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ID1012200800

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    Vokabeln: 27
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    27. Abgeordneter.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 27. Februar 1985 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 9009 A Bericht zur Lage der Nation Dr. Kohl, Bundeskanzler 9009 B Dr. Apel SPD 9017 C Dr. Dregger CDU/CSU 9023 C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 9027 C Hoppe FDP 9030 D Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 9033 D Büchler (Hof) SPD 9037 A Genscher, Bundesminister AA 9039 D Schlaga SPD 9043 D Lintner CDU/CSU 9045 C Handlos fraktionslos 9047 C Schneider (Berlin) GRÜNE 9049A Dr. Haack SPD 9050 D Windelen, Bundesminister BMB . . . 9053 B Dr. Vogel SPD 9054 B Nächste Sitzung 9058 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9059* A Anlage 2 INFCE-Empfehlungen betr. den Anreicherungsgrad des Urans bei der Produktion von Kernbrennstäben MdlAnfr 5, 6 07.12.84 Drs 10/2587 Becker (Nienberge) SPD ErgSchrAntw PStSekr Spranger BMI . . 9059* B auf ZusFr Catenhusen SPD Anlage 3 Polnische Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland seit 1980 MdlAnfr 44 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Hupka CDU/CSU ErgSchrAntw StSekr Dr. Fröhlich BMI . 9059*D auf ZusFr Dr. Hupka Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Februar 1985 9009 122. Sitzung Bonn, den 27. Februar 1985 Beginn: 14.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 121. Sitzung, Seite 9005* C; nach der 21. Zeile ist nach dem Wort „vorgesehen" einzufügen: „steuerlichen Gleichbehandlung von eigengenutzten". Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 1. 3. Breuer 1. 3. Büchner (Speyer) * 1. 3. Dr. von Bülow 28. 2. Dr. Bugl 28. 2. Cronenberg (Arnsberg) 27. 2. Ertl 1. 3. Gallus 1. 3. Frau Gottwald 1. 3. Haehser 1. 3. Dr. Hauff 1. 3. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 27. 2. Jung (Düsseldorf) 1. 3. Frau Kelly 1. 3. Dr. Kreile 27. 2. Frau Dr. Lepsius 1. 3. Lohmann (Witten) 27. 2. Mischnik 27. 2. Dr. Müller 1. 3. Polkehn 1. 3. Dr. Scheer 28. 2. Schlottmann 1. 3. Dr. Schöfberger 1. 3. Schröder (Hannover) 27. 2. Frau Simonis 1. 3. Dr. Stark (Nürtingen) 1. 3. Stockhausen 1. 3. Uldall 27. 2. Voigt (Frankfurt) 27. 2. Weinhofer 1. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Ergänzende Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen (SPD) zu der Frage des Abgeordneten Becker (Nienberge) (SPD) (Drucksache 10/2587 Fragen 5 und 6, 110. Sitzung, Seite 8210 B): Ihre Zusatzfrage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Hochtemperaturreaktor in Schmehausen in- Anlagen zum Stenographischen Bericht nerhalb weniger Jahre auf Brennelemente mit niedrig angereichertem Uran umgestellt werden könnte, ohne daß es zu einer Betriebsunterbrechung kommen müßte, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Sachverhalt für ihre Zielsetzung, hochangereichertes Uran möglichst wenig einzusetzen? beantworte ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Forschung und Technologie wie folgt: Der Bundesregierung ist bekannt, daß eine Umstellung des THTR-300 vom beantragten und genehmigten Thorium/Uran-Kreislauf auf einen anderen Zyklus mit niedrigerer Anreicherung aus heutiger Sicht technisch innerhalb einiger Jahre möglich sein kann. Zu gegebener Zeit werden für den THTR-300 unter Auswertung der Betriebserfahrungen mit dem Betreiber die sicherheitstechnischen und betrieblichen Voraussetzungen einer Umstellung auf niedrig angereichertes Uran zu prüfen sein. Bei der Planung von Nachfolgerreaktoren dieser Linie wird der Einsatz von Brennelementen mit niedriger angereichertem Uran verfolgt. Anlage 3 Ergänzende Antwort des Staatssekretärs Dr. Fröhlich auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hupka (CDU/CSU) (Drucksache 10/2712 Frage 44, 114. Sitzung, Seite 8489): In der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 17. Januar 1985 haben Sie im Anschluß an die Beantwortung der Frage 44 die Zusatzfrage gestellt, wie viele der dem Ausländerzentralregister zwischen 1980 und 1984 gemeldeten 20 952 polnischen Staatsangehörigen, die zugezogen sind, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben, wieder zurückgegangen sind. Die Bundesregierung kann diese Frage nicht beantworten, weil ihr entsprechende Angaben nicht zur Verfügung stehen. Dies beruht zum einen darauf, daß nicht alle polnischen Staatsangehörigen, die in ihr Heimatland zurückkehren, sich bei den zuständigen deutschen Behörden abmelden und zum anderen darauf, daß bei der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland Zählkontrollen nicht durchgeführt werden.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Dregger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt den Bericht des Bundeskanzlers zur Lage der Nation im geteilten Deutschland und billigt ihn in allen seinen Aussagen einmütig.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Da grinst der Kanzler wieder genüßlich und selbstgerecht! — Dr. Vogel [SPD]: Mal was Neues!)

    Auf Grund der Diskussion gestern in der Fraktion, deren Zusammenfassung Ihnen vorliegt, kann ich diese Aussage ohne jeden Vorbehalt treffen.
    Meine Damen und Herren, ich möchte drei Passagen aus diesem Bericht hervorheben, weil sie wie in einem Brennspiegel die Lage, die Chancen und die Ergebnisse unserer Deutschlandpolitik wiedergeben.
    Erstes Zitat:
    Weil die Freiheit der Kern der deutschen Frage ist, ist unser Platz an der Seite unserer Partner und Freunde im Westen. Unsere Freunde begreifen ihrerseits, daß sich durch uns die ganze deutsche Nation mit ihrem Anspruch auf freie Selbstbestimmung ihnen anvertraut.
    In der Tat: die ganze deutsche Nation. Wäre es anders, meine Damen und Herren, wäre die Führung der DDR nicht gezwungen, Grenzbefestigungen mitten durch Berlin und mitten durch Deutschland anzulegen,

    (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: So ist es!)

    die sich nicht nach außen, sondern nach innen gegen die eigene Bevölkerung richten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nur so konnte die Fluchtbewegung notdürftig gestoppt werden, die sich seit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches nur in einer Richtung vollzieht: von Ost nach West. Das zeigt: Wir, das ganze deutsche Volk, gehören nach Wertbegriffen und kulturellem Selbstverständnis zur freiheitlichen Lebensform des Westens; wir alle, alle Deutschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zweites Zitat:

    Aus der DDR sind 1984 über 40 000 Deutsche zu uns übergesiedelt. Wir begrüßen dies im Interesse der betroffenen Menschen. Viele von ihnen sahen in einer Übersiedlung aus der DDR ihre letzte Hoffnung.
    Ein bewegender Satz.
    Das dritte Zitat:
    Zum ersten Male seit zehn Jahren hat 1984 die
    Zahl der industriellen Arbeitsplätze in Berlin
    wieder zugenommen. Die Entwicklung des



    Dr. Dregger
    Bruttoinlandsprodukts in Berlin übertraf 1984 den Bundesdurchschnitt ebenso wie die Zunahme von Investitionen, Auftragseingängen und Produktion.
    Darauf können Sie, Herr Regierender Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, Ihr Senat und Ihre Berliner stolz sein, und wir sind es mit Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Sie sind penetrant langweilig!)

    Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU kommt immer wieder nach Berlin; nicht, weil Berlin uns braucht, sondern weil wir Berlin brauchen, seinen Mut, seinen Geist, seine Tapferkeit, die sich in der Zeit der Luftbrücke so hervorragend bewährt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Im übrigen, meine Damen und Herren: Berlin ist die einzige Stadt, in der sich das Schicksal Deutschlands und Europas widerspiegelt:

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Vergessen Sie München nicht!)

    das Schicksal der Teilung, das Schicksal der Unterdrückung nebenan und des ideologischen Kampfes. Es mag, meine Damen und Herren, eine Friedensordnung denkbar sein, in der nach dem Beispiel Österreichs mehrere voneinander unabhängige deutsche Staaten vorhanden sind. Aber es ist keine Friedensordnung denkbar, die die Teilung ein und derselben Stadt, Berlins, legitimiert und gleichzeitig die Freiheit des freien Teils für die Zukunft garantiert.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deshalb, Herr Kollege Apel, ist die Freiheit West-Berlins untrennbar mit der Offenheit der deutschen Frage und ihrer Lösung auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts des einen, des ganzen deutschen Volkes verknüpft.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer das nicht begreift, mag für viele Ämter verwendbar sein. Als Regierender Bürgermeister von Berlin wäre er eine glatte Fehlbesetzung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Das weiß er selber! — Das wissen auch die Berliner! — Dr. Spöri [SPD]: Formatlos!)

    Ich möchte noch ein letztes Zitat aus der Regierungserklärung bringen, weil es Gegenstände vertieft, über die gestern in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion debattiert worden ist.

    (Dr. Vogel [SPD]: „Einmütig"?!)

    Dieses Zitat aus der Regierungserklärung lautet: Diese Dokumente
    — dann wird alles aufgeführt, was sich an rechtsrelevanten Verträgen und Erklärungen auf Deutschland bezieht: vom Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland über den Deutschlandvertrag bis zum Grundlagenvertrag mit der DDR und den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1973 und Juli 1975 —

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Ein Haufen Recht und keine Politik!)

    bekräftigen unmißverständlich die deutschen Rechtspositionen, das Festhalten am Friedensvertragsvorbehalt
    — Herr Kollege Apel, das hatten Sie vorhin übersehen —
    ebenso wie unsere Bereitschaft zum Ausgleich und zur Verständigung mit unseren östlichen Nachbarn.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Über die sich aus diesen Dokumenten ergebende Rechtslage Deutschlands besteht in meiner Fraktion volle Übereinstimmung.

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Die normative Kraft der Akten! — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Wie kommt es dann zu dem Streit?)

    — Ich habe von der Macht des Faktischen gesprochen, die natürlich eine Rolle spielt.
    Soweit einzelne Diskussionsbeiträge der letzten Wochen Ihnen Anlaß zu Mißverständnissen geboten haben sollten,

    (Zurufe von der SPD: Aha! — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Bei Ihnen wohl auch?)

    so sind diese Mißverständnisse mit dieser Regierungserklärung, die wir einmütig billigen, ausgeräumt. Das, was der Bundeskanzler gesagt hat, hat er für uns alle gesagt. Das gilt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Diskussion gestern war im übrigen wertvoll. Diese große Fraktion kann diskutieren. Aber sie kann auch entscheiden, sie kann in allen wichtigen Fragen einmütig entscheiden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben gestern z. B. das Beschäftigungsförderungsgesetz mit all seinen Schwierigkeiten, Belastungen und Problemen einmütig verabschiedet.

    (Dr. Olderog [CDU/CSU]: Einstimmig!)

    — Einstimmig verabschiedet. — Wir haben unseren Beschluß über die Nachrüstung einstimmig gefaßt. Wenn wir es nicht getan hätten, würde nicht zwischen den Weltmächten verhandelt, wie das jetzt vorgesehen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Aber, wie gesagt, wir können auch diskutieren, fair und der Sache zugewandt.
    Die Diskussion gestern hat gezeigt: Die Rechtslage des geteilten Deutschlands und seiner geteilten Hauptstadt ist ebenso kompliziert wie ihre tatsächliche Lage.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Was ist denn die geteilte Hauptstadt?)




    Dr. Dregger
    — Hören Sie einmal zu, Frau Vollmer, Sie haben es dringend nötig. —

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Ist Berlin unsere Hauptstadt?)

    Das wird so bleiben, bis Friedensverträge eine zweifelsfreie, allseits anerkannte völkerrechtliche Ordnung in Europa geschaffen haben. Oder wir würden sagen: Es mag alles so bleiben, wie es ist. Aber selbst diese Aussage würde diesen Effekt nicht herbeiführen, weil keine der Siegermächte bis heute bereit ist, auf ihre Position in Deutschland als Ganzem zu verzichten. Wir müssen also mit dieser komplizierten Rechtslage Deutschlands leben, und wir wollen auch damit leben, um die Zukunft offenzuhalten. Wir nehmen die Komplexität und die Kompliziertheit der deutschen Frage sicherlich als einen Nachteil für eine Demokratie hin, die ja in ihrer Politik auf öffentliche Zustimmung angewiesen ist. Da haben es totalitäre Staaten einfacher; dort ist die öffentliche Meinung gelenkt, und nur wenige Experten bestimmen das, was zu diesen Fragen gesagt wird.
    Um Ihnen, meine Damen und Herren, wenn Sie einen Moment zuhören wollen — es scheint der Fall zu sein — zu verdeutlichen, daß diese deutsche Frage nicht nur kompliziert ist, sondern in all ihren Teilaspekten im Zusammenhang gesehen werden muß, zitiere ich einige Sätze aus einem an mich gerichteten Brief von Professor Dr. Eckart Klein, Völkerrechtler in Mainz. Ich zitiere:
    Der Friedensvertragsvorbehalt spielt auch im Verhältnis zur DDR eine gewichtige Rolle. Wird er im Verhältnis zu Polen zur Farce, wird ihm auch im Verhältnis zur DDR nur ein entsprechend geringes Gewicht zukommen können. Der Fortbestand Deutschlands als Ganzes würde zunehmend schwer aufrechtzuerhalten sein. An diesem hängt aber letztlich das Institut der gesamtdeutschen Staatsangehörigkeit.

    (Graf Huyn [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Die Deutschland zusammenhaltende Argumentation ist ein rechtlich höchst empfindliches Gebilde, das durch das Herausbrechen von einzelnen Steinen insgesamt schwer, vielleicht unheilbar, geschwächt würde.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Weil es auf tönernen Füßen steht!)

    Meine Damen und Herren, die Welt ist leider nicht so einfach, wie Sie sie haben möchten. Wir müssen uns auf die Lage einstellen, wie sie ist.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Sie sind der größte Traumtänzer!)

    Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am Ende der Debatte aus dieser Lage, die wir gestern erörtert haben, zwei Schlußfolgerungen gezogen. Wir Politiker, die gewählten Abgeordneten des deutschen Volkes — das ist unsere Würde, unser Auftrag und der Maßstab unseres Handelns —,

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Mir kommen die Tränen!)

    müssen mit der Rechtslage Deutschlands vorsichtig und zurückhaltend umgehen. Das Thema eignet sich nicht zu Gefühlsausbrüchen in die eine oder in die andere Richtung oder zur Polemik oder zur Behandlung nur unter einem Teilaspekt.

    (Zurufe von der SPD)

    Zweite Schlußfolgerung: Wir dürfen unsere Rechtspositionen nicht aufgeben, aber wir müssen sie als Instrumente für Politik begreifen, die sie nicht ersetzen, für eine selbstverständlich realistische Politik, die die Welt so sieht, wie sie heute ist. Entscheidend sind daher unsere Perspektiven für Deutschland und Europa in Ost und West.
    Ehe ich, meine Damen und Herren, auf diese Perspektiven eingehe, muß ich noch wenige Bemerkungen zur Charakterisierung der sowjetischen Deutschland- und Berlinpolitik machen. Seit Abschluß der Ostverträge ist es das Ziel sowjetischer Politik, diese Verträge einseitig auszulegen und als Ersatz für einen Friedensvertrag darzustellen. Dabei geht es der Sowjetunion nicht um die Oder-Neiße-Grenze, sondern darum, die Teilung Deutschlands und Europas endgültig zu machen. Das ist der eigentliche Gegenstand.
    Der einzige operative Ansatz, dem entgegenzuwirken, ist das Festhalten an der Offenheit der deutschen Frage, ist der Friedensvertragsvorbehalt, der weder in Vergessenheit geraten noch in seiner Wirkung abgeschwächt werden darf.
    Es ist das Verdienst der damaligen CDU/CSU-Opposition und vor allem des Landes Bayern, daß mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts, das der Herr Bundeskanzler eben in seiner Regierungserklärung zitiert hat, klargestellt wurde: Die Ostverträge sind formalisierte Gewaltverzichtsverträge der Bundesrepublik Deutschland; sie ändern nicht die Rechtslage Deutschlands, auch nicht seine völkerrechtlichen Grenzen. Die Rechtslage Deutschlands kann nur durch einen Friedensvertrag geändert werden. Diese Position ist seinerzeit zum Gegenstand des Ratifizierungsverfahrens gemacht und damals von der Gegenseite nicht bestritten worden. Das war die Voraussetzung dafür, daß die Verträge die Probe vor dem Verfassungsgericht bestanden.
    Alle Bundesregierungen, auch die des Kollegen Brandt, haben diese Linie bis heute aufrechterhalten. Die Regierung Kohl hat wirklich nicht die Absicht, daran etwas zu ändern. Wir stehen in dieser Frage in der Kontinuität der Deutschlind- und Ostpolitik von Bundeskanzler Adenauer bis heute!

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf der Abg. Frau Dr. Vollmer [GRÜNE] und weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    — Frau Vollmer, es wäre für Sie sicherlich lehrreich, wenn Sie zuhören würden!

    (Frau Nickels [GRÜNE]: Frau Vollmer ist nicht taub! — Gegenruf von der CDU/CSU: Man hat aber manchmal das Gefühl!)

    Die Methoden sowjetischer Politik sind besonders gut in Berlin zu studieren. Es ist eine Salamitaktik: Scheibchenweise, aber mit eiserner Konse-



    Dr. Dregger
    quenz wird versucht, entgegen dem Viermächtestatus von Berlin und den Sowjets beherrschten Teil, also Ost-Berlin, restlos in die DDR zu integrieren und die Bindungen des anderen Teils Berlins, nämlich West-Berlins, an die Bundesrepublik Deutschland zu lockern.
    Zur Zeit geht es um die Fußballeuropameisterschaft.

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Der Ball ist rund! Ich wußte es doch!)

    Der Ausschluß Berlins hat gewiß keine sportlichen, er hat politische Gründe. Für die Sowjets ist alles Politik, selbstverständlich auch der Sport.

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Das ist für Herrn Dregger doch genauso!)

    Der Präsident des Deutschen Fußballbundes will den Mißbrauch des Sports für politische Zwecke durch die Sowjetunion akzeptieren,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

    und er gibt dafür noch die Begründung, daß aus seiner Sicht der Dinge Politik und Sport nichts miteinander zu tun hätten. Das ist der Höhepunkt der Naivität, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Dumm! — Töricht!)

    Das ist geradezu umwerfend,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dummheit!) aber es ist leider kein Einzelfall.


    (Dr. Olderog [CDU/CSU]: Dazu hat Herr Apel auch nichts gesagt!)

    Deshalb sei mit Ernst gesagt, daß Naivität kein geeignetes Rezept für den Umgang mit totalitären Staaten ist. Unser freiheitliches System kann nur überleben, wenn sich seine Repräsentanten, zu denen natürlich auch die hohen Sportfunktionäre unseres — vom Staat in der Tat nicht gegängelten — Sports gehören, ihrer demokratischen und nationalen Verantwortung gewachsen zeigen. Darum geht es!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nun zu den Perspektiven: Es ist die Schicksalsfrage unserer Zeit, ob es in den kommenden Jahren gelingt, die Sicherheits- und Zukunftsinteressen der Sowjetunion mit den Lebensinteressen eines freien Europa, insbesondere der Völker Ostmitteleuropas, in Übereinstimmung zu bringen. Das wird nur möglich sein, wenn die Sowjetunion bereit ist, ihre Nachbarvölker als gleichberechtigt anzuerkennen, und wenn sie auch ideologisch darauf verzichtet, sie in ein kommunistisches Weltsystem einzugliedern, das unter ihrer Herrschaft steht. Die Sowjetunion besitzt das größte Land der Erde. Ihre Energie- und Rohstoffreserven sind einzigartig und bisher weitgehend ungenutzt. Für sich selbst braucht die Sowjetunion das Land ihrer westlichen Nachbarn nicht. Je länger die Sowjetunion ihre Herrschaft über ihre Zwangsverbündeten — denken Sie an die Befestigungsanlagen in Berlin und in Deutschland — aufrechterhält, um so geringer wird für sie der Nutzen und um so größer die ökonomische und politische Last, die daraus für sie erwächst. Ein einiges und freies Europa, das mit der Sowjetunion eng zusammenarbeitet, könnte ihr nützlicher sein. Unsere Sache ist es, der Sowjetunion immer wieder klar zu machen, daß wir ihre Größe respektieren, ihre Macht und ihren potentiellen Reichtum, nicht aber ihre Herrschaft über andere Völker.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir unsererseits arbeiten für ein Europa, das seine Einheit in Freiheit und Vielfalt wiederfindet, das die Sperranlagen an den Grenzen überwindet, das sich öffnet für friedlichen Austausch. In Westeuropa ist dieses friedliche, freiheitliche Europa der Völker auf dem Weg, wenn auch noch unvollendet. Es auch in Osteuropa auf den Weg zu bringen ist die historische Aufgabe, die wir Deutschen allein nicht in Angriff nehmen können. Es ist die Aufgabe der Europäer insgesamt im Einvernehmen mit den beiden Weltmächten. Zur Erreichung — —


Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter Dr. Dregger.
Herr Abgeordneter Apel, es ist nicht üblich, im Deutschen Bundestag zu essen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Er nimmt den Mund gerne voll! — Er nimmt den Mund oft zu voll! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU — Lachen bei der SPD — Unruhe)

Das gilt selbstverständlich auch für andere Abgeordnete.
Bitte fahren Sie fort, Herr Abgeordneter.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Dregger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Der Biß des Herrn Apel ist nicht so bemerkenswert, daß wir ihn deshalb all-zulange beachten sollten. Andere Gründe sehe ich im Augenblick auch nicht.
    Meine Damen und Herren, zur Erreichung eines solchen Zieles werden in einem langen Prozeß zahlreiche Schwierigkeiten und viele Widerstände zu überwinden sein. Ich will mich heute nur mit einem Aspekt beschäftigen, dem deutsch-polnischen Verhältnis, weil es schon für die Gegenwart größte Bedeutung hat.

    (Anhaltende Unruhe bei der SPD)

    Ich bin überzeugt, daß die deutsch-polnische Aussöhnung, die Sie auf der linken Seite des Hauses nicht zu interessieren scheint, die Schlüsselfrage für Osteuropa ist, wie die deutsch-französische die Schlüsselfrage für Westeuropa war und ist. Aussöhnung bedeutet, daß alles Gegenwärtige und Zukünftige nur im Einvernehmen geregelt wird.

    (Vorsitz : Vizepräsident Stücklen)

    Das gilt für die Grenzen, das gilt für die Nachbarschaft und das gilt für das Zusammenleben.

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Die Grenzen sind geregelt, Herr Dregger!)

    Meine Damen und Herren, das ist der tiefere Sinn des Gewaltverzichts unserer Heimatvertriebenen aus dem Jahre 1950 und der Gewaltverzichts-



    Dr. Dregger
    verträge, die wir mit Polen und der Sowjetunion abgeschlossen haben: Keine Veränderungen ohne Einvernehmen, das ist Aussöhnung! Nur auf dieser Grundlage kann Vertrauen wachsen, das die schönste Frucht der Versöhnung ist. Versöhnung erfordert das Kennen gemeinsamer Interessen. Dazu gehört die Überzeugung, daß für beide Völker, für Polen und Deutsche, die Freiheitsfrage wichtiger ist als die Grenzfrage. Zu dieser Freiheitsfrage gehört auch die Frage, ob Polen und Deutsche das Recht haben, als souveräne Staaten miteinander Frieden zu schließen in einem Friedensvertrag, oder ob für sie nur das gelten soll, was die Macht anderer für sie bestimmt.
    Wer das alles bedenkt — nicht mit dem Blick auf die Vergangenheit, sondern auf die Gegenwart und die Zukunft beider Völker —, der wird erkennen, daß schon heute Polen und Deutsche viel mehr gemeinsame Interessen haben als trennende. Die deutschen Heimatvertriebenen, die in unserer Solidarität stehen, die wir nicht ausgrenzen und die wir auch von anderen nicht ausgrenzen lassen, werden dabei eine wertvolle Brückenfunktion zu unseren östlichen Ländern wahrnehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, Versöhnung verlangt mehr als das Erkennen gemeinsamer Interessen. Versöhnung braucht eine moralische Grundlage. „Wir vergeben, und wir bitten um Vergebung." Dieses Wort der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Brüder im Bischofsamt, das diese aufgenommen und erwidert haben, dieses einfache Wort weist beiden Völkern den Weg. Beide haben sich in ihrer nahezu tausendjährigen Nachbarschaft vieles angetan, was Anlaß bietet, den jeweils anderen um Vergebung zu bitten und ihm zu vergeben. Aber es gibt in dieser tausendjährigen Geschichte der Nachbarschaft — und das möchte ich hervorheben — auch lange Perioden guter Nachbarschaft. 1683 brachten Deutsche und Polen gemeinsam die Türkische Invasion vor Wien zum Stehen und retteten damit das Abendland. Polen und Deutsche waren nicht immer Gegner, sie waren auch Verbündete.
    Der amerikanische Außenminister Shultz hat unlängst gesagt: „Kulturen und Zivilisationen blühen und gedeihen, wenn sie an sich selbst glauben. Sie zerfallen, wenn sie diesen Glauben verlieren." So ist es. Wir, die Deutschen, die Polen — ich schließe sie in dieses Wir ein — und die Europäer beiderseits der Teilungsgrenzen, haben weder Anlaß noch im Hinblick auf die kommenden Generationen das Recht zu resignieren.

    (Zustimmung des Abg. Werner [Ulm] [CDU/CSU])

    Wir Europäer stehen für eine Sache, die die mächtigste Kraft auf unserem Planeten ist: Es ist die Sehnsucht der Menschen, frei zu sein, und die Sehnsucht der Völker, über sich selbst zu bestimmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Daran halten wir fest, und niemand kann uns darin umstimmen.
    Wie Mitterrand und Kohl auf dem Douaumont, so werden sich eines Tages, wie fern er auch sein mag, der Präsident Polens und der deutsche Kanzler die Hand reichen, vielleicht auf der Westerplatte in Danzig. Für diesen Tag und für dieses Ziel laßt uns arbeiten!

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)