Rede von
Hubert
Kleinert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kaum mehr als 14 Tage, nachdem in diesem Hause der Raketenbeschluß gefaßt worden ist und nunmehr endgültig feststeht, daß mit der Aufstellung neuer amerikanischer Atomraketen in Mitteleuropa
— wenn Sie doch einmal stille sein könnten —
der atomare Rüstungswahnsinn eine neue Stufe erreichen soll, kann die Diskussion um den Rüstungshaushalt der Bundesregierung noch mehr als sonst keine in erster Linie finanzpolitische Frage sein.
In einer Zeit, in der die Gefahr einer lebensbedrohenden Spannungseskalation in Mitteleuropa die Zukunft der Menschheit mehr bedroht als irgendwann sonst in den letzten 20 Jahren, ist mit der Debatte um den Rüstungshaushalt für uns und für zukünftige Generationen eine entscheidende Lebensfrage aufgeworfen.
— Ich denke, das ist ein Rüstungshaushalt.
Die Bundesregierung
— ganz besonders der Bundeskanzler — verkündet immer wieder, daß es ihr darum gehe, Frieden zu schaffen mit immer weniger Waffen, wie das so schön heißt. Schon die Logik, die darin liegt, auf der einen Seite zu verkünden, man wolle Frieden schaffen mit immer weniger Waffen, gleichzeitig aber die Stationierung neuer friedensgefährdender Atomraketen in der Bundesrepublik zu beschließen, ist abenteuerlich genug.
Wer sich dazu noch ansieht, welche Wachstumsraten in der Rüstungspolitik die Regierungskoalition für 1984 und die folgenden Jahre vorgesehen hat, wird endgültig merken, was von Ihren Abrüstungsbeteuerungen zu halten ist. Frieden schaffen mit immer weniger Waffen heißt für diese Koalition im Klartext nichts anderes, als daß die Ausgaben für den Rüstungsetat — in diesem und in den nachfolgenden Jahren — überproportional ansteigen sollen.
Die Zahlen, die Sie für 1984 und die folgenden Jahre vorgelegt haben, weisen aus, daß die Steigerungsraten für den Rüstungsetat mehr als doppelt so hoch wie die Steigerungen des Gesamthaushalts liegen sollen.
Noch aufschlußreicher wird die praktische Umsetzung Ihres sogenannten Friedenskonzepts, wenn man genauer aufschlüsselt, welche Ausgaben denn dort besonders ansteigen sollen. Besonders hohe Steigerungsraten weisen im Etatentwurf 1984 die Ansätze für militärische Beschaffungsmaßnahmen auf. Für neue Waffensysteme haben Sie eine Steigerungsrate von immerhin 6,5 % vorgesehen. Noch stärker ist der Anstieg bei den militärischen Anlagen, z. B. bei den Kosten für die NATO-Infrastruktur. Hier sehen Sie eine Steigerungsrate von über 8 % vor. Für wehrtechnische Forschung, Entwicklung und Erprobung wollen die Regierungsparteien die Ausgaben sogar um 8,6 % erhöhen. Nach diesem Entwurf würden die Verteidigungsausgaben pro Kopf der Bevölkerung weit überproportional anwachsen. Mit diesem Entwurf würde der Anteil der Verteidigungsausgaben am Gesamthaushalt weiter wachsen. Die Bundesregierung stellt dazu noch voller Stolz fest — ich zitiere —: Gemessen an den Verteidigungsausgaben der anderen Bündnisstaaten liegt die Bundesrepublik auch 1984 in der Spit-
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zengruppe. — Ich kann nur die Frage stellen: Ist das Ihr Bekenntnis zu weniger Waffen, meine Damen und Herren?
— Sie sind ja schon wieder dran.
— Machen Sie sich doch keine Sorgen um den Herrn Bastian.
Meine Damen und Herren, unsere Vorstellungen
— das ist bekannt — gehen in eine genau entgegengesetzte Richtung. Wir haben lange überlegt, ob wir uns überhaupt auf detaillierte Kürzungsvorschläge zu diesem Rüstungsetat einlassen sollen. Wenn wir das tun, heißt das für uns keineswegs, daß wir von unserem politischen Ziel, einen Zustand herzustellen, in dem Waffensysteme und Armeen ganz verschwunden sind, auch nur ein Stück weit abgerückt wären. Wir wollen mit unserem konkreten Kürzungsvorschlag, der Ihnen hier als Drucksache vorliegt, aber einen Beitrag zur Reduzierung von Spannungen und von Kriegsgefahr leisten. Wir verstehen diesen Kürzungsvorschlag, der unmittelbar zu realisieren wäre, ohne daß damit aktuell die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr insgesamt in Frage gestellt wäre
— Herr Würzbach, Sie haben ihn doch noch nicht einmal aufmerksam zur Kenntnis genommen, wie ich Sie kenne —,
als wesentlichen Beitrag der Bundesrepublik zu einem System kalkulierter Abrüstungsschritte. Wir meinen, daß es höchste Zeit ist, die Militarisierung der Gesellschaft zurückzudrehen. Wir meinen weiter, daß es allerhöchste Zeit ist, mit einem solchen kalkulierten einseitigen Abrüstungsschritt auch hier und heute endlich zu beginnen.
Nur so kann die Rüstungsspirale an einem wesentlichen Punkt unterbrochen werden, und nur so kann sich auch die Bundesrepublik aus ihrer Rolle als treuer Vasall der US-Globalstrategie wenigstens ein Stück weit herauslösen. Die Notwendigkeit zur Realisierung eines solchen Kürzungsvorschlags verstärkt sich noch angesichts der Tatsache, daß die Verteidigungsausgaben, soweit man sie nach NATO-Kriterien berechnet, sich nun keineswegs auf die Summe von 48 Milliarden DM, die im Einzelplan 14 ausgewiesen sind, beschränken. Rechnet man nach NATO-Kriterien auch andere versteckte Verteidigungsausgaben, sogenannte Verteidigungsausgaben aus anderen Einzelplänen hinzu, so belaufen sich die Ausgaben, die für die Rüstung in diesem Haushaltsplan insgesamt eingestellt worden sind, immerhin auf die Summe von etwa 60 Milliarden DM. Auch das muß hier einmal gesagt werden.
Allein bezogen auf den Einzelplan 14 beträgt das Gesamtvolumen unseres Kürzungsvorschlages, den ich jetzt im folgenden kurz vorstellen will, ca. 8,5 Milliarden DM. Dieser Kürzungsvorschlag entspricht einer Kürzungsrate von ca. 17 %. Eine solche Kürzung hätte ein Einfrieren des gegenwärtigen Ausrüstungsbestandes, eine gewisse Reduzierung der militärischen Aktivität der Bundeswehr sowie des Personalbestandes und eine drastische Reduzierung der Ausgaben der Bundeswehr im Rahmen der NATO zur Folge.
— Nicht einmal das, Herr Würzbach. Wir haben vorgeschlagen, den Ansatz für den Sprit um 20% zu Kürzen. Dann können Sie immer noch mit Sprit für 80 % der Mittel herumfahren.
Wir verstehen dies als ersten Schritt auf dem Weg hin zu weitergehenden Abrüstungsmaßnahmen. Bei diesen Kürzungsvorschlägen entfallen ca. 3,9 Milliarden DM allein auf den Bereich Erhaltung und Beschaffung. Die Ausgaben in diesem Bereich, die Sie vorsehen, dienen vorwiegend dem Ausbau der offensiven militärischen Schlagkraft der Bundeswehr. Hier geht es um neue Panzer, hier geht es um Raketenabschußanlagen, hier geht es um Fregatten, Schnellboote, Zerstörer, U-Boote und diverse Kampfflugzeuge.
Würzbach [CDU/CSU]: Alles defensive Systeme!)
Weil dies so ist, ist gerade dieser Bereich ein zentraler Schwerpunktbereich, in dem unsere Kürzungsvorschläge ansetzen.
Wir sind bei unseren Kürzungsvorschlägen davon ausgegangen, daß neu anlaufende Projekte grundsätzlich abzulehnen sind, daß laufende Projekte möglichst zu strecken sind und daß vorvertragliche Bindungen möglichst herunterzufahren sind.
Ein zweiter Schwerpunktbereich ist für uns der Bereich Forschung, Entwicklung und Erprobung. Hier schlagen wir Kürzungen in Höhe von 3,6 Milliarden DM vor. Es ist besonders wichtig, die Einfädelung neuer Waffengenerationen in alle Waffenarten zu verhindern, die durch Forschung, Entwicklung und Erprobung möglich wäre. Dabei sind diese Forschungsvorhaben nicht nur für den laufenden Betrieb der Bundeswehr überflüssig, sondern sie sind auch für eine wirklich am Verteidigungszweck orientierte Armee überflüssig. Warum zum Beispiel — ganz immanent gefragt — muß die Bundeswehr
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die Erforschung von Laser-Waffen fördern? Warum muß die Bundeswehr die Entwicklung von Marschflugkörpern mit großer Transportleistung vorantreiben? Hier sollten Sie einmal erklären, Herr Würzbach, wie dies mit dem angeblich ausschließlich auf Verteidigung gerichteten Zweck der Bundeswehr zusammenpaßt?
Und schließlich haben wir ca. 600 Millionen DM an Einsparungen im Personalbereich beantragt. Diese Summe ergibt sich, wenn eine der natürlichen Abgangsrate entsprechende Stellenverminderung stattfände und wenn zugleich eine Ablehnung der Umgestaltung der Personalstruktur zugunsten der Berufssoldaten und eine Streichung diverser Sonderzulagen durchgesetzt würde.
Sie werden jetzt sicher kommen und sagen, unser Vorschlag gefährde die Sicherheit der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland und öffne sowjetischen Interessen Tür und Tor.
— Herr Würzbach, ich habe das gerade aus Ihrem Munde doch so oft gehört, daß mich nicht überrascht, was Sie hier dazwischenrufen. Wir kennen das alles längst. Und wer die Raketendebatte aufmerksam verfolgt hat, der weiß doch auch, zu welch unseligen Schwarzweißgemälden die Vertreter der Regierungsparteien bei Kennzeichnung der angeblichen Gefahren aus dem Osten inzwischen schon wieder greifen.
Meine Damen und Herren, angesichts des immer dramatischeren Rüstungswettlaufs ist aber doch die Frage zu stellen, wer hier eigentlich die Sicherheit gefährdet. Sind es die, die angesichts eines riesigen Arsenals von Massenvernichtungswaffen für konkretere Abrüstungsschritte eintreten, oder sind es nicht vielmehr die, die eine forcierte Aufrüstungspolitik im atomaren wie im konventionellen Bereich betreiben? — Weil wir zu Abrüstung kommen wollen, bitte ich um Ihre Zustimmung für diesen Kürzungsantrag.