Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Verehrte Frau Kollegin Fuchs, in welcher Schublade, weiß ich nicht; die Schublade des Kabinetts hat dieser Gesetzentwurf jedenfalls nie erreicht, und erst ab da beginnen Gesetze in der Öffentlichkeit relevant zu werden.
Wenn wir schon über Erziehungszeiten sprechen, muß man, so finde ich, auf das Baby-Jahr Bezug nehmen, das Sie 1972 vorgeschlagen haben. Da will ich Ihnen den Unterschied nennen: Er ist wie der Unterschied zwischen einem Fahrrad, dem alle Reifen fehlen, und einem anständigen Automobil.
Das ist der Unterschied zwischen Ihrem Baby-Jahr und unseren Erziehungszeiten!
Erstens war Ihr Baby-Jahr nur für die berufstätigen Frauen gedacht. Ich wende mich an alle Frauen mit der Frage, ob sie ein solch diskriminierendes Gesetz als ein Reformgesetz betrachten würden. Es war ein Gesetz nur für berufstätige Frauen, und zwar nur für diejenigen, die einen Anspruch auf Rente hatten. Um in die Altersrente zu kommen, mußte man damals 15 Jahre Beitrag gezahlt haben. Also ein Baby-Jahr zum einen nur für berufstätige Frauen und zum zweiten noch nicht nicht einmal für alle berufstätigen, sondern nur für die, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllten, also nur für einen Teil der Gruppe der Frauen und dann nur für einen Teil dieses Teils! Weiter verkleinern kann man den Kreis ja nicht.
Zweitens war das Baby-Jahr je nach Rentenhöhe unterschiedlich. Es betrug für die einen 1,20 DM im Monat und für die anderen 23 DM. Für uns ist Kind Kind, bei uns bekommt jede Mutter auf der Grundlage von 75% Durchschnittsverdienst 25 DM.
1,20 DM haben Sie als Baby-Jahr angeboten! Da braucht einer ein Vergrößerungsglas, da ist das Wort größer als die ganze Geldleistung.
Das Porto wäre größer gewesen als die ganze Rentenleistung. Da kommen Sie heute her und machen mir Vorwürfe über die Anrechnung von Erziehungszeiten, die wir jetzt einführen.
Drittens, meine Damen und Herren — und jetzt hören Sie und staunen —: Herr Glombig hat sich erregt, daß nicht klar sei, wer es 1989 bezahlt. Ich stelle fest, im Gesetzentwurf steht drin: Dies wird durch Erhöhung des Bundeszuschusses bezahlt und der Rentenversicherung erstattet. Bitte, keine Legenden!
Ich nenne das auch deshalb, weil die SPD in ihrem Regierungsentwurf 1972 dies von den Beitragszahlern bezahlen lassen wollte. Herr Glombig, warum erzählen Sie nicht die ganze Geschichte? Das hätte die Rentenversicherung bis 1986 18 Milliarden DM gekostet. Woher nehmen Sie eigentlich so viel — jetzt will ich ein ganz vorsichtiges Wort suchen — Mut, sich hier hinzustellen und etwas zu attackieren, was in unserem Gesetzentwurf nicht vorhanden ist, aber in Ihrem Gesetzentwurf enthalten war? Betreiben Sie Selbstanklage, oder haben Sie die Adresse verwechselt? Sie schießen ein Selbsttor.
Nächster Punkt. In der Tat, bei unserem Erziehungsjahr geht es auch nur um die Zukunft. Diesen Nachteil — und den mache ich Ihnen gar nicht zum Vorwurf — hatte allerdings auch das 1972 von der SPD vorgeschlagene Baby-Jahr. Ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf, weil wir ein hundertjähriges Unrecht gegenüber den Müttern nicht 100 Jahre danach wettmachen können. Dazu fehlt uns die Finanzkraft. Wer jetzt Gleichbehandlung über alle schreibt, muß die Gleichbehandlung zum Nulltarif fortsetzen, der muß das Unrecht fortsetzen. Das wollen wir nicht. Die Sozialpolitik, die nach dem Motto „alles oder nichts" arbeitet, landet bei nichts. Wir machen das Schritt für Schritt. Deshalb werden alle ab Jahrgang 1921, die in Rente gehen, ein Erziehungsjahr bekommen.
Jetzt appelliere ich auch die Großmütter. In der Tat fehlt uns das Geld, um 100 Jahre Unrecht wettzumachen. Aber ist es für sie nicht — ich benutze das Wort — ein starker Trost, daß ihren Kindern und Enkeln gegenüber dieses Unrecht nicht fortgesetzt wird, daß die CDU damit Schluß macht? Das ist eine Jahrhundertleistung. Solange es Sozialversicherung gab, gab es das nie. Ab jetzt wird, wenn das Gesetz hier die Zustimmung des Hohen Hauses findet, endlich Erziehung im Rentenrecht berücksichtigt, wird endlich die Erziehungsarbeit auch für die Rentenversicherung gewertet. Und ich denke, die Mütter müssen gar nicht danke schön sagen; denn sie haben mit der Erziehung von Kindern überhaupt erst die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß übermorgen noch Renten finanziert werden.