Rede von
Dr.
Jürgen
Schmude
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erstmals seit der Aussprache über die Regierungserklärung des Bundeskanzlers im Mai dieses Jahres bietet diese Debatte die Gelegenheit, die politische Arbeit und das politische Handeln des Bundesinnenministers umfassend zu würdigen. Das Bild, das wir da sehen, hat sich leider nicht zum besseren gewendet. Besondere Leistungen sind nicht zu vermelden. Noch hat der Bundesinnenminister kein Gesetz durch den Bundestag gebracht.
Das innenpolitische Klima, das bereits durch die Ernennung dieses Bundesinnenministers im Oktober 1982 beeinträchtigt worden ist, hat er allerdings durch die von ihm ausgehenden Ankündigungen und Signale weiterhin negativ beeinflußt, ohne daß es dazu eines veränderten Paragraphen bedurft hätte.
Zu den am meisten umstrittenen Vorhaben, die der Bundesinnenminister betreibt, gehört die Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts. Selten hat ein Gesetzgebungsvorhaben im Bereich der inneren Sicherheit in der Öffentlichkeit wie in Fachkreisen eine so scharfe, ja vernichtende Kritik erfahren wie dieses. Selbst die Befürworter dieser Rechtsänderung verzichten mittlerweile darauf, der allgemein vorhandenen Besorgnis entgegenzutreten, daß das neue Recht nicht Chaoten und/oder Gewalttäter, sondern in erster Linie friedliche und gewaltlose Demonstranten bedrohen würde. Wie der Tatbestand des Landfriedensbruchs durchgesetzt werden sollte, wenn sich eine Menschenmenge nach Aufforderung nicht sogleich auflöst und die einzelnen Teilnehmer nicht schleunigst die Demonstration verlassen, weiß niemand zu sagen. Aber darum geht es j a wohl auch weniger als darum, von der Teilnahme an Demonstrationen überhaupt abzuschrecken.
Diese Rechtsänderung ist überflüssig, wie die inzwischen mit einigem Geschick praktizierte Ausschöpfung des geltenden Rechts zeigt. Das neue Strafrecht wäre aber auch unpraktikabel. Es belastet die Polizei mit der unlösbaren Aufgabe der Festnahme ganzer Menschenmengen und nimmt ihr die bisher bestehende Möglichkeit des Vorgehens nach bestem eigenen Ermessen.
Diejenigen, die diesen Fehlgriff ausbaden müssen, wehren sich mit Entschiedenheit. Der Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei, in der neun von zehn Polizisten organisiert sind, hat durch einstimmigen Beschluß über Parteigrenzen hinweg, die auch dort bestehen, die Rechtsänderung abgelehnt.
Der Bundesinnenminister nutzt in seiner Begründungsnot jeden irgendwie geeignet scheinenden Vorgang, um die Notwendigkeit des neuen Gesetzes und der Verwirklichung seiner noch weiter gehen-
2886 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
Dr. Schmude
den Absicht zum Verbot der Vermummung und der sogenannten passiven Bewaffnung daraus herzuleiten. Viel hat er da nicht aufzubieten, nachdem der von ihm mit aller Phantasie vorausgesagte heiße Herbst ausgefallen ist.
Die Ausschreitungen in Krefeld anläßlich des Besuchs des amerikanischen Vizepräsidenten im Juni schienen immerhin so, als sei eine kleine Gruppe verbiesterter Gewalttäter dabei, Herrn Zimmermann die gewünschten Stichworte und Argumente zu liefern. Neben vielem anderen hat auch die gründliche Betrachtung dieses Vorgangs im Innenausschuß des Bundestages gezeigt, daß es für polizeiliche Schutzmaßnahmen und für die Strafverfolgung in Krefeld keines verschärften Strafrechts bedurft hat.
Aber auch die unerfreulichen Zusammenstöße am Rande der Bannmeile des Bundestages am 21. und 22. November — insoweit, Herr Kollege Hirsch, schließe ich mich Ihrer harten Kritik hier an — haben keinen Bedarf an schärferem Strafrecht erkennen lassen. Zitat: „Diese Vorgänge geben keine Veranlassung, das geltende Recht zu ändern." So sagt Bundesjustizminister Engelhard dazu mit vollem Recht.
Somit bleibt es beim Signal der Einschüchterung all jener kritischer Bürger, die ihren Unmut über die Politik der Bundesregierung nicht nur im privaten Kreis, sondern gemeinsam mit anderen auch in der Öffentlichkeit artikulieren. Ist es dieses Ziel der Einschüchterung, Herr Bundesinnenminister, das Sie an dem neuen Gesetzesvorhaben so uneinsichtig festhalten läßt? Gleichgerichtete andere Erklärungen aus dem letzten Jahr lassen das vermuten.
Die drohende Strafrechtsverschärfung reichte Ihnen im Juli 1983 plötzlich nicht mehr. Es sollten auch schärfere gegenständliche Instrumente in etwaigen Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Demonstranten eingeführt werden. Der erstaunten Öffentlichkeit und den ebenso überraschten wie befremdeten Fachleuten kündigten Sie die Einführung von Gummiwuchtgeschossen bei Polizei und Bundesgrenzschutz an.
Niemand wußte etwas davon, daß durch neue technische Entwicklungen die seit langem erhärteten, durchgreifenden Bedenken gegen Gummiwuchtgeschosse ausgeräumt worden wären. Den Innenministern der Länder war weder bekannt noch akzeptabel, daß die Bewaffnung der ihnen unterstehenden Polizei nunmehr durch Verfügung des Bundesinnenministers geregelt werden konnte.
So fand denn das mit geringem Sachverstand angekündigte Vorhaben ein schnelles, unrühmliches Ende zwischen deutlichen Zurückweisungen durch die Länderinnenminister und einer korrigierenden
Sprechererklärung aus dem Bundesinnenministerium.
Zur Zurückhaltung und Vorsicht ließ sich der Bundesinnenminister dadurch freilich nicht bewegen. Im Gegenteil: An großen Ankündigungen und starken Worten herrschte weiterhin kein Mangel.
Die Friedensbewegung und ihre für den Herbst erwarteten Demonstrationen waren es, die die besondere Zuwendung des Bundesinnenministers durch öffentliche Angriffe fanden. Gewiß, es hat in Organisationen und Kreisen, die die Friedensbewegung mit tragen, leichtfertiges und auch unverantwortliches Gerede über ein Recht zum Widerstand gegeben. Viele haben dieser Auffassung in ernsthafter und geduldiger Diskussion widersprochen: die Kirchen, wir Sozialdemokraten und auch maßgebliche Persönlichkeiten, deren Wort in der Friedensbewegung besonderes Gewicht hat. Vor allem dadurch wurde die Verwirrung geklärt, die Gefahr gebannt. Die aufsehenerregenden Beiträge des Bundesinnenministers in diesem Prozeß bestanden leider nicht in besonders gut durchdachten Argumenten, sondern in phantasiereichen öffentlichen Spekulationen über einen gewalttätigen heißen Herbst und der Ankündigung entschlossenen Durchgreifens der Sicherheitskräfte. Die Besorgnis war begründet, daß damit ein heißer Herbst geradezu herbeigeredet werden sollte, um die Stärke des Staates in der Niederwerfung seiner Kritiker zu beweisen.
Aus alledem ist nichts geworden. Die großen Friedensdemonstrationen sind so verlaufen, wie es ihrer Zielsetzung angemessen war, nämlich friedlich. Das beabsichtigte harte Durchgreifen von Polizei und Strafverfolgungsbehörden wurde entbehrlich, übrigens nicht zuletzt dank des besonderen Geschicks, des Einfühlungsvermögens und der Geduld der Polizei in den betroffenen Ländern und ihrer Führung. Ein Bedarf an verschärften rechtlichen oder sonstigen Instrumenten des Staates trat j eden-falls nicht auf. Aus Berichten und Gesprächen weiß ich, daß Polizeibeamte durch Erlebnisse vor allem des 22. Oktober 1983, des Tages der großen Demonstrationen, bewegt und beeindruckt worden sind.
Auch diejenigen, die bis dahin ein verschärftes Demonstrationsrecht gefordert hatten, sind in dieser Frage nachdenklich geworden. Gilt das auch für die Bundesregierung? Gilt das auch für Sie, Herr Bundesinnenminister? Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, daß der friedliche Verlauf der von Ihnen ganz anders vorhergesagten Herbstdemonstrationen eine besondere Antwort von Ihnen verdient?
Sie haben für diese Antwort eine große Chance. Sie
können sie wirkungsvoll nutzen. Sie brauchen nur
die geringfügige Bereitschaft zur Selbstkorrektur.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 2887
Dr. Schmude
Der für den Regierungsentwurf zum Demonstrationsstrafrecht mit zuständige Justizminister wird Ihnen nach den Beschlüssen des Karlsruher Parteitags der FDP gewiß nicht im Wege stehen. So appelliere ich an Sie: Setzen auch Sie ein Friedenszeichen,
verblüffen und beeindrucken Sie Ihre Gegner, indem Sie das unglückselige Gesetzesvorhaben zur Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts zurückziehen.
Sie dürfen sicher sein, daß dieses Zeichen richtig verstanden werden würde und daß es eine weitreichende positive Wirkung entfalten würde.
Ich fürchte, Sie haben dazu die Kraft nicht. Es reicht nur zu starken Worten.
Dabei geht dann jede Differenzierung, jede Bereitschaft zum Begreifen und Ernstnehmen des politischen Gegners verloren. Am Umgang der Bundesregierung mit der Friedensbewegung und anderen Kritikern der Raketennachrüstung haben wir das in bedauerlicher und erschreckender Form vorgeführt bekommen. An die bösartigen Äußerungen des Bundesministers Geißler sei hierbei nur kurz erinnert; sie sind nicht vergessen und nicht vergeben.
Daran dürfte ihm ja auch selbst nicht gelegen sein, denn er hat seine massiven Beschimpfungen, zunächst der Pazifisten und später der deutschen Sozialdemokratie, in kalter Berechnung auf lang anhaltende Wirkung angelegt.
Das waren die Höhepunkte einer Kampagne, zu der auch der Bundesinnenminister in seinem Verantwortungsbereich kräftig beigetragen hat. Immer wieder macht uns dieser Verfassungsminister seine Intoleranz gegenüber der abweichenden Meinung
durch die Behauptung deutlich, die — wie er es nannte — Kampagne gegen die Nachrüstung sei von Kommunisten inszeniert
und werde außer von ihnen nur noch von Mitläufern getragen; auch wenn sie sich ehrenwerte Motive einbildeten, handelten sie gegen die inneren und äußeren Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland.
Genau in der Linie dieser pauschalen Diffamierung liegt das vom Bundesinnenministerium erstellte primitive Pamphlet über kommunistische Einflußnahme auf die Protestbewegung.
Es wird dem Bundesinnenminister hoffentlich zu denken geben,
daß nach diesen unsinnigen Geldausgaben zu Diffamierungszwecken der betreffende Mittelansatz in seinem Haushalt im Haushaltsausschuß um 100 000 DM gekürzt worden ist. Eine deutliche Antwort!
Leider ist in der Ausländerpolitik noch nicht erkennbar, daß jemand dem Bundesinnenminister wirksam Einhalt gebietet. Gegen die schroffe Ablehnung durch die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen unseres Landes, besonders gegen die Ablehnung der Kirchen, gegen die entschiedenen und sachkundigen Forderungen der von der Bundesregierung eingesetzten Ausländerbeauftragten, gegen die Kritik der Oppositionsfraktionen und selbst seines Koalitionspartners — wir haben das eben noch einmal gehört — hält Herr Zimmermann fest an seinem restriktiven und repressiven Kurs, der bereits jetzt zu einem frostigen Klima für die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer geführt hat.
Eine besonders bedenkliche Einzelmaßnahme ist dabei die Nachzugsbeschränkung für solche Kinder ausländischer Eltern mit Aufenthaltsrecht bei uns, die älter als sechs Jahre sind.
Was es aber in der Praxis bedeuten würde, Kinder von sieben, acht oder elf Jahren von ihren Eltern fernzuhalten, dürfte sich bisher noch kaum jemand ausmalen.
Auf diese Praxis aber kommt es an, nicht auf lebensferne Theorie, die in Gesetzestexte und Richtlinien eingeht. Das Beispiel der elfjährigen Türkin, die vor einigen Monaten aus Berlin abgeschoben werden sollte, obwohl sich in der Heimat niemand zu ihrer Aufnahme bereithielt, hat vielleicht einigen sonst gleichgültigen Betrachtern die Augen für die bevorstehenden praktischen Probleme geöffnet. Wie Sie wissen, ist sie dann nicht abgeschoben worden.