Rede von
Dr.
Liesel
Hartenstein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es führt zu nichts, Herr Kollege Laufs und Herr Kollege Schmidbauer, wenn immer und immer wieder wider besseres Wissen behauptet wird, die frühere Bundesregierung habe in Sachen TA Luft nicht genügend getan. Die TA Luft ist 1974 gemeinschaftlich verabschiedet worden. Die frühere Bundesregierung hat seit 1978 — Sie sollten sich die Zahlen vielleicht einmal genauer anschauen — an der Novellierung der TA Luft gearbeitet, und sie ist auf Widerstand im Bundesrat gestoßen, übrigens auch auf Widerstand von Ministerpräsidenten aus dem Süden der Bundesrepublik, die sich heute als Klassenbeste im Umweltschutz aufspielen. Das muß man auch sagen!
Sie, meine Damen und Herren, haben nichts anderes getan, als den ersten Teil der TA Luft, der von der sozialliberalen Bundesregierung vorbereitet war, nämlich die Teile 1 und 2, in Kraft zu setzen. Den Teil 3 haben Sie vorbereitet, und den haben Sie jetzt gestoppt; das sind die Fakten. Sie haben ihn gestoppt, obwohl die TA Luft '85 nach Ihrer eigenen Darstellung in der Luftreinhaltepolitik das Tüpfelchen auf dem i sein sollte.
Originalton Zimmermann/Spranger: „Das vorgelegte Sanierungskonzept ist einmalig." Es wird zu einer „weitgehenden Modernisierung der Industrie" und „zu beachtlichen Innovationsschüben führen". Investitionen in einer Größenordnung von 10 Milliarden DM sowie die Schaffung von 12 000 Arbeitsplätzen wurden prophezeit. Alles gut und schön; bei solch kühnen Entschlüssen und solch rosigen Aussichten konnte auch die Opposition nur „Bravo!" rufen. Ich stehe auch heute nicht an, zu sagen, die TA Luft wäre wirklich ein großer Schritt nach vorn, wenn sie nur endlich in Kraft träte.
Aber offenbar hat der Bundesinnenminister plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommen. Schlimmer noch, er geht unter dem Druck der Wirtschaft in die Knie, und gleichzeitig brüskiert er den Bundesrat. Es ist doch ein Faktum, daß der Bundesrat am 18. Oktober 1985 einstimmig die verschärfte Fassung beschlossen hat,
und Sie haben sie auch vertreten, hier im Bundestag noch wenige Tage vor Weihnachten.
Meine Damen und Herren, Sie werden schon erklären müssen, was für ein Verständnis von Föderalismus Sie eigentlich haben, und Sie werden auch — wahrscheinlich recht wortreich — erklären müssen, wie Sie es fertigbringen wollen, daß die Bürger der Republik Ihrer Umweltpolitik überhaupt noch Glauben schenken: Da war im Juni die Katalysator-schlappe von Luxemburg, da war der manipulative Großversuch zum Tempolimit mit der vorprogrammierten Entscheidung gegen den kranken Wald, und da ist jetzt das kleinlaute Zurückzucken in Sachen TA Luft. Meinen Sie nicht auch, daß dies ein bißchen zuviel an Zumutung innerhalb eines halben Jahres ist, an Zumutung für die Umwelt, an Zumutung für die Gesundheit, last not least an Zumutung für die gutwilligen Menschen unseres Landes? Wir erleben immer wieder dasselbe Schauspiel — wenn die Realität nicht so traurig wäre, könnte man von einer Komödie sprechen —: große Ankündigungen, ökologische Lorbeerkränze ums Haupt der Regierung und dann kleine Taten.
Meine Damen und Herren, zurück zum Ernst: Die Umweltpolitik ist kein Experimentierfeld, auf dem man einen Schritt vorwärts und zwei zurück machen kann. Das gilt vor allem für die Luftreinhaltepolitik, denn es steht zuviel auf dem Spiel. In spätestens fünf Jahren werden wir, ob uns das gefällt oder nicht, die Rechnung präsentiert bekommen, dann nämlich, wenn der Bergwald in den Alpen tot ist und die Geröllhalden auf die Siedlungen und Verkehrswege abrutschen, wenn die Mittelgebirge veröden und die Wasservorräte schwinden, weil der baumlose und erosionsgefährdete Boden das Regenwasser nicht mehr speichert, wenn die Gesundheitskosten durch Atemwegserkrankungen, Herz-und Kreislaufschäden und Allergien in astronomische Höhen steigen.
Warum scheuen Sie sich eigentlich, die Kostenschätzungen schon jetzt auf den Tisch zu legen? Seit Mai 1985 ist unsere Große Anfrage zu den volkswirtschaftlichen Verlusten durch Luftverschmutzung eingebracht. Diese Anfrage ist bis heute noch nicht beantwortet. Es wäre hohe Zeit, über dieses Thema zu debattieren.
Meine Damen und Herren, Unterlassungssünden zahlt zu guter Letzt immer die Allgemeinheit, und das ist nicht vertretbar. Deshalb gibt es keine Ausrede und auch keinen Ausweg. Wir fordern Sie auf: Setzen Sie die TA Luft in Kraft, und zwar unverzüglich und ungeschmälert!
Danke schön.