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    Plenarprotokoll 10/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 27. Februar 1985 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 9009 A Bericht zur Lage der Nation Dr. Kohl, Bundeskanzler 9009 B Dr. Apel SPD 9017 C Dr. Dregger CDU/CSU 9023 C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 9027 C Hoppe FDP 9030 D Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 9033 D Büchler (Hof) SPD 9037 A Genscher, Bundesminister AA 9039 D Schlaga SPD 9043 D Lintner CDU/CSU 9045 C Handlos fraktionslos 9047 C Schneider (Berlin) GRÜNE 9049A Dr. Haack SPD 9050 D Windelen, Bundesminister BMB . . . 9053 B Dr. Vogel SPD 9054 B Nächste Sitzung 9058 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9059* A Anlage 2 INFCE-Empfehlungen betr. den Anreicherungsgrad des Urans bei der Produktion von Kernbrennstäben MdlAnfr 5, 6 07.12.84 Drs 10/2587 Becker (Nienberge) SPD ErgSchrAntw PStSekr Spranger BMI . . 9059* B auf ZusFr Catenhusen SPD Anlage 3 Polnische Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland seit 1980 MdlAnfr 44 11.01.85 Drs 10/2712 Dr. Hupka CDU/CSU ErgSchrAntw StSekr Dr. Fröhlich BMI . 9059*D auf ZusFr Dr. Hupka Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Februar 1985 9009 122. Sitzung Bonn, den 27. Februar 1985 Beginn: 14.00 Uhr
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    Berichtigung 121. Sitzung, Seite 9005* C; nach der 21. Zeile ist nach dem Wort „vorgesehen" einzufügen: „steuerlichen Gleichbehandlung von eigengenutzten". Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 1. 3. Breuer 1. 3. Büchner (Speyer) * 1. 3. Dr. von Bülow 28. 2. Dr. Bugl 28. 2. Cronenberg (Arnsberg) 27. 2. Ertl 1. 3. Gallus 1. 3. Frau Gottwald 1. 3. Haehser 1. 3. Dr. Hauff 1. 3. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 27. 2. Jung (Düsseldorf) 1. 3. Frau Kelly 1. 3. Dr. Kreile 27. 2. Frau Dr. Lepsius 1. 3. Lohmann (Witten) 27. 2. Mischnik 27. 2. Dr. Müller 1. 3. Polkehn 1. 3. Dr. Scheer 28. 2. Schlottmann 1. 3. Dr. Schöfberger 1. 3. Schröder (Hannover) 27. 2. Frau Simonis 1. 3. Dr. Stark (Nürtingen) 1. 3. Stockhausen 1. 3. Uldall 27. 2. Voigt (Frankfurt) 27. 2. Weinhofer 1. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Ergänzende Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen (SPD) zu der Frage des Abgeordneten Becker (Nienberge) (SPD) (Drucksache 10/2587 Fragen 5 und 6, 110. Sitzung, Seite 8210 B): Ihre Zusatzfrage: Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Hochtemperaturreaktor in Schmehausen in- Anlagen zum Stenographischen Bericht nerhalb weniger Jahre auf Brennelemente mit niedrig angereichertem Uran umgestellt werden könnte, ohne daß es zu einer Betriebsunterbrechung kommen müßte, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Sachverhalt für ihre Zielsetzung, hochangereichertes Uran möglichst wenig einzusetzen? beantworte ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Forschung und Technologie wie folgt: Der Bundesregierung ist bekannt, daß eine Umstellung des THTR-300 vom beantragten und genehmigten Thorium/Uran-Kreislauf auf einen anderen Zyklus mit niedrigerer Anreicherung aus heutiger Sicht technisch innerhalb einiger Jahre möglich sein kann. Zu gegebener Zeit werden für den THTR-300 unter Auswertung der Betriebserfahrungen mit dem Betreiber die sicherheitstechnischen und betrieblichen Voraussetzungen einer Umstellung auf niedrig angereichertes Uran zu prüfen sein. Bei der Planung von Nachfolgerreaktoren dieser Linie wird der Einsatz von Brennelementen mit niedriger angereichertem Uran verfolgt. Anlage 3 Ergänzende Antwort des Staatssekretärs Dr. Fröhlich auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hupka (CDU/CSU) (Drucksache 10/2712 Frage 44, 114. Sitzung, Seite 8489): In der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 17. Januar 1985 haben Sie im Anschluß an die Beantwortung der Frage 44 die Zusatzfrage gestellt, wie viele der dem Ausländerzentralregister zwischen 1980 und 1984 gemeldeten 20 952 polnischen Staatsangehörigen, die zugezogen sind, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben, wieder zurückgegangen sind. Die Bundesregierung kann diese Frage nicht beantworten, weil ihr entsprechende Angaben nicht zur Verfügung stehen. Dies beruht zum einen darauf, daß nicht alle polnischen Staatsangehörigen, die in ihr Heimatland zurückkehren, sich bei den zuständigen deutschen Behörden abmelden und zum anderen darauf, daß bei der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland Zählkontrollen nicht durchgeführt werden.
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    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland im Frühjahr des Jahres 1985 findet in einem politischen und geschichtlichen Augenblick statt, in dem verständlicher- und, wie ich denke, auch notwendigerweise unsere Gedanken zurückgehen in das Jahr 1945, 40 Jahre zurück zum Ende der Barbarei der Nazis, des Dritten Reiches, des Zusammenbruchs des Reiches, aber auch zur Chance der Freiheit, die sich damit für den größeren Teil unseres Vaterlandes auftat.
    Deutschland ist geteilt, ungeteilt aber ist der Wille des deutschen Volkes zur Einheit in Freiheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ob vor 40 Jahren, ob heute, ob morgen: die Freiheit bleibt Kern der deutschen Frage. Die Einheit der Nation soll und muß sich zuallererst in der Freiheit ihrer Menschen erfüllen.
    Unsere Deutschlandpolitik, die Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung der Koalition der Mitte, hat sich auch seit meinem letzten Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland — einigen Belastungen zum Trotz — nach Zielsetzung, Anlage und Methode bewährt. Zwei Ereignisse der jüngsten Zeit zeigen die Chancen dieser Politik, erinnern uns aber auch an die Grenzen:
    Am 16. Dezember, vor wenigen Monaten, wurde ohne viel öffentliches Aufsehen, fast beiläufig, die Autobahnbrücke über das Werratal zwischen Wartha und Eisenach eröffnet. Die Bundesrepublik Deutschland hat diese Brücke, das größte Brückenbauwerk in der DDR, entscheidend gefördert. Diese Brücke lädt zu Hoffnungen ein, daß sie Thüringen und Hessen verbindet, Goethes Weimar und Goethes Frankfurt, aber auch den Messeplatz Leipzig mit Wirtschaftszentren in der Bundesrepublik Deutschland. Wir wollen, wir wünschen, daß viele Menschen diese Brücke benutzen können — in beiden Richtungen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zustimmung des Abg. Bahr [SPD])

    Einen Monat nach diesem Brückenschlag wurde mitten in Berlin an der Bernauer Straße im Vor-streifen der Mauer von der DDR eine neugotische Backsteinkirche gesprengt, um die Grenze besser kontrollieren zu können. Daß diese Kirche „Versöhnungskirche" hieß, drängt schmerzliche Gedanken auf.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Der Bau einer Brücke, um West und Ost zu verbinden, und die Sprengung einer Kirche, um Ost und West zu trennen: beides ist deutsche Wirklichkeit an der Jahreswende 1984/85, Beide Ereignisse sind weit mehr als nur Impressionen zur Lage in Deutschland; sie sind Symbole und Erfahrungen, die uns politisch und menschlich bewegen.
    Der Bau der Brücke zeigt die Richtung, in die wir zu gehen haben. Die Sprengung der Kirche zeigt, wie lang, wie schwer und wie ungewiß der Weg ist, der noch vor uns liegt, um mit der Teilung Europas auch die Spaltung Deutschlands zu überwinden.
    In diesem Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland will ich mich vor allem auf fünf Punkte konzentrieren.
    Erstens. Nation und Freiheit zu verbinden — das ist der Maßstab, vor dem unsere Deutschlandpolitik bestehen muß.
    In der Geschichte Europas bilden seit dem Zeitalter der Aufklärung Nation und Freiheit eine spannungsreiche ideelle Einheit. Von Anfang an war in dieser Idee der Nation ebenso viel Schöpferkraft wie Sprengkraft enthalten.
    Seit der Französischen Revolution wird die europäische Geschichte von der Auseinandersetzung bestimmt, die aus dieser Spannung entstand — geistig, wirtschaftlich und militärisch. Die Geschichte unseres eigenen Volkes lehrt uns: Wo Freiheit unterdrückt wird, gehen schließlich Menschen zugrunde.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Gerade der 40. Jahrestag des 8. Mai 1945 erinnert uns Deutsche auf die eindringlichste Weise an das kostbare Gut der Freiheit und an die Verantwortung für die Bewahrung von Frieden und Freiheit. Dieser Tag ist ein Tag der Selbstbesinnung, ein Tag der Erinnerung und der Trauer ebenso wie der Dankbarkeit und der Hoffnung. Es war der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, der kurz nach seiner Wahl das Wort prägte, der 8. Mai 1945 sei ein Tag tiefer Paradoxie, „weil wir" — so sagte er — „erlöst und vernichtet in einem gewesen sind".
    Wir trauern um die Opfer der Gewaltherrschaft, des Rassenwahns und eines total geführten Krieges. In diese Trauer mischt sich die Scham für das, was im deutschen Namen an Verbrechen geschah.
    Erinnerung ist auch notwendig angesichts der fortdauernden Haftung, die uns für die Schreckenstaten des Dritten Reiches obliegt.
    Der 8. Mai, meine Damen und Herren, erweckt aber auch Gedanken der Dankbarkeit. Die Deutschen waren befreit vom Schrecken des Krieges und von den tausend Verstrickungen, die der totalitäre NS-Staat geschaffen hatte.
    Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Aber Befreiung brachte er nicht allen. Unser Vaterland, die Mitte Europas, wurde geteilt. Für die Deutschen in der DDR und für unsere östlichen europäischen Nachbarvölker wurde der 8. Mai auf bisher unabsehbare Zeit zum Tag der Ablösung der einen Diktatur durch eine andere.
    Aber auch Hoffnung bedeutet dieser Tag: Hoffnung, daß die Vision der Patrioten des Hambacher Festes 1832 und der Paulskirche 1848, die ein freies Deutschland in einem freien Europa erstrebten, bis heute und in der Zukunft zu den Möglichkeiten auch der deutschen Geschichte gezählt werden kann.
    Aus dieser Hoffnung schöpften die Menschen an dem tiefsten Punkt deutscher Geschichte die Kraft für einen Neubeginn. Sie konnten auf dem Fundament aufbauen, das von jenen Deutschen errichtet worden war, die den Widerstand gegen Hitler gewagt hatten — dem moralischen Fundament für unsere demokratische Ordnung und den sozialen Rechtsstaat.
    Nur vier Jahre nach dem Ende von Krieg und Diktatur erlebten wir in diesem, im freien Teil unseres Vaterlandes die Geburtsstunde einer neuen, einer freiheitlichen Republik. Ganz bewußt — man muß es immer wieder in Erinnerung rufen — haben die Mitglieder des Parlamentarischen Rats die Schlußabstimmung über das Grundgesetz auf den 8. Mai 1949 gelegt. Damals wandte sich Carlo Schmid, einer der großen Männer der deutschen Nachkriegsgeschichte, in einer eindrucksvollen Rede an die Besatzungsmächte und an die Bürger der neuen deutschen Republik. Er sagte:
    Wenn wir auf beiden Seiten nach dem Gesetz der Solidarität handeln, dann wird man einmal sagen können, daß an dem vierten Jahrestag des 8. Mai 1945, an dem das blutige Siegel unter den Zusammenbruch einer Herrschaft des Verderbens gedrückt worden ist, hier in Bonn etwas geschaffen wurde, das die Tore zu einer besseren Zukunft Deutschlands, einer Zukunft Europas, aller Völker Europas weit aufgestoßen hat.
    Heute, meine Damen und Herren, können wir mit Stolz feststellen, daß der freiheitliche Neubeginn des Jahres 1949 eine stabile deutsche Demokratie ermöglicht hat. Aus einem zerstörten Land entstand ein Gemeinwesen, das im Frieden mit sich selbst und mit seinen Nachbarn lebt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Unser Grundgesetz ächtet Aggression von Verfassung wegen. Krieg und Gewalt werden für uns nie wieder ein Mittel der Politik sein. Als friedlicher Staat streben wir Freiheit für alle Deutschen an.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wie uns der 8. Mai 1945 an das Unheil von Krieg und Gewaltherrschaft erinnert und zur Selbstbesinnung mahnt, so steht der 8. Mai 1949 auch für die neue Chance, die wir im freien Teil unseres Vaterlandes erhalten haben. Beides bestimmt heute die Lage unserer Nation. Die Teilung unseres Vaterlandes tragen wir als Last in der Folge des von Hitler verschuldeten Krieges. Die Entscheidung für Freiheit und Demokratie begreifen wir als Auftrag für ganz Deutschland und Europa.
    Zweitens. Wir — die Bundesrepublik Deutschland — gehören zum Westen. Nur dadurch hat die Freiheit der Deutschen eine Chance.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Vor nunmehr dreißig Jahren hat die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtliche Souveränität erlangt und zugleich fortgeführt, was im Vertrag von Locarno gedanklich angelegt war: die Einfügung der Deutschen in ein Europa freier Völker. Mit dem Vertrag von Locarno vor sechzig Jahren wollten Austen Chamberlain, Gustav Stresemann und Aristide Briand die Grundlage für diesen Weg schaffen. Dabei wußten die Außenminister Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands um die europäische Bedeutung einer dauerhaften Verständigung zwischen den Völkern, vor allen Dingen zwischen Deutschen und Franzosen.
    Der Beginn der Schlacht von Verdun, für immer ein Symbol der Sinnlosigkeit des Krieges und jetzt endlich auch für den Wert der Versöhnung, lag damals erst zehn Jahre zurück. Der Vertrag von Locarno vor 60 Jahren scheiterte in der Folgezeit an nationalistischer Kurzsichtigkeit und vermeintlich unüberwindbarer Erbfeindschaft.
    Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und in den Pariser Verträgen — einschließlich des damals neugefaßten Deutschlandvertrags — haben wir uns definitiv auf die Idee der europäischen Einigung festgelegt. Im europäischen Rahmen wollen wir unsere Zukunft gestalten und als Friedenswerk in Europa die nationale Frage der Deutschen lösen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mit den Pariser Verträgen, die im Mai dieses Jahres dreißig Jahre in Kraft sind, wurde die Bundesrepublik Deutschland als souveräner Staat auf Dauer Mitglied der Bündnisgemeinschaft des freien Westens. Unser Bekenntnis zu Europa ist eine historische Entscheidung, eine politische Tatsache, und sie ist vor allem eine Wertentscheidung für das Europa des Christentums und der Aufklärung, der sozialen Gerechtigkeit und des Rechtsstaates. Wir stehen im Inneren wie nach außen auf der Seite der Freiheit. Die Wertegemeinschaft des westlichen Bündnisses und unsere demokratische Staatsordnung entsprechen einander. In dieser Übereinstimmung kommt die Staatsraison der Bundesrepublik Deutschland zum Ausdruck. Es gibt für uns keinen Mittelweg zwischen Demokratie und Diktatur. Wer einen dritten Weg sucht, bringt unsere Freiheit in Gefahr.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Konrad Adenauers unzweideutige Entscheidung für die Westbindung, für die Wertegemeinschaft mit den freiheitlichen Demokratien war die Abkehr von jeder Versuchung zu nationalen Sonderwegen. Diese Grundentscheidung ist und bleibt irreversibel.
    Ebenso gilt heute und auf Dauer die Verpflichtung der Drei Mächte, Frankreich, Großbritannien und USA, auf die besonderen deutschen Ziele und Interessen, wie sie im Deutschlandvertrag formuliert sind.
    Weil die Freiheit der Kern der deutschen Frage ist, ist unser Platz an der Seite unserer Partner und Freunde im Westen. Unsere Freunde begreifen ihrerseits, daß sich durch uns die ganze deutsche Nation mit ihrem Anspruch auf freie Selbstbestimmung ihnen anvertraut. Freiheit und Selbstbestimmung sind unteilbar. Das ist die Bündnisraison des Westens.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Unsere Bindung an die freiheitlichen Demokratien des Westens war Konsequenz einer weitsichtigen Entscheidung in europäischer Verantwortung. Westeuropa braucht, um frei zu bleiben, einen stabilen, freiheitlichen Staat in Deutschland, so wie der Schutz durch unsere Partner für den Bestand unserer eigenen Freiheit unentbehrlich ist.
    Auch für die Einheit Deutschlands werden wir nicht den Preis der Freiheit zahlen. Die Bewahrung freiheitlicher Lebensform, für uns wir für unsere Nachbarn, hat Vorrang vor allen anderen Zielen.
    Gerade auch die Menschen jenseits der Trennungslinie zwischen West und Ost brauchen die Ausstrahlungs- und die Anziehungskraft unseres Beispiels freiheitlicher Ordnung im Westen.
    Mit dieser Wirkung ist die deutsche, die europäische Freiheitsfrage ein vitales Element für einen friedlichen Wandel in Europa.
    Drittens. Unsere Deutschlandpolitik ist Arbeit für Europa.
    Europa ist geteilt, weil ein Teil Europas unfrei ist. Deutschland ist geteilt, weil ein Teil Deutschlands unfrei ist. Natürlich ist die deutsche Frage zuallererst die Sache der Deutschen. Weil aber Deutschland das geographische und geopolitische Mittelstück Europas ist, ist diese Frage mit den europäischen Interessen stets aufs engste verknüpft. Sie war, durch die europäische Geographie und das Gewicht Deutschlands bestimmt, immer eine europäische Zentralfrage. In ihrem Zentrum steht heute die Freiheit für die Europäer, die jenseits der Trennungslinie zwischen West und Ost leben.
    Europa wie Deutschland wollen frei zur Einheit finden. Der Schlüssel ist die Selbstbestimmung. Der zu erschließende Freiheitsraum sind die Menschenrechte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es geht nicht um Grenzen, nicht um Hoheitsgebiete, es geht nicht um Souveränität im Sinne des klassischen Nationalstaates. Es geht um Selbstbestimmung und Menschenrechte. Es geht um Volkssouveränität. Nicht souveräne Staaten, sondern souveräne Völker werden den Bau Europas dereinst vollenden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer heute in resignierter Schicksalsfügung einen Schlußstrich unter die deutsche Frage ziehen will, formuliert eine Absage an das Selbstbestimmungsrecht und an die Verwirklichung von Menschenrechten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Er gibt der Freiheit aller Europäer für die Zukunft
    keine Chancen. Und er hat die Geschichte nicht
    begriffen — ihre Kontinuität so wenig wie den viel-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    fältigen Wandel auf deutschem Boden in der Mitte Europas.
    Auch als europäische Zentralfrage ist die deutsche Frage nicht von der Art, daß sie für abgeschlossen erklärt werden könnte, nicht von Politikern und auch nicht von Historikern. Sie gehört zu den großen Gestaltungsaufgaben unseres Kontinents, seit vor Jahrhunderten in Europa ein Mächtesystem entstand. Sie hatte immer zum Gegenstand und hat es noch, wie Deutschland in Europa eingefügt wird und wie die Deutschen sich einfügen und ihre europäische Verantwortung annehmen oder verweigern.
    Der freiwillige Zusammenschluß der europäischen Völker, mit dem wir im westlichen Teil Europas begonnen haben, ist ein zwar mühsamer, aber hoffnungsvoller Ansatz. Wir meinen es ernst damit, und ich werde selbst meine ganze Kraft darin einsetzen, 1985 zu einem Jahr wichtiger Weichenstellungen für Europa zu machen.
    Indem wir das europäische Einigungswerk weiter voranbringen, bereiten wir in historischer Perspektive den Weg für eine spätere Aufhebung der Teilung unseres Kontinents. Meine Damen und Herren, unsere geschichtliche Leistung wird einmal daran gemessen, daß wir Nation und Freiheit bewahren und zugleich in Europa das größere Vaterland finden. Wir suchen die Antwort auf die deutsche Frage nicht in Alleingängen, nicht gegen unsere Nachbarn, nicht gegen unsere Nachbarn im Westen und nicht gegen unsere Nachbarn im Osten, und nicht in einer Auflehnung gegen die Geschichte. Das deutsche Haus ist nur zu bauen auf dem Fundament der Menschen- und Bürgerrechte und unter dem Dach eines vereinten Europas. Dabei wissen wir: Die Überwindung der Teilung Europas ist ein gesamteuropäischer Auftrag und nicht nur eine Aufgabe Westeuropas.
    Viertens. Unsere Deutschlandpolitik ist ein Beitrag zur Vertiefung und Verstetigung der Ost-WestBeziehungen.
    Sie ist langfristig angelegt, sie ist berechenbar, und sie ist ein Element praktischer Friedensarbeit in Europa.
    Die Deutschlandpolitik der Bundesregierung — ich darf das wiederholen — bleibt bestimmt durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, den Deutschland-Vertrag, den Moskauer und den Warschauer Vertrag von 1970, das Viermächteabkommen von 1971, die Briefe zur deutschen Einheit sowie die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972, den Grundlagenvertrag mit der DDR und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1973 und Juli 1975.
    Meine Damen und Herren, diese Dokumente bekräftigen gänzlich unmißverständlich die deutschen Rechtspositionen, das Festhalten am Friedensvertragvorbehalt ebenso wie unsere Bereitschaft zum Ausgleich und zur Verständigung mit unseren östlichen Nachbarn; das heißt vor allem auch mit unseren polnischen Nachbarn.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    In meiner Regierungserklärung vom 4. Mai, nach der Bundestagswahl 1983, habe ich bekräftigt und für die Bundesregierung erklärt:
    Die Bundesrepublik Deutschland wird im Rahmen ihrer Friedenspolitik ihren Kurs der Verständigung, der Vertrauensbildung und der Zusammenarbeit auch mit den Staaten des Warschauer Pakts beharrlich und ohne jede Illusion über die bestehenden Gegensätze weiterverfolgen.
    Die Grundlagen sind die geschlossenen Verträge, nach deren Buchstaben und Geist wir unsere Politik mit dem Osten gestalten wollen.
    An Polen gerichtet ist auch heute zu sagen: Wir alle wollen Aussöhnung und Verständigung. Wir bekräftigen jetzt und für die Zukunft den Warschauer Vertrag und die darin zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen verankerte „Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen" als „eine grundlegende Bedingung für den Frieden".
    Wir, die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik Polen, haben gegeneinander keinerlei Gebietsansprüche und werden solche auch in Zukunft nicht erheben.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, in den Gebieten jenseits der polnischen Westgrenze leben heute polnische Familien, denen diese Landschaften in zwei Generationen zur Heimat geworden sind. Wir werden dies achten und nicht in Frage stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Auch dieses Wort an unsere polnischen Nachbarn gehört zur Standortbestimmung im Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland. Ich vergesse dabei im Jahre 1985 — in der Erinnerung 40 Jahre zurück — nicht das Schicksal von Millionen unserer Landsleute, für die das Kriegsende den Verlust ihrer Heimat bedeutete, der sie sich auch heute noch besonders verbunden fühlen. Auf der Flucht und bei der Vertreibung fanden mehr als zwei Millionen Menschen — Frauen, Männer, Kinder — den Tod.
    Zum Glück für Deutschland und Europa ging die Rechnung jener nicht auf, die die Vertriebenen und Flüchtlinge schon als sozialen Sprengstoff des neuen Deutschland sahen. Es war — das gehört auch in diesen Bericht — eine große Stunde der deutschen Nachkriegsgeschichte, als sich die Vertriebenen und Flüchtlinge — trotz ihrer bitteren Erfahrung — fünf Jahre nach dem Krieg in ihrer Stuttgarter Charta feierlich zum Gewaltverzicht, zur Versöhnung und Zusammenarbeit mit den Län-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    dern Osteuropas ausgesprochen haben. Das war und ist eine klare Absage an jede Form von Revanchismus, das ist eine Botschaft des Friedens.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Unsere heimatvertriebenen Mitbürger haben, wie jeder von uns weiß, einen wesentlichen Beitrag zur friedlichen Entwicklung unseres Landes und zur Verständigung mit unseren Nachbarn geleistet. Ich bin sicher, daß die Vertriebenen — auch jene, die die Kinder vertriebener Eltern sind — auf diesem Weg des Friedens weitergehen. Meine Bitte ist, daß jeder — wer auch immer für die Vertriebenen spricht — durch die Wahl seiner Worte jeden Zweifel am Willen zur Verständigung ausschließt.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Vertragstreue und Berechenbarkeit sind für uns selbstverständlich — auch im Verhältnis der beiden Staaten in Deutschland. Wir bieten Verläßlichkeit, und ebenso erwarten wir Verläßlichkeit.
    Fragen der deutschen Staatsangehörigkeit stehen nicht zur Disposition.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Für uns gibt es nur eine deutsche Staatsangehörigkeit. Wir bürgern niemanden aus. Die Bundesregierung hat 1972 beim Abschluß des Grundlagenvertrages nachdrücklich klargestellt, daß Staatsangehörigkeitsfragen durch diesen Vertrag nicht geregelt worden sind. Wenn wir diese durch unser Grundgesetz und andere Gesetze vorgegebene Position vertreten, greifen wir wahrlich nicht in Rechte der DDR ein.
    Im übrigen: In der Praxis gibt es damit ja auch keine Probleme. So bestreiten wir der DDR nicht das Recht, im Ausland diejenigen ihrer Bürger zu betreuen, die dies wünschen. Wir unsererseits, meine Damen und Herren, lassen uns nicht — von niemandem — das Recht nehmen, die Deutschen im Ausland zu betreuen, die sich uns zugehörig fühlen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Indem wir an der einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit festhalten, tragen wir unserer gemeinsamen Vergangenheit, dem Fortbestehen der deutschen Nation und der Tatsache Rechnung, daß die deutsche Frage nicht gelöst ist. Auch die fortbestehenden Viermächterechte und -verantwortlichkeiten sind ein völkerrechtlich wesentliches Element für den Fortbestand der gemeinsamen deutschen Staatsangehörigkeit.
    Unsere Beziehungen zur DDR sind besonderer Art. Wir sind für die DDR nicht ein Staat wie jeder andere und sie nicht für uns. Auch die DDR kann in Wahrheit kein Interesse daran haben. Beide Staaten können die deutsche Geschichte nicht wie eine unerwünschte Erbschaft ausschlagen.
    In 35 Jahren hat sich das Verhältnis der beiden Staaten zueinander mehrfach geändert. Eines ist in allem Wandel deutlich geworden und deutlich geblieben: Es besteht eine besondere Beziehung. Das gilt für die Form des Verhältnisses, das gilt ebenso für die Substanz: die gemeinsame Sprache, die gemeinsame Kultur, das starke Band menschlicher Beziehungen und die gemeinsame Geschichte, deren Ertrag und Verpflichtung unteilbar bleiben.
    Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR lassen sich aus dem Kräftefeld des West-Ost-Verhältnisses nicht herauslösen. Jede Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland entspricht dem Interesse aller europäischen Völker. Andererseits dient jede Verbesserung der West-OstBeziehungen auch den Menschen im geteilten Deutschland, indem sie neue Chancen für mehr Miteinander eröffnet.
    Gerade deshalb messen wir, mißt die Bundesregierung den Rüstungskontrollverhandlungen, die in zwei Wochen in Genf beginnen, eine so große Bedeutung bei. Sie bieten nicht nur eine Chance für die Festigung des Friedens, sondern auch Möglichkeiten für den Fortschritt in den Beziehungen der beiden Staaten in Deutschland. Aus diesem Grund haben wir in Gesprächen in West und Ost, aber insbesondere in unseren Konsultationen mit unseren Bündnispartnern, vor allem mit den USA, auf die Aufnahme dieser Verhandlungen hingearbeitet.
    Die Verhandlungen werden langwierig und schwierig sein. Aber die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen, die wir als Kernstück des Ost-West-Dialogs verstehen, sind auf dem Weg — ich glaube, man kann das sagen — spürbarer Verbesserung.
    Wir sind zuversichtlich, daß die Genfer Rüstungskontrollgespräche letztlich zu einer Verbesserung unserer Sicherheit und zur Stabilisierung des Friedens in der Welt führen werden.
    Unsere anhaltenden Bemühungen um Dialog und Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarn verstehen wir als eine Ergänzung zum Gespräch der Weltmächte. Dabei wissen wir, daß wir diese bilateralen Möglichkeiten und auch unsere Beziehungen zur DDR nur dann erfolgreich nutzen können, wenn sie eingebunden sind in das weltpolitische Gesamtgespräch mit der Sowjetunion als unserem wichtigsten Nachbarn im Osten.
    Nur mit Zustimmung der Vier Mächte — also auch der Sowjetunion — wird das deutsche Volk die Chance der freien Selbstbestimmung erhalten. So lange aber bleibt dieser Anspruch auf der Tagesordnung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion. Die Führung der Sowjetunion weiß, daß das stets so war, seitdem wir diplomatische Beziehungen zueinander unterhalten.
    Es ist vielleicht richtig, einmal daran zu erinnern, daß in der Einladung an Konrad Adenauer vor bald 30 Jahren, in der Note vom 7. Juni 1955, die sowjetische Seite von sich aus die — ich zitiere wörtlich —,,Lösung des gesamtnationalen Hauptproblems des deutschen Volkes" zum Thema gemacht hat. Und beim Abschluß des Moskauer Vertrags vor 15 Jahren ist der Brief der Bundesregierung zur deutschen Einheit Teil des Vertragswerkes geworden.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Bei unseren Beziehungen zur Sowjetunion ging es von Anfang an immer auch, aber nie allein um politische, wirtschaftliche und kulturelle Fragen. Humanitäre Anliegen standen für uns stets mit im Vordergrund. Den Weg hat Konrad Adenauer gewiesen, als er sich bei seiner Moskau-Reise im September 1955 erfolgreich für die Freilassung der deutschen Kriegsgefangenen einsetzte, die bis dahin in der Sowjetunion zurückgehalten wurden.
    Meine Damen und Herren, humanitäre Fragen bewegen uns auch in unserer Zeit. Ich denke an den Wunsch vieler Deutscher und Sowjetbürger deutscher Nationalität, aus der Sowjetunion nach Deutschland ausreisen zu können. Bei meinem Besuch in der Sowjetunion im Juli 1983 habe ich die sowjetische Führung daran erinnert — und wir tun das in allen Gesprächen —, daß dies für uns ein ganz wesentlicher, ein entscheidender Punkt der gegenseitigen Beziehungen ist.
    Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern und anderen europäischen Ländern ist es uns gelungen, humanitären Fragen einen festen Platz im KSZE-Prozeß zu sichern. Sicherheit in Europa streben wir ja nicht um der Staatsapparate willen an, sondern zum Wohl der Völker, zum Wohl der Menschen: durch Selbstbestimmung, durch Freiheit und Menschenrechte.
    Die Schlußakte von Helsinki, am 1. August zehn Jahre alt, hat ein West-Ost-Rahmenprogramm formuliert, das unserer bilateralen wie multilateralen Deutschland- und Ostpolitik zusätzliche Impulse gibt. Erster Leitsatz dieser Politik ist das Recht aller Völker, in den Worten der Schlußakte — ich zitiere —, „in voller Freiheit, wann und wie sie es wünschen, ihren inneren und äußeren politischen Status ohne äußere Einmischung zu bestimmen".
    Fünftens. Wir haben das Geflecht der Beziehungen zwischen beiden Staaten in Deutschland gefestigt und verdichtet.
    Es kommt darauf an, Deutschlandpolitik in einen größeren Rahmen einzufügen, so daß ein Geflecht von Beziehungen bilateraler und multilateraler Art entsteht, das die Deutschlandpolitik trägt und absichert. Es wäre eine falsche Auffassung, daß uns schadet, was der DDR Nutzen bringt, oder daß uns nutzt, was der DDR schadet. Es gehört zu unserer Verantwortung für Deutschland und Europa und zum Anspruch an uns selbst, jene Felder zu vergrößern, auf denen eine Verflechtung der Interessen möglich ist. Wo sie möglich ist, sollte sie auch stattfinden. Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten sind durch beides bestimmt: durch Gegensätze und Gemeinsamkeit.
    Meine Damen und Herren, wir wollen Spannungen abbauen und Vertrauen schaffen. Dies ist nur zu erreichen durch mehr Kontakte zwischen den Menschen in West und Ost, durch mehr Freizügigkeit, mehr persönliche Freiheit für den einzelnen, durch bessere Reisemöglichkeiten.
    Die Teilung Deutschlands, die Teilung Europas ist auch deshalb ein Problem der Menschenrechte, weil es stets zur Instabilität führen muß, wenn den Menschen elementare Menschenrechte vorenthalten werden. Hierzu können, hierzu werden wir nicht schweigen. Als freier Teil eines geteilten Volkes bleiben wir verpflichtet, für die Menschenrechte aller Deutschen einzutreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Gerade für uns Deutsche in einem geteilten Land gilt es, Bedingungen zu schaffen, die die Grenzen durchlässiger machen und die Folgen der Teilung Deutschlands und Europas mildern. Wir wollen, daß die Menschen zueinander kommen können. Nicht Grenzen zu verschieben, sondern sie zu überwinden durch Menschlichkeit und Verständigung mit allen unseren Nachbarn, das ist der Kern der Deutschland- und Ostpolitik dieser Regierung.
    Menschliche Erleichterungen über die Trennlinie in Europa und in Deutschland hinweg sind für uns unerläßliche Voraussetzung für die Sicherung des Friedens und für mehr Stabilität in Europa. Deshalb bekennen wir uns zu einer Politik des Dialogs und der möglichen Zusammenarbeit mit der DDR. Der Grundlagenvertrag ist Basis und Rahmen für die Entwicklung der Beziehungen. Maßstab ist das Ziel dieses Vertrags, normale, wenn möglich gutnachbarliche Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland zu entwickeln.
    Beide Seiten sollten sich darum bemühen, die Politik des Dialogs auf allen Ebenen fortzuführen und auf viele Bereiche auszudehnen.
    Die Wiederaufnahme der Gespräche beider Weltmächte in Genf über Abrüstung und Rüstungskontrolle, ihr begonnener Meinungsaustausch über regionale Konflikte wie über die Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen sollten es allen unseren osteuropäischen Nachbarn ermöglichen, das direkte und persönliche Gespräch auch auf höchster Ebene wieder in Gang zu bringen. Die Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Weltmächten bedarf der Unterstützung und Untermauerung durch die europäischen Bündnispartner in Ost und West.
    Die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR bestehenden prinzipiellen Unterschiede sollen und können nicht verwischt werden. Sie brauchen aber der Lösung praktischer und vor allem humanitärer Fragen nicht entgegenzustehen. Wir wollen uns auf das Machbare konzentrieren. Beide Seiten dürfen sich in diesem Prozeß nicht überfordern.
    Jede Seite muß Leistungen einbringen. Sie setzen Vertrauen voraus und werden neues Vertrauen schaffen.
    Die Bundesregierung hat ihren Wunsch und ihre Bereitschaft zu Dialog und Zusammenarbeit mit der DDR u. a. durch die Garantie für die beiden Bankkredite signalisiert. Die Botschaft ist verstanden und mit einer Reihe positiver Gegensignale beantwortet worden.
    Diese Entscheidungen haben das Verhältnis zwischen den beiden Regierungen stabilisiert und zur Verstetigung der Beziehungen beigetragen.
    Trotz unleugbarer beträchtlicher Spannungen im Ost-West-Verhältnis hat unsere Deutschlandpolitik auch im letzten Jahr beachtliche Erfolge aufzuwei-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    sen. Trotz aller Prophezeiungen nach der Stationierung in der Bundesrepublik Deutschland im Blick auf eine neue Eiszeit sind 1984 über 40 000 deutsche Landsleute aus der DDR zu uns übergesiedelt. Wir begrüßen dies im Interesse der Betroffenen. Viele von ihnen sahen in einer Übersiedlung aus der DDR ihre letzte Hoffnung.
    Die Verantwortlichen in der DDR bleiben aufgerufen, durch tatsächliche Erleichterungen bei Besuchsreisen in die Bundesrepublik einen kräftigen Schritt nach vorn zu gehen, um den Druck zu mildern, den offenbar viele unserer Landsleute in der DDR empfinden.
    An dieser Stelle erlauben Sie mir ein Wort zu den Zufluchtsfällen in unseren Vertretungen, insbesondere in der Botschaft in Prag. Die Bundesregierung — ich will das hier wiederholen — hat immer wieder erklärt, daß dieser Weg ungeeignet ist, die Ausreise aus der DDR zu erzwingen. Von einem solchen Schritt kann nur abgeraten werden.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Aber auch diese Vorgänge zeigen eben mit aller Deutlichkeit, welche Auswirkungen es haben kann, wenn Menschen nicht ungehindert von dem einen in den anderen Teil Deutschlands reisen können

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) und in ihrer Not keinen anderen Ausweg sehen.

    Die DDR hat zugesagt, Reisen in dringenden Familienangelegenheiten großzügiger zu genehmigen. Hierzu paßt es nicht, daß 1984 weniger Besucher in dringenden Familienangelegenheiten zu uns kommen konnten als 1983.
    Erfreulich entwickelt hat sich dagegen der Reiseverkehr in die DDR. Die Bundesregierung hat es begrüßt, daß die DDR die Kinder vom Mindestumtausch wieder freigestellt und den Umtauschsatz für Rentner gesenkt hat. Eine Reduzierung des Mindestumtausches für alle Reisenden bleibt auch für die Zukunft ein wichtiges Ziel.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Die Abfertigung im Reise- und Besucherverkehr ist seit Mitte 1983 spürbar verbessert worden. Ich will an dieser Stelle unsere Mitbürger noch einmal ausdrücklich ermuntern und dazu aufrufen: Nutzen Sie die Chance, fahren Sie in die DDR, suchen Sie die Begegnung mit unseren Landsleuten dort, nutzen Sie vor allem die Möglichkeit, an Ort und Stelle einen persönlichen Eindruck zu gewinnen!
    Der Jugendaustausch hat sich 1984 auf seiten der Bundesrepublik erfreulich entwickelt. Rund 30 000 junge Menschen reisten in Jugendgruppen und Schulklassen in die DDR; mehr als je zuvor. Wir sollten bei diesen Zahlen nicht stehenbleiben. Ich möchte von hier aus Lehrer an deutschen Schulen, Schulleitungen und vor allem auch die Kultusministerien der Bundesländer bitten, diese Aufgabe als eine deutsche Aufgabe zu sehen und möglichst vielen jungen Leuten die Chance zu geben, in die DDR zu reisen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Andererseits ist es bedauerlich, daß die DDR seit dem letzten Frühjahr die Reisen zu uns gestoppt hat. Die dafür genannten Gründe sind für mich nicht stichhaltig. Die Bundesregierung unterstützt den Jugendaustausch auch weiterhin und fördert ihn auch finanziell. Ich hoffe, daß die Führung der DDR auf diesem Gebiet die Zusammenarbeit bald wieder aufnimmt.
    Am 30. November 1984 wurde — entsprechend der Ankündigung des Staatsratsvorsitzenden Honecker — der letzte der Selbstschußapparate an der Sperranlage der DDR an der Grenze zwischen den beiden Staaten in Deutschland abgebaut. Wir begrüßen das, aber wir wissen auch, daß die Grenze dadurch nicht durchlässiger geworden ist.
    Die menschenverachtenden Sperranlagen der DDR an den Grenzen mitten durch Deutschland zeigen mehr als alles andere, wie weit wir von Normalität immer noch entfernt sind. Es ist und bleibt unerträglich, wenn immer noch Bodenminen und Schießbefehl die Menschen daran hindern, von Deutschland nach Deutschland zu gehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Gewalt darf auch an der innerdeutschen Grenze kein Mittel der Politik sein.
    Es ist in den vergangenen Jahren gelungen, im Bereich des Umweltschutzes Bewegung in die Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen zu bringen. Umweltbelastungen — das erfahren wir täglich — machen an Grenzen nicht halt. Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg beim Umweltschutz gehört zur guten Nachbarschaft in Deutschland.
    Im vergangenen Jahr wurden die Verhandlungen über das sehr drängende, aber auch schwierige Problem der Maßnahmen zur Reduzierung der Salzbelastung von Werra und Weser fortgesetzt.
    Im Zusammenhang mit der Münchener Umweltkonferenz hat die DDR deutlich gemacht, daß sie tatkräftig Maßnahmen zur Lösung der immer dringlicher werdenden Probleme der zunehmenden Luftverunreinigung ergreifen will. Gerade hier sehe ich ein wichtiges Feld der Zusammenarbeit, das im Interesse beider Staaten, beider Seiten liegt.
    Ausdrücklich erinnern möchte ich daran, daß es Ende August 1984 zu einem ersten Gespräch von Forstexperten beider Seiten über Probleme der Waldschäden gekommen ist.
    Die Bundesregierung wird sich weiterhin bei der DDR für intensive Gespräche mit dem Ziel konkreter Verbesserungen einsetzen. Das gilt auch für die Bereiche, in denen sich bereits Gespräche von Experten beider Seiten ergeben haben: die Frage der Reinhaltung der Elbe, die Sicherheit kerntechnischer Anlagen sowie Maßnahmen zur Verhinderung und Bekämpfung von Waldschäden.



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Gut vorangekommen sind die Kulturverhandlungen. Sie sollten zügig und konstruktiv zu Ende gebracht werden. Die Bundesregierung wünscht, daß auch die Verhandlungen über das Wissenschaftsabkommen und das Rechtshilfeabkommen — ich möchte sagen: endlich — bald abgeschlossen werden.
    Ein wesentliches und stabiles Element der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland, meine Damen und Herren, ist der innerdeutsche Handel. Die Bundesregierung ist bereit, diese Wirtschaftsbeziehungen auf der Grundlage der bestehenden Abkommen weiter auszubauen. Im Jahre 1984 hat der innerdeutsche Handel insgesamt das 1983 erreichte hohe Niveau von über 15 Milliarden Verrechnungseinheiten gehalten. Dabei hat die DDR allerdings ihre Lieferungen an uns um etwa 10 % ausweiten können, während ihre Bestellungen bei uns deutlich geringer waren als im Jahre 1983. Für das jetzt laufende Jahr 1985 gibt es Anzeichen für eine wieder stärkere Einkaufstätigkeit der DDR, insbesondere auch im Bereich der Investitionsgüter, so daß nunmehr auch unsere Lieferungen in die DDR wieder ansteigen und die Lieferstruktur sich verbessern kann. Die Novellierung der Dienstleistungsvereinbarung dürfte den Wirtschaftsbeziehungen nach beiden Seiten hin zusätzliche positive Impulse geben.
    Meine Damen und Herren, Brennpunkt der ungelösten deutschen Frage und zugleich Gradmesser für den Stand der Beziehungen im West-Ost-Verhältnis ist und bleibt Berlin.
    Wir sollten uns gemeinsam darüber freuen, daß die Stadt wieder zu einem Anziehungspunkt geworden ist. Noch nie hat Berlin so viele Besucher gehabt wie 1984.

    (Regierender Bürgermeister Diepgen [Berlin] betritt den Sitzungssaal — Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schneider Berlin [GRÜNE]: Berlin ist wieder da!)

    Im vergangenen Jahr konnten wir auch die höchste Zahl von Reisenden seit Inkrafttreten des Transitabkommens von 1971 feststellen.
    Die Berlin-Politik der Bundesregierung ist darauf angelegt, die Lebensfähigkeit der Stadt zu sichern und Bedingungen zu schaffen, unter denen sie ihr Potential, ihre Kraft ungestört entfalten kann. Hierbei kommt der Entwicklung der Bindungen Berlins an die Bundesrepublik Deutschland und der Vertretung seiner Interessen durch den Bund nach außen vorrangige Bedeutung zu. Unsere Berlin-Politik — es ist wichtig, es wieder einmal zu wiederholen — hat die ungeteilte Unterstützung aller unserer Bündnispartner.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Bundesregierung tritt entschieden für die strikte Einhaltung und volle Anwendung des Viermächteabkommens vom 3. September 1971 ein. Die Sicherheit Berlins wird durch die Garantie der Drei Mächte und ihre Präsenz in Berlin gewährleistet.
    Die Entschlossenheit der Alliierten, auf ihren Rechten zu bestehen und ihren Verantwortlichkeiten nachzukommen, hat der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in seiner Neujahrsbotschaft an die Berliner Bevölkerung erneut eindeutig bekräftigt.
    Die Bundesregierung wird den Transitverbindungen nach Berlin weiterhin ihre besondere Aufmerksamkeit widmen. Die neue Autobahnverbindung zwischen Eisenach und Wartha sowie der Ausbau der Grenzübergangsstelle in Wartha haben zur Erleichterung des Transitverkehrs wesentlich beigetragen. Über eine Grunderneuerung des grenznahen Abschnitts der Autobahn Berlin-Hirschberg wird zur Zeit mit der DDR gesprochen. Für den Transitverkehr mit Berlin ist es besonders wichtig, daß sich die DDR im vergangenen Jahr bereit gefunden hat, den Grenzübergang Staaken für den Transitverkehr bis Ende 1987 offenzuhalten.
    Die Bundesregierung strebt auch die baldige Unterzeichnung von Vereinbarungen mit der DDR über die Verlegung eines Glasfaserkabels nach Berlin und den Bau einer zusätzlichen Richtfunkstrecke an.
    Die enge Zusammenarbeit von Bundesregierung und Berliner Senat hat auch zu einer wesentlichen Verbesserung des Wirtschaftsklimas und der Wirtschaftslage Berlins beigetragen. Ein wesentlicher Impuls ging dabei von der 2. Wirtschaftskonferenz in Berlin vom Juni 1984 aus, zu der ich gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister eingeladen hatte.
    Die Zahl der Betriebe ist 1984 erstmals seit 1945 wieder angestiegen. Erstmals nach langer Zeit sind wieder Vorstandsfunktionen deutscher Unternehmen nach Berlin verlegt worden. Der jahrelang anhaltende Rückgang der Zahl der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe ist gestoppt worden. Zum erstenmal seit über 10 Jahren hat die Zahl der industriellen Arbeitsplätze wieder zugenommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts übertraf den Bundesdurchschnitt ebenso wie die Zunahme von Investitionen, Auftragseingängen und Produktion.
    Insgesamt haben sich — dies ist klar erkennbar — die wirtschaftlichen Perspektiven Berlins deutlich verbessert, nicht zuletzt deshalb, weil die deutsche Wirtschaft die Standortvorteile, die Berlin vor allem im Bereich von Forschung und Entwicklung auszeichnen, erkannt und angenommen hat.
    Meine Damen und Herren, Berlin bleibt eine nationale Aufgabe. Die Bundesregierung wird daher in ihren Anstrengungen nicht nachlassen, ihren Beitrag zur Stärkung der Lebensfähigkeit der Stadt zu leisten und damit die Anziehungskraft Berlins zu fördern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die bevorstehenden Feiern zum 750. Geburtstag der Stadt bieten uns allen eine besondere Gelegenheit, unser Engagement für diese bedeutende und faszinierende deutsche Metropole neu zu bekräfti-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    gen. Als Geburtstagsgeschenk der Bundesrepublik Deutschland wollen wir in Berlin das Deutsche Historische Museum bauen und einrichten. Ein solches Haus gehört nach Berlin, in die alte Hauptstadt der Deutschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das Projekt selbst ist eine nationale Aufgabe von europäischem Rang. Es geht um die Schaffung einer Stätte der Selbstbesinnung und der Selbsterkenntnis, wo nicht zuletzt junge Bürger unseres Landes etwas davon spüren können — und sei es zunächst auch nur unbewußt —, woher wir kommen, wer wir als Deutsche sind, wo wir stehen und wohin wir gehen werden.
    Meine Damen und Herren, wohl kein anderes Feld der Politik braucht so viel Behutsamkeit und guten Willen aller Demokraten wie die Deutschlandpolitik; denn hier geht es im Kern um unsere nationale Identität und um unsere nationale wie europäische Bestimmung.
    Wo Deutschland selbst auf der Tagesordnung steht, sollte es möglich sein, die Parteien, die diese Republik von Anfang an mit aufgebaut haben, stets zuerst in Gemeinsamkeit zu sehen: bei der Suche nach dem, was uns verbindet, nicht — wozu wir sonst sicherlich manchmal neigen — nach dem, was uns trennt.
    Wenn es der Deutschlandpolitik gelingen soll, die Folgen der Teilung unserer Nation für die Menschen erträglicher zu machen und die Einheit der Nation zu wahren, dann bedarf sie des Rückhalts durch möglichst viele Abgeordnete des frei gewählten Deutschen Bundestages. Deshalb hat es die Bundesregierung vor einem Jahr begrüßt, daß sich die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP am 9. Februar 1984 auf einen gemeinsamen Entschließungsantrag zur Lage der Nation im geteilten Deutschland verständigen konnten.
    Meine Damen und Herren, heute wie in Zukunft sollte zwischen uns außer Streit bleiben, was der Deutsche Bundestag damals, vor einem Jahr, an den Anfang seiner Erklärung gestellt hat. Die Erklärung sagte:
    Unser Land ist geteilt, aber die deutsche Nation besteht fort. Aus eigener Kraft können wir Deutschen den Zustand der Teilung nicht ändern. Wir müssen ihn aber erträglicher und weniger gefährlich machen. Ändern wird er sich nur im Rahmen einer dauerhaften Friedensordnung in Europa. Es bleibt unsere Aufgabe, „auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt". Der Deutsche Bundestag bekräftigt das dem deutschen Volk zustehende Recht auf friedliche Verwirklichung seines Selbstbestimmungsrechts.
    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird versuchen, ihren Beitrag zu diesem geschichtlichen Auftrag zu leisten.

    (Lang anhaltender Beifall bei der CDU/ CSU und der FDP)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Apel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Apel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Für viele Deutsche ist im Gegensatz zur Wende in der Sozial- und der Gesellschaftspolitik die Wende in der Deutschlandpolitik ausgeblieben. Es scheint so, als würde unsere Politik, die wir in der sozialliberalen Koalition entwickelt haben, ihre Fortsetzung in der Koalition von CDU/CSU und FDP finden.
    Herr Kollege Dr. Barzel, Sie haben am Tage des Mißtrauensvotums gegen den Bundeskanzler Helmut Schmidt damals, vor nun bald 29 Monaten, unsere Deutschlandpolitik als „Kasse gegen Hoffnung" bezeichnet. Sie wissen genau, Herr Kollege Barzel und Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, daß diese Bezeichnung für unsere Deutschlandpolitik falsch war.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Aber richtig ist, daß Sie heutzutage in der Tat „Kasse gegen Hoffnung" als Element Ihrer Politik versuchen.

    (Beifall bei der SPD)

    Mit 2 Milliarden DM verbürgter Kredite haben Sie versucht, Bewegung in die Deutschlandpolitik zu bringen.
    Man kann die Leistungen der DDR unterschiedlich beurteilen. Letztendlich aber sind Ergebnisse zustande gekommen, die wir begrüßen, weil sie den Menschen in beiden deutschen Staaten zugute kommen, z. B. 40 000 Ausreisen, allerdings — und das muß kritisch angemerkt werden — nicht nur aus humanitären Gründen. Es sind auch viele Bürgerinnen und Bürger aus der DDR ausgereist aus innerstaatlichen Gründen: weil es im Interesse der DDR richtig war, diese Bürgerinnen und Bürger zur Ausreise zu veranlassen. Damit bleiben eine ganze Reihe von wichtigen menschlichen Problemen der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland ungelöst.
    Wir verkennen auch nicht, daß die Senkung des Mindestumtausches für Rentner und Jugendliche möglich war. Der Bundeskanzler hat von dem Abbau der Todesautomaten gesprochen, auch wenn die Grenze durch die neuen Bauten unüberwindlicher geworden ist. Wir stehen auch nicht an, zu sagen, daß das neue Postabkommen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland sachgerecht und nützlich ist. Wir haben ihm zugestimmt, obwohl die von uns zu zahlende Postpauschale um 250 %, um das Zweieinhalbfache, gesteigert wurde. Ich möchte hier nur am Rande anmerken, was uns wohl passiert wäre, wenn wir als sozialliberale Koalition dieses Ergebnis vorgelegt hätten, mit welchem Wehgeschrei und Protestgeschrei Sie diese Entscheidung begleitet hätten.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber, meine Damen und Herren, damit das klar ist: Ergebnisse in der Deutschlandpolitik verlieren für uns nicht an Wert dadurch, daß eine andere



    Dr. Apel
    Bundesregierung sie erreicht. Aber wir bleiben dabei: Wir sind stolz darauf, daß wir die Grundlagen dieser Politik gelegt haben. Wir nehmen zur Kenntnis — und es bleibt historische Wahrheit —, daß Sie diese Politik 13 Jahre erbittert bekämpft haben. Aber Deutschlandpolitik ist zu wichtig, zu ernst und von zu großer Verantwortung gegenüber den Menschen in der DDR geprägt, als daß sie vom Parteienstreit bestimmt werden darf. Deshalb — und darauf lege ich nach Pressemeldungen, die ich heute morgen gelesen haben, großen Wert — bleibt es auch zwischen der Regierungskoalition und der Opposition unbestritten, daß wir unser Grundgesetz nicht ändern werden, um unser Staatsbürgerschaftsrecht zu modifizieren. Es geht um Respektierung, nicht um Änderung, und die DDR weiß ganz genau, daß es um Respektierung und nicht um Anerkennung geht.
    Nach der Wende haben führende Mitglieder der Union die wesentlichen Grundlagen unserer realistischen Deutschlandpolitik klar ausgesprochen, sich auf die Logik unserer Deutschland- und Ostpolitik berufen und diese Logik für ihre Politik in Anspruch genommen — erstmals nach 13 Jahren Gegnerschaft. Wir sind froh darüber. Lange genug hat das deutsche Volk auf diese Kehrtwendung gewartet.

    (Beifall bei der SPD)

    „Wiedervereinigung steht nicht auf der Tagesordnung der Weltgeschichte", so der Bundeskanzler. Heute, Herr Bundeskanzler, habe ich Ihrem Bericht folgende Zitate entnommen: Es geht um Selbstbestimmung und Menschenrechte, es geht nicht um Grenzen und nicht um Souveränität. Herr Bundeskanzler, diesen Feststellungen, die Sie hier getroffen haben, möchten wir ausdrücklich zustimmen.

    (Beifall bei der SPD)