Frau Minister, sind Sie gewillt, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hönes zuzulassen?
Bundesminister Frau Dr. Süssmuth: Nein, ich bin nicht gewillt, ich habe eine Viertelstunde. Diese möchte ich ausnutzen,
weil ja gesagt worden ist, daß so viele Informationen fehlen, die Sie fast alle in Presseerklärungen nachlesen können.
— Es gibt keine Nachrichtensperre. Sie möchten sie vielleicht.
Ich wünschte mir auch, daß sich diejenigen, die mich angreifen, zunächst einmal selbst so informieren, daß wir auf dem gleichen Kenntnisstand miteinander reden können.
Ich nehme hier für mich überhaupt nicht in Anspruch, als sachkundige Politikerin von vornherein aus dem Fach zu kommen, aber ich mache mir die Kompetenz der Wissenschaftler zu eigen.
Ich habe in diesen vierzehn Tagen viel gelernt — auch dazu komme ich gleich noch — und bitte alle anderen, das auch zu tun, damit wir uns hier nicht so verhalten, daß wir von den Ängsten der Mütter
16568 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 215. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Mai 1986
Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
reden und sie dadurch steigern, daß wir sie mit falschen oder halben Informationen belegen.
Ich nehme für mich und die ganze Bundesregierung in Anspruch, daß wir die Sorgen und Ängste der Menschen, vor allem der hier oftmals angesprochenen Mütter und Väter, nicht weniger ernst nehmen, als die Opposition es tut,
und ich sage: Es ist das eine, die Angst aufzunehmen und sich in sie hineinzuversetzen, und es ist das andere, vernünftig mit ihr umzugehen.
Zu diesem vernünftigen Umgehen gehört es, sich zu informieren und den nötigen Fachverstand verfügbar zu machen.
Dazu gehört es auch, diese heutige Debatte nicht dazu zu benutzen, weniger über den Gesundheitsschutz als vielmehr über den Ausstieg aus der Kernenergie zu sprechen,
damit man sich der Verantwortung für die Gegenwart entziehen kann.
Weil mehrfach gefragt worden ist, wer denn diese Wissenschaftler seien, möchte ich an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, daß die Strahlenschutzkommission seit 1974 tätig ist.
— Ich denke gar nicht daran, denn ich muß Ihnen sagen: bis 1986 ist es Ihnen nie eingefallen, gegenüber dieser Strahlenschutzkommission Bedenken und kritische Fragen anzumelden;
jetzt aber werden diese Wissenschaftler abqualifiziert und verunglimpft.
Ich muß fragen: Hält es denn jemand für zweckmäßiger, daß sich jede Gruppe, daß "sich jeder Minister in Zukunft seine eigenen Wissenschaftler hält und daß diese dann gegen unabhängige Expertenkommissionen ausgespielt werden? Mit wissenschaftlicher Erörterung und vernünftigem Handeln hätte das nichts mehr zu tun.
Kein Gesundheitsminister hat gestern in der Gesundheitsministerbesprechung überhaupt die Idee gehabt, daß diese unabhängige Kommission nicht auch für die Zukunft Bestand haben sollte. Das einzige, was erörtert worden ist, ist die Frage, ob bei den Besprechungen noch stärker als bisher die Länder beteiligt werden. Wir hätten, wenn nicht das politische Interesse im Vordergrund gestanden hätte, bereits gestern zur Einheitlichkeit der Richtwerte zurückgefunden.
Sie haben den Vorwurf erhoben, es sei nicht informiert worden, die Tatbestände seien verharmlost worden, und die Bundesländer seien nicht ins Bild gesetzt worden.
Es ist aber seit dem 30. April und dann seit dem 1. Mai nicht eine einzige Entscheidung der Strahlenschutzkommission getroffen worden, die nicht noch am selben Tage den Ländern mitgeteilt worden wäre. Es hat darüber ständige Ressortbesprechungen und Besprechungen mit Lebensmittelexperten und mit den Staatssekretären aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Gesundheit — bis hin zur Gesundheitsministerkonferenz — gegeben, so daß man es sich einfach zu leicht macht, wenn man sagt, da hätten keine wechselseitigen Absprachen stattgefunden. Das ist einfach nicht wahr.
Das nächste, was Sie erklären, ist, wir hätten nicht rasch gehandelt, und wir seien hilflos gewesen. Kein europäisches Land hat so rasch gehandelt wie die Bundesrepublik! Das können Sie sich auf EG-Ebene bestätigen lassen!
Wenn Sie, Frau Wagner, fragen, was es denn mit unseren Grenzwerten auf sich hat, würde ich Sie doch auffordern, die europäischen zur Kenntnis zu nehmen. Wir haben bei der EG unser Nein gegenüber Blattgemüse mit 1 000 Becquerel durchgehalten, weil wir um ein Vierfaches darunter liegen, nämlich bei 250 Becquerel. Schauen Sie sich die Becquerel-Werte für Milch in England, in Schweden oder in Frankreich an;
die liegen bei 2 000 und bei 3 000. Sie aber kritisieren die 500!
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 215. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Mai 1986 16569
Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
— Ich maße mir zunächst einmal nicht an, weil ich weiß, daß wir sehr sichere Richtwerte haben, die Richtwerte der anderen in Frage zu stellen.