Rede von
Detlef
Kleinert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Schmidt, beim Wiegen muß man die richtigen Gewichte verwenden, genau wie in der Justiz. Es sollten besonders vorsichtig Akzente gesetzt werden. An Ihrer Rede war einiges, was um so verständlicher erscheinen läßt, daß Herr Engelhard geglaubt hat, der Hinweis darauf, daß gewisse Äußerungen sich selbst richten, würde verstanden, der aber auch deutlich gemacht hat, warum Sie das nicht verstehen konnten; denn wenn man erst einmal darauf aus ist, nur das zu hören, was man gerne hören will, dann ist man zum einen nicht mehr in der Lage, etwas zurückhaltendere Argumente anderer richtig aufzunehmen und richtig zu gewichten, und zum anderen ist man schon erst recht ungeeignet, über etwas so mit Vorsicht zu Behandelndes wie die Rechtspolitik hier in Bausch und Bogen quasi als Universalgenie zu reden.
Sie haben das einem mir genauso wie Ihnen aus der Rechtspolitik seit langem bekannten Kollegen gegenüber deutlich gemacht, als Sie von Nichtfachleuten sprachen. Ich ziehe daraus einen gewissen steigernden Vergleich der Einschätzung Ihrer
Kenntnisse im Verhältnis zu denen des Kollegen Vogel .
Wenn Sie sich an dieser Selbsteinstufung in einer kritischen Stunde messen, dann muß Ihnen traurig zumute werden.
Ich meine, daß dem Justizminister heute bei der Vorlage des ersten Haushalts zu Beginn eines normalen Arbeitsjahres dieses Parlaments — denn so konnten ja wohl die hinter uns liegenden Zeiten nicht bezeichnet werden — ausdrücklich Dank dafür gebührt, daß er sich in diesen unruhigen Zeiten als jemand bewährt hat, der nicht dieser und jener Strömung nachgegeben hat, weder in die eine noch in die andere Richtung, sondern der zunächst einmal versucht hat, Bestandsaufnahme zu machen und genau zu entscheiden, was wirklich der Weiterverfolgung bedarf. Im übrigen versucht der Minister, dafür zu sorgen, daß es nicht nur den öffentlichen Reden und den leicht möglichen rhetorischen Bekundungen überlassen bleibt, über die Einschränkung von Gesetzgebung und Gesetzgebungsverfahren zu sprechen, sondern daß das auch, wo immer es geht, in die Praxis umgesetzt wird.
Da besteht in praxi ein erheblicher Nachholbedarf.
Man hört das alles so oft. Aber kaum glaubt man, einmal ein Beispiel für eine überflüssige Regelung gefunden zu haben — wie z. B. bei den Schleppliften, über die von seiten der GRÜNEN neulich im Laufe der Debatte verschiedenes Unverständliche geäußert worden ist —, dann gibt es wieder Menschen, denen das das heiligste Gut der Nation ist und die fordern, auch das müsse gesetzlich geregelt werden. Es geht ja gar nicht darum, etwa der einen oder der anderen Seite recht oder unrecht zu geben, sondern es geht darum herauszufinden, was denn wirklich alles geregelt werden muß. Wenn man das an einem Beispiel klarmachen will, stellt man fest, daß man offenbar nach wie vor nicht bereit ist, von irgendeiner ins Auge gefaßten Regelung Abstand zu nehmen.
Schwieriger wird es noch, wenn man sich in diesem Hause ganz normal, ruhig und vernünftig unterhalten will über derartige Unternehmen, z. B. über die Frage, wie weit man bei der allerdings durch neue Lebensumstände gebotenen Strafbarmachung gewisser Bereiche der Wirtschaftskriminalität gehen muß. Dabei muß man dann eben in Erwägung ziehen, z. B. beim Ausschreibungsbetrug, auch einmal den Ursachen nachzugehen. Ihre Parteipostille, die ja inzwischen wohl nur noch „Vorwärts" heißt, weiß dann angesichts dieser Überlegungen sofort ganz genau, wie man verbrüdert ist und wie man überhaupt ausschließlich Interessenvertreter derjenigen ist, die hier alleine sündigen. Es wäre schön, wenn man statt dessen auch in dem Blatt einmal Ihren Willen zur Gerechtigkeit und Ihren Willen zur rechtspolitischen Diskussion daran erkennen könnte, daß auch die andere Seite der Überlegungen aufgenommen und offen diskutiert
2912 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
Kleinert
wird, bevor man zu einer Entscheidung kommt. Das halte ich für das Wesen rechtspolitischer Diskussion.
Bei alledem dürfen wir nicht übersehen, daß die größeren Gefahren für unsere Rechtspolitik inzwischen aus dem auch von Herrn Helmrich bereits angesprochenen europäischen Bereich herrühren; denn wir haben nun einmal die Erfolge, die von der ersten Direktwahl zum Europaparlament an zusätzlichem parlamentarischen Einfluß erhofft worden waren, nur in Ansätzen erreichen können. Wir haben immer noch die Situation, daß die Verwaltungen der verschiedenen Mitgliedstaaten und die Verwaltungen Europas weitgehend ohne parlamentarische Kontakte, ohne die vernunfttreibenden Praxiskontakte — wie das einmal ein kluger Mann genannt hat — vor sich hin stricken an einem immer enger werdenden Netzwerk von Richtlinien, die wir dann nur noch umzusetzen haben und bei denen wir dann nicht einmal mehr die Möglichkeit haben, über die Notwendigkeiten nachzudenken, von denen ich sprach. Meiner Meinung nach muß es ein ganz wesentliches Ziel des vor uns liegenden Europawahlkampfes sein, deutlich zu machen, daß das unsere Aufgabe ist: in Europa für eine stärkere parlamentarische Komponente und damit für eine vernünftige Eingrenzung — keineswegs Beseitigung — der Befugnisse der Verwaltung und für ein praxisnäheres Handeln zu sorgen. Anderenfalls sind unsere rechtspolitischen Bemühungen hier vergebens.
Herr Schmidt, nach den Ankündigungen Ihres Fraktionsvorsitzenden werden wir in dieser Woche wohl noch Gelegenheit haben, uns im einzelnen zu unterhalten über die von Ihnen in derselben Einseitigkeit wie andere Punkte dargestellten Ereignisse im Zusammenhang mit dem Sie zur Zeit begeisternden Ermittlungsverfahren.
Ich kann Ihnen dazu, daß wir etwa „von Skandalen geschüttelt" wären, sagen, daß Hans-Dietrich Genscher, den man im hessischen Wahlkampf des letzten Jahres als den letzten Nicht-Menschen darzustellen versucht hat, inzwischen von den Leuten wieder als das gesehen wird, was er wirklich ist, nämlich ein durchaus zuverlässiger Mann und Politiker, der zur rechten Zeit das Richtige getan hat. Den Beweis dafür haben nun Gott sei Dank Sie geführt, und nicht andere haben ihn zu führen brauchen. Es wird Ihnen bei anderen Versuchen, auf diese Art Ihr politisches Profil zu zeigen, ähnlich gehen.
Der Bundesjustizminister hat mich gebeten, die ohnehin karg bemessene Zeit im übrigen ihm zu überlassen, was ich sehr gern tue.
Wir werden uns über die meisten der Punkte, die heute nicht neu waren, auch in Zukunft wieder unterhalten müssen und können hoffen, daß sie nicht einfach in der Kurzfassung einer Haushaltsdebatte untergehen. Für heute lasse ich es bei diesen Hinweisen bewenden und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.