Rede von
Otto
Schily
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Nein, ich bleibe Ihnen nicht erspart; das sehen Sie ganz richtig. Aber ich erspare Ihnen heute, da wir nicht sehr viel mehr sind als im kleinen Kreise des Rechtsausschusses, hier eine Debatte über Einzelheiten der Rechtspolitik und werde nur begründen, warum wir den Einzelplan 07 in Gänze ablehnen, und zwar in Anknüpfung an die Äußerung des Kollegen Helmrich, der mit Recht gesagt hat: Zur Rechtspolitik gehört auch die Pflege des Rechts- und Unrechtsbewußtseins.
Herr Kollege Helmrich, wir können in der Tat nicht erkennen, daß die Rechtspolitik so, wie die Bundesregierung sie vertritt, Vertrauen verdient, was die Pflege des Rechts- und Unrechtsbewußtseins anbelangt, nicht zuletzt und vor allem, weil sie der Verluderung des Rechtsbewußtseins nicht wirksam entgegentritt, sondern dazu beiträgt.
Wie anders sollen wir es denn verstehen, daß sich der Bundeskanzler vernehmlich zum Verteidiger bestimmter Beschuldigter aufschwingt, aber kein Wort von ihm zu hören ist angesichts der unverschämten Ausfälle des CSU-Politikers Tandler gegen die Staatsanwaltschaft in Bonn?
Ich möchte hier ausdrücklich erklären: Die Staatsanwaltschaft hat sich äußerst korrekt verhalten.
Diejenigen, die sich darüber beklagen, sollten sich einmal vergewissern, ob sie sich eigentlich früher aufgeregt haben, wenn Angeklageschriften in vollem Wortlaut, einschließlich des Ermittlungsergebnisses, veröffentlicht wurden. Da habe ich nie ein Sterbenswörtchen von Aufregung gehört.
Wenn die Staatsanwaltschaft hier die bloße Tatsache der Anklageerhebung bekanntgibt und mitteilt, um welchen Vorgang, um welchen strafrechtlichen Vorwurf es sich handelt, aber nicht mehr bekannt gibt, dann ist das völlig — obwohl manche die preußischen Traditionen sehr kritisch sehen, möchte ich das in dem Fall so sagen — preußisch korrekt.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 2913
Schily
— Herr Kollege Helmrich, ich habe nur noch sieben Minuten Zeit. Verzeihen Sie, daß ich keine Zwischenfrage zulassen kann.
Vielleicht sollte man darauf hinweisen, daß sich die Staatsanwaltschaft in mancher Hinsicht eher der äußersten Zurückhaltung befleißigt hat, wenn man daran denkt, daß ein Haftbefehl wegen Verdunklungsgefahr nicht beantragt worden ist, obwohl bekannt geworden ist, daß bestimmte Unterlagen von einem bestimmten Beschuldigten hohen früheren Ranges, der auch heute noch in der Wirtschaft einen hohen Rang hat, beiseite geschafft worden sind.
— Ja, da werden ganze Bestandteile aus beweiskräftigen Unterlagen herausgeschnitten und dem firmeneigenen Aktenvernichter anvertraut. Wenn das keine Verdunklungsmaßnahme ist, weiß ich nicht mehr, was eine Verdunklungsmaßnahme ist.
Andere werden dann in Untersuchungshaft gehalten.
Zweitens. Ich kenne sehr viele Haftbefehle, bei denen Fluchtgefahr angenommen wird, und zwar immer mit dem stereotypen Hinweis — auch bei nicht vorbestraften Bürgern, auch bei Bürgern mit festem Wohnsitz oder mit festem Anstellungsverhältnis — auf die Höhe der zu erwartenden Strafe. Dies wiederum wird mit dem hohen Schaden, der verursacht worden ist, begründet. Nun höre ich immer, es gehe um Millionen, die dem Staat entzogen worden sind. Wie ist es denn nun eigentlich mit der Höhe der zu erwartenden Strafe? Muß man nicht auch hier über einen solchen Haftgrund nachdenken? Auch da, denke ich, hat die Staatsanwaltschaft die äußerste Zurückhaltung walten lassen.
Gleichwohl meint ein Herr Tandler, er könne die bloße Anklage mit einem Mord vergleichen.
Und sein Parteifreund Bundesinnenminister Zimmermann, der sich früher laut über Presseveröffentlichungen beklagt hat, verfällt jetzt in ein beredtes Schweigen. Aber zu den wüsten Äußerungen von Herrn Tandler hätte wirklich Ihr Ausspruch, Herr Zimmermann, gepaßt: ein wirklicher Anschlag auf den Rechtsstaat; so haben Sie sich früher geäußert.
Jedoch haben das Schweigen einerseits und das Gezeter von Tandler andererseits durchaus Methode: Es soll abgelenkt, vernebelt werden.
Das gilt übrigens auch für die in Mode gekommene Beschwörung der Unschuldsvermutung. Gewiß, meine Damen und Herren, es ist erfreulich, daß dieses Rechtsinstitut wiederbelebt worden ist, nachdem vor nicht allzu langer Zeit bei vielen überhaupt unbekannt war, daß es so etwas wie eine Unschuldsvermutung gibt.
Ich kann mich noch gut erinnern, daß der damalige Ministerpräsident und heutige Bundeskanzler Kohl Angeklagte in einem Verfahren noch vor Beginn der Hauptverhandlung als Verbrecher und, weil das offenbar nicht gereicht hat, als kriminelle Verbrecher bezeichnet hat. Besonders glaubwürdig ist es also nicht, wenn heutzutage mit schmerzlichem Augenaufschlag die Vorverurteilung bemängelt wird. Wir wollen ihm jedoch nicht nacheifern.
Selbstverständlich hat auch ein Minister wie jeder andere Bürger Anspruch auf Respektierung der Unschuldsvermutung.
Aber es muß sehr sorgfältig — das gilt auch für Sie, Herr Kleinert — unterschieden werden: Es gibt eine Unschuldsvermutung hinsichtlich der strafrechtlichen Beurteilung; es gibt keine Unschuldsvermutung hinsichtlich der politischen Verantwortlichkeit.
Insbesondere reicht die politische Verantwortlichkeit sehr viel weiter als die strafrechtliche. Ich möchte alle warnen, den Blick zu verengen und nur auf die strafrechtliche Untersuchung zu richten. Es geht um sehr viel mehr. Es geht um ein enges Geflecht zwischen Großindustrie und der Politik bestimmter Parteien. Darum ist uns in erster Linie zu tun, nicht um die strafrechtliche Bewältigung.
Zur politischen Verantwortlichkeit gehört, daß die Öffentlichkeit endlich rückhaltlos die Auskünfte erhält, auf die sie nach Art. 21 des Grundgesetzes Anspruch hat. Sagen Sie doch endlich einmal klipp und klar: Wieviel Millionen haben Sie denn von Flick bekommen? Wieviel haben Sie kassiert?
Bisher haben wir von Ihnen darüber überhaupt noch nichts gehört. Wieviel haben Sie von anderen Großfirmen kassiert? Erklären Sie doch einmal der Öffentlichkeit, wann und warum Spenden in Ihren Rechenschaftsberichten nicht veröffentlicht worden sind! Erscheint ein einziges Mal der Name Flick in Ihren Rechenschaftsberichten? Nehmen Sie doch einmal Stellung zu der Frage, ob nicht gewisse „staatsbürgerliche Vereinigungen" eher mutmaßliche kriminelle Vereinigungen zur fortgesetzten Steuerhinterziehung waren!
Erläutern Sie, warum Spenden ohne Quittungen entgegengenommen wurden, große Bargeldbeträge in Kuverts ausgezahlt wurden, warum Spenden über Schweizer Nummernkonten geschleust wurden, warum es „Geldwaschanlagen" gegeben hat! Erklären Sie doch einmal, ob es dunkle Schleichwege über das Ausland gegeben hat, um die Partei-
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Schily
kassen zu füllen! Sie haben Gelegenheit, sich zu äußern und sich zu Ihrer politischen Verantwortlichkeit zu bekennen. Erklären Sie doch bitte einmal, ob es fingierte Gutachten gegeben hat, um Spenden auf diese Weise zu vereinnahmen! Erklären Sie bitte, ob es eine politische Einflußnahme gegen Barzahlung gegeben hat! Erklären Sie einmal, welche Schmiergelder im Zusammenhang mit der Gewährung von Waffenexportlizenzen gezahlt worden sind! Wer hat sich wem zur Verfügung gehalten? Wer hat sich von wem aushalten lassen? Es ist die Prostitution einer Galerie von Politikern gegenüber den Interessen gewisser großindustrieller Kreise, die zur Debatte steht.
Unterstützung der Justiz und der Staatsanwaltschaft bei deren Bemühen, diesen Dschungel zu durchdringen, haben wir von dieser Regierung und den sie tragenden Parteien nicht zu erwarten, sondern nur Hindernisse. Wenn wir noch daran denken, daß man versucht hat, eine Spendenpraxis zu legalisieren, ohne daß der Bundesjustizminister dem durch seinen Einspruch entgegengetreten ist, ist das ein Beweis mehr. Von dem, der in dieser Kardinalfrage der Rechtszerstörung Vorschub leistet, können wir nicht erwarten, daß er auf anderen Rechtsfeldern positive Ergebnisse zustande bringt.
Ich danke Ihnen.