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ID1004206200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/42 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 42. Sitzung Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 2865A Begrüßung des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für das Flüchtlingswesen, Poul Hartling 2955 B Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. Dezember 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Sasbach und Marckoldsheim — Drucksache 10/252 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr — Drucksache 10/688 — 2865 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Zweiten Protokoll vom 17. Februar 1983 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 22. April 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei einigen anderen Steuern — Drucksache 10/461 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 10/694 — 2865 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Feuerschutzsteuergesetzes — Drucksache 10/556 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 10/714 — 2865 D Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 (Haushaltsgesetz 1984) — Drucksachen 10/280, 10/534 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses in Verbindung mit Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz 1984) — Drucksachen 10/335, 10/347 — Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses — Drucksachen 10/690, 10/691 — Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksachen 10/631, 10/659 — . . . . 2866 A II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksachen 10/632, 10/659 — Conradi SPD 2866 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 2867 C Seiters CDU/CSU 2868 B Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksachen 10/633, 10/659 — . . . . 2868 D Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — Drucksachen 10/636, 10/659 — und Art. 23, 24, 24a, 25 und 25a des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 — Drucksachen 10/335, 10/347, 10/690, 10/691 — in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung — Drucksachen 10/656, 10/659 — in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung — Drucksache 10/654 — Kühbacher SPD 2869 A Gerster (Mainz) CDU/CSU 2872 D Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 2878 A Dr. Hirsch FDP 2881 D Dr. Schmude SPD 2885 C Dr. Laufs CDU/CSU 2889A Schäfer (Offenburg) SPD 2893 B Baum FDP 2896 D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 2898 D Namentliche Abstimmung 2904 C Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Drucksachen 10/637, 10/659 — in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksachen 10/646, 10/659 — Helmrich CDU/CSU 2906 C Schmidt (München) SPD 2908 D Kleinert (Hannover) FDP 2911 B Schily GRÜNE 2912 C Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 2914 B Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr — Drucksachen 10/642, 10/659 — Hoffmann (Saarbrücken) SPD 2916 C Metz CDU/CSU 2920 B Drabiniok GRÜNE 2922 C Hoffie FDP 2924 C Dr. Dollinger, Bundesminister BMV . . 2926 C Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksachen 10/643, 10/659 — Dr. Friedmann CDU/CSU 2928 B Paterna SPD 2930 B Hoffie FDP 2933 B Frau Reetz GRÜNE 2934 D Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister BMP 2936 D Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksachen 10/649, 10/659 — und Art. 26 a des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 — Drucksachen 10/335, 10/347, 10/690, 10/691 — Müntefering SPD 2939 B Echternach CDU/CSU 2942 A Sauermilch GRÜNE 2944 D Gattermann FDP 2946 D Dr. Schneider, Bundesminister BMBau 2948 C Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie — Drucksachen 10/651, 10/659 — Dr. Stavenhagen CDU/CSU 2952 C Vosen SPD 2955 B Dr.-Ing. Laermann FDP 2958 D Frau Dr. Bard GRÜNE 2961 A Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 2962 D Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — Drucksachen 10/652, 10/659 — Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 III und Art. 22 des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 — Drucksachen 10/335, 10/347, 10/690, 10/691 — Vogelsang SPD 2966 B Dr. Rose CDU/CSU 2968 B Dr. Jannsen GRÜNE 2971 B Neuhausen FDP 2972 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 2974 C Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksachen 10/648, 10/659 — Brück SPD 2977 C Schröder (Lüneburg) CDU/CSU 2980 C Frau Gottwald GRÜNE 2983 B Frau Seiler-Albring FDP 2985 B Dr. Hauchler SPD 2987 D Dr. Pinger CDU/CSU 2991 A Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 2993 B Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksachen 10/650, 10/659 — Heimann SPD 2997 B Stiegler SPD 2999 B Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 3000 C Schneider (Berlin) GRÜNE 3003 A Ronneburger FDP 3005 A Windelen, Bundesminister BMB . . . 3006 D Nächste Sitzung 3008 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 3008 B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 2865 42. Sitzung Bonn, den 6. Dezember 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. h. c. Lorenz 9. 12. Offergeld 9. 12. Pauli 9. 12. Petersen 9. 12. Rapp (Göppingen) 9. 12. Dr. Stark (Nürtingen) 9. 12. Stockleben 9. 12. Schlaga 6. 12. Schmidt (Hamburg) 9. 12. Schreiner 9. 12. Voigt (Frankfurt) ** 6. 12. Frau Dr. Wex 9. 12. Dr. Wittmann 9. 12. Dr. Wörner 6. 12. ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Manfred Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Engelhard, als Sie im Oktober 1982 Ihr Amt übernommen haben, haben Sie sich sinngemäß so geäußert: Das Justizministerium wird nach dem Verlust des Innenministeriums an die CSU zu einer Bastion
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 2909
    Schmidt (München)

    einer liberalen, freiheitlichen und fortschrittlichen Rechtspolitik werden.

    (Beckmann [FDP]: Das ist es ja auch geworden!)

    Skeptisch — da wir Sie aus langjähriger Zusammenarbeit im Rechtsausschuß kannten —, aber nicht ohne Sympathie haben wir das damals vernommen. Es schwang ja auch so ein Hauch von Freiheit und Abenteuer über der Vorstellung, daß der Herr Minister Engelhard das Justizministerium gegen die ankämpfenden Law-and-order-Horden des Herrn Zimmermann und des Herrn Geißler bis zum letzten verteidigen würde. Leider, Herr Minister, haben Sie nicht lange standgehalten und zwischenzeitlich mehrfach die weiße Fahne gehißt. Dabei waren Sie in diesem Bereich keineswegs allein auf die Unterstützung der schwachen und von Skandalen geschüttelten FDP angewiesen,

    (Zurufe von der FDP: Na, na!)

    denn wir hatten Ihnen immer gesagt, daß Sie sich dort, wo Sie Freiheit und Rechtsstaat verteidigen, auf die uneingeschränkte Unterstützung der Sozialdemokraten verlassen können.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Da ist er aber verlassen!)

    Was wir Ihnen heute vorwerfen, ist nicht so sehr, daß Sie unterlegen sind, sondern daß Sie den Kampf gar nicht erst so richtig aufgenommen haben.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Ein solcher Fall von Kapitulation ist erst einmal die Änderung des Demonstrationsstrafrechts. 13 Jahre lang haben wir uns zusammen mit der FDP bemüht, den Freiheitsraum des Bürgers auszuweiten. Zu den unveräußerlichen Rechten in einem Rechtsstaat gehört nun einmal das Demonstrationsrecht. Wir hatten die alten Bestimmungen entrümpelt. Heute — kaum daß die sogenannte Wende eingetreten ist — kehren Sie zur vorkonstitutionellen obrigkeitsstaatlichen Fassung des Landfriedensbruchsparagraphen zurück.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Sie wissen ja gar nicht, was das ist!)

    — Ich weiß, daß Sie das nicht gerne hören, aber es ist nichtsdestoweniger so. — Nach Ihrem Entwurf sollen künftig auch friedliche Teilnehmer einer Demonstration bestraft werden

    (Zuruf von der FDP: Gar nicht wahr! — Schwarz [CDU/CSU]: Lauter Sprechblasen! — Pfeffermann [CDU/CSU]: Lassen Sie mal die Luft aus dem Ballon!)

    — vielleicht sollten Sie es einmal lesen; das kann ich Ihnen leider nicht abnehmen —, wenn andere aus einer Demonstration heraus oder Dritte Gewalttätigkeiten begehen oder damit drohen.
    Daß dies alles zu Unzuträglichkeiten führt, sagen nicht nur wir Sozialdemokraten; die vorgesehenen Neuregelungen werden auch von den Leuten abgelehnt, die dann mit diesem Recht umgehen müssen. Das Demonstrationsrecht wird durch die geplante
    Neufassung des § 125 StGB eingeschränkt. Den Gewalttätern kann nicht besser entgegengetreten werden als bisher. Die Bereitschaft zur Gewalttätigkeit wird eher noch erhöht. Mißtrauen und Ablehnung gegenüber der Polizei werden hervorgerufen oder bestärkt, und Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte haben sich mit einer Fülle von Bagatellstrafsachen herumzuschlagen. Ich glaube, daß es Ihnen darum geht, künftig eine Rechtsgrundlage für Massenverhaftungen à la Nürnberg zu haben, damit einer, der in Pauschalverfahren aufgesammelt und einer Anklage zugeführt wird, erst gar nicht mehr freigesprochen werden kann.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zuruf von der SPD: Pfui! — Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

    In der Familienpolitik kommt die Gegenreform langsam auch auf Touren. Über die Änderung des Rechts der Scheidungsfolgen soll wieder das Schuldprinzip eingeführt werden, das wir gemeinsam — wir waren damals stolz darauf — aus dem Scheidungsrecht hinausgebracht haben.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Das ist Unsinn, was Sie da sagen! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Es stimmt nicht!)

    — Ich freue mich immer, wenn Kollegen, die keine Ahnung vom Thema haben, sich dazu äußern.

    (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich möchte Sie einmal fragen: Wie wollen Sie es denn anders machen, wenn Sie Ihre sogenannte Einzelfallgerechtigkeit bei den Scheidungsfolgen zum Zuge kommen lassen? — Sie werden die Richter wieder dazu zwingen, zu prüfen, wer Schuld hat, wer mehr Schuld hat und wer in welchem Bereich Schuld hat. Die alte, unzuträgliche Schnüffelpraxis vor den Gerichten wird erneut fröhliche Urstände feiern.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Herr Minister, in der „Zeitschrift für Rechtspolitik" haben Sie im Oktober dieses Jahres Ihre Vorstellungen zur Justizpolitik der 10. Legislaturperiode dargelegt. Unabhängig davon, daß darin auch einige Plattitüden wie der Satz enthalten sind, daß „die Gerechtigkeit dem Recht schon von Natur aus innewohnt", enthält dieser Aufsatz tatsächlich auch Passagen, die unsere volle Zustimmung finden. Er enthält unter anderem den Passus — ich zitiere Sie —:
    Die jetzt geltende Fassung des § 218 ist das Ergebnis langjähriger Beratungen und Überlegungen, nachdem offenkundig geworden war, daß die frühere Strafregelung mit ihrer umfassenden Strafandrohung die Jahr für Jahr stattfindende hohe Zahl von illegalen Abtreibungen nicht verhinderte, wohl aber dazu führte, daß eine große Zahl von Frauen in einer schwierigen Lage in den Bereich der Kriminalität geriet. Der Schutz des ungeborenen Lebens muß deshalb mit anderen als den Mitteln des Strafrechts erreicht werden. Der relative Rechtsfriede, der nach jahrelangen, emotional aufgeladenen Diskussionen erzielt wurde, darf durch
    2910 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
    Schmidt (München)

    eine erneute Änderung des § 218 nicht gefährdet werden.
    Jedem dieser Sätze können wir uneingeschränkt zustimmen.
    Aber, Herr Minister, die beabsichtigte Änderung der Bestimmungen über die Kostentragung legaler Schwangerschaftsabbrüche ist längst nicht vom Tisch und die Änderung bei den Beihilfevorschriften auch nicht. Dies kann doch nur so verstanden werden, daß diese Koalition zum alten Zweiklassenrecht zurückkehren wird. Der gutbetuchten Frau wird es nichts ausmachen, wenn sie die Kosten selber tragen muß. Aber die, die über die Mittel nicht verfügt, wird wieder Kurpfuschern und Engelmachern — welch furchtbarer Euphemismus — in die Arme getrieben, und wir haben, zum Teil jedenfalls, wieder den alten Zustand. Auch zu diesem Punkt erwarten wir von Ihnen — wenn Sie zu den Aussagen stehen, die Sie in dieser Zeitschrift getan haben — ein deutliches Wort der Distanzierung.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Ein weiterer Fall der Kapitulation war der Fall Altun. Für Sie war die Zusammenarbeit mit der Polizei einer Militärdiktatur, mit der Polizei eines Staates, in dem Gefangene nachweislich gefoltert werden, mit der Polizei eines Staates, den fünf Mitglieder des Europarates wegen schwerer Verletzungen der Menschenrechte angeklagt haben, wichtiger als die Menschlichkeit, die man von einem Rechtsstaat erwarten könnte. Herr Zimmermann hat damals den Satz gesagt:
    Im Interesse einer nach wie vor guten Zusammenarbeit mit der Türkei auf polizeilichem Gebiet bitte ich, den Bewilligungsbescheid für vollziehbar zu erklären.
    In Kenntnis dieses Satzes, Herr Engelhard, haben Sie damals das Auswärtige Amt um Zustimmung gebeten. Die Folgen, die dieses Handeln gehabt hat, müßten Ihnen eigentlich heute noch schlaflose Nächte bereiten.
    Sie haben auch das damals gemeinsam in der sozialliberalen Koalition geschaffene Mietrecht aufgekündigt. Die soziale Funktion des Rechts haben Sie — das wird auch aus Ihrem Aufsatz deutlich — bis heute nicht verinnerlicht. So ist es auch kein Wunder, daß Sie sich dort mit Ludwig Uhland einen Poeten und Politiker des 19. Jahrhunderts als zitierfähigen Mann auserkoren haben. Ich glaube tatsächlich, Herr Minister, daß Ihr Rechtsbewußtsein Schwierigkeiten hat, das 20. Jahrhundert zu erreichen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Änderungen des Mietrechts haben dazu geführt, daß die Zahl der Räumungsklagen zwischen 20 und 40% angestiegen ist, in München beispielsweise um 40 %. Und, Herr Helmrich, es stehen zwar wieder Wohnungen leer, aber diese Wohnungen sind deshalb nicht vermietbar, weil die Mieten so gestiegen sind, daß sich die, die Wohnungen suchen, sie einfach nicht leisten können.

    (Beifall bei der SPD — Helmrich [CDU/ CSU]: Über 120 000 mehr!)

    Und hier zu sagen, das hätte etwas Positives bewirkt, ist der reine Hohn. Die Gerichte sind überlastet, weil die Zahl der Klagen im Bereich des Mietrechts ungeheuer zugenommen hat.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie sind auch überlastet! — Pfeffermann [CDU/CSU]: Der ist nicht überlastet, der ist überfordert!)

    Auch wenn wir begrüßen, daß Sie eine Reihe von Entwürfen aus der sozialliberalen Koalition wieder eingebracht haben, müssen wir doch feststellen: Selber sind Sie bisher nicht sonderlich produktiv geworden. Im übrigen gilt, so glaube ich, daß Sie Ihrem Haus als leuchtendes Beispiel für das Arbeitstempo die Schnecke vor Augen führen. Die Tatsache, daß Ihnen die Schnecke mit ihrem Tempo offensichtlich ganz besonders imponiert, hat vermutlich auch dazu geführt, daß Sie erst so spät zu den beispiellosen Angriffen des amtierenden CSUGeneralsekretärs auf die im Flick-Verfahren tätigen Staatsanwälte reagiert haben. Aber die Art und Weise, wie Sie das getan haben, Herr Minister, ist wohl kaum geeignet, Ihrer eidlich bekräftigten Pflicht, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, gerecht zu werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir Sozialdemokraten halten eine sachliche Kritik an der Justiz nicht nur für legitim,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    sondern auch für notwendig; denn es darf in diesem Staat keine Tabubereiche für Kritik geben.
    Die Angriffe des Herrn Tandler sind aber von einer derartigen Maßlosigkeit und von einer so grenzenlosen Unverfrorenheit, daß Herr Tandler an die Wurzeln unserer Rechtsordnung greift. Ein solcher Mann ist eine Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat und für jedes öffentliche Amt untragbar.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wir teilen hier voll die Auffassung des Deutschen Richterbundes. Wir Sozialdemokraten stellen uns auch ausdrücklich vor die Staatsanwälte, die nur ihrer Pflicht nachgekommen sind, auch gegen Mächtige in diesem Land zu ermitteln und dann auch Anklage zu erheben, wenn ein hinreichender Verdacht des Verstoßes gegen die Gesetze unseres Landes besteht.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wir hätten erwartet, daß sich der CSU-Vorsitzende Strauß und der Landesgruppenvorsitzende Waigel scharf von Tandler distanzieren. Daß Herr Waigel Tandler mit dem Satz verteidigt, „die Äußerungen bewegten sich in dem Ermessensspielraum, der heute möglich sein müsse", weitet diesen Skandal ins Unerträgliche aus.
    Ihre wachsweiche Erklärung, Herr Minister, die Äußerung richte sich von selbst, und Ihre Mitteilung, daß Graf Lambsdorff sich offensichtlich nicht in einer Situation befinde wie die damals von Terro-
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 2911
    Schmidt (München)

    risten in Geiselhaft genommenen Ponto und Schleyer, beruhigt uns zwar ungeheuer, ist aber für den Justizminister absolut unzureichend.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir haben, Herr Minister, sehr deutlich den Eindruck, daß Sie sich entgegen Ihren Äußerungen doch befangen fühlen, weil die FDP-Fraktion einen Maulkorberlaß für diese Angelegenheit herausgegeben hat.

    (Beckmann [FDP]: Das wüßten wir aber!)

    — Sie wissen es mit Sicherheit.

    (Beckmann [FDP]: Wir wissen es besser!)

    — Ich hatte die Gelegenheit, mich mit Mitgliedern Ihrer Fraktion zu unterhalten. Auch daher beziehe ich meine Kenntnisse.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Nennen Sie mal Namen! Roß und Reiter nennen!)

    Was hätte wohl der liberale Vorgänger von Herrn Engelhard im Amt des Justizministers, nämlich Thomas Dehler, dazu gesagt, daß sich ein Fraktionskollege in dieser Situation so stark an sein Ministeramt klammert, und wie hätte er wohl die Äußerungen von Herrn Tandler bewertet?

    (Zustimmung bei der SPD)

    Herr Minister, wir haben Ihre Arbeit im Justizministerium gewogen und für zu leicht befunden. Wir werden den Justizhaushalt ablehnen.
    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Die Rede war zu leicht!)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert (Hannover).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Detlef Kleinert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Schmidt, beim Wiegen muß man die richtigen Gewichte verwenden, genau wie in der Justiz. Es sollten besonders vorsichtig Akzente gesetzt werden. An Ihrer Rede war einiges, was um so verständlicher erscheinen läßt, daß Herr Engelhard geglaubt hat, der Hinweis darauf, daß gewisse Äußerungen sich selbst richten, würde verstanden, der aber auch deutlich gemacht hat, warum Sie das nicht verstehen konnten; denn wenn man erst einmal darauf aus ist, nur das zu hören, was man gerne hören will, dann ist man zum einen nicht mehr in der Lage, etwas zurückhaltendere Argumente anderer richtig aufzunehmen und richtig zu gewichten, und zum anderen ist man schon erst recht ungeeignet, über etwas so mit Vorsicht zu Behandelndes wie die Rechtspolitik hier in Bausch und Bogen quasi als Universalgenie zu reden.
    Sie haben das einem mir genauso wie Ihnen aus der Rechtspolitik seit langem bekannten Kollegen gegenüber deutlich gemacht, als Sie von Nichtfachleuten sprachen. Ich ziehe daraus einen gewissen steigernden Vergleich der Einschätzung Ihrer
    Kenntnisse im Verhältnis zu denen des Kollegen Vogel (Ennepetal).

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wenn Sie sich an dieser Selbsteinstufung in einer kritischen Stunde messen, dann muß Ihnen traurig zumute werden.

    (Lachen bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich meine, daß dem Justizminister heute bei der Vorlage des ersten Haushalts zu Beginn eines normalen Arbeitsjahres dieses Parlaments — denn so konnten ja wohl die hinter uns liegenden Zeiten nicht bezeichnet werden — ausdrücklich Dank dafür gebührt, daß er sich in diesen unruhigen Zeiten als jemand bewährt hat, der nicht dieser und jener Strömung nachgegeben hat, weder in die eine noch in die andere Richtung, sondern der zunächst einmal versucht hat, Bestandsaufnahme zu machen und genau zu entscheiden, was wirklich der Weiterverfolgung bedarf. Im übrigen versucht der Minister, dafür zu sorgen, daß es nicht nur den öffentlichen Reden und den leicht möglichen rhetorischen Bekundungen überlassen bleibt, über die Einschränkung von Gesetzgebung und Gesetzgebungsverfahren zu sprechen, sondern daß das auch, wo immer es geht, in die Praxis umgesetzt wird.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Da besteht in praxi ein erheblicher Nachholbedarf.
    Man hört das alles so oft. Aber kaum glaubt man, einmal ein Beispiel für eine überflüssige Regelung gefunden zu haben — wie z. B. bei den Schleppliften, über die von seiten der GRÜNEN neulich im Laufe der Debatte verschiedenes Unverständliche geäußert worden ist —, dann gibt es wieder Menschen, denen das das heiligste Gut der Nation ist und die fordern, auch das müsse gesetzlich geregelt werden. Es geht ja gar nicht darum, etwa der einen oder der anderen Seite recht oder unrecht zu geben, sondern es geht darum herauszufinden, was denn wirklich alles geregelt werden muß. Wenn man das an einem Beispiel klarmachen will, stellt man fest, daß man offenbar nach wie vor nicht bereit ist, von irgendeiner ins Auge gefaßten Regelung Abstand zu nehmen.
    Schwieriger wird es noch, wenn man sich in diesem Hause ganz normal, ruhig und vernünftig unterhalten will über derartige Unternehmen, z. B. über die Frage, wie weit man bei der allerdings durch neue Lebensumstände gebotenen Strafbarmachung gewisser Bereiche der Wirtschaftskriminalität gehen muß. Dabei muß man dann eben in Erwägung ziehen, z. B. beim Ausschreibungsbetrug, auch einmal den Ursachen nachzugehen. Ihre Parteipostille, die ja inzwischen wohl nur noch „Vorwärts" heißt, weiß dann angesichts dieser Überlegungen sofort ganz genau, wie man verbrüdert ist und wie man überhaupt ausschließlich Interessenvertreter derjenigen ist, die hier alleine sündigen. Es wäre schön, wenn man statt dessen auch in dem Blatt einmal Ihren Willen zur Gerechtigkeit und Ihren Willen zur rechtspolitischen Diskussion daran erkennen könnte, daß auch die andere Seite der Überlegungen aufgenommen und offen diskutiert
    2912 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
    Kleinert (Hannover)

    wird, bevor man zu einer Entscheidung kommt. Das halte ich für das Wesen rechtspolitischer Diskussion.
    Bei alledem dürfen wir nicht übersehen, daß die größeren Gefahren für unsere Rechtspolitik inzwischen aus dem auch von Herrn Helmrich bereits angesprochenen europäischen Bereich herrühren; denn wir haben nun einmal die Erfolge, die von der ersten Direktwahl zum Europaparlament an zusätzlichem parlamentarischen Einfluß erhofft worden waren, nur in Ansätzen erreichen können. Wir haben immer noch die Situation, daß die Verwaltungen der verschiedenen Mitgliedstaaten und die Verwaltungen Europas weitgehend ohne parlamentarische Kontakte, ohne die vernunfttreibenden Praxiskontakte — wie das einmal ein kluger Mann genannt hat — vor sich hin stricken an einem immer enger werdenden Netzwerk von Richtlinien, die wir dann nur noch umzusetzen haben und bei denen wir dann nicht einmal mehr die Möglichkeit haben, über die Notwendigkeiten nachzudenken, von denen ich sprach. Meiner Meinung nach muß es ein ganz wesentliches Ziel des vor uns liegenden Europawahlkampfes sein, deutlich zu machen, daß das unsere Aufgabe ist: in Europa für eine stärkere parlamentarische Komponente und damit für eine vernünftige Eingrenzung — keineswegs Beseitigung — der Befugnisse der Verwaltung und für ein praxisnäheres Handeln zu sorgen. Anderenfalls sind unsere rechtspolitischen Bemühungen hier vergebens.
    Herr Schmidt, nach den Ankündigungen Ihres Fraktionsvorsitzenden werden wir in dieser Woche wohl noch Gelegenheit haben, uns im einzelnen zu unterhalten über die von Ihnen in derselben Einseitigkeit wie andere Punkte dargestellten Ereignisse im Zusammenhang mit dem Sie zur Zeit begeisternden Ermittlungsverfahren.
    Ich kann Ihnen dazu, daß wir etwa „von Skandalen geschüttelt" wären, sagen, daß Hans-Dietrich Genscher, den man im hessischen Wahlkampf des letzten Jahres als den letzten Nicht-Menschen darzustellen versucht hat, inzwischen von den Leuten wieder als das gesehen wird, was er wirklich ist, nämlich ein durchaus zuverlässiger Mann und Politiker, der zur rechten Zeit das Richtige getan hat. Den Beweis dafür haben nun Gott sei Dank Sie geführt, und nicht andere haben ihn zu führen brauchen. Es wird Ihnen bei anderen Versuchen, auf diese Art Ihr politisches Profil zu zeigen, ähnlich gehen.
    Der Bundesjustizminister hat mich gebeten, die ohnehin karg bemessene Zeit im übrigen ihm zu überlassen, was ich sehr gern tue.

    (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Er redet immer so langsam!)

    Wir werden uns über die meisten der Punkte, die heute nicht neu waren, auch in Zukunft wieder unterhalten müssen und können hoffen, daß sie nicht einfach in der Kurzfassung einer Haushaltsdebatte untergehen. Für heute lasse ich es bei diesen Hinweisen bewenden und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)