Rede von
Otto
Schily
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Möllemann, wenn Sie jetzt davon ausgehen, daß diese Atomwaffentests offenbar völlig ungefährlich sind, können Sie mir erklären, warum die französische Regierung diese Atomwaffentests nicht auf heimischem Gelände durchführt? Oder wollen Sie demnächst die Lüneburger Heide dafür anbieten?
Möllemann, Staatsminister: Es steht Ihnen frei, Herr Kollege Schily, Ihren zahlreichen Vorschlägen, über die man sich gemeinhin in Deutschland ohnehin schon amüsiert — ich meine nicht Ihre persönlichen, sondern die der GRÜNEN —, auch diesen noch hinzuzufügen. Ich möchte es nicht machen. Sie können meine Ausführungen so nicht bewerten, wie Sie es gerade getan haben. Ich hatte gesagt, daß der Atkinson-Bericht zu dem Ergebnis kam — das ist ein Bericht von Wissenschaftlern auch aus Australien und Neuseeland —, daß auf absehbare Zeit keine Kontaminationsgefahr bestehe, daß aber nicht ausgeschlossen werden könne, daß sich in fernerer Zukunft im Atollsockel Risse bilden könnten. Da ich eine Schlußfolgerung der Art, wie Sie sie angestellt haben, nicht gezogen habe, im Gegenteil auf problematische Aspekte hingewiesen habe, kann ich Ihre Lüneburger-Heide-Empfehlungen schon deswegen nicht teilen, abgesehen davon, daß sie wenig durchdacht sind.
Aber ferner hat Präsident Mitterrand anläßlich seines Besuchs auf dem Atoll am 13. September 1985 die Regierungschefs der 13 Staaten des Südpazifik-Forums eingeladen, sich an Ort und Stelle von der Ungefährlichkeit der Versuche zu überzeugen. Diese Einladung wurde abgelehnt.
Unsere eigene Position zur Frage der Einstellung der Kernwaffenversuche, meine Damen und Herren, ist klar. Wir stehen zu unserem Verzicht auf Kernwaffen und zum Nichtverbreitungsvertrag. Wir befürworten nachdrücklich ein weltweites, umfassendes und nachprüfbares Nukleartestverbot. Diese Frage steht seit Jahren — —
— Herr Präsident, ich finde, daß die GRÜNEN mir zu laut reinquatschen dafür, daß sie vorhin Reden gehalten haben und ich jetzt darauf erwidere. — Ich sagte, die Frage steht seit Jahren auf der Tagesordnung der Genfer Abrüstungskonferenz, und wir haben zu deren Arbeiten in der zentralen Verifikationsfrage konkrete Beiträge geleistet. Ich verweise insbesondere auf unseren Vorschlag eines weltweiten seismologischen Überwachungssystems für Kernsprengungen, dessen Aufbau und fortlaufende Verbesserung noch offene Fragen bei der Erfassung von Kernsprengungen lösen würden. Da geht es darum, daß wir weltweit ein Netz von Stationen aufbauen wollen, mit dem die seismologischen Messungen durchgeführt werden. Mit dem kann man auch kleine Kernsprengungen wahrnehmen.
Unsere Bemühungen um die Erzielung greifbarer Fortschritte in der Frage eines Teststopps sind, denke ich, nachdrücklich und auch bekannt und natürlich auch in Paris bekannt. Ebenso bekannt ist unsere Einstellung zu den Bemühungen um die Schaffung kernwaffenfreier Zonen, denen wir prinzipielle Bedeutung zumessen. Voraussetzung ist freilich — und dies gilt auch für den Südpazifik —, daß alle unmittelbar beteiligten Staaten daran teilhaben und die sicherheitspolitische Stabilität der betroffenen Region nicht in Frage gestellt, sondern erhöht wird.
Zu der im Beschlußantrag aufgeworfenen Frage der deutsch-französischen Zusammenarbeit in der Atomindustrie, insbesondere zur Frage der Beteiligung von RWE am Super-Phénix, hat die Bundesregierung wiederholt und umfassend Stellung genommen, insbesondere auf die Anfrage von Dr. Ehmke — der, glaube ich, jetzt schon rotiert ist — und der Fraktion DIE GRÜNEN. Ich möchte deswegen für die neuen grünen Kollegen noch einmal sagen, was wir damals dargestellt haben, damit Sie darüber informiert sind:
Betreiber des französischen Kernkraftwerks in Creys-Malville ist die französische Firma NERSA, an der mit 16 % auch die Schnellbrüter-Kernkraftwerksgesellschaft SBK beteiligt ist. RWE hält einen Anteil von 70% an der SBK, ist also indirekt mit 11% an der NERSA beteiligt.
Im sogenannten Plutonium-Beistellvertrag dieser Firmen von 1976 haben sich alle Beteiligten verpflichtet, ihren Anteilen entsprechende Mengen von Kernbrennstoffen für die erste und zweite Kernladung des Super-Phénix leihweise zur Verfügung zu stellen. Dieses Plutonium verbleibt also im Eigentum der jeweiligen Partner. Darüber hinaus wird das sich aus dem Brutprozeß ergebende Plutonium aufgeteilt. Die EURATOM-Versorgungsagentur hat an diesem Vertrag mitgewirkt. Die NERSA hat gegenüber EURATOM erklärt, daß Zweck von Super-Phénix eine rein zivile Nutzung, nämlich die Erzeugung von elektrischer Energie ist. Das Kernkraftwerk unterliegt damit uneingeschränkt der EURATOM-Sicherheitsüberwachung, die gewährleistet, daß die Erze, Ausgangsstoffe und besonderen spaltbaren Stoffe, also auch das Plutonium, nicht für andere als für die von den Benutzern deklarierten Zwecke verwendet werden.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat in einer Antwort auf eine Anfrage im Europäischen Parlament erklärt, sie habe keinen Anlaß zu der Annahme, daß die im Super-Phénix erzeug-
Deutscher Bundestag 10. Wahlperiode — 168. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Oktober 1985 12619
Staatsminister Möllemann
ten besonderen spaltbaren Stoffe nicht auch weiterhin der Sicherheitsüberwachung der EURATOM unterliegen werden.
Bei diesem klaren Sachverhalt verstehe ich nicht, wie Sie hier weiterhin solchen Unsinn verbreiten können betreffend den Transport von deutschem Plutonium nach Mururoa.
Hinsichtlich der internationalen nuklearen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland sei an dieser Stelle nochmals betont, daß sich die Bundesregierung strikt an die bestehenden internationalen Vereinbarungen hält. Ich verweise dabei insbesondere auf den EURATOM-Vertrag und auf den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen. Auch die Erklärung von Nizza aus dem Jahre 1976 über die deutsch-französische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der fortgeschrittenen Reaktorsysteme und die Regierungsvereinbarungen vom 10. Januar 1984 über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der natriumgekühlten Brutreaktoren tragen den internationalen Verpflichtungen voll Rechnung. Deswegen werden wir an dieser Zusammenarbeit auch festhalten.
Ich möchte zwei abschließende Bemerkungen zur SPD und zu den GRÜNEN machen. Herr Kollege Soell, es fällt auf, daß im Blick auf die Schlußfolgerungen, die Sie zur Nuklearstrategie und zur Kernwaffenpolitik Frankreichs gezogen haben — das ist Ihr gutes Recht, nur sollte man es hier klarstellen —, auch dies eine Abkehr von der Position ist, die wir gemeinsam in der Regierungszeit von Helmut Schmidt erarbeitet und praktiziert haben.
Ich habe kürzlich in einem der lesenswerten Vorträge von Helmut Schmidt, die ja offenbar von denen, die sie hören, als sehr wertvoll angesehen werden, nachgelesen, daß er sich nach wie vor positiv äußert zur Rolle der französischen Nuklearstreitkraft. Insbesondere habe ich bei ihm nachgelesen, daß die Position zum Ersteinsatz von Nuklearwaffen — die elementarer Bestandteil unserer Triade ist —, daß wir nicht erklären, wann wir unter welchen Bedingungen welches Waffensystem zu unserer Verteidigung einsetzen, nach wie vor für richtig hält.
Zu den GRÜNEN nur folgende Bemerkungen. Frau Eid, ich möchte hier in aller Klarheit feststellen — und ich denke, daß wir, mit Ausnahme der GRÜNEN, dafür auch die Zustimmung des ganzen Hauses haben werden — : Wir danken dem französischen Präsidenten für seine Dokumentation und Demonstration des Schutzes und des Beistandes für Berlin und seine Bürger.
Wir sind froh darüber, daß er dort hingefahren ist und auf diese Art und Weise deutlich gemacht hat, daß Frankreich weiterhin die Sicherheit dieser Stadt gewährleistet.