Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Engelhard, als Sie im Oktober 1982 Ihr Amt übernommen haben, haben Sie sich sinngemäß so geäußert: Das Justizministerium wird nach dem Verlust des Innenministeriums an die CSU zu einer Bastion
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einer liberalen, freiheitlichen und fortschrittlichen Rechtspolitik werden.
Skeptisch — da wir Sie aus langjähriger Zusammenarbeit im Rechtsausschuß kannten —, aber nicht ohne Sympathie haben wir das damals vernommen. Es schwang ja auch so ein Hauch von Freiheit und Abenteuer über der Vorstellung, daß der Herr Minister Engelhard das Justizministerium gegen die ankämpfenden Law-and-order-Horden des Herrn Zimmermann und des Herrn Geißler bis zum letzten verteidigen würde. Leider, Herr Minister, haben Sie nicht lange standgehalten und zwischenzeitlich mehrfach die weiße Fahne gehißt. Dabei waren Sie in diesem Bereich keineswegs allein auf die Unterstützung der schwachen und von Skandalen geschüttelten FDP angewiesen,
denn wir hatten Ihnen immer gesagt, daß Sie sich dort, wo Sie Freiheit und Rechtsstaat verteidigen, auf die uneingeschränkte Unterstützung der Sozialdemokraten verlassen können.
Was wir Ihnen heute vorwerfen, ist nicht so sehr, daß Sie unterlegen sind, sondern daß Sie den Kampf gar nicht erst so richtig aufgenommen haben.
Ein solcher Fall von Kapitulation ist erst einmal die Änderung des Demonstrationsstrafrechts. 13 Jahre lang haben wir uns zusammen mit der FDP bemüht, den Freiheitsraum des Bürgers auszuweiten. Zu den unveräußerlichen Rechten in einem Rechtsstaat gehört nun einmal das Demonstrationsrecht. Wir hatten die alten Bestimmungen entrümpelt. Heute — kaum daß die sogenannte Wende eingetreten ist — kehren Sie zur vorkonstitutionellen obrigkeitsstaatlichen Fassung des Landfriedensbruchsparagraphen zurück.
— Ich weiß, daß Sie das nicht gerne hören, aber es ist nichtsdestoweniger so. — Nach Ihrem Entwurf sollen künftig auch friedliche Teilnehmer einer Demonstration bestraft werden
— vielleicht sollten Sie es einmal lesen; das kann ich Ihnen leider nicht abnehmen —, wenn andere aus einer Demonstration heraus oder Dritte Gewalttätigkeiten begehen oder damit drohen.
Daß dies alles zu Unzuträglichkeiten führt, sagen nicht nur wir Sozialdemokraten; die vorgesehenen Neuregelungen werden auch von den Leuten abgelehnt, die dann mit diesem Recht umgehen müssen. Das Demonstrationsrecht wird durch die geplante
Neufassung des § 125 StGB eingeschränkt. Den Gewalttätern kann nicht besser entgegengetreten werden als bisher. Die Bereitschaft zur Gewalttätigkeit wird eher noch erhöht. Mißtrauen und Ablehnung gegenüber der Polizei werden hervorgerufen oder bestärkt, und Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte haben sich mit einer Fülle von Bagatellstrafsachen herumzuschlagen. Ich glaube, daß es Ihnen darum geht, künftig eine Rechtsgrundlage für Massenverhaftungen à la Nürnberg zu haben, damit einer, der in Pauschalverfahren aufgesammelt und einer Anklage zugeführt wird, erst gar nicht mehr freigesprochen werden kann.
In der Familienpolitik kommt die Gegenreform langsam auch auf Touren. Über die Änderung des Rechts der Scheidungsfolgen soll wieder das Schuldprinzip eingeführt werden, das wir gemeinsam — wir waren damals stolz darauf — aus dem Scheidungsrecht hinausgebracht haben.
— Ich freue mich immer, wenn Kollegen, die keine Ahnung vom Thema haben, sich dazu äußern.
Ich möchte Sie einmal fragen: Wie wollen Sie es denn anders machen, wenn Sie Ihre sogenannte Einzelfallgerechtigkeit bei den Scheidungsfolgen zum Zuge kommen lassen? — Sie werden die Richter wieder dazu zwingen, zu prüfen, wer Schuld hat, wer mehr Schuld hat und wer in welchem Bereich Schuld hat. Die alte, unzuträgliche Schnüffelpraxis vor den Gerichten wird erneut fröhliche Urstände feiern.
Herr Minister, in der „Zeitschrift für Rechtspolitik" haben Sie im Oktober dieses Jahres Ihre Vorstellungen zur Justizpolitik der 10. Legislaturperiode dargelegt. Unabhängig davon, daß darin auch einige Plattitüden wie der Satz enthalten sind, daß „die Gerechtigkeit dem Recht schon von Natur aus innewohnt", enthält dieser Aufsatz tatsächlich auch Passagen, die unsere volle Zustimmung finden. Er enthält unter anderem den Passus — ich zitiere Sie —:
Die jetzt geltende Fassung des § 218 ist das Ergebnis langjähriger Beratungen und Überlegungen, nachdem offenkundig geworden war, daß die frühere Strafregelung mit ihrer umfassenden Strafandrohung die Jahr für Jahr stattfindende hohe Zahl von illegalen Abtreibungen nicht verhinderte, wohl aber dazu führte, daß eine große Zahl von Frauen in einer schwierigen Lage in den Bereich der Kriminalität geriet. Der Schutz des ungeborenen Lebens muß deshalb mit anderen als den Mitteln des Strafrechts erreicht werden. Der relative Rechtsfriede, der nach jahrelangen, emotional aufgeladenen Diskussionen erzielt wurde, darf durch
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eine erneute Änderung des § 218 nicht gefährdet werden.
Jedem dieser Sätze können wir uneingeschränkt zustimmen.
Aber, Herr Minister, die beabsichtigte Änderung der Bestimmungen über die Kostentragung legaler Schwangerschaftsabbrüche ist längst nicht vom Tisch und die Änderung bei den Beihilfevorschriften auch nicht. Dies kann doch nur so verstanden werden, daß diese Koalition zum alten Zweiklassenrecht zurückkehren wird. Der gutbetuchten Frau wird es nichts ausmachen, wenn sie die Kosten selber tragen muß. Aber die, die über die Mittel nicht verfügt, wird wieder Kurpfuschern und Engelmachern — welch furchtbarer Euphemismus — in die Arme getrieben, und wir haben, zum Teil jedenfalls, wieder den alten Zustand. Auch zu diesem Punkt erwarten wir von Ihnen — wenn Sie zu den Aussagen stehen, die Sie in dieser Zeitschrift getan haben — ein deutliches Wort der Distanzierung.
Ein weiterer Fall der Kapitulation war der Fall Altun. Für Sie war die Zusammenarbeit mit der Polizei einer Militärdiktatur, mit der Polizei eines Staates, in dem Gefangene nachweislich gefoltert werden, mit der Polizei eines Staates, den fünf Mitglieder des Europarates wegen schwerer Verletzungen der Menschenrechte angeklagt haben, wichtiger als die Menschlichkeit, die man von einem Rechtsstaat erwarten könnte. Herr Zimmermann hat damals den Satz gesagt:
Im Interesse einer nach wie vor guten Zusammenarbeit mit der Türkei auf polizeilichem Gebiet bitte ich, den Bewilligungsbescheid für vollziehbar zu erklären.
In Kenntnis dieses Satzes, Herr Engelhard, haben Sie damals das Auswärtige Amt um Zustimmung gebeten. Die Folgen, die dieses Handeln gehabt hat, müßten Ihnen eigentlich heute noch schlaflose Nächte bereiten.
Sie haben auch das damals gemeinsam in der sozialliberalen Koalition geschaffene Mietrecht aufgekündigt. Die soziale Funktion des Rechts haben Sie — das wird auch aus Ihrem Aufsatz deutlich — bis heute nicht verinnerlicht. So ist es auch kein Wunder, daß Sie sich dort mit Ludwig Uhland einen Poeten und Politiker des 19. Jahrhunderts als zitierfähigen Mann auserkoren haben. Ich glaube tatsächlich, Herr Minister, daß Ihr Rechtsbewußtsein Schwierigkeiten hat, das 20. Jahrhundert zu erreichen.
Die Änderungen des Mietrechts haben dazu geführt, daß die Zahl der Räumungsklagen zwischen 20 und 40% angestiegen ist, in München beispielsweise um 40 %. Und, Herr Helmrich, es stehen zwar wieder Wohnungen leer, aber diese Wohnungen sind deshalb nicht vermietbar, weil die Mieten so gestiegen sind, daß sich die, die Wohnungen suchen, sie einfach nicht leisten können.
Und hier zu sagen, das hätte etwas Positives bewirkt, ist der reine Hohn. Die Gerichte sind überlastet, weil die Zahl der Klagen im Bereich des Mietrechts ungeheuer zugenommen hat.
Auch wenn wir begrüßen, daß Sie eine Reihe von Entwürfen aus der sozialliberalen Koalition wieder eingebracht haben, müssen wir doch feststellen: Selber sind Sie bisher nicht sonderlich produktiv geworden. Im übrigen gilt, so glaube ich, daß Sie Ihrem Haus als leuchtendes Beispiel für das Arbeitstempo die Schnecke vor Augen führen. Die Tatsache, daß Ihnen die Schnecke mit ihrem Tempo offensichtlich ganz besonders imponiert, hat vermutlich auch dazu geführt, daß Sie erst so spät zu den beispiellosen Angriffen des amtierenden CSUGeneralsekretärs auf die im Flick-Verfahren tätigen Staatsanwälte reagiert haben. Aber die Art und Weise, wie Sie das getan haben, Herr Minister, ist wohl kaum geeignet, Ihrer eidlich bekräftigten Pflicht, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, gerecht zu werden.
Wir Sozialdemokraten halten eine sachliche Kritik an der Justiz nicht nur für legitim,
sondern auch für notwendig; denn es darf in diesem Staat keine Tabubereiche für Kritik geben.
Die Angriffe des Herrn Tandler sind aber von einer derartigen Maßlosigkeit und von einer so grenzenlosen Unverfrorenheit, daß Herr Tandler an die Wurzeln unserer Rechtsordnung greift. Ein solcher Mann ist eine Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat und für jedes öffentliche Amt untragbar.
Wir teilen hier voll die Auffassung des Deutschen Richterbundes. Wir Sozialdemokraten stellen uns auch ausdrücklich vor die Staatsanwälte, die nur ihrer Pflicht nachgekommen sind, auch gegen Mächtige in diesem Land zu ermitteln und dann auch Anklage zu erheben, wenn ein hinreichender Verdacht des Verstoßes gegen die Gesetze unseres Landes besteht.
Wir hätten erwartet, daß sich der CSU-Vorsitzende Strauß und der Landesgruppenvorsitzende Waigel scharf von Tandler distanzieren. Daß Herr Waigel Tandler mit dem Satz verteidigt, „die Äußerungen bewegten sich in dem Ermessensspielraum, der heute möglich sein müsse", weitet diesen Skandal ins Unerträgliche aus.
Ihre wachsweiche Erklärung, Herr Minister, die Äußerung richte sich von selbst, und Ihre Mitteilung, daß Graf Lambsdorff sich offensichtlich nicht in einer Situation befinde wie die damals von Terro-
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risten in Geiselhaft genommenen Ponto und Schleyer, beruhigt uns zwar ungeheuer, ist aber für den Justizminister absolut unzureichend.
Wir haben, Herr Minister, sehr deutlich den Eindruck, daß Sie sich entgegen Ihren Äußerungen doch befangen fühlen, weil die FDP-Fraktion einen Maulkorberlaß für diese Angelegenheit herausgegeben hat.
— Sie wissen es mit Sicherheit.
— Ich hatte die Gelegenheit, mich mit Mitgliedern Ihrer Fraktion zu unterhalten. Auch daher beziehe ich meine Kenntnisse.
Was hätte wohl der liberale Vorgänger von Herrn Engelhard im Amt des Justizministers, nämlich Thomas Dehler, dazu gesagt, daß sich ein Fraktionskollege in dieser Situation so stark an sein Ministeramt klammert, und wie hätte er wohl die Äußerungen von Herrn Tandler bewertet?
Herr Minister, wir haben Ihre Arbeit im Justizministerium gewogen und für zu leicht befunden. Wir werden den Justizhaushalt ablehnen.
Herzlichen Dank.