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ID1004202200

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    8. Schmude.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/42 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 42. Sitzung Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 2865A Begrüßung des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für das Flüchtlingswesen, Poul Hartling 2955 B Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. Dezember 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Sasbach und Marckoldsheim — Drucksache 10/252 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr — Drucksache 10/688 — 2865 A Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Zweiten Protokoll vom 17. Februar 1983 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 22. April 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei einigen anderen Steuern — Drucksache 10/461 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 10/694 — 2865 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Feuerschutzsteuergesetzes — Drucksache 10/556 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 10/714 — 2865 D Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 (Haushaltsgesetz 1984) — Drucksachen 10/280, 10/534 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses in Verbindung mit Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz 1984) — Drucksachen 10/335, 10/347 — Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses — Drucksachen 10/690, 10/691 — Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksachen 10/631, 10/659 — . . . . 2866 A II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksachen 10/632, 10/659 — Conradi SPD 2866 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 2867 C Seiters CDU/CSU 2868 B Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksachen 10/633, 10/659 — . . . . 2868 D Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — Drucksachen 10/636, 10/659 — und Art. 23, 24, 24a, 25 und 25a des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 — Drucksachen 10/335, 10/347, 10/690, 10/691 — in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung — Drucksachen 10/656, 10/659 — in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung — Drucksache 10/654 — Kühbacher SPD 2869 A Gerster (Mainz) CDU/CSU 2872 D Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 2878 A Dr. Hirsch FDP 2881 D Dr. Schmude SPD 2885 C Dr. Laufs CDU/CSU 2889A Schäfer (Offenburg) SPD 2893 B Baum FDP 2896 D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 2898 D Namentliche Abstimmung 2904 C Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Drucksachen 10/637, 10/659 — in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksachen 10/646, 10/659 — Helmrich CDU/CSU 2906 C Schmidt (München) SPD 2908 D Kleinert (Hannover) FDP 2911 B Schily GRÜNE 2912 C Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 2914 B Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr — Drucksachen 10/642, 10/659 — Hoffmann (Saarbrücken) SPD 2916 C Metz CDU/CSU 2920 B Drabiniok GRÜNE 2922 C Hoffie FDP 2924 C Dr. Dollinger, Bundesminister BMV . . 2926 C Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen — Drucksachen 10/643, 10/659 — Dr. Friedmann CDU/CSU 2928 B Paterna SPD 2930 B Hoffie FDP 2933 B Frau Reetz GRÜNE 2934 D Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister BMP 2936 D Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksachen 10/649, 10/659 — und Art. 26 a des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 — Drucksachen 10/335, 10/347, 10/690, 10/691 — Müntefering SPD 2939 B Echternach CDU/CSU 2942 A Sauermilch GRÜNE 2944 D Gattermann FDP 2946 D Dr. Schneider, Bundesminister BMBau 2948 C Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie — Drucksachen 10/651, 10/659 — Dr. Stavenhagen CDU/CSU 2952 C Vosen SPD 2955 B Dr.-Ing. Laermann FDP 2958 D Frau Dr. Bard GRÜNE 2961 A Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 2962 D Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — Drucksachen 10/652, 10/659 — Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 III und Art. 22 des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 — Drucksachen 10/335, 10/347, 10/690, 10/691 — Vogelsang SPD 2966 B Dr. Rose CDU/CSU 2968 B Dr. Jannsen GRÜNE 2971 B Neuhausen FDP 2972 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 2974 C Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksachen 10/648, 10/659 — Brück SPD 2977 C Schröder (Lüneburg) CDU/CSU 2980 C Frau Gottwald GRÜNE 2983 B Frau Seiler-Albring FDP 2985 B Dr. Hauchler SPD 2987 D Dr. Pinger CDU/CSU 2991 A Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 2993 B Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksachen 10/650, 10/659 — Heimann SPD 2997 B Stiegler SPD 2999 B Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 3000 C Schneider (Berlin) GRÜNE 3003 A Ronneburger FDP 3005 A Windelen, Bundesminister BMB . . . 3006 D Nächste Sitzung 3008 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 3008 B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 2865 42. Sitzung Bonn, den 6. Dezember 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. h. c. Lorenz 9. 12. Offergeld 9. 12. Pauli 9. 12. Petersen 9. 12. Rapp (Göppingen) 9. 12. Dr. Stark (Nürtingen) 9. 12. Stockleben 9. 12. Schlaga 6. 12. Schmidt (Hamburg) 9. 12. Schreiner 9. 12. Voigt (Frankfurt) ** 6. 12. Frau Dr. Wex 9. 12. Dr. Wittmann 9. 12. Dr. Wörner 6. 12. ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Burkhard Hirsch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die uns vorgelegten Zahlen zeigen keine nervenzerfetzenden Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf. Ich bin dem Kollegen Gerster dankbar, daß er etwas geradegerückt hat, was Herr Kühbacher dargestellt hatte: überproportionale Steigerungsraten im Bereich von Sport, Umwelt und Kultur; bescheiden, aber jedenfalls über dem Durchschnitt.
    2882 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
    Dr. Hirsch
    Herr Kollege Gerster, zu dem Zitat von Seneca muß man übrigens sagen

    (Zurufe von der CDU/CSU: Cicero!)

    — von Cicero; auch gut —: Das Zitat ist über 2 000 Jahre alt. Wenn es so lange Zeit nichts gefruchtet hat, muß man natürlich auch einmal die Qualität solcher Ratschläge überprüfen.

    (Heiterkeit bei der SPD — Kolb [CDU/ CSU]: Das Problem ist, ob wir daraus lernen wollen!)

    — Wir werden genausoviel lernen wie die Menschen in den letzten 2 000 Jahren vor uns. Das ist mein Eindruck.
    Die ersten grundsätzlichen Bemerkungen möchte ich zu den Entscheidungen machen, die sich im Haushaltsbegleitgesetz auf den öffentlichen Dienst beziehen. Wir bedauern natürlich, daß selbst die zurückhaltenden Wünsche, die wir dazu im Innenausschuß geäußert haben, keine Deckung gefunden haben. Wir haben die massiven Forderungen der Opposition in diesem Bereich, die Sie hier wiederholen, deswegen abgelehnt, weil wir für sie erst recht keine Deckungsmöglichkeit gesehen haben. Man darf nichts fordern, von dem man selbst weiß, daß es nicht erfüllbar ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, auf deren Loyalität wir angewiesen sind, wissen, daß auch in diesem Haushalt die strukturellen Korrekturen zur Lösung unserer wirtschaftlichen Probleme den absoluten Vorrang haben müssen. Aber wir müssen unseren Mitarbeitern auch die Gewißheit geben, daß sie nicht einseitig belastet werden und daß sie angemessen an der Wirtschaftsentwicklung teilnehmen können. Wir haben eine Verwaltung, mit der wir im Gegensatz zu vielen anderen Ländern nicht nur zufrieden, sondern auf die wir stolz sein können.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das sage ich auch mit Blick auf die Justiz.
    Diese Verwaltung ist dem Staat und seiner Verfassung verpflichtet. Sie weiß sich an Gesetz und Recht gebunden. Und selbst dann, wenn man mit einzelnen Entscheidungen inhaltlich und dem Verfahren nach überhaupt nicht einverstanden ist, stellt es eine unglaubliche und durch nichts zu entschuldigende Entgleisung dar, einzelne Beamte mit terroristischen Mördern gleichzusetzen.

    (Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

    Wir wollen und werden an den Grundsätzen des Berufsbeamtentums festhalten. Wir wollen keine Aushöhlung des Berufsbeamtentums vom Status oder der Motivation her. Wir werden eine solche Entwicklung auch nicht akzeptieren. Wir wollen auch weiterhin qualifizierten Nachwuchs für den öffentlichen Dienst gewinnen können.
    Wir sehen mit Sorge, daß der Berufsbeamte, häufig mit großer Fröhlichkeit, zum Opfer der allgemeinen Bürokratiediskussion gemacht wird. Wir halten die schlichte Gegenüberstellung tüchtiger, leistungsstarker, innovationsfreudiger Lichtgestalten — sämtlich natürlich in der gewerblichen Wirtschaft tätig — hier und schlappe, risikoscheue privilegiengesättigte Bürokraten auf der anderen Seite für einen Unsinn, den man selbst an Stammtischen nicht akzeptieren sollte.
    Wir wollen unsere Politik in Fragen des Besoldungsrechtes an folgenden Grundsätzen unverändert orientieren.
    Erstens. Der öffentliche Dienst hat einen Anspruch darauf, von der allgemeinen Einkommensentwicklung nicht grundsätzlich und nicht langfristig abgekoppelt zu werden.
    Zweitens. Die Beamten haben einen Anspruch darauf, insgesamt nicht schlechter gestellt zu werden als Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst.

    (Dr. Apel [SPD]: Aha!)

    Wir erwarten zwar, daß gerade der Beamte in Notzeiten ein besonderes Verständnis auch für ihn belastende Entscheidungen aufbringt. Aber wir können ihm keine strukturellen und auf Dauer gegenüber dem tariffähigen Bereich benachteiligende Lösungen zumuten. Darum gehen wir davon aus, daß die kommenden Tarifverhandlungen im Interesse des Haushaltes mit der notwendigen Entschlossenheit und der notwendigen Solidarität von Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam geführt werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Drittens. Der Gesetzgeber muß auch gegenüber seinen Mitarbeitern den Vertrauensschutz wahren. Insbesondere sollte kein Gesetz in Tatbestände eingreifen, auf die unsere Mitarbeiter ihre Alters- und Krankensicherungen aufgebaut haben und denen sie nicht mehr ausweichen können. Darum werden wir uns weiter darum bemühen, Neuregelungen z. B. zu § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes in ihren Wirkungen für die Betroffenen zu mildern.
    Jenseits dieser haushaltsmäßigen Betrachtung besteht Anlaß zu einigen grundsätzlichen Bernerkungen. Niemals innerhalb der letzten 20 Jahre sind die Grenzen der Verfassung so offen und so unmittelbar in Frage gestellt worden wie in diesem Jahr. Es ist ohne Beispiel, daß dieses Parlament eines freien Staates unter massivem Polizeischutz tagen mußte,

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

    um sicher sein zu können, daß seine Mitglieder dieses Parlament erreichen und hier ordnungsgemäß beraten können.

    (Dr. Hackel [CDU/CSU]: Das haben wir ausschließlich den GRÜNEN zu verdanken!)

    In keinem Jahr ist so wie in diesem so leichtfertig mit der anarchischen Drohung der Unregierbarkeit

    (Dr. Hackel [CDU/CSU]: Wie die Nationalsozialisten!)

    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 2883
    Dr. Hirsch
    in militarisierenden Vokabeln von „Belagern" und „Blockieren" und mit den Begriffen des „zivilen Ungehorsams" und „Widerstandes" hantiert worden, obwohl wir in einem Staat leben, dessen rechtsstaatliche Qualität vollkommen unangetastet ist, auch wenn es in wesentlichen politischen Fragen tiefe Gegensätze gibt.

    (Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Fragen Sie Herrn Biedenkopf mal, wie er dazu steht!)

    — Ich habe genau gelesen, was Herr Biedenkopf gesagt hat, und ich gehe davon aus, daß er jedes Wort von dem, was ich hier gesagt habe, unterschreiben würde.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Überzeugung, daß politische Gegensätze mit demokratischen Mitteln ausgetragen werden müssen, ist tiefer verwurzelt, als es manche Anhänger von Bewegungen wahrhaben wollen.

    (Beifall bei der FDP)

    Es gilt unverändert: Niemand muß sich in unserem Staat zum Helden emporstilisieren, wenn er für etwas eintritt, was die verfassungsmäßige Demokratie nicht nur nicht verbietet, sondern ausdrücklich gewährleistet und schützt: Oppositions- und Meinungsfreiheit innerhalb und außerhalb dieses Hauses.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Man muß in einer Demokratie akzeptieren, daß die politische Mehrheit nicht schon deswegen verfassungswidrig ist, weil sie sich nicht der Überzeugung der Minderheit anschließt.

    (Erneuter Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Aber es ist ebenso falsch zu glauben, daß alle legalen Beschlüsse auch legitim seien. Legitimität ist mehr; sie bezieht sich auf gemeinsame politische Grundüberzeugungen, und ohne diesen Bezug werden die Mehrheitsentscheidungen zur Unterwerfung der Minderheit und zu ihrer dauernden Ausgrenzung führen. Die Aufforderung zum Widerstand auf der einen Seite ist darum ebenso töricht wie die Versuche, die Überzeugungen derjenigen Mitbürger, die sich selbst den Namen Friedensbewegung gegeben haben, als schlechthin in verfassungsfeindlicher Absicht ferngesteuert zu diskreditieren, als „Fünfte Kolonne". Wir brauchen keine geistigen Barrikaden, die unser Volk in Gute und Böse, in Rechtgläubige und Ketzer aufteilen und die aus einer demokratischen Auseinandersetzung den Kampf feindlicher Gruppen um die Macht werden lassen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Unsere Demokratie ist nicht gefährdet. Die Einflüsse der Extremisten sind minimal. Das muß nicht so bleiben. Demokratisches Bewußtsein ist keine Selbstverständlichkeit. Das repräsentative System wird auf Dauer nur erhalten bleiben, wenn sich die Bürger selbst in ihm repräsentiert sehen. Zur Selbstzufriedenheit besteht wahrlich kein Anlaß. Es ist sehr wohl eine berechtigte Frage, warum erst die ökologische Katastrophe des Waldsterbens mit erheblichen ökonomischen Folgen eintreten mußte, ehe Widerstände in allen Fraktionen gegen weitergehende Umweltschutzentscheidungen allmählich überwunden werden konnten. Gerhart Baum wird dazu noch näher ausführen, welche Entscheidungen wir im Bereich des Umweltschutzes anstreben und daß Umweltschutz für uns Verfassungsrang hat.
    Es ist sehr wohl notwendig, daß dieses Parlament und daß die Parteien langfristiger, grundsätzlicher und rechtzeitiger die politischen Fragen behandeln müssen, die die Menschen gegen Ende unseres Jahrhunderts in zunehmendem Maße beunruhigen und beschäftigen, nämlich die Erhaltung des Friedens mit Waffen, die unsere Vernichtung bewirken können, die Versöhnung mit der Umwelt, die Beherrschung und Akzeptanz der modernen Technologien und der neuen Medien in Wirtschaft, Arbeitsleben und im privaten Bereich, die Verantwortung der Wissenschaft für die politischen Folgen ihrer Erkenntnisse und schließlich die ernsthafte Beschäftigung mit den Folgen, die sich aus dem dramatischen Auseinanderfallen des Lebensstandards in den verschiedenen Teilen dieser Welt für uns selbst ergeben. Dabei sollten wir keineswegs vergessen, unseren Mitbürgern zu sagen, daß wir es sind, die trotz unserer wirtschaftlichen Probleme im Vergleich zu anderen Ländern geradezu auf einer Insel des Wohlstands leben.

    (Beifall bei der FDP)

    Die Bewährung in diesen Fragen ist ein besserer Schutz unserer Verfassung als die schlichte Frage, ob die Ausrüstung und die Ausbildung der Polizei ausreichen, um die äußeren Folgen sozialer und politischer Spannungen zu beherrschen. Es darf aber auch kein Zweifel daran bestehen, daß sie ausreichen müssen. Der Staat kann, darf und wird sich nicht aufgeben. Aber die Ursachen politischer Spannungen können mit der Polizei und ihren Mitteln nicht behoben werden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Das sage ich unabhängig davon, daß wir der Polizei des Bundes und der Länder unseren Dank für ihre aufopferungsvolle Arbeit in schwieriger Lage aussprechen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    Ich möchte auf ein paar Einzelpunkte eingehen, die in den nächsten Monaten für Entscheidungen erkennbar wichtig sein können.
    Erstens. Hier ist von der beabsichtigten Novellierung des Tatbestands des Landfriedensbruchs gesprochen worden. Dazu gibt es, wie jeder weiß, eine Koalitionsvereinbarung. Wir werden uns an diese Koalitionsvereinbarung halten.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Auch Herr Zimmermann?)

    Aber wir werden gemeinsam den Inhalt dieser Vereinbarung auf den Prüfstand einer öffentlichen Anhörung stellen, in der die Praktiker, die Polizei, die
    2884 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
    Dr. Hirsch
    Organe der Rechtspflege, die Anwaltschaft, auch die Gewerkschaften, ihre Stellungnahme zur Praktikabilität dieser Vorstellungen darlegen können. Wir werden sehr sorgsam prüfen, welche Auswirkungen sich aus den neuen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Landgerichts Krefeld in einschlägigen Verfahren mit, wie mir scheint, neuen Rechtsgrundsätzen für diese Novellierungsabsicht ergeben.
    Zweitens. Die Privatsphäre des Bürgers muß auch in dem berühmten Orwellschen Jahr 1984 gewahrt bleiben. Darum kommt es uns bei der Novellierung des Datenschutzgesetzes nicht nur darauf an, daß das Gesetz der schnellen technischen Entwicklung Rechnung trägt, sondern vor allem müssen der individuelle Rechtsschutz — auch im Sicherheitsbereich — und die Kontrollmöglichkeiten des Datenschutzbeauftragten verbessert werden.

    (Zustimmung bei der FDP)

    Der Datenschutz ist auch heute noch keine Selbstverständlichkeit. Es hat in Bund und Ländern in den letzten Jahren sowohl ermutigende Fortschritte als auch wesentliche Fehlleistungen gegeben, die sich nicht wiederholen oder fortsetzen sollten.
    Die Einführung der neuen Personalausweise — Herr Kollege Ehmke, ich muß dazu sagen, aus Ihren Bemerkungen hatte ich den Eindruck, daß Ihnen nicht bekannt ist, daß dieses Gesetz verabschiedet ist — wird aber, worin wir übereinstimmen, viele Fragen auslösen. Der Bundestag hatte 1980 einmütig beschlossen — ich nehme an, mit allen Stimmen der Mitglieder dieses Hauses —, daß die Einführung dieser Ausweise besondere Datenschutzregeln im Sicherheitsbereich voraussetzt. Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern haben das aufgegriffen und die Forderung dieses Hauses sehr eindrucksvoll präzisiert. Auch wir teilen unverändert diese gemeinsame Überzeugung und sind beunruhigt darüber, daß die notwendigen bereichsspezifischen Regeln im Sicherheitsbereich bisher keine für uns erkennbar greifbaren Formen angenommen haben. Wir erinnern darum erneut an die Vorlage des Amtshilfeberichts, der der Ausgangspunkt vieler Überlegungen in diesem Bereich sein muß.
    In wenigen Tagen wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz veröffentlicht werden. Wir erwarten uns von dieser Entscheidung grundsätzliche Ausführungen des Senats über den Datenschutz im Rahmen der verfassungsmäßigen Grundrechte. Aber unabhängig davon wird sich die politische Frage stellen, wie es mit der Volkszählung weitergehen soll. Wir halten sie grundsätzlich für erforderlich. Aber sie wird und kann inhaltlich beschränkt werden, und sie muß vor allem den Schutz der Anonymität auch im Verwaltungsvollzug wahren. Wir werden dazu den Gesetzentwurf, den wir Anfang dieses Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt haben, erneut präsentieren.

    (Beifall bei der FDP)

    Die unerwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat — das muß man rückblickend sagen — ebenso wie die Arbeit der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder dem Grundgedanken des Datenschutzes geholfen, dem Grundgedanken nämlich, daß die Privatsphäre des einzelnen Vorrang vor der Verwaltungsrationalität des Staates haben und behalten muß.

    (Beifall bei der FDP)

    Drittens. Der Schutz der Minderheiten ist unverzichtbar; das gilt in vielen Bereichen. Die klassischen Minderheiten unter uns sind die Ausländer. Ich brauche unsere Grundsätze zur Ausländerpolitik hier nicht zu wiederholen; sie sind bekannt und haben sich nicht geändert. Gerade unsere Erfahrungen in der Türkei haben uns darin bestärkt, daß die Bundesrepublik keine Maßnahmen treffen sollte, die auch in anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft nicht einmal erwogen werden und tief in Entscheidungen eingreifen würden, die sich auf den engsten Kreis der Familie beziehen und die wir gegenüber unseren eigenen Landsleuten keinesfalls dem Staat überlassen würden.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Wir sind uns allerdings der Tatsache bewußt, daß es ein Defizit an Integration auch langjährig bei uns lebender ausländischer Arbeitnehmer gibt, insbesondere im Bereich Schule und Wohnen, und diese Integration ist kein einseitiger Prozeß. Die Beauftragte der Bundesregierung für die Integration ausländischer Arbeitnehmer — so heißt ihre zutreffende Bezeichnung — leistet hier eine Arbeit, die im wohlverstandenen Interesse der Bundesrepublik liegt, bei der sie jede Förderung und Unterstützung verdient

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Auch vom Minister!)

    und hinsichtlich der sie — wie ich sicher weiß — das volle Vertrauen der Mehrheit dieses Hauses genießt.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD — Dr. Apel [SPD]: Nicht des Ministers!)

    Dem Gespräch mit dem Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Poul Hartling, sehen wir mit besonderem Interesse entgegen. Wir wollen eine über diesen Besuch hinausreichende offene Zusammenarbeit im Interesse der Menschen, die ihre Heimat aus politischen Gründen verlassen mußten.
    Es ist ganz unbestreitbar, daß die hohe Zahl ausländischer Asylbewerber in den letzten Jahren deswegen negative Folgen gehabt hat, weil der massenweise Mißbrauch des Asylrechts offenkundig war.

    (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Allerdings sind diese Menschen, die wir Wirtschaftsflüchtlinge nennen, ja eigentlich Armutsflüchtlinge. Sie sind die Folge unseres eigenen Unvermögens, die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge so zu regeln, daß alle Menschen auf dieser
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 2885
    Dr. Hirsch
    Erde Platz, Raum und Möglichkeit zum Leben in ihren eigenen Ländern haben; das ist der Punkt.

    (Beifall des Abg. Baum [FDP] und bei Abgeordneten der SPD — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das können wir nicht allein!)

    Inzwischen ist die Zahl der Asylbewerber dramatisch zurückgegangen. Ich wünschte, daß die Zahl der Staaten, die ihre Bürger politisch verfolgen, ebenso drastisch zurückgegangen wäre. Es war darum verdienstvoll, daß der Flüchtlingskommissar unsere Aufmerksamkeit auf die Sammelunterkünfte gelenkt hat, in der Asylbewerber wohnen müssen. Er hat die Kernpunkte seiner Kritik aufrechterhalten und stimmt darin mit manchen Organisationen der Wohlfahrtspflege überein, so in der verheerenden Wirkung der langfristigen Verweigerung der Arbeitserlaubnis oder der engen räumlichen Beschränkung der Aufenthaltsgestattung, um nur wenige Punkte zu nennen, die wir im Innenausschuß im einzelnen erörtert haben. Unsere Besuche in den Sammelunterkünften, die wir fortsetzen werden, waren teilweise außerordentlich unerfreulich, weil die Behandlung der Asylbewerber — bei sehr bescheidenen Ansprüchen — in der Tat häufig zu wünschen übrigließ.
    Wir werden unsere Entscheidungen bei einer Novellierung des Asylrechts an der sachgerechten Lösung dieser erheblichen sozialen Probleme ausrichten. Und: Wir wollen die gesetzgeberisch noch ungelöste Kollision von Asyl- und Auslieferungsrecht in der bisherigen Form nicht verlängern. Alle drei Bereiche gehören in eine einheitliche und nach unserer Meinung auch sehr schnell zu bewirkende Novellierung des Asylrechts hinein.
    Viertens. Innenpolitik ist für uns nicht in erster Linie ein Instrument der Ausübung staatlicher Macht. Es ist ein Mittel, den inneren Frieden zu fördern, dem Bürger Freiräume zu schaffen, seine Privatsphäre zu schützen, ihn durch Entbürokratisierung vor überflüssiger Gängelei zu bewahren, das vielfältige kulturelle Leben zu fördern, ohne es durch staatliche Vorgaben in genehme und unge-nehme Kunst aufzuteilen. Es ist ein Mittel, die Mitarbeit und die Mitverantwortung des Bürgers in freiwilligen Organisationen zu stärken.
    Für all diese Bereiche zeigt der Haushalt positive Ansätze. Der Innenminister kann sicher sein, daß wir ihn in diesen Bereichen uneingeschränkt unterstützen werden. Die Liberalen werden sich als verläßliche Koalitionspartner erweisen, wo wir uns auf gemeinsame Ziele verständigt haben. Wir werden den Innenminister im Rahmen der Koalitionsvereinbarung unterstützen, und wir sind den Kollegen Miltner, Dr. Laufs und anderen sehr dankbar, daß sie sich so tatkräftig um die Ausfüllung dieser Vereinbarung bemühen.
    Niemand aber braucht zu fürchten — auch nicht in der Opposition —, daß die eigene Handschrift der Liberalen verlorengeht. Sie wird unübersehbar bleiben.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von Dr. Rainer Barzel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmude.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Jürgen Schmude


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erstmals seit der Aussprache über die Regierungserklärung des Bundeskanzlers im Mai dieses Jahres bietet diese Debatte die Gelegenheit, die politische Arbeit und das politische Handeln des Bundesinnenministers umfassend zu würdigen. Das Bild, das wir da sehen, hat sich leider nicht zum besseren gewendet. Besondere Leistungen sind nicht zu vermelden. Noch hat der Bundesinnenminister kein Gesetz durch den Bundestag gebracht.

    (Beifall bei der SPD)

    Das innenpolitische Klima, das bereits durch die Ernennung dieses Bundesinnenministers im Oktober 1982 beeinträchtigt worden ist, hat er allerdings durch die von ihm ausgehenden Ankündigungen und Signale weiterhin negativ beeinflußt, ohne daß es dazu eines veränderten Paragraphen bedurft hätte.

    (Beifall bei der SPD)

    Zu den am meisten umstrittenen Vorhaben, die der Bundesinnenminister betreibt, gehört die Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts. Selten hat ein Gesetzgebungsvorhaben im Bereich der inneren Sicherheit in der Öffentlichkeit wie in Fachkreisen eine so scharfe, ja vernichtende Kritik erfahren wie dieses. Selbst die Befürworter dieser Rechtsänderung verzichten mittlerweile darauf, der allgemein vorhandenen Besorgnis entgegenzutreten, daß das neue Recht nicht Chaoten und/oder Gewalttäter, sondern in erster Linie friedliche und gewaltlose Demonstranten bedrohen würde. Wie der Tatbestand des Landfriedensbruchs durchgesetzt werden sollte, wenn sich eine Menschenmenge nach Aufforderung nicht sogleich auflöst und die einzelnen Teilnehmer nicht schleunigst die Demonstration verlassen, weiß niemand zu sagen. Aber darum geht es j a wohl auch weniger als darum, von der Teilnahme an Demonstrationen überhaupt abzuschrecken.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Diese Rechtsänderung ist überflüssig, wie die inzwischen mit einigem Geschick praktizierte Ausschöpfung des geltenden Rechts zeigt. Das neue Strafrecht wäre aber auch unpraktikabel. Es belastet die Polizei mit der unlösbaren Aufgabe der Festnahme ganzer Menschenmengen und nimmt ihr die bisher bestehende Möglichkeit des Vorgehens nach bestem eigenen Ermessen.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Diejenigen, die diesen Fehlgriff ausbaden müssen, wehren sich mit Entschiedenheit. Der Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei, in der neun von zehn Polizisten organisiert sind, hat durch einstimmigen Beschluß über Parteigrenzen hinweg, die auch dort bestehen, die Rechtsänderung abgelehnt.
    Der Bundesinnenminister nutzt in seiner Begründungsnot jeden irgendwie geeignet scheinenden Vorgang, um die Notwendigkeit des neuen Gesetzes und der Verwirklichung seiner noch weiter gehen-
    2886 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
    Dr. Schmude
    den Absicht zum Verbot der Vermummung und der sogenannten passiven Bewaffnung daraus herzuleiten. Viel hat er da nicht aufzubieten, nachdem der von ihm mit aller Phantasie vorausgesagte heiße Herbst ausgefallen ist.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie sind auch ausgefallen!)

    Die Ausschreitungen in Krefeld anläßlich des Besuchs des amerikanischen Vizepräsidenten im Juni schienen immerhin so, als sei eine kleine Gruppe verbiesterter Gewalttäter dabei, Herrn Zimmermann die gewünschten Stichworte und Argumente zu liefern. Neben vielem anderen hat auch die gründliche Betrachtung dieses Vorgangs im Innenausschuß des Bundestages gezeigt, daß es für polizeiliche Schutzmaßnahmen und für die Strafverfolgung in Krefeld keines verschärften Strafrechts bedurft hat.

    (Sehr wahr! bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Aber auch die unerfreulichen Zusammenstöße am Rande der Bannmeile des Bundestages am 21. und 22. November — insoweit, Herr Kollege Hirsch, schließe ich mich Ihrer harten Kritik hier an — haben keinen Bedarf an schärferem Strafrecht erkennen lassen. Zitat: „Diese Vorgänge geben keine Veranlassung, das geltende Recht zu ändern." So sagt Bundesjustizminister Engelhard dazu mit vollem Recht.
    Somit bleibt es beim Signal der Einschüchterung all jener kritischer Bürger, die ihren Unmut über die Politik der Bundesregierung nicht nur im privaten Kreis, sondern gemeinsam mit anderen auch in der Öffentlichkeit artikulieren. Ist es dieses Ziel der Einschüchterung, Herr Bundesinnenminister, das Sie an dem neuen Gesetzesvorhaben so uneinsichtig festhalten läßt? Gleichgerichtete andere Erklärungen aus dem letzten Jahr lassen das vermuten.
    Die drohende Strafrechtsverschärfung reichte Ihnen im Juli 1983 plötzlich nicht mehr. Es sollten auch schärfere gegenständliche Instrumente in etwaigen Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Demonstranten eingeführt werden. Der erstaunten Öffentlichkeit und den ebenso überraschten wie befremdeten Fachleuten kündigten Sie die Einführung von Gummiwuchtgeschossen bei Polizei und Bundesgrenzschutz an.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Niemand wußte etwas davon, daß durch neue technische Entwicklungen die seit langem erhärteten, durchgreifenden Bedenken gegen Gummiwuchtgeschosse ausgeräumt worden wären. Den Innenministern der Länder war weder bekannt noch akzeptabel, daß die Bewaffnung der ihnen unterstehenden Polizei nunmehr durch Verfügung des Bundesinnenministers geregelt werden konnte.

    (Zurufe von der SPD: Unglaublich!)

    So fand denn das mit geringem Sachverstand angekündigte Vorhaben ein schnelles, unrühmliches Ende zwischen deutlichen Zurückweisungen durch die Länderinnenminister und einer korrigierenden
    Sprechererklärung aus dem Bundesinnenministerium.

    (Dr. Miltner [CDU/CSU]: Trifft ja gar nicht zu!)

    Zur Zurückhaltung und Vorsicht ließ sich der Bundesinnenminister dadurch freilich nicht bewegen. Im Gegenteil: An großen Ankündigungen und starken Worten herrschte weiterhin kein Mangel.
    Die Friedensbewegung und ihre für den Herbst erwarteten Demonstrationen waren es, die die besondere Zuwendung des Bundesinnenministers durch öffentliche Angriffe fanden. Gewiß, es hat in Organisationen und Kreisen, die die Friedensbewegung mit tragen, leichtfertiges und auch unverantwortliches Gerede über ein Recht zum Widerstand gegeben. Viele haben dieser Auffassung in ernsthafter und geduldiger Diskussion widersprochen: die Kirchen, wir Sozialdemokraten und auch maßgebliche Persönlichkeiten, deren Wort in der Friedensbewegung besonderes Gewicht hat. Vor allem dadurch wurde die Verwirrung geklärt, die Gefahr gebannt. Die aufsehenerregenden Beiträge des Bundesinnenministers in diesem Prozeß bestanden leider nicht in besonders gut durchdachten Argumenten, sondern in phantasiereichen öffentlichen Spekulationen über einen gewalttätigen heißen Herbst und der Ankündigung entschlossenen Durchgreifens der Sicherheitskräfte. Die Besorgnis war begründet, daß damit ein heißer Herbst geradezu herbeigeredet werden sollte, um die Stärke des Staates in der Niederwerfung seiner Kritiker zu beweisen.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Einen Komplex haben Sie!)

    Aus alledem ist nichts geworden. Die großen Friedensdemonstrationen sind so verlaufen, wie es ihrer Zielsetzung angemessen war, nämlich friedlich. Das beabsichtigte harte Durchgreifen von Polizei und Strafverfolgungsbehörden wurde entbehrlich, übrigens nicht zuletzt dank des besonderen Geschicks, des Einfühlungsvermögens und der Geduld der Polizei in den betroffenen Ländern und ihrer Führung. Ein Bedarf an verschärften rechtlichen oder sonstigen Instrumenten des Staates trat j eden-falls nicht auf. Aus Berichten und Gesprächen weiß ich, daß Polizeibeamte durch Erlebnisse vor allem des 22. Oktober 1983, des Tages der großen Demonstrationen, bewegt und beeindruckt worden sind.
    Auch diejenigen, die bis dahin ein verschärftes Demonstrationsrecht gefordert hatten, sind in dieser Frage nachdenklich geworden. Gilt das auch für die Bundesregierung? Gilt das auch für Sie, Herr Bundesinnenminister? Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, daß der friedliche Verlauf der von Ihnen ganz anders vorhergesagten Herbstdemonstrationen eine besondere Antwort von Ihnen verdient?

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Hirsch [FDP])

    Sie haben für diese Antwort eine große Chance. Sie
    können sie wirkungsvoll nutzen. Sie brauchen nur
    die geringfügige Bereitschaft zur Selbstkorrektur.
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 2887
    Dr. Schmude
    Der für den Regierungsentwurf zum Demonstrationsstrafrecht mit zuständige Justizminister wird Ihnen nach den Beschlüssen des Karlsruher Parteitags der FDP gewiß nicht im Wege stehen. So appelliere ich an Sie: Setzen auch Sie ein Friedenszeichen,

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Hirsch [FDP])

    verblüffen und beeindrucken Sie Ihre Gegner, indem Sie das unglückselige Gesetzesvorhaben zur Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts zurückziehen.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Hirsch [FDP])

    Sie dürfen sicher sein, daß dieses Zeichen richtig verstanden werden würde und daß es eine weitreichende positive Wirkung entfalten würde.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Von wem?)

    Ich fürchte, Sie haben dazu die Kraft nicht. Es reicht nur zu starken Worten.

    (Beifall bei der SPD)

    Dabei geht dann jede Differenzierung, jede Bereitschaft zum Begreifen und Ernstnehmen des politischen Gegners verloren. Am Umgang der Bundesregierung mit der Friedensbewegung und anderen Kritikern der Raketennachrüstung haben wir das in bedauerlicher und erschreckender Form vorgeführt bekommen. An die bösartigen Äußerungen des Bundesministers Geißler sei hierbei nur kurz erinnert; sie sind nicht vergessen und nicht vergeben.

    (Beifall bei der SPD)

    Daran dürfte ihm ja auch selbst nicht gelegen sein, denn er hat seine massiven Beschimpfungen, zunächst der Pazifisten und später der deutschen Sozialdemokratie, in kalter Berechnung auf lang anhaltende Wirkung angelegt.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Das waren die Höhepunkte einer Kampagne, zu der auch der Bundesinnenminister in seinem Verantwortungsbereich kräftig beigetragen hat. Immer wieder macht uns dieser Verfassungsminister seine Intoleranz gegenüber der abweichenden Meinung

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Jetzt hören Sie aber auf! Schluß!)

    durch die Behauptung deutlich, die — wie er es nannte — Kampagne gegen die Nachrüstung sei von Kommunisten inszeniert

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Ist sie auch!)

    und werde außer von ihnen nur noch von Mitläufern getragen; auch wenn sie sich ehrenwerte Motive einbildeten, handelten sie gegen die inneren und äußeren Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland.
    Genau in der Linie dieser pauschalen Diffamierung liegt das vom Bundesinnenministerium erstellte primitive Pamphlet über kommunistische Einflußnahme auf die Protestbewegung.

    (Dr. Hackel [CDU/CSU]: Sie tun so, als ob es überhaupt keine gäbe!)

    Es wird dem Bundesinnenminister hoffentlich zu denken geben,

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Eine hervorragende Information für viele Bürger, die das noch nicht durchschaut haben!)

    daß nach diesen unsinnigen Geldausgaben zu Diffamierungszwecken der betreffende Mittelansatz in seinem Haushalt im Haushaltsausschuß um 100 000 DM gekürzt worden ist. Eine deutliche Antwort!

    (Beifall bei der SPD)

    Leider ist in der Ausländerpolitik noch nicht erkennbar, daß jemand dem Bundesinnenminister wirksam Einhalt gebietet. Gegen die schroffe Ablehnung durch die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen unseres Landes, besonders gegen die Ablehnung der Kirchen, gegen die entschiedenen und sachkundigen Forderungen der von der Bundesregierung eingesetzten Ausländerbeauftragten, gegen die Kritik der Oppositionsfraktionen und selbst seines Koalitionspartners — wir haben das eben noch einmal gehört — hält Herr Zimmermann fest an seinem restriktiven und repressiven Kurs, der bereits jetzt zu einem frostigen Klima für die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer geführt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Eine besonders bedenkliche Einzelmaßnahme ist dabei die Nachzugsbeschränkung für solche Kinder ausländischer Eltern mit Aufenthaltsrecht bei uns, die älter als sechs Jahre sind.

    (Vorsitz: Vizepräsident Stücklen)

    Was es aber in der Praxis bedeuten würde, Kinder von sieben, acht oder elf Jahren von ihren Eltern fernzuhalten, dürfte sich bisher noch kaum jemand ausmalen.

    (Zuruf von der SPD: Familienfeindlich!)

    Auf diese Praxis aber kommt es an, nicht auf lebensferne Theorie, die in Gesetzestexte und Richtlinien eingeht. Das Beispiel der elfjährigen Türkin, die vor einigen Monaten aus Berlin abgeschoben werden sollte, obwohl sich in der Heimat niemand zu ihrer Aufnahme bereithielt, hat vielleicht einigen sonst gleichgültigen Betrachtern die Augen für die bevorstehenden praktischen Probleme geöffnet. Wie Sie wissen, ist sie dann nicht abgeschoben worden.