Rede von
Dr.
Peter
Mitzscherling
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ohne jeden Zweifel wird die Verschuldungsproblematik das Hauptthema der Tagung sein; denn die Schuldenpyramide wächst weiter, und von vielen Entwicklungsländern können Zinsen und Tilgungen nur mit neuen Krediten der internationalen Banken geleistet werden. Diese Kredite sind aber immer schwieriger zu bekommen. Deshalb sind auch „Unfälle" — ich zitiere den Sprecher der Deutschen Bank, Herrn Dr. Guth — auf Grund politischer Entwicklungen in den Schuldnerländern, steigender Zinssätze usw. nicht auszuschließen. Was heißt das, „Unfälle"? — Unfälle wie Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit, Zusammenbrüche von Banken, die nicht genügend Risikovorsorge getroffen haben — das sind insbesondere die Banken in den Vereinigten Staaten — und mögliche Kettenreaktionen —, auch bei uns.
Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank sagen in ihren Berichten, daß die Probleme nur lösbar seien, wenn erstens die Industrieländer ein reales Wirtschaftswachstum von mindestens 3 % jährlich erreichen und so den Entwicklungsländern Exportchancen bieten; wenn zweitens die historisch hohen Realzinsen nachhaltig sinken und wenn drittens ein Auswuchern des Protektionismus verhindert wird.
Das sind drei große Wenn. Erstens. Ein kräftiges Wachstum findet zur Zeit nur in den Vereinigten Staaten und in Japan statt. Wie lange, das weiß niemand. Ob das wachstumsschwache Europa dann plötzlich als Lokomotive für die Weltwirtschaft vorprescht und die anderen ablöst, ist äußerst fraglich. Geschieht dies nicht, dann sieht es, wie Herr Stoltenberg kürzlich in einem Interview erklärte, zappenduster aus. Zweitens. Werden die Realzinsen nachhaltig sinken, insbesondere in den Vereinigten Staaten? Niemand weiß das. Drittens. Freier Welthandel? — Nun, der Protektionismus breitet sich überall aus, vor allem in den Vereinigten Staaten.
Wir haben die Finanz- und Geldpolitik der USA hier schon sehr oft diskutiert und kritisiert, weil sie für die Entwicklungsländer, aber auch für Europa schädliche Folgen hat, nämlich überhöhte Zinsen und einen überhöhten Dollar.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, neigen in letzter Zeit dazu, vor allem die Exporterfolge dieses hohen Dollars zu bejubeln. Der Sachverständigenrat seinerseits hat erklärt, daß per saldo die Nachteile für Europa und für die Entwicklungsländer überwiegen. Es besteht somit kein Anlaß, sich zufrieden zurückzulehnen.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion erwartet von der Bundesregierung bei den anstehenden Verhandlungen erstens, daß sie massiven Druck auf die Vereinigten Staaten ausübt, ihren ausschließlich an eigenen Interessen orientierten Wirtschaftskurs zu ändern, damit weltweit die Zinsen sinken können; denn ohne Realzinssenkung ist eine Lösung der Verschuldungsprobleme nicht möglich, auch nicht eine fortgesetzte wirtschaftliche Erholung in Europa.
Wir erwarten zweitens Druck auf die Vereinigten Staaten, daß sie auf den Protektionismus in ihrem Lande verzichten.
Wir erwarten drittens, daß auf die Regierung der USA auch Druck ausgeübt wird, den US-Banken mehr Risikovorsorge und die Abschreibung fauler Kredite über einen längeren Zeitraum hinweg vorzuschreiben.
Gestatten Sie mir die Anmerkung: Es ist unvertretbar, daß bei uns die Banken riesige Rücklagen bilden und sich mit Hilfe des Fiskus und damit auch auf Kosten der Steuerzahler gegen Risiken absichern, daß aber in Amerika nichts geschieht, weil die Aktionäre bedient werden wollen.
Wir erwarten ferner von der Bundesregierung, daß sie auf die Vereinigten Staaten einwirkt, sich an der Erarbeitung eines langfristig tragfähigen Konzepts zur Lösung der Verschuldungsprobleme zu beteiligen, und zwar gemeinsam mit den Entwicklungsländern.
Die SPD-Fraktion hat mit dem Zukunftsprogramm „Dritte Welt" ihre ersten Vorschläge zur Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Entwicklungsländer vorgelegt.
Von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, haben wir Wegweisendes bisher noch nicht zur Kenntnis nehmen dürfen.
Ich möchte offen sagen — da sollen wir uns auch nichts vormachen —: Was jetzt in Washington geschieht, wenn dort über Sonderziehungsrechte oder Quotenerhöhungen diskutiert wird, sind letztlich doch nur Versuche, mit der Schaffung von neuem Geld die Zahlungsunfähigkeit vieler großer Schuldner aus der Dritten Welt zu verbergen, damit die Finanzwelt der Industrieländer nicht in Unordnung gerät.