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ID1022901000

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    Plenarprotokoll 10/229 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 229. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 11. September 1986 Inhalt: Begrüßung des Ersten Stellvertreters des Vorsitzenden des Staatsrates der Volksrepublik Bulgarien und seiner Delegation . 17757 B Änderung der Überweisung des Antrags betr. Einführung von Bestandsobergrenzen zum Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft und der Umwelt — Drucksache 10/2822 — an Ausschüsse 17757 B Begrüßung einer Delegation des australischen Parlaments 17782 D Zur Geschäftsordnung Volmer GRÜNE 17755 B Seiters CDU/CSU 17756 A Porzner SPD 17756 B Wolfgramm (Göttingen) FDP 17757 A Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1987 (Haushaltsgesetz 1987) — Drucksache 10/5900 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1986 bis 1990 — Drucksache 10/5901 — Dr. von Dohnanyi, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg . . 17757 D Dr. Friedmann CDU/CSU 17762 C Bueb GRÜNE 17766 B Cronenberg (Arnsberg) FDP 17768 B Sieler (Amberg) SPD 17772 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 17774 A Frau Fuchs (Köln) SPD 17783 A Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 17788 D Jagoda CDU/CSU 17792 C Wieczorek (Duisburg) SPD 17797 A Seehofer CDU/CSU 17799 C Dr. Wallmann, Bundesminister BMU . 17804A Dr. Hauff SPD 17812 B Dr. Laufs CDU/CSU 17819 D Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 17824 B Frau Seiler-Albring FDP 17827 A Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 17830 B Dr. Penner SPD 17834 D Dr. Miltner CDU/CSU 17840 B Ströbele GRÜNE 17843 D Dr. Hirsch FDP 17846 D Broll CDU/CSU 17848 D Schäfer (Offenburg) SPD 17851 B Kuhlwein SPD 17853 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . . 17855 C Dr. Emmerlich SPD 17858A Vizepräsident Westphal 17801 A Vizepräsident Stücklen 17824 A Nächste Sitzung 17860 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 17861* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. September 1986 17755 229. Sitzung Bonn, den 11. September 1986 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 12. 9. Antretter * 11. 9. Bahr 12. 9. Frau Borgmann 11. 9. Büchner (Speyer) * 11. 9. Eigen 12. 9. Frau Fischer * 11. 9. Dr. Geißler 11. 9. Dr. Götz 12. 9. Hanz (Dahlen) 12. 9. Dr. Hüsch 11. 9. Dr. Hupka 11. 9. Dr. Klejdzinski * 11. 9. Dr. Kreile 12. 9. Dr. Kronenberg 12. 9. Dr. Kübler 11. 9. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Landré 11. 9. Lenzer * 11. 9. Dr. Mitzscherling 12. 9. Dr. Müller * 12. 9. Nagel 12. 9. Frau Pack * 11. 9. Pöppl 12. 9. Dr. Riedl (München) 12. 9. Dr. Soell 12. 9. Dr. Sperling 12. 9. Dr. Stercken 12. 9. Frau Verhülsdonk 12. 9. Voigt (Sonthofen) 12. 9. Dr. Wieczorek 11. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heutige Morgen soll der Sozialpolitik gewidmet sein, und man muß mit Erschrecken feststellen, daß auch der Haushalt 1987 in den Vorschlägen, wie sie dem Hohen Hause hier vorliegen, gegen die hohe Massenarbeitslosigkeit wieder nichts unternehmen wird.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Was haben Sie denn getan?)

    Wenn man die Haushaltsvorlage liest, stellt man fest, daß die bestehende Massenarbeitslosigkeit auch in Zukunft geduldet werden soll, ja, die Bundesregierung geht nicht nur davon aus, daß es weiterhin über 2 Millionen Arbeitslose geben wird, sondern sie rechnet auch damit für eine lange Frist bis hinein in die späten 90er Jahre.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wie hat sie sich denn in Hamburg entwickelt? Sagen Sie das!)

    Meine Damen und Herren, die soziale Frage dieser Jahre ist die Arbeitslosigkeit;

    (Beifall bei der SPD)

    denn aus der Arbeitslosigkeit erwächst die Armut und die Not, um die es uns heute hier geht.



    Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi (Hamburg)

    Es hat — das ist ganz unbestritten — auch in den Jahren sozialliberaler Regierung soziale Not in einzelnen Fällen gegeben,

    (Kolb [CDU/CSU]: Einzelne?)

    aber in den 70er Jahren hat es große Fortschritte gegeben in Richtung auf mehr Chancengleichheit,

    (Kolb [CDU/CSU]: Das Ende!)

    in Richtung auf mehr Schutz für Schwache und Behinderte in unserer Gesellschaft. Ich glaube, es waren vielleicht die wichtigsten Ergebnisse der sozialliberalen Politik der 70er Jahre, mehr Humanität in der Industriegesellschaft zu ermöglichen.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Wollen j a, aber können nein!)

    Es ist unbestritten, daß es seit Ende der 70er Jahre nicht nur bei uns, sondern in allen Industriegesellschaften wieder eine wachsende Tendenz zu härteren sozialen Unterschieden gibt. Da sind die einen: Sie haben Arbeitsplätze, sie haben eine gute Ausbildung, sie leben in Regionen mit Wachstumsindustrien, sie genießen einen wachsenden Wohlstand. Und da sind die anderen: Sie sind genauso fleißig, vielleicht etwas älter, vielleicht Frauen, die in den Beruf zurückkehren wollen; sie leben in Regionen mit älteren Industrien, z. B. im Westen Schleswig-Holsteins, im Bereich der Werftenindustrie oder an der Küste Niedersachsens.

    (Zuruf von der CDU/CSU: In Hamburg!)

    — Ich komme auf Hamburg, wenn Sie möchten, gerne zurück. — Sie hatten ihre Arbeitsplätze in einer wettbewerbsfähigen Industrie, im Schiffbau, sie haben diese Arbeitsplätze jetzt verloren oder sie bangen um die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze, sie haben kaum noch eine Chance, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, sie leben immer mehr am Rande der Gesellschaft, und sie leben in einer wachsenden Not.
    Meine Damen und Herren, seit 1982 ist die soziale Spaltung in der Bundesrepublik Deutschland in dramatischem Umfange gewachsen.

    (Beifall bei der SPD — Schlottmann [CDU/ CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht! — Kolb [CDU/CSU]: Ihr habt es uns hinterlassen!)

    Es ist unverständlich, wie der Herr Bundeskanzler oder auch andere Mitglieder der Bundesregierung diese wachsende Armut bagatellisieren können. Die Not wächst im Schatten eines wachsenden Wohlstandes. Es ist ja nicht so, daß unser Land in den letzten Jahren ärmer geworden wäre. Es ist richtig, daß der Wohlstand insgesamt zunimmt, aber eben nur für den einen Teil der Bevölkerung, und der andere Teil wächst immer tiefer hinein in individuelle, familiäre, persönliche Not. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger ist dramatisch angestiegen.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Ich sage hier noch einmal: Die wesentliche Wurzel der Probleme liegt in der Arbeitslosigkeit oder in Arbeitsplätzen, die den einzelnen und seine Familie nicht ausreichend ernähren können.
    Meine Damen und Herren, das wird sicherlich besonders bemerkbar in den großen Städten. Hier kam eben der Einwurf: auch in Hamburg. Ich bestreite das nicht. Allerdings: Wenn heute über die Stadtstaaten und über die Großstädte überhaupt gesprochen wird, sollte man sich drüber im klaren sein, daß diese zunehmend Arbeitsplätze für das Umland und für die Nachbarländer bieten. In Bremen ist heute jeder dritte Arbeitnehmer ein Einpendler aus Niedersachsen. In Hamburg ist jeder fünfte Arbeitnehmer ein Einpendler aus SchleswigHolstein oder Niedersachsen.
    Die Hamburger Situation mit über 90 000 Arbeitslosen muß man auch vor dem Hintergrund sehen, daß wir 1970 netto 115 000 Einpendler hatten, heute aber 175 000.

    (Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört! Die kommen alle aus Niedersachsen!)

    Das heißt, daß zwei Drittel der seit 1970 zugewachsenen Arbeitslosigkeit von den Pendlern aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen gewissermaßen kompensiert werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist ja verständlich, daß leistungsfähige Arbeitnehmer aus einem immer weiteren Umfeld versuchen, einen Arbeitsplatz in den großen Städten zu finden.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wie viele sind denn von Hamburg nach Schleswig-Holstein gezogen zum besseren Wohnen? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Meine Herren, werden Sie nicht so ungeduldig.
    Vielleicht erlaubt die Arbeit des Bürgermeisters in einer Großstadt in besonderer Weise einen Einblick in das, was ich die persönliche Not nenne, bei deren Erwähnung mir eben zugerufen wurde: Das glauben Sie wohl selbst nicht!

    (Zuruf des Abg. Mann [GRÜNE])

    Ich will von zwei Fällen berichten. Ich hatte vor etwa einem Dreivierteljahr in meiner monatlichen Sprechstunde einen 50jährigen Mann, der im technischen Büro einer der großen Werften gearbeitet hat. Er hat eine krebskranke Frau und einen spastisch gelähmten Sohn von 21 Jahren. Er hat mir gesagt, er habe sein ganzes Leben lang dafür gesorgt, daß dieser Junge in der Familie bleiben und er ihn selbst ernähren kann. Der Mann hat mit Tränen in den Augen zu mir gesagt: Herr Bürgermeister, gibt es denn für mich, für den Fünfzigjährigen, der immer noch die Kraft hat, seine Familie zu ernähren, keine Möglichkeit, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren?
    Vor wenigen Tagen war ich bei der Eröffnung einer ungewöhnlichen gemeinnützigen Werkstätte, die die Lebensabend-Bewegung geschaffen hat, in der Alte und Junge für gemeinnützige Tätigkeiten in der Stadt zusammen arbeiten. Als ich zu meinem Wagen zurückkehrte und einsteigen wollte, hielt mich eine Frau fest und sagte zu mir, ihr Mann, 53 Jahre alt, habe als Facharbeiter den Aufstieg in ein technisches Büro einer Werft geschafft. Er sei jetzt seit zwei Jahren arbeitslos. Sie traue sich nicht



    Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi (Hamburg) mehr, die Wohnung zu verlassen. Der Mann habe Tränen in den Augen, wenn sie weggehe und ihrer eigenen Halbtagsbeschäftigung nachgehe. Sie fragte mich, ob nicht igendeine Möglichkeit bestehe, daß der Bürgermeister dieser Stadt diesem Mann wieder zu einem aktiven Lebensgefühl verhelfe.
    Meine Damen und Herren, wer nicht erkennt, wer bagatellisiert, wie sich unsere Gesellschaft spaltet,

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    nämlich in die Gruppe der leistungsschwächeren oder auch nur Älteren, der Frauen, die in den Arbeitsmarkt zurückkehren wollen, der Behinderten oder derjenigen, die in Regionen leben, in denen es keine Arbeitsplätze gibt, und die Gruppe derjenigen, die in den Regionen der Republik leben, in denen die Beschäftigungsquote hoch ist, dem wünsche ich nur, er würde einmal — nur einmal — an der Sprechstunde eines Bürgermeisters teilnehmen.

    (Beifall bei der SPD — Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)

    Was findet statt? Es ist ja unbestritten, daß die Unternehmen in einem zunehmend scharfen internationalen Wettbewerb ihre Kosten anpassen müssen. Das weiß jeder von uns. Neue Konkurrenten treten auf — das gilt gerade für den Schiffbau —: Japan, Korea, Volksrepublik China. Das ruft schwere Verwerfungen hervor. Ich wäre der letzte, der sagen würde, irgendeine Bundesregierung könnte das gewissermaßen wegwischen oder über Nacht in Ordnung bringen. Das sind strukturelle Probleme, mit denen und in denen wir leben müssen. Meine Kritik richtet sich aber gegen die Duldung dieser Situation, dagegen, daß man nicht erkennen kann, wie diese Bundesregierung den Regionen und den Menschen dort zu helfen bereit ist.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Aktionismus! Soll nur eine Show gemacht werden?)

    Es gab ja zu Beginn dieser Legislaturperiode in Ihren Reihen die Hoffnung, man könne die Zahl der Arbeitslosen im Laufe dieser Legislaturperiode um etwa 1 Million senken, also mehr als halbieren. Damals betrug die Arbeitslosigkeit 1,8 Millionen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Nein, über 2 Millionen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: 2,04 Millionen!)

    — Streiten wir jetzt nicht über die Zahl! Sie war ganz gewiß niedriger als heute. Das wird, glaube ich, von niemandem bestritten.

    (Beifall bei der SPD)

    Man hat damals gesagt, die Arbeitslosigkeit werde um 1 Million reduziert werden. Ich bin nicht bereit, den Kollegen, die das gesagt haben, zu unterstellen, daß sie die Bevölkerung täuschen wollten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat das denn gesagt?)

    — Z. B. Herr Geißler hat es gesagt, aber auch der Kollege Blüm; der hat allerdings hinzugefügt: wenn alle zusammenwirken. Aber das ist natürlich eine politische Voraussetzung, die man schaffen muß, wenn man Bundesregierung ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich unterstelle niemandem, daß er damals die Wähler bewußt getäuscht hat, aber ich werfe der Bundesregierung eine schwerwiegende Fehleinschätzung der Lage und beschäftigungspolitischen Dilettantismus vor.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU — Kolb [CDU/CSU]: Denken Sie an Ihre Aktionsprogramme!)

    Was hat denn die Bundesregierung schließlich getan? Sie hat in einer Illusion darauf vertraut, der scheinbare Dreiklang der 50er und 60er Jahre — Gewinne, Investitionen, Beschäftigung — ließe sich in Zeiten strukturellen Wandels wiederholen.
    Der Abgeordnete Helmut Schmidt hat hier gestern deutlich gemacht, wie er die Politik der Bundesregierung auf diesem Felde — von der Frage der Zinspolitik bis hin zur unsozialen Sparpolitik — einschätzt. Denn eines ist sicher: In völliger Unterschätzung dessen, was Nachfrage bedeutet, hat die Bundesregierung denen Geld genommen, die bereit sind, es auszugeben, und hat denen Geld gegeben, die es in den USA auf die hohe Kante gelegt haben.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist einfach nicht wahr! — Klassenkampf!)

    — Aber ich bitte Sie, daß ist doch nachweisbar! Man kann doch nicht sagen, etwas sei Klassenkampf,

    (Kolb [CDU/CSU]: Das hat Schmidt doch selbst gesagt!)

    nur weil wir feststellen, daß, ob gewollt oder ungewollt, die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Das ist Wahrheit, nicht Klassenkampf!

    (Beifall bei der SPD — Seiters [CDU/CSU]: Sie müssen sich einmal informieren!)

    Die Bundesregierung hatte erwartet, der Markt werde die Probleme lösen. Sie hat dann ein Beschäftigungsförderungsgesetz — dessen Name wahrscheinlich wirklich gut gemeint, aber ein Hohn ist, wenn man über dieses Gesetz heute nachdenkt —

    (Beifall bei der SPD)

    vorgelegt, das ein offenkundiger Fehlschlag ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie verhöhnen alle, die durch dieses Gesetz wieder Arbeit gefunden haben!)

    Im „Betriebsberater" gibt es vom Juli dieses Jahres einen Bericht, den nachzulesen ich jeden hier Anwesenden einmal bitten würde, damit er feststellen kann, wie das Beschäftigungsförderungsgesetz heute auch in der Wirtschaft beurteilt wird.
    Was ist erforderlich? Dringend erforderlich ist zunächst einmal die Kurskorrektur, die mit diesem Haushalt nicht möglich gemacht wird. Denn man kann doch nicht auf Dauer 2 Millionen Menschen



    Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi (Hamburg) arbeitslos lassen; das sind insgesamt — mit den Familien, die davon betroffen werden — 6 Millionen Menschen. Man darf auch nicht warten, bis der nächste Abschwung, der doch mit Sicherheit irgendwann kommt, auf den Sockel von 2 Millionen Arbeitslosen noch einmal 1 Million aufstockt.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wenn Sie drankommen, haben wir die! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Wir hätten sie mit Sicherheit schon!)

    Man darf die verschärfte Not in den Regionen und in den Gruppen, von denen ich sprach, nicht weiter zulassen.
    Die Zahl der dauerhaft Arbeitslosen und der jugendlichen Arbeitslosen hat seit 1982 von damals etwa 600 000 auf heute 900 000 zugenommen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt ja nicht!)

    — Wenn Sie sagen, das stimme nicht, nehmen Sie sich bitte einen Rechenstift — ich nehme ihn auch —, und dann stellen wir gemeinsam fest, daß das leider richtig ist. Wir wollen doch von hier aus nicht etwas verbreiten, was nicht stimmt, sondern wir sprechen von der Not, die es auch gibt.

    (Beifall bei der SPD)

    Schließlich gibt es eine volkswirtschaftliche Verschwendung, denn da sind Arbeitskräfte, die wollen etwas tun, und die können etwas tun. Da wird Geld für Arbeitslosigkeit ausgegeben, aber nicht für Beschäftigung. Da sind wichtige Aufgaben in der Gesellschaft zu lösen, z. B. Umweltschutz; und wir bringen es nicht fertig, diese volkswirtschaftliche Verschwendung zu beenden.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Wir schon; aber die CDU nicht!)

    Was sollte man tun?

    (Kolb [CDU/CSU]: Wollen Sie Schiffe bauen?)

    — Sie fragen: Schiffe bauen? Was wollen Sie denn? — Das ist nicht der entscheidende Punkt. Ich versuche, dazu etwas zu sagen. Dieser tiefgreifende Strukturwandel — das ist doch selbstverständlich —

    (Kolb [CDU/CSU]: Also, lieber Herr, Sie sollten sich mal etwas anderes einfallen lassen!)

    ist nicht durch eine einzige Maßnahme zu beenden. Von mir werden Sie keine Vereinfachungen auf diesem Felde hören. Auch das, was ich Ihnen soeben beschrieben habe, war leider die Wahrheit und nicht die Vereinfachung.
    Ich sage allerdings: Am Anfang muß eine grundsätzliche geistige Kurskorrektur stehen. Die Duldung von Massenarbeitslosigkeit, die ja in Ihren eigenen Fortschreibungen steckt — zwei Millionen Arbeitslose bis zum Jahr 2000 —, muß ein Ende haben. Der Kurs der Wirtschaftpolitik, und zwar aller Maßnahmen, muß endlich auf mehr Beschäftigung ausgerichtet werden. Das ist der entscheidende Punkt.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir brauchen dazu zum einen eine Einkommenspolitik, die sozial und auf Beschäftigung ausgerichtet ist. Steuersenkungen, die dem kleine Mann das Geld nehmen und es anderen geben, Kindergeld, das die Kinder der Arbeiter und Angestellten schlechterstellt als die Kinder der Präsidenten des Senats oder der Minister oder der gutverdienenden Leute: dies führt nicht in Richtung Beschäftigung — glauben Sie mir das —, sondern das führt zu Spareffekten und nicht zu der Form von Nachfrage, die erforderlich ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Eine soziale und gerechte Einkommenspolitik ist ein wichtiger Beitrag für die Entwicklung des Arbeitsmarkts.
    Zweiter Punkt. Die Bundesregierung muß in Richtung Arbeitszeitverkürzung klarere Akzente setzen. Niemand bestreitet, daß Arbeitszeitverkürzungen betriebswirtschaftliche Faktoren sind. Niemand bestreitet, daß die Kosten gedeckt werden müssen. Niemand bestreitet, daß Arbeitszeitverkürzungen im Rahmen betriebswirtschaftlicher Wettbewerbsbedingungen gesehen werden müssen. Das alles sind betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Selbstverständlichkeiten.

    (Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Runter mit der Arbeitszeit!)

    Aber die Bundesregierung muß doch der Teufel geritten haben — um dies in diesem Hohen Hause nicht von dem Herrn Bundeskanzler persönlich zu sagen —, als man die Arbeitszeitverkürzung, die von den Gewerkschaften angestrebt war — natürlich auch im Streit angestrebt war —,

    (Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Bei vollem Lohnausgleich!)

    als dumm und töricht bezeichnet hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Heute wissen wir doch, daß von den neu geschaffenen Arbeitsplätzen — die es ja gibt — ein erheblicher Teil über die Arbeitszeitverkürzung zustande gekommen ist. Wir verdanken diese Arbeitsplätze der Standfestigkeit der Gewerkschaften und nicht der Einsicht der Bundesregierung. Das muß man klar sagen.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Gegen jede betriebswirtschaftliche Vernunft!)

    Drittens bedürfen wir einer Stärkung der öffentlichen Investitionen. Umweltschutz z. B. schafft Arbeitsplätze. Es ist ja Gott sei Dank nicht mehr so, daß diese Tatsache bestritten wird. Es gab eine absurde Zeit, da ging man davon aus, daß jedes neue Videoband, das gemacht wurde, Arbeitsplätze schafft, aber wenn es darum ging, für unsere Automobile Katalysatoren zu beschaffen, war das nur eine volkswirtschaftliche Belastung und wurde unter dem Arbeitsplatzaspekt nicht gesehen. Beides



    Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi (Hamburg)

    — das eine sinnvoller und das andere weniger sinnvoll — schafft Arbeitsplätze. Wir sind dafür — und ich vertrete hier auch im Interesse des Nordens diese These —: Die Bundesregierung muß in größerem Umfange als bisher dafür sorgen, daß bei der Umstrukturierung der Wirtschaft in Norddeutschland Möglichkeiten geschaffen werden, im Umweltschutz zusätzliche Aufgaben zu erfüllen. Das ist möglich, und dafür müssen auch die entsprechenden Investitionsmittel zur Verfügung stehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Arbeitskräfte — ich sagte es — sind ja da; auch viele Facharbeiter. Es gibt zahlreiche Aufgaben von der Sanierung der Deponien zum Schutz unseres Grundwasser bis zur Grunderneuerung des Wohnungsbaus der 50er und 60er Jahre.

    (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Unsere Deponien sind in Ordnung!)

    — Wer hier laut sagt: „Unsere Deponien sind in Ordnung", den würde ich in seinem Bundesland, wo immer er herkommt — diese Wette mache ich —, auf eine ganze Reihe von Deponien führen, wo er das in keinem Falle wiederholen kann.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: So leichtfertig, wie ihr es gemacht habt, haben es die anderen nicht getan!)

    Ich will auch ein Wort sagen über die Grunderneuerung unseres Wohnungsbaues. In den 50er und 60er Jahren — das wissen wir —, insbesondere in den 50er Jahren, haben wir zum Teil in der Bundesrepublik einen Wohnungsbau machen müssen, mit dessen Qualität wir heute nicht mehr übereinstimmen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommt die Neue Heimat!)

    — Hier kommt eben der Einwurf: „Jetzt kommt die Neue Heimat." Ich möchte Ihnen gerne folgendes sagen: Wäre es nicht zweckmäßig, anstatt daß Sie darüber nachsinnen, wie Sie über zusätzliche Ausschüsse, die sich mit bereits aufgeklärten Tatbeständen befassen,

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    den Gewerkschaften und der Neuen Heimat am Zeug flicken können, daß Sie sich einmal mit mehr Phantasie um die Erneuerung des Wohnungsbaues in unserem Lande kümmerten?

    (Beifall bei der SPD)

    Aber auch hier füge ich hinzu, so wie ich das bei der Arbeitszeit gesagt habe: Öffentliche Mittel sind begrenzt; Verschuldung ist ein Problem; die Solidität der öffentlichen Haushalte muß gegeben sein. Ich frage aber auch, ob es wirklich eine richtige Politik war, die ungeheure Ölpreissenkung volkswirtschaftlich allein im Konsum verpuffen zu lassen. Das ist doch auch eine Frage, die man sich stellen muß.

    (Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Ich denke, wir brauchen den Konsum! Das haben Sie eben gesagt!)

    Nein, meine Damen und Herren, wenn man aus dem Norden der Republik kommt, in dem genauso fleißig gearbeitet wird wie im Süden, allerdings unter anderen historischen Voraussetzungen, dann muß man sagen — —

    (Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Und unter anderer politischer Führung!)

    — Unter anderer politischer Führung? Wo? In Niedersachsen und in Schleswig-Holstein? Wie können Sie so etwas Törichtes — wenn ich das sagen darf, Herr Präsident — sagen?

    (Beifall bei der SPD)

    Begleiten Sie mich bitte einmal bei einem Weg an die schleswig-holsteinische Westküste, wo es Arbeitslosenquoten von 20 und 30 % gibt, und reden Sie einmal dort mit den Menschen über politische Führung. Der Herr Bundesfinanzminister würde sich das von Ihnen gar nicht gefallen lassen, denn er hat doch über lange Zeit für Schleswig-Holstein die Verantwortung getragen. Ihm das hier in die Schuhe zu schieben, dem Herrn Bundesfinanzminister Stoltenberg schlechte Politik in Schleswig-Holstein, ihm die Arbeitslosigkeit in die Schuhe zu schieben, das ist doch ungerecht, das wollen Sie hier doch wohl nicht tun.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Es gab eine ungewöhnliche Chance. Der erste Ölpreisschock 1973 bis 1975 wurde von der Regierung Schmidt mit wichtigen öffentlichen Programmen aufgefangen. Ich nenne das Zukunftsinvestitionenprogramm mit der Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze. Diese Bundesregierung hatte eine vergleichbare Chance, denn es ist ja unbestreitbar, daß 1981/ 82 der Aufschwung absehbar war, daß wir in den nächsten Zyklus kamen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wieso habt ihr euch verabschiedet? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Es war international absehbar, das wissen Sie doch auch, auch daß wir uns im zweiten weltwirtschaftlichen Zyklus im Auffangen der zweiten Ölpreiskrise, also der Ölpreiskrise von Ende der 70er Jahre befinden. Aber diese Bundesregierung hat diese ungewöhnliche Chance nicht wahrgenommen. Sie hat keine nationale Verantwortung für die Beschäftigung in unserem Lande getragen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, es ist allerdings weder allein durch Kaufkraftstärkung noch allein durch Arbeitszeitverkürzung noch allein durch Investitionssteigerung möglich — das will ich auch hinzufügen —, den Regionen, von denen ich sprach, in Schleswig-Holstein und Niedersachsen, aber auch im Saarland, auch in der bayerischen Oberpfalz, zu helfen. Es ist kein Zweifel, daß weder Kaufkraftstärkung insgesamt noch Arbeitszeitverkürzung insgesamt noch Investitionssteigerung des Bundeshaushaltes insgesamt in diesen Regionen und für die betreffenden Gruppen der älteren Menschen, der Frauen, der Jugendlichen, der Behinderten, aber auch der Ausländer, die arbeitsberechtigt sind und zu den Benachteiligten gehören, ausreichend



    Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi (Hamburg) helfen könnte. Dazu braucht man neue zusätzliche Instrumente. Ich will nicht bestreiten, daß Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen seit 1982 zugenommen haben; schaut man allerdings zurück so gab es in den Jahren davor schon einmal einen noch höheren Pendelausschlag.
    Nach meiner festen Überzeugung werden wir ohne einen ergänzenden Arbeitsmarkt nicht in der Lage sein, den benachteiligten Regionen und Menschen zu helfen. Meine Damen und Herren, unsere gemeinsame Phantasie und Arbeitskraft ist doch gefordert, wenn es darum geht, zu sehen, daß wir die Facharbeiter und Facharbeiterinnen mit ihrer Arbeitskraft unterbringen. Derzeit wird jedes Jahr Geld in Höhe von zig Milliarden DM für das Arbeitslossein und für Sozialhilfeempfänger ausgegeben. Diese Mittel kommen zum Teil aus Nürnberg, aber auch zu einem erheblichen Teil, was die Sozialhilfe angeht, aus den Städten. Es sind in diesem Haushaltsjahr in Hamburg 1,2 Milliarden DM, das ist fast jede zehnte Mark.
    Aber wir bringen es derzeit gemeinsam nicht fertig, die Kräfte und Talente, die wir in unserer Republik haben, und die Aufgaben, die es gibt, und die Finanzen, die wir ja doch ausgeben müssen, zusammenzufügen, um daraus Beschäftigung zu machen.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Mann [GRÜNE])

    Hamburg hat versucht, Schritte in dieser Richtung zu tun. Wir nennen das den zweiten Arbeitsmarkt. Es muß, wenn es um die Verständigung geht, nicht so heißen. Aber es geht darum, die Aufgaben, die vor uns liegen, durch Mittel, die wir ohnehin für Arbeitslosigkeit ausgeben, erfüllbar zu machen: Tariflöhne bezahlen, soziale Sicherung geben, die Arbeitsvertäge länger abschließen als nur für zwei Jahre, eine wirkliche Perspektive zur Lösung von Projekten zu geben und damit dann auch denen zu helfen und gerade denen, die in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit nämlich nicht hoffen können, daß sie ein Konjunkturaufschwung wirklich berührt.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Meine Damen und Herren, am Ende bleibt das eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern, und ich sage auch, eine Aufgabe, die über die Parteien hinweg erfüllt werden muß. Solange aber die Bundesregierung nicht bereit ist, anzuerkennen, was sich wirklich abspielt, nämlich die soziale Abspaltung eines Teiles der Bevölkerung aus regionalen Gründen, aus Ausbildungsgründen, auch aus Qualifikationsgründen und vielleicht auch aus Leistungs- und Motivationsgründen — es handelt sich um eine zunehmende Abspaltung, die zu Armut führt und die zur Belastung der Großstädte führt —, solange also die Bundesregierung das Problem nicht sieht, kann man von ihr, so scheint mir, auch nicht erwarten, daß sie in der Lage sein wird, das Problem anzupacken und zu lösen.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Bundesarbeitsminister weiß, daß wir zu Gesprächen über eine strategische Perspektive bereit sind. Ich hoffe, daß eine solche strategische Perspektive im kommenden Jahr möglich sein wird. Allerdings, Herr Bundesarbeitsminister, ich erwarte sie nicht von dieser Regierung; der Kurswechsel muß grundsätzlich sein, damit wir vorankommen.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Da können Sie aber lange drauf warten! — Kolb [CDU/CSU]: Das wird nicht in Erfüllung gehen!)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Friedmann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Bernhard Friedmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon eigenartig, daß heute morgen der Regierende Bürgermeister eines sozialdemokratisch regierten Stadtstaates hier spricht und nicht Johannes Rau, der auch Ministerpräsident eines sozialdemokratisch regierten Landes ist.

    (Lachen bei der SPD Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Soll er Ihnen vielleicht zuhören!)

    Das spricht für die Feigheit von Herrn Rau, der die Auseinandersetzung hier scheut.

    (Zurufe von der SPD: He, he!)

    Jeder unserer Kanzlerkandidaten, der auch Ministerpräsident war, hat sich der Auseinandersetzung hier gestellt. Herr Rau war bis heute zu feige, dies zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Er pflanzt Bäume und sticht Pils an! — Abg. Westphal [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Ich lasse keine Zwischenfragen zu. Schönen Dank, Herr Westphal. — Er hat sich bis heute nicht gestellt.
    Es berührt schon eigenartig, wenn Herr von Dohnanyi der jetzigen Regierung und der jetzigen Koalition die Arbeitslosigkeit vorwirft. Herr von Dohnanyi, Sie haben jahrelang einer Bundesregierung angehört, der SPD-geführten Bundesregierung, während deren Regierungszeit die Arbeitslosigkeit sich verzehnfacht hat.

    (Lachen bei der SPD)

    200 000 haben Sie übernommen, fast 2 Millionen haben Sie übergeben.
    Wir haben in der Zwischenzeit 1 Million Kurzarbeiter abgebaut.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Es werden immer mehr!)

    Und Sie haben den Mut, sich hier hinzustellen und uns deswegen noch zu kritisieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In Ihrer Zeit gingen 700 000 Arbeitsplätze verloren
    — als Sie dabeiwaren, Herr von Dohnanyi. Mit viel



    Dr. Friedmann
    Mühe haben wir jetzt etwa 600 000 wieder entstehen lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD — Lutz [SPD]: Das stimmt doch alles nicht! Blanker Unsinn!)

    — Das weist die Statistik aus, wie überhaupt, Herr von Dohnanyi, Ihr Auftritt hier eine ganze Reihe negativer Zusammenhänge im Gedächtnis entstehen läßt.

    (Zuruf von der SPD: Wer war denn damals Wirtschaftsminister? — Dr. Vogel [SPD]: Der arme Lambsdorff!)

    Wie war es denn? Herr von Dohnanyi, bei der letzten Bürgerschaftswahl haben Sie an die Hamburger Mieter einen Brief geschrieben, der von Unwahrheiten strotzte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben damals den Eindruck erweckt, als würden die Mieterhöhungen, die damals durchgeführt wurden, auf unser Konto gehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU: — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Stimmt ja auch!)

    Und in Wirklichkeit gingen sie auf Gesetze zurück, die von Ihnen verabschiedet worden waren.
    Herr von Dohnanyi, Sie haben eben hier Hamburger Wahlkampf geführt,

    (Dr. Vogel [SPD]: Na und? Was soll denn der Rau hier nach dem Aufschrei?)

    weil man Sie in Hamburg nicht mehr hören will. Warum sind Ihnen denn zwei Senatoren davongelaufen? Weil Sie in Ihrer Stadt eine unmögliche Politik betreiben und das Klima dort unmöglich ist,

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Apel [SPD]: Was wissen Sie denn von Hamburg?)

    weil Sie Ihre absolute Mehrheit verschwinden sehen. Wenn man Sie hier sieht und über Mülldeponien sprechen hört, dann denkt man doch zuerst einmal an Ihre Stadt und daran, was da schon alles passiert ist.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Herr Echternach war auch nicht sehr überzeugend!)

    Sie haben doch jede moralische Berechtigung verloren, uns hier an den Pranger zu stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Nehmen Sie doch erst mal Baldrian!)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Laufe dieser Haushaltsdebatte hat die Opposition mehrfach den Eindruck erweckt, als seien die sozialen Leistungen zu niedrig und als seien sie auch zu stark gekürzt worden.

    (Dr. Vogel [SPD]: Die „Koalition"! Sehr richtig! — Beifall bei der SPD)

    — Ich bedanke mich für die Bestätigung. Ich bedanke mich, daß Sie dies noch einmal bestätigt haben.
    Sie werden heute wahrscheinlich noch oft sagen, die nächste Rentenerhöhung mit real 2,2 % — netto —

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Wird auch Zeit!)

    sei zu niedrig. Sie werden wahrscheinlich sagen, das Kindergeld sei zu niedrig, und anderes mehr.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das sagt die „Koalition"!)

    Ich möchte hier folgendes feststellen:

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Die Steuern sind zu hoch!)

    Der Haushalt des Bundesarbeitsministers mit 60 Milliarden DM ist zwar der größte Einzelhaushalt des Bundes, er ist aber nur Teil des gesamten Sozialbudgets.

    (Dr. Vogel [SPD]: Aha!)

    — Ja, „aha", Herr Vogel.

    (Bueb [GRÜNE]: Das haben wir gar nicht gewußt!)

    Dieses Sozialbudget beläuft sich in diesem Jahr auf 604 Milliarden DM. Es ist damit um 80 Milliarden DM höher

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist doch logisch, bei der Massenarbeitslosigkeit!)

    als zu der Zeit, als Sie abgetreten sind. Das heißt zu deutsch: In unserer Zeit sind die Sozialleistungen um 80 Milliarden DM, d. h. um mehr als 15 %, gestiegen.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Die Arbeitslosenzahl stieg um 17 %! — Dr. Vogel [SPD]: Die Sozialhilfe um 30%!)

    Oder um es noch präziser zu sagen: Seit wir regieren, sind die sozialen Leistungen pro Kopf der Bevölkerung um 1 400 DM gestiegen, nicht gesunken. Wir reden also über gestiegene Sozialleistungen.

    (Reimann [SPD]: Bankrott für Sie! — Bueb [GRÜNE]: Die Grenzen werden enger!)

    — Freilich, uns sind Grenzen gesetzt. Trotz aller Sparmaßnahmen wird die Schuldenlast des Bundes in dieser Legislaturperiode um 107 Milliarden DM steigen. Das sehen wir ungern. Allerdings: Die Zinsen, die wir zu zahlen haben, Herr Haehser — Sie waren damals Staatssekretär im Finanzministerium —, belaufen sich in dieser Legislaturperiode auf 114 Milliarden DM.

    (Dr. Vogel [SPD]: Und eure eigenen?) — Mit anderen Worten, Herr Vogel:


    (Dr. Vogel [SPD]: Ja?)

    Die Zinsen, die wir zu zahlen haben, entsprechen ungefähr dem Betrag, den wir für die Schulden zahlen müssen, die wir von Ihnen übernommen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Und eure Zinsen?)

    Das ist der springende Punkt. Hätten Sie keine solche Schuldenwirtschaft betrieben, hätten wir keine



    Dr. Friedmann
    Schulden machen müssen. Wer heute beklagt, die Sozialleistungen seien zu niedrig, dem möchte ich sagen: Das hat er der Schuldenwirtschaft der SPDgeführten Bundesregierungen zu verdanken.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nun kommt von Ihnen immer wieder der Einwand, man könnte beim Verteidigungshaushalt sparen. Die GRÜNEN haben im Haushaltsausschuß den Antrag gestellt: 30 Milliarden DM weg beim Verteidigungshaushalt und hin zum Sozialetat und zur Rentenversicherung. Ich möchte hier feststellen: Beides ist nötig, soziale Sicherheit, aber auch die Fähigkeit, unsere Freiheit zu verteidigen. Beides ist nicht gegeneinander aufzuwiegen. Schauen Sie doch einmal in die Natur. Jedes Lebewesen, das gesund ist, will sich verteidigen und verteidigt sich, wenn es um seine Existenz fürchtet. So ist es auch bei einem gesunden Volk.

    (Bueb [GRÜNE]: Das haben wir schon einmal gehört!)

    Ein gesundes Volk — das einem Lebewesen vergleichbar ist — will und muß sich verteidigen können.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Dazu gehören nun einmal die Verteidigungsausgaben.

    (Dr. Vogel [SPD]: Darwin läßt grüßen!)

    Sie stehen also nicht zur Verfügung.

    (Abg. Löffler [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Ich möchte keine Zwischenfragen zulassen, Herr Löffler. Meine Zeit ist begrenzt.

    (Dr. Vogel [SPD]: Nicht nur die Zeit!)

    Nun müssen wir bei allen Überlegungen zu höheren Sozialleistungen daran denken: Wer soll denn dies bezahlen? Wer soll dies alles in künftigen Jahren bezahlen?

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ein gesundes Volk in einem gesunden Staat!)

    Es wird viel Augenmaßes bedürfen — und wir machen uns darüber viele Gedanken —, um es auch in Zukunft zu ermöglichen, die ältere Generation am Wirtschaftsfortschritt teilhaben zu lassen

    (Lutz [SPD]: Wie lieb von Ihnen!)

    und dennoch die junge Generation mit Steuern und Beiträgen nicht zu überlasten.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Die höchsten Steuern zahlen sie jetzt!)

    Denn bald werden die geburtenschwachen Jahrgänge ins Arbeitsleben eintreten. Wir werden bald der Situation gegenüberstehen, wo weniger Beitragszahler mehr Rentner und Pensionäre zu finanzieren haben werden.
    Ich meine, als Industrienation werden wir in der Lage sein, auch künftig unser Bruttosozialprodukt steigen zu lassen. Wir haben das Kapital, wir haben das technische Know-how, wir haben die Kenntnis der Weltmärkte, so daß auch künftig weniger Menschen mehr produzieren werden. Infolgedessen werden auch die Steuereinnahmen des Staates steigen, so daß die Voraussetzung dafür vorliegt, höhere steuerliche Zuschüsse an die Rentenversicherung zahlen zu können. Und dennoch wird die Rente beitragsbezogen bleiben müssen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das sagen Sie einmal Herrn Biedenkopf!)

    Beides widerspricht sich nicht. Das heißt, unsere ältere Generation kann die Gewißheit haben, daß wir, wenn wir die Alterssysteme in der nächsten Legislaturperiode neu ordnen müssen

    (Reimann [SPD]: Wie denn?)

    — hätten Sie aufgepaßt, dann hätten Sie es eben verstanden, Herr Vogel —,

    (Lachen bei der SPD)

    den Weg finden werden, die ältere Generation am Wirtschaftsfortschritt teilhaben zu lassen, ohne die jüngere Generation über Gebühr zu belasten.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Trümmerfrauen z. B.!)

    Nun werfen Sie uns immer wieder vor — Herr von Dohnanyi hat es eben wieder getan —, wir würden durch unsere Politik die Reichen reicher und die Armen ärmer machen.

    (Sehr wahr! bei der SPD — Zurufe von der SPD: So ist es!)

    Ich möchte mich einmal mit diesem Argument auseinandersetzen.
    Eine übertriebene Schuldenpolitik tut z. B. genau das, was Sie behaupten. Warum? Es sind doch die Besserverdienenden, die dem Staat ihr Geld leihen, und sie bekommen dafür Zinsen.

    (Haehser [SPD]: Den Ärmeren nehmen Sie es!)

    Zu dem, was sie haben, bekommen sie etwas dazu. Woher zahlt denn der Staat seine Zinsen? Natürlich aus seinen Steuereinnahmen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Arbeitslose sind keine Steuerzahler!)

    Wer bringt die meisten Steuereinnahmen? Die Lohnsteuerzahler. Das heißt, durch eine übertriebene Schuldenpolitik zahlen die Ärmeren über Steuern Zinsen an die Reicheren. Eine übertriebene Schuldenpolitik, Frau Fuchs, wie Sie sie betrieben haben,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Die Arbeitslosen brauchen Arbeitsplätze, dann sind sie Steuerzahler!)

    macht Reiche reicher und Arme ärmer.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Die Arbeitslosen bezahlen keine Steuern!)

    Indem wir die öffentlichen Finanzen konsolidieren, machen wir genau das Gegenteil.
    Ein Zweites. Auch die Inflation macht Reiche reicher und Arme ärmer. Der einfache Einkommensbezieher muß jede Mark seines Einkommens für



    Dr. Friedmann
    den täglichen Konsum ausgeben. Damit unterliegt jede Mark der Preissteigerung, der Inflation. Der Besserverdienende kann einen Teil seines Einkommens in Vermögenswerten anlegen, die durch die Inflation sogar an Wert gewinnen. Das heißt, durch Inflation wird der Arme ärmer und der Reiche reicher.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf der Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD])

    Unsere Politik, die der Inflation den Boden entzogen hat, bewirkt genau das Gegenteil von dem, was Sie behaupten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sie geben nur den Reichen mehr! Mein Gott, ist das unlogisch!)

    Ein Drittes: Die einfachen Einkommensbezieher sind im Alter insbesondere auf unsere Sozialversicherung angewiesen. Wir haben von Ihnen Sozialversicherungssysteme übernommen, die ausgebeutet waren, deren Kassen leer waren. Im Alter benötigt der einfache Einkommensbezieher z. B. die gesetzliche Rentenversicherung. Der Arbeitslose braucht die Arbeitslosenversicherung. Indem wir diese Sozialversicherungssysteme wieder saniert haben,

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Geplündert habt ihr sie! — Gegenruf von der CDU/ CSU: Ihr habt sie geplündert!)

    haben wir eine Politik betrieben, die den einfachen Menschen, die den ärmeren Menschen eher hilft als den reichen, so daß wir genau das Gegenteil von dem tun, was Sie behaupten.