Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Roth von der SPD hat gesagt, daß die Regierung ein Recht auf Kritik an der laufenden Tarifbewegung, das Recht habe, sich dazu zu äußern. Auch Anke Fuchs hat sich in dieser Weise ausgesprochen. Das, was sie nicht wollen — darauf möchte ich zu sprechen kommen und vielleicht einen neuen Akzent in dieser Diskussion setzen —, ist, daß sich die Regierung in den laufenden Tarifkonflikt einmischt, weil sie sich dann, wenn die streitenden Parteien miteinander nicht mehr zurechtkommen, als Friedensstifter, als Schlichter bereithalten und eine Vermittlerrolle spielen soll. Ich glaube, daß die gesamte SPD-Fraktion von einer falschen Voraussetzung ausgeht. Ich glaube, daß die jetzige Bundesregierung — ob das nun Herr Lambsdorff, Herr Kohl oder Herr Blüm ist — angesichts des Sozialabbaus, den sie vorangetrieben hat, nicht geeignet ist, in der laufenden Tarifrunde als Vermittler überhaupt in Frage zu kommen.
Das ist nicht bös gemeint, das ist einfach eine sachliche Feststellung; da müssen sich schon andere bereithalten. Insofern ist die Sorge der SPD unbegründet. Ich denke aber, daß die Ängste der SPD darin liegen, daß die Möglichkeiten zu einem Kompromiß irgendwie verbaut werden.
Das bringt mich auf den Gedanken, doch einmal zu hinterfragen, wo denn die möglichen Kompromißlinien liegen, die heute schon anvisiert werden und die in einigen Betrieben heute schon abgeschlossen worden sind — mit Billigung der IG Metall, der IG Chemie, also mit Billigung derjenigen, die jetzt den Kampf um die 35-Stunden-Woche führen. Der Kompromiß liegt da — das muß man sagen —, daß für die mögliche Reduzierung der Stundenzahl von 40 auf 38 oder 37 in Form von Samstagsarbeit, in Form von zusätzlicher, gesundheitsschädigender Schichtarbeit, mit zunehmender Rationalisierung und Flexibilität der Belegschaften, angepaßt an einen immer härter und intensiver werdenden Produktionsprozeß, gezahlt wird. Ich glaube, daß allen, die heute für die Arbeitszeitverkürzung eintreten, die auch wir unterstützen und die auch wir mittragen, ganz deutlich gesagt werden muß, sie möchten darauf achten, daß die Kompromißlinien nicht so aussehen — und die Gefahr ist sehr groß —, daß wir nachher in 38 Stunden so viel arbeiten wie jetzt in 40 Stunden.
Das Problem — jetzt komme ich zu einigen Fragen, die Herr Lambsdorff und auch Herr Blüm hier gestellt haben — liegt eigentlich darin, daß eine bloße Arbeitszeitverkürzung ohne andere wirtschaftspolitische Maßnahmen nichts bringen wird. Wir müssen gleichzeitig von dieser Stelle aus an mindestens zwei Punkten Überlegungen anstellen und die Schwierigkeiten aufzeigen, in die unsere Gesellschaft geraten ist:
Das ist erstens, eine Kontrolle des technischen Fortschritts ins Auge zu fassen, weil nämlich ein Großteil des technischen Fortschritts aus — binnenmarktwirtschaftlichen oder außenmarktwirtschaftlichen — Konkurrenzgründen stattfindet und Rationalisierungen nicht betrieben werden, um Produkte herzustellen, derer wir bedürfen, sondern Rationalisierung im Sinne von Arbeitsplatzvernichtung betrieben wird. Das geht an die Adresse des DGB und an all die, die jetzt die Bataillone für die Arbeitszeitverkürzungen ins Feld führen wollen: Sie müssen ihren Kurs ändern, der bisher darin bestand, daß sie über Geldleistungen mit dazu beigetragen haben, Zehntausende von Arbeitsplätzen bei VW, bei Ford, bei Opel und anderswo abzubauen. Man hat hingenommen, daß über Abfindungen Arbeitsplätze gegen Geld verkauft wurden, indem man den „technischen Fortschritt" akzeptiert hat. Ich denke, daß hier ein Umdenken notwendig ist, auch in der Bundesregierung, wenn sie überhaupt dazu bereit ist: den technischen Fortschritt und Rationalisierungsprozesse zu kontrollieren.
Zweitens — das geht speziell an die Adresse des Herrn Lambsdorff, der gesagt hat, wir können neue Arbeitsplätze nur durch zunehmendes Wachstum schaffen —: Wenn wir über Wachstum Arbeitsplätze schaffen wollen, dann müssen wir jährlich 5 bis 6 % Wachstum haben, um in zehn Jahren die Arbeitslosigkeit herunterzubringen. Damit geraten wir in Umweltprobleme, von denen Sie noch gar nicht träumen.
Ich denke, daß die Arbeitszeitverkürzungen, die wir unterstützen, begleitet sein müssen von Maßnahmen der Rationalisierungskontrolle und einer grundsätzlich anderen Wirtschaftspolitik, die so aussehen muß, daß wir unter humanen Bedingungen Produkte herstellen, daß der Bedarf gedeckt und nicht deshalb produziert wird, weil Leute Geld anhäufen oder Gewinne machen wollen oder ihre Marktanteile erhöhen wollen.