Rede:
ID1008103500

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 5
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Bundeskanzler.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/81 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 81. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 12. September 1984 Inhalt: 35 Jahre Deutscher Bundestag 5855 A Genesungswünsche für Vizepräsidentin Frau Renger 5855 C Verabschiedung von Direktor a. D. Dr Schellknecht und Einführung von Direktor Dr. Bäcker 5855 D Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Schulze (Berlin) 5855 D Begrüßung einer Delegation beider Häuser des japanischen Parlaments . . . . 5868 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 (Haushaltsgesetz 1985) — Drucksache 10/1800 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1984 bis 1988 — Drucksache 10/1801 — Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 5856 A Dr. Apel SPD 5869 A Dr. Waigel CDU/CSU 5880 B Verheyen (Bielefeld) GRÜNE 5889 B Hoppe FDP 5893 B Brandt SPD 5896 A Dr. Kohl, Bundeskanzler 5902 A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 5915 D Genscher, Bundesminister AA 5920 C Stobbe SPD 5929 C Dr. Barzel CDU/CSU 5933 B Bahr SPD 5939 D Rühe CDU/CSU 5942 D Büchler (Hof) SPD 5945 D Nächste Sitzung 5948 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 5949* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 5949* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. September 1984 5855 81. Sitzung Bonn, den 12. September 1984 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 79. Sitzung, Seite 5806*: Der Name „Schulte (Unna)" in der Liste der entschuldigten Abgeordneten ist zu streichen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens** 13. 9. Antretter** 14. 9. Dr. Ehmke (Ettlingen) 12. 9. Eigen 14. 9. Dr. Enders** 12. 9. Haase (Fürth) ** 14. 9. Dr. Hackel** 14. 9. Dr. Holtz** 13. 9. Jaunich 14. 9. Junghans 14. 9. Dr. Klejdzinski** 14. 9. Dr. Müller** 14. 9. Reddemann** 14. 9. Frau Renger 14. 9. Reuschenbach 14. 9. Sauermilch 14. 9. Schäfer (Mainz) 14. 9. Schmidt (Hamburg) 14. 9. Schmidt (München) ** 14. 9. Frau Schoppe 14. 9. Schwarz** 14. 9. Dr. Stark (Nürtingen) 14. 9. Graf Stauffenberg* 14. 9. Weiskirch (Olpe) 14. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 7. bis 11. Mai 1984 in Straßburg (Drucksache 10/1570) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften (Berichtszeitraum Oktober 1983 bis März 1984) (Drucksache 10/1622) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Stellungnahme der Bundesregierung zu den Berichten der fünf an der Strukturberichterstattung beteiligten Wirtschaftsforschungsinstitute (Strukturberichte 1983) (Drucksache 10/1699) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß Fünftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1982/1983 (Drucksache 10/1791) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zum Abschluß des Verfahrens der Konsultation des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine vierte Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 74/651/EWG über Steuerbefreiungen bei der Einfuhr von Waren in Kleinsendungen nichtkommerzieller Art innerhalb der Gemeinschaft (Drucksache 10/1711) zuständig: Finanzausschuß Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zu den Beschlüssen von Fontainebleau (Drucksache 10/1840) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zur Sicherung der Zukunftschancen der Jugend in Ausbildung und Beruf (Drucksache 10/1716) zuständig: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Unterrichtung durch die Bundesregierung: Ergänzende Stellungnahme zum Bericht der Bundesregierung zur zukünftigen Entwicklung der Großforschungseinrichtungen (Drucksache 10/1771) zuständig: Ausschuß für Forschung und Technologie (federführend) Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Ergänzender Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Darlehensförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) (Drucksache 10/1734) zuständig: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Nordatlantischen Versammlung über die Sondersitzung der Nordatlantischen Versammlung am 28. Mai 1984 in Luxemburg (Drucksache 10/1785) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über den 1. Teil der 30. ordentlichen Sitzungsperiode der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 18. bis 21. Juni 1984 in Paris (Drucksache 10/1786) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die künftige Gestaltung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes", hier: Rahmenplan 1985 bis 1988 (Drucksache 10/1832) zuständig: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß Der Präsident hat gemäß § 92 der Geschäftsordnung die nachstehende Vorlage überwiesen: Aufhebbare Sechsundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung und Aufhebbare Dreiundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste (Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung) (Drucksache 10/1860) 5950* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. September 1984 Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum möglichst bis zum 6. Dezember 1984 vorzulegen. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat mit Schreiben vom 28. Juni 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Berichterstattung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung über die nachstehende Vorlage absieht: Entschließung des Europäischen Parlaments zum Mandat vom 30. Mai 1980 (Drucksachen 9/1835, 10/358 Nr. 47) Der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 3. September 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Berichterstattung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung über die nachstehenden Vorlagen absieht: Bericht über die tatsächlich entstandenen Kosten des Fünften Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (Drucksachen 9/1209, 10/358 Nr. 63) Weiterer Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des § 12a des Tarifvertragsgesetzes — TVG — (Artikel II § 1 des Heimarbeitsänderungsgesetzes) (Drucksachen 9/993, 10/358 Nr. 62) Die in Drucksache 10/1510 unter Nummer 8 aufgeführte EG-Vorlage Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates über Maßnahmen zur Deckung des Ausgabenbedarfs des Haushaltsjahres 1984 in Anbetracht der völligen Ausschöpfung der eigenen Mittel — KOM (84) 250 endg. — ist als Drucksache 10/1792 verteilt. Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vom 27. Juli 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Behandlung der nachstehenden EG-Vorlagen abgesehen hat: Vorschlag für eine Verordnung (EURATOM, EGKS, EWG) des Rates zur Angleichung der Berichtigungskoeffizienten, die auf die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften anwendbar sind — KOM (84) 257 endg. — (Drucksache 10/1691 Nr.2) Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Anpassung des Berichtigungskoeffizienten, der auf die Bezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften in Varese anwendbar ist (Drucksache 10/1510 Nr. 9) Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 13. Juli 1984 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1984 nebst Anlagenband und den Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1984 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Wirtschaftsplan, Anlagenband und Stellenplan liegen im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus. Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 17. Juli 1984 gemäß § 32 Abs. 6 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Jahresabschluß der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1982 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Jahresabschluß liegt im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus. Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 3. September 1984 unter Bezugnahme auf § 19 Abs. 6 des Postverwaltungsgesetzes den Geschäftsbericht der Deutschen Bundespost über das Rechnungsjahr 1983 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Geschäftsbericht liegt im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Willy Brandt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben der Gefährdung der Umwelt, neben der Arbeitslosigkeit und Ungewißheiten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit gibt es in diesem Augenblick nichts, was viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger so interessiert wie die rapide verschlechterte weltpolitische Lage, nun auch ganz akut in ihrer Auswirkung auf das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten. Es gibt Grund zu ernster Besorgnis, und zwar unabhängig davon, ob wir hier im Bundestag zur Mehrheit oder zur Minderheit gehören. Aber es gibt auch die alte, immer noch einmal bestätigte Erfahrung, daß einem dauerhafter Erfolg nicht beschieden ist, wenn man einander widersprechende Ziele verfolgt.
    Auch der Bundeskanzler hat erfahren müssen, daß man auf einmal viel Durcheinander haben kann. Über kritische Stimmen dürfte er, der Bundeskanzler, sich eigentlich nicht wundern; denn man kann doch nicht gut einen Besuch erst zerreden lassen, bevor er überhaupt stattgefunden hat,

    (Beifall bei der SPD)

    bedauern, daß er nicht stattfindet und gleichzeitig zweckoptimistisch so tun, als stehe gleichwohl alles zum besten, die Absage auffangen wollen, indem man auf einen sicher bevorstehenden osteuropäischen Besuch verweist, um dessen Absage dann dafür ins Feld zu führen, daß man die sowjetische Politik schon immer richtig eingeschätzt habe.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Realistische Klarheit mußte ergeben, daß wir von den Folgen des neuen Kalten Krieges zwischen den Weltmächten nicht verschont bleiben würden.
    Meine Damen und Herren, auf einem solchen Feld Recht zu bekommen, macht keinen Spaß. Ich hätte lieber gesehen, wir hätten hier nicht Recht bekommen. Aber bei allem Verständnis für Unbekümmertheit und fröhliches Gemüt: Daß auf dem Gebiet der Deutschlandpolitik und der Ostpolitik nichts kaputtgegangen sei, wird man ernsthaft nicht vorbringen können.

    (Beifall bei der SPD)

    Und daß sich die Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen erneut gerade auch zu Lasten der Deutschen auswirkt, läßt sich schlechterdings nicht bestreiten. Die deutsche Politik hat es mit einem Rückschlag zu tun; es hat keinen Sinn, das wegreden zu wollen.
    Doch ich denke nicht daran, hier einseitige Schuldzuweisungen vorzunehmen.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Aha!)

    Wenn es bei Regelungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland vorangehen soll, sind mindestens zwei Seiten gefordert, in Wirklichkeit noch mehr. Doch aus unserem parlamentarischen Auftrag ergibt sich zwingend, auch darüber offen zu reden, ob auf unserer, der bundesrepublikanischen, Seite alles so gelaufen ist, wie es hätte laufen sollen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Bei der SPD bestimmt nicht!)

    Zunächst komme ich allerdings zu dem, was manche Übervereinfacher seit der Absage vom vorigen Dienstag vorzubringen hatten. Da hört man, der Staatsratsvorsitzende von drüben, Herr Honecker also, habe aus Moskau die Order bekommen, nicht zu reisen. So leicht glauben manche dann, die Welt wieder stimmig erscheinen lassen zu können.
    Gewiß, ohne Einwirkung von außen hätte ja wohl die DDR ihre Sportler auch gern nach Los Angeles geschickt. Aber — ohne Vergleich im übrigen —: Hätten wir wohl ganz ohne Ratschläge von außerhalb beschlossen, den vorigen Olympischen Spielen fernzubleiben?

    (Beifall bei der SPD)

    Die Abhängigkeit von anderen ist ein Gesetz dieser Zeit; anderswo zweifellos mit erheblich anderer Ausprägung als bei uns im Westen.

    (Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Merkwürdiger Vergleich! — Dr. Schäuble [CDU/ CSU]: Das nennt man wohl Äquidistanz!)

    Deutschland nicht mehr als nötig abhängig bleiben zu lassen, gehört zum Inhalt der Politik zurückliegender Jahre.

    (Dr. Hackel [CDU/CSU]: Gefährlich, was Sie sagen! Diese Gleichsetzung ist ja beschämend!)

    Die Dinge sind komplizierter, als sie von denen mit den ganz simplen Antworten dargestellt werden. Dies waren sie auch schon im vorigen Jahr, als man unsereinem die Einschätzung nicht abnehmen wollte, die zusätzliche Stationierung auf beiden Seiten und die zunehmende Vereisung zwischen den Weltmächten würden uns in Mitleidenschaft ziehen. Im November vergangenen Jahres, in der Stationierungsdebatte, habe ich gefragt, ob es wirklich notwendig sei, daß Europa noch einmal stärker auseinandergerissen werde, statt endlich wieder und weiter auf dem Wege der Zusammenarbeit und des Abbaus von Spannungen voranzukommen. Aus dem Lager der Regierung oder der Regierungsmehrheit in diesem Hause ist solchen von Sorge getragenen Fragen, milde gesagt, wenig Verständ-



    Brandt
    nis entgegengebracht worden. Der Sprecher der Union — ich denke, es war der Kollege Rühe — hat mir in jener Debatte entgegengehalten, es sei vorgesorgt; die befürchtete Belastung des Ost-West-Verhältnisses werde nicht stattfinden.
    Der Bundeskanzler hat bis in die vorletzte Woche ziemlich ungnädig bis beleidigt auf alles reagiert, was sich ihm wie ein Angriff auf seine unbeschwerte Weltsicht darstellte.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Dann plötzlich hörte man Herrn Kohl am Freitag in der norwegischen Hauptstadt erklären, die Absage oder, wie er sagte, Verschiebung werde man — ich zitiere — „der gespannten Atmosphäre zurechnen müssen, die die Relationen der letzten Jahre zwischen den Großmächten geprägt habe". Dagegen läßt sich gewiß nichts sagen. Aber wenn das so ist, stimmt es nicht mit vielem von dem überein, was aus dem Regierungslager vorgebracht wurde, als es so aussah, der Honecker-Besuch werde mit Aussicht auf Erfolg vorbereitet.
    Ich bin bei einem der inhaltlichen, wie ich meine: konzeptionellen Fehler, über die hier geredet werden muß. Teile der Union und der gegenwärtigen Bundesregierung jedenfalls haben kaum zur Kenntnis nehmen wollen, in welchem Maße die Deutschlandpolitik weiterhin in die weltweiten Probleme von Rüstung und Spannung, Entspannung und Abrüstung eingebunden ist. Ich denke, es wäre eine Illusion, in der Mitte Europas ein besonderes deutsch-deutsches Verhältnis kultivieren zu können, wenn man im übrigen die Politik einer weiteren Konfrontation für unvermeidbar hält.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Illusionen haben wir nie gehabt!)

    Deutsch-deutsche Politik ohne eine Entspannung in Europa hängt in der Luft. Verankert in den Realitäten ist sie im übrigen nur, wo es gelingt, sie nach der einen wie nach der anderen Seite hin abzusichern. Widerspruch muß übrigens auch geltend gemacht werden, wo immer mal wieder die Illusion auftaucht, im Umgang mit kommunistisch regierten Staaten lasse sich mit Geld so gut wie alles erreichen.

    (Beifall bei der SPD)

    Im Verhältnis zwischen Vertretern unterschiedlicher gesellschaftlicher Ordnungen gibt es Positionen, die sich nicht abkaufen lassen. Das gilt übrigens auch für beide Seiten.
    Nun gibt es anderswo Leute, die es für angebracht halten, das Gespenst des Revanchismus wieder in Bewegung zu setzen. Für die deutschen Sozialdemokraten sage ich: Wir weisen diese Kampagne zurück.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Wir weisen sie zurück, wo sie sich allgemein an die Adresse der Bundesrepublik Deutschland wendet, die große Mehrheit unserer ostdeutschen Landsleute ausdrücklich einbezogen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir weisen diese Kampagne auch da zurück,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Warum denn diese Einschränkung?)

    wo sie sich pauschal gegen die Bundesregierung richtet. Ich weiß nicht, was Sie eigentlich dagegen vorzubringen haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir lassen das, was wir vorzubringen haben, nicht durch das kompromittieren, was sich wie ein peinliches Aufwärmen antideutscher Stimmungen und Vorurteile ausnimmt. Deutsche Sozialdemokraten sind auch in dieser Situation zur Stelle, die große überwältigende Mehrheit ihres Volkes vor abwegigen, ungerechten Beschuldigungen in Schutz zu nehmen.

    (Beifall bei der SPD — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Wurde denn das Volk beschuldigt?)

    Es stünde dem Bundeskanzler nicht schlecht zu Gesicht, wenn er auch den Teil unseres Volkes, der durch die Sozialdemokraten repräsentiert wird, nicht mit abstrusen Beschuldigungen überzöge.

    (Beifall bei der SPD)

    Dieser Tage haben wir ja auch wieder mancherlei Unfreundliches aus nicht-östlichen Ecken nachlesen müssen und registrieren können. Das mag denen zu denken geben, die meinen, beim jeweiligen 40. oder 50. Jahrestag die schlimme Vergangenheit ganz und gar hinter sich gelassen zu haben, das Geburtsjahr vor sich hertragen und den Blick nur noch — mehr oder weniger entschlossen — nach vorne richten zu können.

    (Beifall bei der SPD)

    Man läßt uns nicht. Die immer wieder neue Auseinandersetzung mit den Außenfaktoren, von denen die deutsche Zukunft eben entscheidend abhängt, bleibt uns nicht erspart, auch nicht die geduldige, die beharrliche Auseinandersetzung mit wichtigen Auslandskräften, die uns ungerecht beurteilen. Aber immerhin: Anfang der 70er Jahre hat unsere Vertragspolitik objektiv dazu geführt, daß die sowjetische Führung und ihre Paktpartner die antideutsche Karte aus dem Spiel nahmen. Das gehört zu unserer positiven Hinterlassenschaft. Die antideutsche Karte ist jetzt leider wieder im Spiel drin. Sich bloß darüber zu erregen, reicht als Ersatz für politisches Handeln nicht aus.

    (Beifall bei der SPD)

    Anfang der 60er Jahre hatte es eine Bundesregierung, der ich dies jetzt nicht weiter ankreiden will, versucht, Ostpolitik gewissermaßen um die DDR herum zu machen. Die Rechnung ging nicht auf. Heute ist vor dem Irrglauben zu warnen, Deutschlandpolitik lasse sich an der Sowjetunion vorbei machen.

    (Beifall bei der SPD)

    Denn diese Rechnung ginge ebenfalls nicht auf. Als einer, der 1967 als Außenminister die Beziehungen zu Rumänien aufgenommen hat, und der sich natürlich freut, wenn der erste Mann von dort zu uns



    Brandt
    kommt, will ich hinzufügen: Hoffentlich versteht man es, jenen willkommenen Besuch richtig einzuordnen, und verzichtet darauf, ihn gegen andere auszuspielen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, wer sich über die friedliche Zukunft der Deutschen Gedanken macht, ist alles andere als ein Revanchist. Auch nicht derjenige ist es, der durch Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten das Leben der Menschen erleichtern und die Situation in Europa entlasten will. Nicht nur mit Moskau, auch mit den anderen Hauptstädten der Staaten des Warschauer Paktes muß hierüber und über vieles mehr, vor allem über solches, was nach vorn führt, neu gesprochen werden. Dies gilt nicht zuletzt für Warschau, übrigens auch in Erinnerung daran, daß von dort, von Warschau, schon in den 50er Jahren jene Aufforderung zum europäischen Sicherheitsdialog ausging, für den die Zeit damals leider nicht reif war und heute hoffentlich nicht schon wieder vorüber ist.
    Die Aufrichtigkeit gebietet, dies hinzuzufügen: Für die deutsche Sache im ganzen und für die Deutschen dort, wo sie heute leben, bewirken wir nichts, jedenfalls nichts Gutes, wenn wir an der Oder-Neiße-Grenze — und sei es auch nur verbal — herummachen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN sowie der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

    Man setzt sich — ich möchte auch das in aller Offenheit sagen dürfen — Fehldeutungen aus, wenn man am 2. September für Ostdeutschland in Anspruch genommen wird, aber am 1. September zur 40. Wiederkehr des Tages, an dem Polen überfallen wurde, nichts zu erklären hatte.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Eine Kollegin aus der Fraktion der GRÜNEN hat im Vorfeld dieser Debatte für mich erstaunliche Erwartungen gegenüber der SPD zum Ausdruck gebracht. Da war zu lesen — wenn ich es richtig verstanden habe, Frau Kollegin Vollmer —, die SPD habe eine Deutschlandpolitik geführt, die die von der CDU-geführte Regierung bruchlos übernommen habe. Die SPD hätte, so hieß es, den Widerspruch zur CDU in der Frage der deutschen Einheit längst deutlich machen müssen.
    Worum ging es wirklich in den 60er Jahren? Der Meinungsstreit darüber, ob und welche Chancen es in den frühen 50er Jahren gegeben haben könnte, war unfruchtbar geworden. Man hatte positiv von der Verankerung der Bundesrepublik im westlichen Bündnis, von der Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft auszugehen, also nicht nur von den allgemeinen freiheitlichen Vorstellungen, die unser Volk nach den Jahren der Knechtschaft erfaßt hatten. Wir Sozialdemokraten — aber nicht wir allein — verstanden uns dazu, die neuen Bindungen zu akzeptieren, aber auch die anderen Realitäten in der Welt zur Kenntnis zu nehmen und darauf zu
    setzen, daß Spannungen wieder abgebaut würden, daß die Bündnissysteme, in die die beiden Teile Deutschlands einbezogen waren und sind, verhandlungs- und friedensfähig gemacht werden könnten.
    Zumindest hier mag eine zuweilen unbekümmerte Kritik der GRÜNEN mit einem für eine junge Partei vielleicht verständlichen Mangel an zeitgeschichtlicher Erfahrung zusammenhängen. Wir haben nicht geglaubt, Entspannung mit dem einen gegen den anderen machen zu können, sondern, nur in voller Offenheit gegenüber den westlichen Partnern bessere Zusammenarbeit auch mit dem Osten erreichen zu können.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich, gehe weiter und sage: Wer glaubt, aus der Aneinanderreihung von bilateralen Beziehungen, also von Beziehungen von Staat zu Staat, ergebe sich schon eine Ost- oder eine Ost-West-Politik, kann nicht behaupten, er verfüge über ein Konzept. Das gilt auch für den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Fragen. Einige der Hauptbeteiligten in Ost und West — ich denke an die ganz frühen 70er Jahre — waren wie ich selbst der Meinung, es werde für OstWest entweder ein Gesamtkonzept geben oder gar keines. Davon war leider schon 1975 in Helsinki nur noch andeutungsweise die Rede.
    Meine Damen und Herren, was den geplatzten Spitzenbesuch aus dem anderen Teil Deutschlands angeht und zusätzlich zu den konzeptionellen Fragen: Ich bin in nicht schlechter — übrigens auch konservativer — Gesellschaft, wenn es um Kritik an der Geschwätzigkeit geht, die ärgerlich war und ärgern mußte.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Herrn Kollegen Dregger nehme ich von dieser Kritik aus. Ich nehme ihn von dieser Kritik insofern aus, als er ja wohl das Unbehagen des Teils der CDU bzw. der Union artikulierte, dem im Grunde die ganze Richtung nicht paßte.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Aber ich halte es für zweifelhaft, hieraus einen Fall Dregger gegen DDR und umgekehrt zu machen. In dieser Hinsicht wären wohl die politischen Relationen zwischen dem Bundeskanzler und seinem Fraktionsvorsitzenden zu klären gewesen.

    (Beifall bei der SPD)

    Im übrigen, das Standardargument vom freien Wort in einer freien Gesellschaft wird dem, womit man es zu tun hatte, nicht gerecht. Klugheit spricht auch in der Demokratie nicht für zügelloses Durcheinander.

    (Beifall bei der SPD)

    Was sich hier in den letzten Wochen nahezu chaotisch darbot — ich weiß nicht, ob Herr Geißler mit seinem Chaos anwesend ist —, konnte wohl doch



    Brandt
    als eine Zumutung empfunden werden, von welchem erwarteten Staatsgast auch immer.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Nun frage ich: Bezieht sich auch hierauf die denunziatorische Parole von den Stichwortgebern und von einem Zusammenspiel mit der anderen Seite, die Herr Dregger gestern in Berlin ausgegeben hat? Ich lehne es ab, mit einem vergifteten Pfeil zurückzuschießen.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Sie sprachen mal vom „Holzen"! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Für manche — nicht nur in der Opposition — bleibt wenig überzeugend, wie zu Fragen der gemeinsamen Veröffentlichtung, des Termins und des Protokolls taktiert wurde. Ich würde übrigens nie unterstellen, Herr Bundeskanzler, hier seien nützliche Idioten am Werk gewesen — ich denke nicht daran, das zu unterstellen —, aber daß in Teilen Dilettantismus praktiziert wurde, ist vor dem Hintergrund dessen, was der Öffentlichkeit dargeboten wurde, eine fast freundliche Bemerkung.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Es ist ein kurzer Hinweis am Platze, um festzuhalten, daß ich mit der Ausklammerung der Berliner aus den im Sommer bekanntgewordenen Verbesserungen im Besuchsverkehr nicht einverstanden sein kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich wundere mich noch heute über den von wenig zurückgreifender Sachkenntnis getrübten Hinweis, das sei bei den Sowjets nicht oder jetzt nicht erreichbar gewesen. Herr Bundeskanzler, das zeugte nicht von einem Meisterstück aus Ihrem Amt. Egon Bahr hätte damit nicht nach Hause kommen dürfen.

    (Beifall bei der SPD — Lachen und anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

    — Jetzt hören Sie einmal zu. — Er ist damit auch nicht nach Hause gekommen, sondern er hat uns seinerzeit vorgeschlagen, den Moskauer Vertrag im zeitlichen Ablauf mit den Vereinbarungen zu koppeln, die für Berlin besonderes Gewicht hatten.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir haben auf diesen Zusammenhang auch geachtet, als die Vier Mächte 1971 über ihr Berlin-Abkommen verhandelten. Ich habe mich damals, ohne es an die große Glocke zu hängen, persönlich an Breschnew gewandt, um Verschlechterungen, Veränderungen zu Lasten der Berliner zu verhindern und frühere Verschlechterungen — wie bei den Bundespässen — nicht festschreiben zu lassen, sondern rückgängig zu machen. Es wäre gut, wenn sich Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, auch auf diesem Gebiet von einer soliden Tradition ihrer sozialliberalen Vorgängerinnen nicht hätte abbringen lassen.

    (Beifall bei der SPD)

    Unser Freund Hans Apel, der sozialdemokratische Kandidat für das Amt des Regierenden Bürgermeisters, hatte völlig recht, hierzu ein deutliches Wort zu sagen. Es war in hohem Maße unfair, ihm als Retourkutsche unterstellen zu wollen, er habe es an Eifer und Klarheit in der Frage der deutschen Einheit mangeln lassen; ich muß das zurückweien.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Hans Apel hat nämlich zutreffend darauf hingewiesen, daß die deutsche Frage nicht einfach „offen", sondern daß sie in verfassungsmäßige und internationale vertragliche Bestimmungen

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, dann ist sie doch offen!)

    eingeordnet ist und natürlich auch nicht von dem unbezweifelbaren Wunsch der Deutschen zu trennen ist, Europa möge zusammenwachsen

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Hätte er es doch mal so gesagt!)

    und die Folgen von Überrüstung, Konfrontation und Spaltung hinter sich lassen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Hätte er das doch gesagt! — Frau Hürland [CDU/CSU]: Die Berliner lassen sich nicht veräppeln! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir Sozialdemokraten widersprechen nicht, sondern wir sind einverstanden, wenn die Regierung sagt: Die Einladungen bestehen, und technische Gespräche gehen weiter, das gilt dann nicht nur für die DDR. Aber wir könnten nicht einverstanden sein, würden neue Illusionen geweckt. Die Frage der in nationalen Fragen zu wünschenden Gemeinsamkeit ist heute in erster Linie von der Regierung und von der Union zu beantworten.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich wiederhole hier das, was ich in meiner eigenen Partei gesagt habe: Es ist kein Nachteil, sondern es ist ein Vorteil, wenn ein wichtiger Bereich aus dem innenpolitischen Streit herausgehalten werden kann; es bleibt ja genug übrig.
    Die Regierung hatte erklärt, sie wolle — anders, als zahlreiche, frühere Einlassungen der damaligen Opposition es hätten vermuten lassen — die Deutschlandpolitik aus den Jahren der sozialliberalen Koalition fortführen. Die Gemeinsamkeit wurde hier also durch die Fortsetzung — warum hätte ich das beklagen sollen, sollte ich es heute beklagen? — einer vorher heftig umstrittenen Politik begründet. Der Bundeskanzler könnte sich in seiner Deutschlandpolitik auf eine große Mehrheit in diesem Hause stützen. Er konnte es ja sogar

    (Zuruf von der CDU/CSU: Er kann es sogar!)

    bei einem Schritt, für den er und seine Freunde das Erstgeburtsrecht beanspruchen können, nämlich für die Vergabe von zwei bedeutenden Krediten an die DDR.



    Brandt
    Ich möchte hier im Namen meiner Fraktion und im Namen aller meiner politischen Freunde feststellen: Die SPD wird ihre Linie nicht verlassen.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Hat sie doch längst!)

    Wir werden eine als richtig und notwendig erkannte Politik auch künftig konsequent verfolgen und unterstützen, solange die Bundesregierung sie weiter betreibt.
    Wenn der Bundeskanzler vorgestern in Berlin erklärt hat, die Gemeinsamkeit in der Deutschlandpolitik mit der SPD sei zerbrochen, so gibt es darauf nur zwei mögliche Antworten: Entweder hat er sich geirrt

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist wahrscheinlich!)

    oder e r zerbricht die Gemeinsamkeit.

    (Beifall bei der SPD — von Hammerstein [CDU/CSU]: Der irrt sich nicht!)

    Ob sich der Bundeskanzler geirrt hat und wir in Wirklichkeit eine Gemeinsamkeit weiter haben oder ob er sie nicht mehr will oder nicht mehr kann, das wird diese Debatte erweisen. Das ist die Frage nach der Substanz.
    Es bedarf ja keines besonderen Geheimnisschutzes oder der Vertraulichkeit eines Ausschusses, um hier vor dem Bundestag zu erklären, ob die Substanz des Kommuniques vom Werbellinsee, also der Begegnung Schmidt/Honecker vom Dezember 1981, für die Bundesregierung unbestritten ist.
    Wenn einige bisherige Auslassungen aus der Bundesregierung ein Zeichen dafür sein sollten, daß sie die Substanz dessen verläßt, was Ende 1981 schon gemeinsam mit der anderen Seite formuliert worden ist, dann wird jedenfalls die SPD diese frühere Politik fortsetzen, und die Regierung würde die Gemeinsamkeit verlassen, was zu bedauern wäre.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber gut wäre das für alle nicht: nicht für die Bundesrepublik, nicht für die DDR, übrigens auch nicht für das Gewicht der Bundesrepublik im Verhältnis zu Moskau oder Washington, zu Paris oder Warschau.
    Also geht es — ich sage es, Herr Bundeskanzler und meine Damen und Herren, noch einmal — um Inhalte, nicht um Rhetorik. Die Frage nach der Substanz und Weiterführung der Politik, wie sie Helmut Schmidt und Erich Honecker zu formulieren begonnen hatten, stellt sich rückwirkend und nach vorn gerichtet. Welche Rolle, frage ich, haben die damaligen Feststellungen besonders zu Fragen der europäischen Sicherheit bei der Vorbereitung des nicht zustande gekommenen Honecker-Besuchs gespielt?
    Ist man, frage ich weiter, etwa mit Formulierungen zur Sicherheit und Abrüstung erst übergekommen, als die andere Seite den Termin für schon „nicht mehr real" erklärt hatte? Wie weit war man wirklich mit der Formulierung eines auf die wackelige Konferenz in Stockholm bezogenen substantiellen europäischen Gewaltverzichts, also eines Themas, zu dem der Bundesaußenminister vor gut zwei Wochen Entscheidungen angemahnt hatte?
    Dabei war es wiederum nicht realistisch, sondern illusionär, die veränderten Fakten, im besonderen durch die Stationierungen, außer Betracht lassen zu können. Auf welche Inhalte bezog sich übrigens Bundeskanzler Kohls öffentliche Ankündigung, daß er bei gewissen Themen „weghören" wolle? Das galt doch wohl nicht Themen der Sicherheit.
    Für den, der die Akten kannte, Herr Bundeskanzler, wäre das aber auch z. B. bei einer rechtlich einwandfreien Respektierung der Staatsangehörikeit weder nötig noch vernünftig gewesen.

    (Beifall bei der SPD)

    Eine Politik des eher Oberflächlichen ist an ihre Grenzen gelangt.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Man wird sich den Problemen neu stellen müssen; und die sind verdammt schwierig geworden. Das wirft dann noch einmal die Frage auf, Herr Bundeskanzler, wer im eigenen Lager wen hinter sich hat.
    Die Sozialdemokraten sind der Meinung, daß die deutsch-deutschen Beziehungen, das Kernstück der Friedenspolitik unseres Staates, systematisch entwickelt werden müßten. Aber daraus wird nichts, Herr Bundeskanzler, wenn die Substanz der Politik ins Unklare gerät. Wir Deutschen sind dazu verdammt, jede Chance zu nutzen — jeder nach seinem Können und jeder in seiner Verantwortung —, eine uns belastende und bedrückende Entwicklung zu stoppen, wenn wir es können. Das heißt doch aber, daß wir Vereinbarungen über staatliche Regelungen treffen müssen, an die sich alle halten, Regelungen, die die Grenzen von Staaten und Grenzen von Bündnissen überschreiten. Anders gesagt: Angesichts wachsender Erfahrungen dürfen wir nicht Grenzen in Frage stellen, die heute Staaten trennen, sondern müssen nach Verträgen suchen, die die Grenzen überspannen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich lese wenn ich das noch sagen darf — mit Interesse, daß der amerikanische Präsident in seiner zweiten Amtsperiode die Kernwaffen reduzieren und, wenn möglich, alle abschaffen will. Übrigens, wenn dasselbe über die Abschaffung der Atomwaffen von Anhängern der Friedensbewegung gefordert wird, müssen sie sich von ganz großen Strategen belehren lassen, daß auf Atomwaffen überhaupt nicht verzichtet werden kann.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Niemand weiß, wie nach den amerikanischen Wahlen im November die Dinge zwischen den beiden Großen weitergehen. Das heißt doch aber, daß es gerade in dieser Periode vor dem November und in dem dadurch geschaffenen politischen Windschatten vielleicht eine Möglichkeit für die Deutschen gab, die beiden deutschen Staaten, eingeordnet für eine nicht überschaubare Zeit in ihren Bündnissen, aber in der Mitte Europas, zu zeigen, daß bei aller weiter bestehenden Unterschiedlichkeit völker-



    Brandt
    rechtlicher Gewaltverzicht in Europa geeignet sein kann, Vertrauen zu bilden, ein kleines Stück voran auf dem Wege zum Stopp der Rüstungen, der sich nur bündnisüberwölbend vereinbaren läßt.
    Ich habe vermißt, daß sich die Bundesregierung mit ihrem Bundeskanzler an der Spitze energisch genug bemüht hat, um für uns in den beiden Staaten in der Mitte Europas diese Chance zu bekommen. Statt dessen hört man den Bundeskanzler auf seiner Pressekonferenz sagen, er habe kein Problem beim Warten. Dies, Herr Bundeskanzler, war in der gegebenen Situation zu wenig, und zwar ganz unabhängig davon, welche anderen Faktoren für die Absage Honeckers eine Rolle gespielt haben mögen. Wer immer sonst noch Verantwortung haben mag: Sie können Ihrem Teil der Verantwortung in dieser Situation nicht entrinnen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Daß der Dialog sachlich und fachlich weitergehe, ist eine dünne Ausrede. Nichts gegen die — übrigens tüchtigen — Beamten. Aber wenn sie Spitzenbegegnungen ersetzen könnten, dann brauchte man ja keine Spitzenbegegnungen mehr. Es wäre richtig, uns mit der Wirklichkeit zu konfrontieren: daß mit dem Besuch in diesem Jahr auch nicht mehr zu rechnen ist und daß insoweit das Jahr 1984 nicht nur ein verlorenes Jahr für die Rüstungskontrolle, sondern ein verlorenes Jahr für einen seit langem anstehenden Besuch gewesen sein wird, der im deutschen wie im europäischen Interesse wirklich wünschenswert war.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wir Sozialdemokraten meinen, Deutschlandpolitik kann nur im Zusammenhang mit einer umfassenden Politik der Rüstungskontrolle und Entspannung erfolgreich entwickelt werden, also dem, wofür die deutsche Friedensbewegung in diesem Herbst erneut eintritt und wofür sie unsere Unterstützung hat, wo immer es um an beide Seiten gerichtete friedliche und gewaltfreie Manifestationen geht,

    (Beifall bei der SPD)

    ohne Konfrontation mit den Soldaten und deshalb selbstverständlich ohne die Behinderung von Manövern.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Ja! Ja! — Lächerlich! — Gefährlich ist das! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Schon weit bevor sich Alfred Dregger über das Thema oberflächlich hatte unterrichten lassen — nämlich am 17. August —, hat der Vorsitzende der Sozialdemokratie — Sie werden zugeben, der 17. August ist vor Ihrer Äußerung in Berlin — im Informationsdienst seiner Partei an alle Vertrauensleute wörtlich geschrieben:
    Wir unterstützen die Friedensbewegung, wo es
    möglich ist, ohne daß SPD und eigenständige
    Friedensbewegung ihre eigenen Vorstellungen aufgeben.

    (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Sie geben doch Kredite!)

    Wir werden uns aber auch kritisch mit einzelnen Aktionen auseinandersetzen, die falsch interpretiert werden können oder aus denen gar militante Aktionen gemacht werden können.

    (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Sie finanzieren sie doch! — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Wie ist das mit den Manöverbehinderungen?)

    17. August 1984. — In der von Herrn Dregger hochgezogenen Resolution des Parteivorstandes vom letzten Freitag, also vom 7. September, heißt es wörtlich:
    Es muß alles vermieden werden, was zu einer Konfrontation von Soldaten und Friedensbewegung führen könnte.
    Herr Dregger, wiederum im Informationsdienst meiner Partei ist hinzugefügt — nicht, weil Sie es gesagt haben; es stand schon da —:
    Dies ist eine deutliche Warnung vor Manöverbehinderungen.

    (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Wieso finanzieren Sie es?)

    Herr Dregger, insofern kopieren Sie hier Herrn Geißler.

    (Beifall bei der SPD — Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Das ist doppelte Moral!)

    Insofern versuchen Sie von substantiellen politischen Fragen abzulenken und Scheingefechte zu inszenieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist ja eine alte politische Taktik, eine andere Sau durchs Dorf zu jagen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die deutsche Öffentlichkeit darf auf dieses Manöver, ja, auf diese Ablenkungshetze nicht hereinfallen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir sind an der Seite derer, die mit Nachdruck sagen, daß den deutschen Interessen durch Entspannung und Rüstungsbegrenzung gedient ist — ganz abgesehen davon, daß eine europäische Abrüstungsinitiative auch im Interesse der armen Entwicklungsländer dringend geboten ist.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Schneider [Berlin] [GRÜNE])

    Wir meinen, heute wie gestern, daß die Bundesrepublik Deutschland ein Netz vielfältiger Kontakte zu den Nachbarländern in West- und Osteuropa braucht. Nur dadurch gewinnt die Deutschlandpolitik ihre Perspektive.



    Brandt
    Herr Bundeskanzler, wir sind gespannt: Wo bleibt die Perspektive und wo — im Sinne von Können — die Kunst des Regierens?

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Bundeskanzler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Brandt, ich muß mit einer gewissen Bewunderung feststellen, daß Sie es einmal mehr von diesem Pult aus verstanden haben, die Antworten, die am heutigen Tag von allen Seiten des Hauses zu geben sind, zu umgehen

    (Zurufe von der SPD)

    — wir werden jetzt gleich über die Themen sprechen —, daß Sie sich in Andeutungen ergangen haben, die uns aber in der Frage, ob Gemeinsamkeit möglich ist oder nicht — das ist ein Thema —, nicht weiterführen.
    Dann haben Sie natürlich, Herr Kollege Brandt, auch in einer Weise gesprochen, daß die Chance noch übrigblieb, richtig zu holzen, und zwar auf Ihre Weise den Kollegen Dregger als Buhmann darzustellen, wie es Ihnen gefällt,

    (Zurufe von der SPD)

    und den Kollegen Geißler in die Debatte einzubeziehen. Wissen Sie, wenn man so in getragenem Ton von Gemeinsamkeit spricht, dann soll man auch den Inhalt seiner Worte nach dieser Gemeinsamkeit wählen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es ist ganz gewiß richtig, Herr Kollege Brandt — das ist ein Punkt, bei dem wir übereinstimmen —, daß sich die gegenwärtigen Ost-West-Beziehungen schwierig gestalten und daß jeder in beiden Teilen Deutschlands und auch jeder in diesem Hause sehr darauf bedacht sein muß, seinen Beitrag in dieser Zeit mit Verstand, mit Vernunft, mit Bedachtsamkeit und auch mit Verantwortungsbewußtsein zu leisten.
    Aber, Herr Kollege Brandt, es besteht gar kein Anlaß, in dieser konkreten Situation nach der Verschiebung der beiden Besuche — schon allein, wie Sie das Wort „Verschiebung" hier gebraucht haben, war sehr interessant — die Lage so zu dramatisieren, wie Sie es getan haben.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst einmal an die Tatsachen erinnern. Die beiden Gesprächstermine für den Besuch des Staatsratsvorsitzenden Honecker und für den Besuch des Staatsratsvorsitzenden Schiwkow sind auf deren Wunsch und in Abstimmung von beiden Seiten zustande gekommen. Es kann also gar keine Rede davon sein, was im Vorfeld zur heutigen Debatte aus Ihrem Lager zu diesem Punkt verbreitet wurde. Die Termine wurden zwischen der Bundesrepublik Deutschland einerseits und der DDR beziehungsweise Bulgarien andererseits gemeinsam abgestimmt. Die Besuchsvorbereitungen, Herr Kollege Brandt, waren in beiden Fällen sehr weit fortgeschritten beziehungsweise abgeschlossen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das haben wir früher gar nicht gemerkt!)

    — Herr Kollege Vogel, über das, was wir früher gemerkt haben, reden wir jetzt drei Tage mit Ihnen.
    — Beide Seiten legen jeweils Wert auf die Feststellung — das ist doch immerhin eine Feststellung, die Sie hier in Ihre Rede hätten aufnehmen können —, und zwar nachdrücklich Wert auf die Feststellung, daß die Besuche nur verschoben sind und nachgeholt werden sollen.

    (Zuruf von der SPD: Wann?)

    Herr Brandt, Sie wissen so gut wie ich, denn Sie verfügen über ein beachtliches Maß an Informationen — ich begrüße das —, daß das, was Sie versucht haben in diese Debatte einzubringen, einfach unwahr ist. Es handelt sich um eine Verschiebung dieses Besuches, und das ist sehr wichtig gerade für die Situation zwischen beiden Staaten in Deutschland, die Sie beschworen haben. Beide Seiten haben gleichzeitig unterstrichen, daß sie an einer Fortentwicklung konstruktiver Beziehungen interessiert bleiben.
    Herr Kollege Brandt, auch das ist doch wahr, und Sie haben es eben nicht angeführt: Die entscheidende Begründung für die Verschiebung der Besuche wurde in beiden Fällen maßgeblich unter Hinweis auf die gesamtpolitischen Umstände gegeben. Wer für die Verschiebung des Besuchs des Staatsratsvorsitzenden Honecker andere Gründe geltend machen will, nun, Herr Kollege Brandt, der muß doch spätestens seit dem vergangenen Sonntag nach der Verschiebung des Termins durch Sofia eines Besseren belehrt worden sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Nennen Sie doch einmal die Gründe!)

    Wenn ich beispielsweise, weil Sie gerade den Zwischenruf machen, höre, daß einer der Gründe die Abhaltung der NATO-Manöver sei: Die bulgarische Seite hat noch am vergangenen Freitag bestätigt, daß der Besuch stattfindet, Herr Kollege Brandt. Die NATO-Manöver wurden aber nach den KSZE-Vereinbarungen fristgerecht vor 21 Tagen angemeldet.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Wer hat denn davon geredet? Täuschen Sie hier doch nicht!)

    Das heißt also: Sie versuchen hier, aufgrund einer internationalen Entwicklung, die zum wenigsten von den beiden Teilen Deutschlands zu beeinflussen ist, ein parteipolitisches Süppchen zu kochen. Das ist doch die Tatsache.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Es war in Ihrer Rede unüberhörbar, daß Sie den kläglichen Versuch unternommen haben, etwa zwi-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    schen Alfred Dregger und mir oder anderen in dieser Frage einen Zwiespalt herbeizureden.

    (Zurufe von den GRÜNEN und von der SPD)

    Wir haben als CDU Deutschlands erst vor wenigen Monaten auf unserem Bundesparteitag in Stuttgart über diese Frage diskutiert und beschlossen. Wir in der Christlich Demokratischen Union wissen sehr genau, welchen Kurs der Vernunft und der Mitte wir in diesem Zusammenhang steuern wollen. Wir brauchen weder Ihre Belehrungen noch Ihre Verteufelung in diesem Zusammenhang.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Niemand kann übersehen, daß es sich im Zusammenhang mit diesen Besuchen um Wechselwirkungen handelt, die ihren Ursprung zunächst und vor allem in den internen Beziehungen der Staaten des Warschauer Paktes untereinander haben. Und darin sind wir uns hoffentlich einig, meine Damen und Herren: ich denke, wir bedauern gemeinsam die eingetretene Entwicklung. Die Bundesregierung wird sich in ihrer auf Frieden gerichteten Politik und in Ihrer Bereitschaft zum Dialog, zum Ausgleich und Zusammenarbeit auch gegenüber dem Osten nicht beirren lassen. Wir sind bereit, das Gespräch wiederaufzunehmen, die Zusammenarbeit fortzusetzen, soweit sich die östlichen Gesprächspartner dazu imstande sehen. Wir gehen davon aus, daß die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Paktes zu ihrer erklärten Politik zurückkehren werden, weil es zur Politik wirklicher Entspannung und zu Verhandlungen keine Alternative gibt.
    Herr Kollege Brandt, wenn Sie hier klagen, im Jahre 1984 sei kein wesentlicher Fortschritt zu erzielen gewesen, so wissen Sie so gut wie ich — und auch das muß man dann fairerweise aussprechen —, daß weder die sowjetische noch die amerikanische Seite im Vorfeld der Wahlen am 6. November dieses Jahres zu wesentlichen Fortschritten und Entscheidungen bereit waren. Wenn das so ist — und wenn Sie nicken —, dann sprechen Sie es doch hier aus! Verweisen Sie doch diese Diskrepanz nicht in unsere Diskussion.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei der FDP)

    Die Bundesregierung wird das Ihre dazu beitragen, daß die Beziehungen zur Sowjetunion und mit den übrigen Staaten des Warschauer Pakts durch diese politische Großwetterlage sowenig wie möglich Schaden nehmen. Enttäuscht über diesen Vorgang, Herr Kollege Brandt — darin unterscheiden wir uns offensichtlich in der Tat —, kann doch nur der sein, der die Ursachen der Spannungen zwischen Ost und West niemals richtig eingeschätzt oder der geglaubt hat, sie in wenigen Jahren überwinden zu können. Sie wissen so gut wie ich, daß Entspannungspolitik in der konkreten Lage der Weltpolitik heute nicht mehr leisten kann als die Begrenzung und Kontrolle der Spannungen und Konflikte sowie Zusammenarbeit dort, wo gemeinsame Interessen sie ermöglichen. Ich finde, das ist schon ein Programm, das, wenn es erfüllt werden soll, einen hohen Anspruch erhebt. Meine Damen und Herren, unsere Politik, die Politik dieser Bundesregierung und dieser Koalition bleibt ein Angebot an die Staaten des Warschauer Pakts, das nicht neues Mißtrauen säen, sondern neues Vertrauen schaffen sollte.
    Herr Kollege Brandt, auch das soll klar ausgesprochen werden — Sie arbeiten j a immer mit Andeutungen —: Ich weiß wirklich nicht, wen Sie in diesem Hause meinten, als Sie so allgemein davon sprachen, es gebe politische Kräfte, die es für möglich hielten, mit der DDR — ich sage es jetzt mit meinen Worten — Sonderbeziehungen zu eröffnen, ohne die Sowjetunion einzubeziehen. Meine Politik ist das nicht, unsere Politik ist das nicht. Ich habe nie eine solche Stimme in der FDP, in der CSU oder in der CDU gehört. Die Sowjetunion ist unser wichtigster und mächtigster Nachbar in Mittel- und Osteuropa. Wir wissen ganz genau, daß alle nur denkbaren bilateralen Möglichkeiten, sei es im Gespräch mit der DDR, sei es mit Polen, mit Ungarn, mit Rumänien und mit wem auch immer, letztlich nur erfolgreich sein können, wenn sie eingebunden sind in das Gesamtgespräch mit der Sowjetunion. Und Sie wissen, daß dies unsere Politik ist! Was soll es also, wenn Sie von diesem Pult aus so sprechen, als gäbe es irgendwelche imaginären Kräfte, die einen weltpolitischen Alleingang gehen wollten? Wenn ich es recht verstanden habe und mich richtig erinnere, gab es in den frühen 70er Jahren einmal eine solche Diskussion, aber die, Herr Kollege Brandt, bezog sich auf bestimmte Kräfte der deutschen Sozialdemokratie,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) ganz gewiß nicht auf CDU, FDP oder CSU.

    Dann haben Sie, Herr Kollege Brandt, vom Revanchismus gesprochen. Man muß sorgfältig noch einmal nachlesen, wie Sie das formuliert haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Allerdings!)

    Sie haben es nämlich tunlichst vermieden, das Thema anzusprechen, um das es hier geht.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Ja! — Genau!)

    Sie haben ganz allgemein gesprochen und unser Volk vor den massiven Propagandavorwürfen in Schutz genommen. So weit, so gut; wir stimmen überein. Aber der Vorwurf des Revanchismus zielt ja ganz bewußt auf bestimmte Persönlichkeiten, auf bestimmte Gruppen, auf Teile unserer Bevölkerung und richtet sich damit natürlich auch gegen das ganze Land.
    Herr Kollege Brandt, ich stimme Ihnen völlig zu: Ich bin sehr dafür, daß wir bei all dem, was uns trennt, immer wieder den Versuch unternehmen, Felder zu gewinnen, auf denen Gemeinsamkeit möglich ist. Ich bin absolut einverstanden, wenn es möglich sein sollte, Gemeinsamkeit mit der deutschen Sozialdemokratie in diesen entscheidenden Fragen zu finden.
    Aber, Herr Kollege Brandt, in den letzten 14 Tagen oder drei Wochen konnte ich auf diesem ganzen



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Feld beim besten Willen keine Gemeinsamkeit erkennen.

    (Zurufe von der SPD)

    Ich habe im Vorfeld des geplanten Besuchs des Staatsratsvorsitzenden Honecker erklärt. daß wir selbstverständlich über alles sprechen werden — das liegt doch in der Natur eines solchen Gesprächs —,

    (Zuruf von der SPD: Sie wollten doch weghören!)

    aber ich habe auch erklärt, daß es Felder der Politik nicht — das habe ich übrigens in Moskau mit Herrn Honecker selbst besprochen; er weiß das — —

    (Zurufe von der SPD: Oh! — Schön! — Weitere Zurufe)

    — Meine Damen und Herren, ich denke, wir wollten hier ein ernsthaftes Gespräch führen!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei der SPD)

    Wenn Ihr Gemeinschaftsverständnis in dem besteht, was Sie eben dokumentieren, brauchen wir das Gespräch nicht fortzusetzen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Herr Kollege Brandt hat dazu eingeladen, und ich will es ja aufnehmen. Er ist ja noch Ihr Parteivorsitzender. Wenigstens der Respekt vor ihm sollte die Chance eröffnen.
    Herr Kollege Brandt, wenn Sie also von Gemeinsamkeit sprachen, müssen wir schon einmal die Frage stellen: Auf welchen Fundamenten ruht denn diese Gemeinsamkeit? Wenn ich mich beispielsweise an Äußerungen aus der SPD in den letzten Tagen zu den sogenannten Geraer Punkten — die Staatsbürgerschaft ist ein Beispiel, und es gibt weitere Beispiele — im einzelnen erinnere, muß ich Ihnen ganz einfach sagen: Darüber können wir miteinander reden, aber im Ergebnis finden Sie in diesen Grundfragen keine Gemeinsamkeit mit uns. Das muß man um der intellektuellen und politischen Redlichkeit willen klar und offen aussprechen.
    Herr Kollege Brandt, Sie haben es auch für nötig gehalten, in einer etwas gedämpfteren Sprache als einige aus Ihren Reihen in den letzten Tagen — nämlich ohne es auszusprechen, aber mit Andeutungen auf Brandtsche Art — auf meine Teilnahme an der Vertriebenenkundgebung in Braunschweig hinzuweisen. Nun, Herr Kollege Brandt, ich finde es völlig normal, daß ein deutscher Bundeskanzler vor den Vertriebenen spricht, vor einer Gruppe unseres Volkes, die Millionen von Menschen umfaßt, die sich große Verdienste um den demokratischen und wirtschaftlichen Aufbau unseres Landes erworben haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Daß allein schon die Tatsache, daß ich dort spreche,
    von Ihrer Partei als Skandal bezeichnet wurde —
    einen Tag, bevor ich überhaupt dort war, als Sie
    also meine Rede noch gar nicht kannten —, das ist in der Tat skandalös.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren von der SPD, ich könnte ihnen jetzt noch einige Äußerungen aus Ihrem Lager vorwerfen. Es sind doch — und das, Herr Kollege Brandt, ist das, was Alfred Dregger und andere meinten — zu diesem Vorgang aus Ihrer Partei die gleichen Formulierungen zu hören gewesen, die auch von jenen kamen die — beispielsweise in Warschau — unser und mein politisches Tun verleumden wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Herr Kollege Brandt, ich weiß nicht, wie die Einstellung der deutschen Sozialdemokratie heute zum Thema der Vertriebenen ist. Ich weiß es wirklich nicht.

    (Zuruf von der SPD: Ein Beispiel! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Fragen Sie doch Ihren Kollegen Karsten Voigt. Ich will ihm doch nicht die Ehre antun, ihn hier zu zitieren. Er sitzt doch im Saal; er kann sich selbst wehren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich weiß es wirklich nicht.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist ja das Traurige; Sie wissen überhaupt nichts!)

    Können Sie mir einmal erläutern, was daran skandalös ist, wenn ich zum Tag der Heimat spreche, mit einer Rede, die selbst von polnischen Stellen als ausgewogen bezeichnet wurde? Sie, Herr Kollege Brandt, haben immerhin zum Tag der Heimat einmal so formuliert — ich will das einmal sagen, um die Veränderungen, die in diesen Jahren eingetreten sind, deutlich zu machen; ich zitiere Willy Brandt am Tag der Heimat in Berlin 1965 —:
    So wie der Tag der Heimat in Berlin zur Tradition geworden ist, so sind auch die Angriffe gegen diesen Tag zur Tradition geworden. Dazu stelle ich fest: Kundgebungen, durch die um das Recht gerungen wird, gefährden den Frieden nicht. Und hier ging es im Laufe der Jahre immer wieder um die Menschenrechte, um das Selbstbestimmungsrecht, um das Heimatrecht. Mit Revanchismus hat das Bekenntnis zum Volk, zur Heimat, zum Füreinandereinstehen nichts, aber auch gar nichts zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Demonstrativer Beifall bei der SPD)

    Wir haben der Gewalt abgeschworen, aber wir haben nicht dem Recht abgeschworen.
    Jetzt ein anderes Zitat. Es ist schon bemerkenswert — ich habe mich bei der Vorbereitung dieser



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Rede sehr gewundert —, welchen Weg Sie, die Sozialdemokratie, genommen haben.

    (Reents [GRÜNE]: Ein wahres Schatzkästlein, das Sie da auftun!)

    Ein anderes Zitat:
    Breslau — Oppeln — Gleiwitz — Hirschberg — Glogau — Grünberg, das sind nicht nur Namen, das sind lebendige Erinnerungen, die in den Seelen von Generationen verwurzelt sind und unaufhörlich an unser Gewissen klopfen. Verzicht ist Verrat, wer wollte das bestreiten? Hundert Jahre SPD heißt vor allem hundert Jahre Kampf für das Selbstbestimmungsrecht der Völker.

    (Beifall bei der SPD)

    Das Recht auf Heimat kann man nicht für ein Linsengericht verhökern. Niemals darf hinter dem Rücken der aus ihrer Heimat vertriebenen oder geflüchteten Landsleute Schindluder getrieben werden. Das Kreuz der Vertreibung muß das ganze Volk mittragen helfen. Vertriebene oder geflüchtete Landsleute sind keine Bürger zweiter Klasse,

    (Beifall bei der SPD)

    weder in der Wirtschaft noch in der Gesellschaft. Daß es ihr ernst damit ist, hat die SPD bewiesen. Der Wiedervereinigung gilt unsere ganze Leidenschaft. Wer an diesem Feuer sein kleines Parteisüppchen zu kochen versucht, kann vor dem großen Maßstab der Geschichte nicht bestehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Demonstrativer Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, wo war denn in diesen letzten drei Wochen eine Stimme der Sozialdemokratie gegen die Verleumdungen der deutschen Vertriebenen und ihrer Verbände?

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Es geht um Sie, Herr Bundeskanzler!)

    Sie haben doch mit wesentlichen Sprechern Ihrer eigenen Partei in diesen Chor mit eingestimmt.

    (Dr. Vogel [SPD]: Theater!)

    Das ist doch der Punkt, der uns trennt, Herr Kollege Brandt.

    (Dr. Vogel [SPD]: Unsinn! Das hätten Sie gern!)

    Wenn Sie über Gemeinsamkeiten reden, dann gibt es auch eine Gemeinsamkeit zugunsten der Vertriebenen in unserem Volk, und das sollten Sie hier sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: So etwas Dummes! — Weitere Zurufe von der SPD)