich in den rechtspolitischen Vereinbarungen Ihrer Koalition.
    Weiter geht es dort — das ist sofort der nächste Punkt — mit dem Verbot der passiven Bewaffnung. Das ist einer der absurdesten und unglaublichsten Begriffe, die je gebildet wurden. Passive Bewaffnung, das ist — so haben wir uns belehren lassen — schon ein dicker Anorak, der den Aufprall des Schlagstockes abmildert, oder festes Ölzeug, das die Scharfmacher verbieten wollen, weil es den Strahl des Wasserwerfers weniger schmerzhaft macht. Wo sind wir da gelandet? Was hat das noch mit Demokratie, was hat das noch mit Rechtsstaat zu tun?
    Sobald ein Demonstrant Gewalt — in welcher Form auch immer — anwendet, macht er sich — das wissen Sie — ohnehin nach den gültigen Gesetzen strafbar. Immer öfter aber geht die Gewalt von der anderen Seite aus. Nicht nur daß Polizisten für ihre Stockschläge, für Angriffe mit CN- und CS-Gas — auch auf friedliche Demonstranten — so gut wie nie bestraft wurden — übrigens auch deshalb, weil sie vermummt sind und sich selbst noch immer nicht mit Namensschildern kenntlich machen — , sondern nun soll auch noch der Demonstrant dafür bestraft werden, daß er versucht, sich vor Augenverletzungen oder Verletzungen durch Schlagstöcke zu schützen.
    Bei der Räumung des Hüttendorfes in Gorleben haben Hunderte von Polizisten auf Anweisung von oben ihre Gesichter schwarz angeschmiert, die ganzen Gesichter schwarz angemalt, bevor sie den Platz von Menschen geräumt und diese Menschen teilweise zusammengeschlagen haben.
    Ich bin, Herr Engelhard, gegen Gewalt auf beiden Seiten! Offene, friedliche und demokratische Auseinandersetzungen erreicht man aber nicht durch Verschärfung von Gesetzen und durch weitere Einschränkungen des Demonstrationsrechts.

    (Beifall bei den GRÜNEN)




    Häfner
    In einem ständigen Doppelpaßspiel — Sie verzeihen mir das Bild; ich habe gestern abend Fußball gesehen — feiert das Duo Engelhard/Zimmermann immer neue Erfolge beim Abbau demokratischer Rechte. Zimmermann treibt den Ball am äußersten rechten Flügel, der Justizminister läuft leicht rechts von der Mitte und hat Mühe, Schritt zu halten.

    (Zuruf von der SPD: „Laufen" ist übertrieben! — Fellner [CDU/CSU]: Sie haben eine schlechte Beobachtungsgabe!)

    — Er läuft. Die Tore aber — nach den koalitionsüblichen Rangeleien vor dem Torschuß — schießen sie in der Regel gemeinsam. Für den Rechtsstaat sind es allerdings meistens Eigentore.
    In diesem Doppelpaßspiel wurden beispielsweise die „Anti-Terror-Gesetze" durchgebracht, die vorher nie dagewesene Überwachungsmöglichkeiten der gesamten Bevölkerung eröffnen, wurden Rechte der Strafprozeßordnung massiv ausgehöhlt und neue Straftatbestände wie „Anleitung zu" oder „Belohnung" und „Billigung von Straftaten" geschaffen, die nichts mehr mit materiellem Recht, dafür aber sehr viel mit Zensur und Gesinnungsstrafrecht zu tun haben.
    Für den größten Skandal aber halte ich es, daß wesentliche rechtspolitische Errungenschaften und Positionen, wie sie seit Jahrzehnten von Liberalen verteidigt wurden, von Ihnen bei einem würdelosen koalitionspolitischen Kuhhandel leichtfertig geopfert wurden. Der FDP wurde das makabre Schauspiel einer wirkungslosen „Staatszielbestimmung Umweltschutz" zugestanden. Bezahlt hat sie dafür angeblich mit der Zusage, den Sicherheitsgesetzen zuzustimmen, durch die beispielsweise das Verfassungsgebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten aufgehoben würde.
    Wenn dies zutrifft, so wäre es Ausdruck einer erschreckenden Prinzipien- und Gewissenlosigkeit.
    Ich wäre froh, Herr Engelhard, wenn Sie diese Zeitungsmeldungen noch hier und heute dementieren könnten. Die Rechte der Bürger dürfen nicht einfach in einem Koalitionsroulette verspielt werden.
    Dies gilt erst recht wenn man sich anschaut, wofür Sie diesen Preis gezahlt haben: für eine Staatszielbestimmung, die sich in den Händen der Bürger als umweltpolitische Seifenblase erweisen wird. Sobald nämlich irgendein Bürger versucht, sie anzufassen, ist der schöne Schein zerplatzt. Für eine derartige bewußt zahnlos formulierte Bestimmung, das Grundgesetz zu ändern, halte ich für eine Verhöhnung unserer Verfassung. Die Politik der Phrase hilft unserer Umwelt und auch den Bürgerinnen und Bürgern nicht weiter. Weiterhelfen würde nur ein von jedem Bürger einklagbares Umweltgrundrecht — übrigens eine alte Forderung Ihrer Partei, zum erstenmal formuliert in den Freiburger Thesen der FDP von 1971. Danach stand es in Regierungsvereinbarungen und in der Regierungserklärung 1973. Inzwischen ist schon viel Wasser — was sage ich: viel Dioxin, Atrazin, viel Gift — den Rhein hinuntergeflossen, und die Liberalen
    haben sich von ihrer eigenen Forderung längst verabschiedet.

    (Zuruf von der FDP: Das stimmt doch gar nicht!)

    Dabei waren Sie gar nicht allein. Die Umweltministerkonferenz, der Sachverständigenrat für Umweltfragen — alle forderten ein Grundrecht. Nachdem alles herausgestrichen wurde, was der deutschen Industrie irgendwie unangenehm werden könnte, blieb schließlich nur noch Ihr schlaffes Staatsziel übrig.
    Dem stellen wir GRÜNEN ein Umweltrechtspaket entgegen, in dessen Mittelpunkt das von jedermann einklagbare Umweltgrundrecht steht, flankiert von einem Umweltinformationsgesetz, das dem Bürger Einblick in umweltrelevante Akten ermöglicht, und von einem Klagerecht für Umwelt- und Naturschutzverbände.
    Eines Ihrer großen, immer wieder genannten Ziele, Herr Engelhard, ist die Gerichtsentlastung; so jedenfalls sagen Sie. Die Volkszählung, die außer der Verschleuderung von Steuergeldern in Milliardenhöhe und einer staatsbürgerkundlichen Unterrichtseinheit in Sachen ziviler Ungehorsam gegen einen immer unnachgiebiger und autoritärer werdenden Staat nichts gebracht hat, ist aber mit Ihrer Verfolgung kritischer und couragierter Bürger ein gewaltiges Gerichtsüberlastungsgesetz.

    (Widerspruch des Abg. Sauter [Ichenhausen] [CDU/CSU])

    All dies trägt nicht zu Ihrer Glaubwürdigkeit bei. Eine wirkliche Gerichtsentlastung, Herr Minister, wäre vielmehr ein Generalpardon für die von der Bundesregierung kriminalisierten Volkszählungsgegner.

    (Zustimmung der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Lassen Sie mich aber noch einige grundsätzliche Worte zur Rechtspolitik sagen. Diese steht und fällt ja mit dem Rechtsbewußtsein der Bürger. Welches Rechtsbewußtsein aber soll sich entwickeln, wenn ein Student, der den Volkszählungsbogen nicht ausfüllt, zehnmal sein Monatseinkommen als Geldstrafe bezahlen muß, während Umweltstraftaten in 99 To der Fälle gar nicht verfolgt oder mit lächerlich niedrigen Strafen belegt werden?
    Welches Rechtsbewußtsein soll sich entwickeln, wenn ein junger Mann wegen Ladendiebstahls ein Jahr im Gefängnis sitzt, wobei der Schaden durch den Diebstahl 12 DM betrug, und ein Minister nach Steuerhinterziehungen im Wert von mehreren hunderttausend DM frei herumläuft und die Prozeßkosten durch die Staatskasse übernommen werden?

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Hier könnten Sie mit dem von Ihnen immer wieder geforderten Subventionsabbau beginnen. Ich weiß nicht, ob Ihre Partei inzwischen einen Preis für den ausgesetzt hat, der als erster ein geeignetes Objekt für den Subventionsabbau findet. Ich bewerbe mich hierfür. Ihre Haushalts- und Wirtschaftspolitiker stochern da ja schon seit Jahren mit der Stange im Nebel.
    Das Blockieren eines geschlossenen Tores wird mit aller Schärfe verfolgt. Die Blockierer einer Autobahn,



    Häfner
    die Zehntausende von privaten und geschäftlichen Fahrern an der Durchfahrt hindern, bekommen dagegen von einem Ministerpräsidenten auf die Schulter geklopft und gehen straffrei aus. — Von „Gleichheit vor dem Recht" also keine Rede.
    Demokratie aber verlangt die Gleichheit aller vor dem Recht und verlangt, daß alle als Gleiche das Recht hervorbringen. In der Demokratie — und hier zitiere ich Friedrich Naumann — sollten die Bürger „nicht Objekte, sondern Subjekte der Regierung sein". Doch sind die Bürger dies wirklich?
    „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", sagt das Grundgesetz — und kehrt nie mehr zurück, ergänzt der Volksmund; denn in Wirklichkeit leben wir in einer Zuschauerdemokratie.
    Obwohl das Grundgesetz nur von einer Mitwirkung der Parteien spricht, haben diese sich ein Monopol auf die politische Willensbildung gesichert. Wesentliche, vielleicht sogar die wesentlichsten Weichenstellungen in dieser Republik wurden ohne, teils sogar gegen den Willen der Bevölkerung vorgenommen. Das gilt für die Wiederbewaffnung 1955 genauso wie für die Stationierung der Mittelstreckenraketen vor vier Jahren.
    Spätestens seit Tschernobyl fordert die Mehrheit der Bundesbürger den Ausstieg aus der Atomenergie. Statt dessen wurden zwei weitere nukleare Zeitbomben in Betrieb genommen. Das hat mit Rechtspolitik sehr viel zu tun. Es betrifft nämlich deren innersten Kern.
    Immer mehr Bürger sind nicht bereit, weiter ohnmächtig zuzuschauen, wie eine Handvoll von Politikern, Industriellen und Militärs über ihre Köpfe hinweg ihr Leben und möglicherweise das Leben von Generationen aufs Spiel setzt. Gerade solche einschneidenden, irreversiblen Entscheidungen können nicht von den Politikern allein getroffen werden.
    Statt nachzudenken, wie Sie diesen Staat weiter aufrüsten und noch schärfere Gesetze gegen seine kritischen, aufmüpfigen Bürger einführen können, sollten Sie einmal überlegen, wie die Bürger an den politischen Entscheidungen real beteiligt werden können. Damit könnten Sie nicht nur das Grundgesetz verwirklichen, das über die Staatsgewalt sagt: „Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen . . . ausgeübt", damit können Sie auch Ihr eigenes Parteiprogramm verwirklichen, das die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid in Bund und Ländern fordert.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Um so mehr übrigens war ich erstaunt, als Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Mischnick, uns auf Anfrage erklärte, die Fraktion der FDP sei übereinstimmend gegen die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid. Das Parteiprogramm hatte er wohl zu diesem Zeitpunkt schon vergessen.
    Hunderttausende, Millionen von Bürgern sehen das anders. 600 000 haben jetzt die Forderung nach Einführung eines Bundesabstimmungsgesetzes unterschrieben. Es werden täglich mehr.
    Die GRÜNEN werden sich in dieser Legislaturperiode für eine umfangreiche Demokratisierung in Staat und Gesellschaft einsetzen. Im Bereich des
    Strafrechts, des Jugendstrafrechts, der Untersuchungshaft und in den anderen von Ihnen genannten Bereichen werden wir Alternativen vorstellen, die sich an liberalen Vorstellungen orientieren, was von Ihrer Politik kaum noch behauptet werden kann.

    (Zuruf von der FDP: Da sind wir gespannt!)

    Hieran mitzuwirken, dazu möchte ich alle Mitglieder des Bundestages, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, herzlich einladen.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)